Originaltitel:
Begin Again
Regie und
Drehbuch: John Carney, Musik: Gregg Alexander
Darsteller:
Mark Ruffalo, Keira Knightley, Adam Levine, Hailee Steinfeld,
Catherine Keener, James Corden, Yasiin Bey (alias Mos Def), Cee Lo Green, Rob Morrow, Ian
Brodski, Shannon Maree Walsh, David Abeles, Harvey Morris, Marco Assante,
Jennifer Li
FSK: 0,
Dauer: 104 Minuten.
Dan Mulligan (Mark Ruffalo, "Die Unfaßbaren") hatte
gar keinen guten Tag: Der eigenwillige Musikproduzent wurde aus dem
Independent-Label, das er einst mitbegründet hatte, mangels Erfolgen sowie
Anpassungsfähigkeit an die modernen Anforderungen an das Musikgeschäft im Internet-Zeitalter
gefeuert, er ist so gut wie pleite und seine Teenager-Tochter Violet (Hailee
Steinfeld, "True Grit") – die Dan seit der Trennung von seiner Frau
Miriam (Catherine Keener, "Captain Phillips") nur noch selten
sieht – zeigt neuerdings in der Schule mehr Haut als eine durchschnittliche
Prostituierte auf dem Straßenstrich. Kein Wunder, daß er sich am Abend kräftig
vollaufen läßt und dabei in einer New Yorker Bar mit "Open
Mic"-Wettbewerb landet. Gretta (Keira Knightley, "Anna Karenina") hatte keinen guten Tag: Nachdem ihr Musiker-Freund Dave
(Maroon 5-Sänger Adam Levine), kaum daß er den Durchbruch zum Rockstar geschafft
hat, seine musikalische Integrität aufgegeben und die Songs, die er teils
zusammen mit Gretta schrieb, zu pompösem Mainstream-Sound verschlimmbessert
hat, mußte sie nun auch noch erfahren, daß er sie mit seiner Betreuerin vom
Plattenlabel betrogen hat. Kein Wunder, daß sich Gretta einfach nur in der Wohnung
ihres alten Freundes Steve (James Corden aus "One Chance"), ebenfalls
ein (erfolgloser) Musiker, vergraben und sich selbst bemitleiden will. Doch Steve
überredet sie, stattdessen lieber mit zu einer Bar zu kommen, in der es einen
"Open Mic"-Wettbewerb gibt. Dort trägt Gretta auf Steves Drängen hin
einen von ihr geschriebenen Song vor, der nur zwei der Anwesenden zu begeistern
scheint: Steve – und Dan, der Gretta prompt anspricht und mit ihr ein
komplettes Album produzieren möchte …
Kritik:
Der neue Musikfilm des irischen "Once"-Regisseurs
John Carney hat sich auf Anhieb in meine persönliche Kino-Rekordliste eingetragen.
Denn von den Hunderten von Filmen, die ich im Kino gesehen habe, kann ich mich
an keinen einzigen erinnern, bei dem der weibliche Anteil am Gesamtpublikum
höher gewesen wäre. Der Saal war mit etwa 40 bis 50 Zuschauern ordentlich
gefüllt, darunter befanden sich genau fünf Männer – allesamt in weiblicher
Begleitung. Die Chancen dürften also nicht schlecht stehen, daß ich sogar der
einzige Mann im Saal war, der den Film wirklich sehen wollte (zwar war ich
ebenfalls in weiblicher Begleitung, allerdings war in diesem Fall ich die
treibende Kraft bei der Filmauswahl). Nun kann ich schlecht behaupten,
daß diese eine Vorstellung repräsentativ gewesen wäre, aber man kann wohl davon
ausgehen, daß "Can a Song Save Your Life?" generell Frauen stärker
anspricht als Männer. Warum das so ist, kann ich mir allerdings nur teilweise
erklären. Es geht zwar relativ viel um Gefühle, aber um einen Liebesfilm
handelt es sich eindeutig nicht; die Musik im Stil von Maroon 5, den New
Radicals (deren Frontmann Gregg Alexander für die eigentliche Filmmusik sowie
einige der Songs verantwortlich zeichnet) oder – was Grettas Songs betrifft –
Norah Jones kommt mir nicht so vor, als würde sie vor allem Frauen gefallen; und Keira Knightley ist ja im Allgemeinen durchaus ein Grund für
Männer, sich einen Film anzuschauen. Wie auch immer, Fakt ist: "Can a Song
Save Your Life?" ist ein wunderbarer kleiner Wohlfühlfilm geworden, mit
reichlich guter Musik, zwei engagierten, hervorragend miteinander harmonierenden Hauptdarstellern und ein
paar Einblicken in die Musikindustrie (die mir etwas naiv vorkommen,
aber das können letztlich wohl nur echte Kenner der Szene beurteilen, für das
Gelingen des Films ist es so oder so ziemlich unerheblich).
