Regie: Tim Miller, Drehbuch: Rhett Reese und Paul Wernick,
Musik: Tom Holkenborg
Darsteller: Ryan Reynolds, Ed Skrein, Morena Baccarin, Stefan Kapičić, Brianna Hildebrand, Gina Carano, T.J.
Miller, Karan Soni, Leslie
Uggams, Jed Rees, Stan Lee
FSK: 16, Dauer: 109 Minuten.
Wade Wilson (Ryan Reynolds, "The Voices") ist ein
unehrenhaft entlassener Ex-Spezialsoldat, der sich nun als Söldner verdingt – jedoch wenigstens einer, der
nur Aufträge annimmt, deren Ziel die (nicht immer endgültige) Erledigung
von Personen ist, die es definitiv verdient haben. Als Wade sich in das schöne
Callgirl Vanessa (Morena Baccarin aus den TV-Serien "Gotham", "Homeland" und "Firefly") verliebt, deren Wahnsinn dem seinen
ebenbürtig ist – wie er selbst es so in etwa formuliert –, schwebt er auf Wolke 7.
Doch nach einiger Zeit eröffnet ihm seine Ärztin, daß er unheilbar an Krebs
erkrankt ist und nur noch wenige Monate zu leben hat. Das nutzt ein mysteriöser
Anwerber aus, um ihn zu einem experimentellen Verfahren zu überreden, das Wade
zu einem Superhelden mit übermenschlichen Kräften machen soll. Wade willigt
ein, doch wird er damit zum gequälten Versuchskaninchen des
bösartigen Wissenschaftlers Ajax (Ed Skrein, "The Transporter
Refueled"). Dessen Methoden erweisen sich (mit unangenehmen Nebenwirkungen) allerdings durchaus als wirksam,
was Wade zur Flucht verhilft – Deadpool ist geboren. Ajax und seine Schergen sind ihm allerdings dicht auf den Fersen …
Kritik:
Ein Monat. Das ist die ungefähre Zeitspanne, die das
"X-Men"-Spin-Off "Deadpool" gerade mal benötigte, um
weltweit $700 Mio. einzuspielen. Nicht übel für einen Film, über dessen Budget
von $58 Mio. die meisten Marvel- oder DC-Comicverfilmungen nur müde lächeln
würden; nicht übel auch für einen Film, der in den meisten Ländern weltweit
frühestens für ältere Jugendliche freigegeben ist und so auf einen
beachtlichen Teil jenes Zuschauersegments verzichten muß, das die
"Avengers"- oder "Batman"-Filme so profitabel macht (sowie mit China komplett auf den zweitgrößten Kinomarkt weltweit). Und
erst recht nicht übel für einen Film, der mit Wonne auf die üblichen Genrekonventionen pfeift
und seinen unkonventionellen Protagonisten sogar direkt und außerhalb der
Filmhandlung zum Publikum sprechen läßt. Nein, niemand konnte ernsthaft
erwarten, daß ausgerechnet "Deadpool" – ein Film, dessen
Hauptfigur sieben Jahre zuvor im wohl schwächsten aller
"X-Men"-Filme ("X-Men Origins: Wolverine") auf eine derart glattgebügelte Art und
Weise eingeführt worden war, daß Comicfans regelrecht entsetzt waren – zu einem
weltweiten Monsterhit werden würde, einem der profitabelsten
Superhelden-Filme aller Zeiten. Doch so ziemlich alle Beteiligten an
"Deadpool" haben so ziemlich alles richtig gemacht: Die PR-Abteilung fuhr
eine brillante Marketingstrategie, die es allen Ernstes schaffte, den
zum Valentinstag startenden, sehr brutalen Film als perfektes "Date-Movie" zu
etablieren; Hauptdarsteller Reynolds war quasi vom ersten Tag der Produktion an
mit Feuereifer dabei und postete und twitterte und filmte derart
leidenschaftliche, kreative und vor Selbstironie triefende Häppchen, daß er die zu Beginn durchaus
skeptischen Fans in Windeseile auf seiner Seite hatte. Achja, und nicht zu
vergessen: Regisseur Tim Miller hat in seinem Kinodebüt einen Film zustandegebracht,
der richtig Laune macht!
Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil
"Deadpool" nicht im eigentlichen Sinne ein guter Film ist. Die
Handlung ist kaum mehr als zweckmäßig zu nennen, die Dialoge sind nicht eben
tiefgründig und die Trefferquote der von Wade im Stakkato-Rhythmus
herausgehauenen Gags dürfte kaum die 50% übertreffen. Aber das alles macht
nichts, weil "Deadpool" gar kein guter Film sein will … sondern ein
gutes B-Movie! Und dieses Vorhaben haben Tim Miller und sein Team hervorragend
umgesetzt. Die üblichen Superhelden-Klischees werden ordentlich gegen den
Strich gebürstet und dazu zählt eben auch, daß Deadpool kein
Frauenschwarm mit Esprit und guten Manieren ist, sondern ein körperlich entstelltes, aber dennoch selbstverliebtes und ungehobeltes Großmaul, das sich und seinen zweifelhaften Humor für unwiderstehlich hält und
dessen bevorzugtes Gesprächsthema das Masturbieren zu sein scheint. Nein, ein
klassischer Superheld ist Deadpool ganz bestimmt nicht, auch wenn er das
Herz erkennbar am rechten Fleck hat. Diese Konstellation wird geschickt
verstärkt, indem Deadpool mit dem metallischen Colossus (gesprochen von dem
gebürtigen Deutschen Stefan Kapičić) und seinem explosiven Schützling Negasonic
Teenage Warhead (Newcomerin Brianna Hildebrand) zwei Mutanten aus der
"Begabtenschule" von Professor X auf den Fersen hat, die ihn mit
Nachdruck auf den Pfad der Tugend bringen (sprich: ihn zu einem Teil der X-Men
machen) wollen, ihm im Ernstfall aber doch gegen die Bösen helfen.
Aber zurück zu der B-Movie-Sache: Dazu paßt, daß es in
"Deadpool" nicht um die Rettung der Welt oder etwas in der Art
geht, sondern vergleichsweise unspektakulär um die Konfrontation zwischen Ajax
und Deadpool, zwei Marvelfiguren aus der zweiten Reihe. Und so sind auch die
Actionsequenzen eher bodenständig gestaltet und erinnern eher an die
"Transporter"-Reihe denn an Großproduktionen á la "Avengers: Age of Ultron". Dann ist da natürlich auch noch der Humor, der ganz untypisch
für Supehelden-Filme sehr häufig unter die Gürtellinie geht und von einem herben Zynismus
getränkt ist, der selbst den Berufszyniker Tony "Iron Man" Stark vor
Neid erblassen lassen dürfte. Wie gesagt, die Sprüche, die Wade – der
kurioserweise noch nicht mal der größte Zyniker des Films ist, diesen Rang
läuft ihm sein bester Freund Weasel (T.J. Miller, "Unstoppable") ab – vom Stapel läßt, haben
selten etwas mit gutem Geschmack zu tun. Aber für die Figur Wade respektive
Deadpool funktionieren sie wunderbar, zumal sie sein demonstratives
Antiheldentum noch unterstreichen. Das wirklich Besondere an
"Deadpool", das Alleinstellungsmerkmal bereits in den Comics, ist
aber natürlich die Tatsache, daß er nicht innerhalb der fiktiven Marvel-Welt verbleibt,
sondern sich der "echten Welt" bewußt ist. Deshalb durchbricht er
beständig die sogenannte "vierte Wand", indem er dem Publikum Dinge
erklärt, über die Schauspieler aus diversen "X-Men"-Filmen und sogar
über seinen eigenen Darsteller Ryan Reynolds lästert, sich über
Superhelden-Filme im Allgemeinen lustig macht, bezüglich des relativ niedrigen
Budgets und dessen Auswirkungen (in der Schule von Professor X sind immer nur
Colossus und Negasonic Teenage Warhead zu sehen …) spöttelt und gelegentlich
auch mal Regieanweisungen gibt (und dann ausführt). Dazu kommen
etliche witzige Details (wie die andächtig den aus dem Autoradio tönenden Klängen
von Juice Newtons "Angel of the Morning" lauschenden Gangster) sowie
zahllose direkte und indirekte Filmanspielungen und -zitate, deren
Spektrum von "Ferris macht blau" und "Star Wars" über
"Taken" und "Matrix" bis hin zu "127 Hours" und
sogar "Notting Hill" reicht.
