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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 18. September 2014

A MOST WANTED MAN (2014)

Regie: Anton Corbijn, Drehbuch: Andrew Bovell, Musik: Herbert Grönemeyer
Darsteller: Philip Seymour Hoffman, Rachel McAdams, Grigoriy Dobrygin, Willem Dafoe, Robin Wright, Rainer Bock, Nina Hoss, Daniel Brühl, Vicky Krieps, Kostja Ullmann, Mehdi Dehbi, Homayoun Ershadi, Herbert Grönemeyer, Martin Wuttke, Franz Hartwig, Tamer Yigit, Bernhard Schütz, Derya Alabora
A Most Wanted Man
(2014) on IMDb Rotten Tomatoes: 86% (7,3); weltweites Einspielergebnis: $36,2 Mio.
FSK: 6, Dauer: 122 Minuten.

Als Issa Karpov (Grigoriy Dobrygin, "4 Tage im Mai") in Hamburg illegal nach Deutschland einreist, gerät er schnell ins Visier der Behörden. Vorher war er nämlich in der Türkei und in Rußland im Gefängnis, laut russischer Behörden ist Karpov ein islamistischer tschtschenischer Terrorist. Dieter Mohr (Rainer Bock, "Zwei Leben"), der Leiter des regulären Geheimdienstes, möchte Karpov unverzüglich festnehmen, ehe er einen Anschlag verüben kann. Doch Günter Bachmann (Philip Seymour Hoffman, "Glaubensfrage"), der in der Hansestadt eine geheime, inoffizielle Anti-Terroreinheit anführt, möchte den jungen Mann vorerst unbehelligt lassen, um ihn beobachten und möglicherweise für die eigenen Zwecke nutzen zu können – zumal er die Informationen des russischen Geheimdienstes nicht als stichhaltig einstuft. Nachdem sich Martha Sullivan (Robin Wright, "Verblendung"), die einflußreiche Verbindungsfrau der CIA in Deutschland, für Bachmanns Plan ausspricht, bekommt er vorerst grünes Licht. Karpov macht unterdessen Bekanntschaft mit der idealistischen Anwältin Annabel Richter (Rachel McAdams, "Alles eine Frage der Zeit"), die ihm helfen will, Asyl in Deutschland zu beantragen. Vorher will Karpov jedoch unbedingt noch Kontakt zum Hamburger Bankdirektor Tommy Brue (Willem Dafoe, "Die Tiefseetaucher") aufnehmen …