Obwohl der "deutsche" Filmtitel fraglos schöner
und poetischer klingt, ist der Originaltitel, unter dem "Can a Song Save
Your Life?" im englischsprachigen Raum veröffentlicht wurde, der
treffendere: "Begin Again". Denn John Carney erzählt hier tatsächlich
die Geschichte eines Neuanfangs … nein, zweier Neuanfänge, um genau zu sein.
Dan und Gretta sind beide am Boden, als sie sich in dieser New Yorker Bar
kennenlernen. Zusammen beginnen sie noch einmal von vorne, sowohl beruflich als
auch privat. Gretta, die eigentlich am Tag nach dem Auftritt in der Bar wieder
zurück in ihre britische Heimat reisen will, ist zunächst noch etwas
widerspenstig, läßt sich aber doch recht schnell von Dans
Begeisterungsfähigkeit anstecken. So entwickelt sich eine enge
Freundschaft zwischen den altersmäßig rund 15 Jahre entfernten Leidensgenossen, beide beeinflussen sich gegenseitig positiv. Mit ihrer unbekümmerten Art gelingt
es Gretta beispielsweise, Dan und seine Tochter Violet einander wieder
näherzubringen, umgekehrt sorgt der Musikproduzent dafür, daß Gretta aufhört, Trübsal zu blasen. Außerdem weiß Dan genau, was nötig ist, um
Grettas intime "ein Mädchen mit seiner Gitarre"-Songs
radiotauglich zu machen, ohne ihre musikalische Identität aus dem Auge zu
verlieren.
Die Szene, in der Carney Dans Talent, gleich beim ersten Hören
das gesamte musikalische Potential eines Songs zu erkennen, verbildlicht, ist
eines der poetischen Highlights von "Can a Song Save Your Life?". Wir
sehen und hören Gretta auf der Bühne spielen, eine eingängige Melodie, ein
netter Text, aber Grettas eher spröder, schüchterner Vortrag sorgt dafür, daß der
Großteil der Barbesucher nur mit einem halben Ohr hinhört. Nicht so Dan: Als er
das Lied hört, gesellt sich zu Stimme und Gitarre schnell ein Cello hinzu, dann
eine Geige, Schlagzeug, Baß und so weiter. Da das alles in seiner
Vorstellungskraft geschieht, bekommt das Kinopublikum lediglich die einzelnen
Instrumente zu Gesicht, die gewissermaßen selbständig Grettas Vortrag begleiten, und so entwickelt sich aus der intimen Singer-Songwriter-Nummer ein
fesselnder, potentieller Hit. Diese Beschreibung kann dem Gezeigten
gar nicht gerecht werden, aber es handelt sich wirklich um eine phantastische
Sequenz.