Das macht einfach Laune, da die Einzelteile – selbst der
gewöhnungsbedürftige Humor, der sicher manche dennoch abschrecken wird –
wunderbar harmonieren und das hohe Tempo über die erzählerischen Mängel
hinwegsehen läßt. Denn die sind definitiv vorhanden, sowohl was die relativ
einfallslose und wendungsarme Handlung betrifft als auch die Figurenzeichnung.
Letztere konzentriert sich stark auf die Titelfigur, was natürlich schon Sinn ergibt, aber die anderen eben etwas zu kurz kommen läßt. Das ist deshalb schade,
weil die Charaktere sowohl auf Seiten der (im weiteren Sinne) Guten wie auch
bei den Bösen durchaus interessant wirken, auch wenn es wenig glaubwürdig
rüberkommt, daß sie ausnahmslos alle ziemlich skurril sind (selbst der
Taxifahrer, der Deadpool wiederholt chauffiert). Ed Skrein gibt beispielsweise
einen wunderbar bösartigen Oberschurken Ajax und, Ex-MMA-Kämpferin Gina
Carano ("Haywire") überzeugt als sein Sidekick und Frau fürs Grobe namens Angel Dust.
Auf der anderen Seite funktioniert Morena Baccarin hervorragend als Wades
ähnlich unkonventioneller "love interest" und dessen scheinbar nicht
zu erschütternde spätere Mitbewohnerin "Blind Al" (Leslie Uggams, TV-Serie "Roots")
zieht die Sympathien des Publikums in Sekundenschnelle auf ihre Seite. Letztlich bleiben sie jedoch alle kaum mehr als Schablonen, da wäre wesentlich mehr möglich
gewesen. Naja, vielleicht in der bereits für 2017 angekündigten Fortsetzung.
Bei der Action muß man hingegen den erwähnten Budget-Restriktionen zum Trotz kaum
qualitative Abstriche machen: Die wenig zimperlichen Kampfszenen sind sauber
und teilweise sogar ziemlich phantasievoll choreographiert, die Spezialeffekte können
sich absolut sehen lassen und auch Metallmann Colossus integriert sich
glaubhaft in seine Umwelt. Angesichts des songlastigen Soundtracks (der ein
überraschend stimmiges Potpourri aus Hits der letzten Jahrzehnte seit den
1960er Jahren umfaßt) kommt die Musik von Tom Holkenborg alias Junkie XL nicht
so spektakulär zur Geltung wie etwa in "Mad Max: Fury Road" oder "300 – Rise of an Empire", speziell während des langen und krachenden Showdowns
macht sie aber auch mit eher konventionellen Klängen eine gewohnt gute Figur.
Fazit: "Deadpool" ist ein
Superhelden-B-Movie, das erkennbar mit viel Herz und Leidenschaft gemacht wurde und
mit seiner kompromißlosen Action ebenso für gute Unterhaltung sorgt wie
mit dem extrem und über alle Meta-Grenzen hinweg mitteilsamen Titel(anti)helden
– über die dramaturgischen Schwächen kann man da großzügig hinwegsehen.
Wertung: 8 Punkte.
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