Ganz allgemein legt John Carney die größte visuelle wie auch
erzählerische Tatkraft an den Tag, wenn es um die Musik geht – was zum Glück
meistens der Fall ist. Die ersten 20 Minuten, in denen man in Form zweier
Rückblicke erfährt, warum Dan und Gretta so einen miesen Tag hatten, sind noch
ein kleines bißchen zäh, aber sobald die beiden damit beginnen, ihre Idee zu
verwirklichen, ein Album mitten in New York zu produzieren, wird es zunehmend
zauberhaft. Durch diesen innovativen Ansatz ist "Can a Song Save Your
Life?" gleichzeitig auch ein bißchen eine Liebeserklärung an New York –
das mag nicht allzu originell sein, schließlich gibt es davon schon reichlich
(man denke nur an die Filmographie von Woody Allen); aber die gefühlvolle,
häufig auch humorvolle und vor allem stets durch die richtig gute Musik
getriebene Umsetzung ist so charmant, daß man sich kaum dieser Kinomagie entziehen
kann. Erfreulich ist auch, daß Carney, was den Handlungsverlauf angeht,
weitgehend auf Klischees verzichtet. Es gibt zwar immer wieder Momente, in denen man
genau zu wissen glaubt (oder fürchtet), was nun nach Hollywood-Logik
passieren muß – doch Carney entzieht sich den Konventionen stets genau im
rechten Moment, was der gefühlten Authentizität deutlich entgegenkommt.
Was die Charaktere betrifft, ist das Drehbuch dagegen deutlich
konventioneller geraten, aber irgendwie kann man Carney auch dieses kleine
Manko nicht übel nehmen. Mögen die integre Künstlerin Gretta, der
unkonventionelle Produzent Dan, Grettas knuffig-charmanter Kumpel Steve,
ihr Ex-Freund Dave mit den Rockstar-Allüren oder Dans rebellische Tochter
Violet auf den ersten Blick auch noch so schablonenhaft daherkommen – Carney
hat all diese Figuren mit sichtlicher Zuneigung erschaffen und damit den guten
Schauspielern die Grundlage für eine überzeugende Darstellung geliefert. Vor
allem Mark Ruffalo und Keira Knightley – die übrigens recht kurzfristig die
eigentlich vorgesehene Scarlett Johansson ersetzte – entwickeln innerhalb
kürzester Zeit eine beinahe sensationelle Leinwandchemie, die ihre zunächst noch
zwischen platonischer Freundschaft, Seelenverwandtschaft und vielleicht doch romantischen Gefühlen schwankende Beziehung absolut glaubwürdig wirken
läßt. Und daß Knightley sogar richtig gut singen kann, ist bei einem Musikfilm
selbstredend sehr hilfreich. Dabei ist Knightleys Gesang wohlgemerkt nicht unglaubwürdig, durch technische Mittel nachgebessert sensationell, sondern "normal" gut, mit
einer schönen, aber nicht übermäßig kraftvollen Stimme, die charmanterweise
auch nicht immer jeden Ton perfekt trifft. Und das paßt dann eben wunderbar zum
gesamten Film: nicht frei von Fehlern, aber unheimlich sympathisch.
Fazit: "Can a Song Save Your Life?" ist ein
unspektakulärer, aber höchst charmanter Musikfilm und zugleich eine einfühlsame
Ballade über zwei vom Leben enttäuschte verwandte Seelen, die sich gegenseitig
zu einem Neuanfang verhelfen.
Wertung: 8 Punkte.
P.S.: Kuriosum am Rande: Dieser Film ist wieder einmal ein
wunderbares Beispiel für den Wahnsinn amerikanischer Altersfreigaben. In
Deutschland ist "Can a Song Save Your Life?" logischerweise für alle
Zuschauer freigegeben, alles andere wäre auch albern. In den USA hat er jedoch
aufgrund einiger (harmloser) Schimpfwörter allen Ernstes ein
"R"-Rating (ab 17 Jahre) erhalten und somit eine höhere
Altersfreigabe als die meisten aktuellen Action- und Horrorfilme mit teils
unzähligen Gewaltopfern. Die spinnen, die Amis …
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