Kritik:
Es ist erstaunlich, aber es scheint tatsächlich so gut wie unmöglich zu sein, aus einem Spionageroman des britischen Ex-Spions John le Carré einen schlechten Film zu machen. Bereits 1965 faszinierte Richard Burton als "Der Spion, der aus der Kälte kam" und gab eine Art Gegenentwurf zu Sean Connerys lässigem James Bond ab, 1979 und 1982 begeisterte der große Sir Alec Guinness in den BBC-Miniserien "Dame, König, As, Spion" und "Agent in eigener Sache", nach der Jahrtausendwende wußten auch "Der Schneider von Panama" (2001) und "Der ewige Gärtner" (2005) zu überzeugen. Und erst 2011 lieferte Gary Oldman in einer Kinoversion von "Dame, König, As, Spion" eine grandiose darstellerische Leistung als le Carrés wohl bekannteste Romanfigur George Smiley ab. Lediglich "Das Rußland-Haus" konnte 1990 nur verhaltene Kritiker- und Publikumsreaktionen ernten, war aber weit entfernt von einem schlechten Film. Zwar taugen le Carrés Romane kaum für Hollywood-Blockbuster; dafür sind die Geschichten, die er erzählt, einfach zu realitätsnah, zu spröde, zu actionarm, zu verwinkelt konstruiert; und seine "Helden" sind so ziemlich das Gegenteil von James Bond oder Jason Bourne – keine taffen Alleskönner mit Schlag bei den Frauen, sondern eher klassische Buchhalter-Typen, die mit Akribie und Hartnäckigkeit ganz langsam vorankommen und ihre Gegenspieler wie beim Schachspiel ausmanövrieren müssen, um überhaupt Fortschritte zu erzielen. Günter Bachmann ist so ein typischer le Carré-Protagonist, und der einzigartige Philip Seymour Hoffman ist genau die Art von Schauspieler, die man braucht, um ihn glaubwürdig und subtil zu verkörpern. Daß es die letzte Hauptrolle des im Alter von nur 46 Jahren an einer Überdosis Drogen verstorbenen Charaktermimen ist, ist nicht weniger als eine Katastrophe für jeden Anhänger anspruchsvollen Schauspielerkinos. Denn als Günter Bachmann zeigt Hoffman ein letztes Mal, zu welch nuancenreichen Glanzleistungen er in der Lage ist – auch wenn "A Most Wanted Man" insgesamt nicht an die besten le Carré-Adaptionen heranreicht.
Das liegt vor allem daran, daß die Handlung nicht an die Raffinesse etwa der Smiley-Storys heranreicht, sondern im Kern recht geradlinig und dementsprechend nicht übermäßig spannend verläuft. Aber auch die betont spröde Inszenierung des niederländischen Regisseurs Anton Corbijn – der zuvor mit "The American" ein thematisch nicht ganz unähnliches, aber sehr viel stilbewußter und eleganter gefilmtes Drama in die Kinos brachte – paßt zwar hervorragend zur Thematik, sorgt aber nicht gerade für Aufregung. Corbijn verläßt sich ganz auf die Präsenz und Schauspielkunst seines Hauptdarstellers. Das kann man ihm nur bedingt vorwerfen, schließlich nutzt Hoffman die Möglichkeiten, die seine Rolle ihm bietet, weidlich aus mit einer umwerfend subtilen Darstellung, die auf jegliche Knalleffekte, jegliches Overacting verzichtet und gerade deshalb so authentisch wirkt. Unglücklicherweise leiden darunter jedoch die übrigen Figuren, zumal die Dialoge in einigen Szenen seltsam gestelzt wirken. Vor allem die deutschsprachigen Schauspieler sind hoffnungslos verschenkt, lediglich Nina Hoss ("Phoenix") als Mitglied von Bachmanns Team kann in ein paar Szenen ihr Können zeigen, gerade in den gemeinsamen Momenten mit Hoffman; Rainer Bock gibt in seinen wenigen Auftritten als Bachmanns interner Rivale zumindest einen schön unsympathischen Quasi-Antagonisten ab, während Hochkaräter wie Daniel Brühl ("Rush"), Vicky Krieps ("Die Vermessung der Welt") oder Kostja Ullmann ("Quellen des Lebens") stets am Rand bleiben. Willem Dafoe als leicht zwielichtiger Banker und Rachel McAdams als Issa Karpovs Anwältin ergeht es etwas besser, doch lediglich Robin Wright kann es als unterkühlte, undurchschaubare CIA-Agentin Sullivan wirklich mit Hoffman aufnehmen.
Daß ich den Geheimdienstchef Dieter Mohr als Quasi-Antagonisten des Films benenne, ist übrigens bezeichnend für die Ungewöhnlichkeit dieses etwas anderen Spionagefilms. Denn es gibt tatsächlich keinen Bösewicht im traditionellen Sinne. Der von Grigoriy Dobrygin einfühlsam verkörperte Issa Karpov ist eben kein Klischee-Terrorist, sondern im Grunde genommen ein armer Tropf, ein Spielball fremder Mächte, der doch eigentlich nur in Ruhe leben will. John le Carré wurde bei der Ausgestaltung dieser Figur in seiner Romanvorlage "Marionetten" von dem jahrelang in Guantanamo inhaftierten und später ohne jegliche Anklage freigelassenen Deutsch-Türken Murat Kurnaz inspiriert, mit dem er mehrmals über seine Erlebnisse sprach. Und genau das ist das Faszinierende an "A Most Wanted Man": Es geht nur vordergründig um den Kampf gegen den Terrorismus, in Wirklichkeit handelt es sich primär um Ränkespiele konkurrierender Behörden, die letztlich doch alle nur nach der Pfeife der amerikanischen CIA zu tanzen scheinen. Gerade im Lichte der Snowden-Enthüllungen über die Praktiken amerikanischer Geheimdienste – die übrigens erst kurz nach Produktionsbeginn von "A Most Wanted Man" an die Öffentlichkeit gelangten – betrachtet man diese makabren Machtspielchen auf dem Rücken jener Individuen, die dem Roman seinen deutschen Titel bescherten, mit einer Art schauriger Faszination; weil man nun endgültig weiß, daß das Ganze nicht nur der Phantasie eines Schriftstellers entstammt, sondern wohl erschreckend nahe an der Realität ist. Natürlich sind le Carrés Romane letztlich immer Fiktion, doch durch seine eigenen Erfahrungen als Spion kann man davon ausgehen, daß er weiß, worüber er schreibt – und das auch noch Jahrzehnte nach seinem Berufswechsel, denn le Carré ist für seine akribischen Recherchearbeiten bekannt. Mit einem Gefühl der Sicherheit dürfte nach dem Abspann jedenfalls kaum ein Zuschauer das Kino verlassen ...
Während Regisseur Corbijn es hinsichtlich der – für le Carré-Adaptionen eigentlich eminemt wichtigen – Figurenzeichnung jenseits des Protagonisten Günter Bachmann deutlich fehlen läßt, führt er stattdessen einen unerwarteten zusätzlichen Hauptdarsteller ein: Hamburg. Es ist erfrischend, in einem Film dieser Art endlich mal einen etwas anderen Schauplatz präsentiert zu bekommen. Das sah offensichtlich auch Corbijn so, denn er rückt die Stadt immer wieder in den Mittelpunkt. Sie ist nicht glamourös wie Berlin oder London, sondern eher spröde und etwas eigen, aber gewiß faszinierend – genau wie Günter Bachmann. Kameramann Benoît Delhomme ("Schanghai") fängt die spröde Schönheit Hamburgs mit seinen ruhigen Aufnahmen immer wieder hervorragend ein, unterstützt von der unauffällig-atmosphärischen Filmmusik von Herbert Grönemeyer (der auch eine kleine Rolle als Bachmanns Vorgesetzter übernommen hat). So mag "A Most Wanted Man" nicht die beste le Carré-Adaption sein, aber ein guter Film für ein anspruchsvolles Publikum ist er allemal.

Fazit: "A Most Wanted Man" ist ein sehr bedächtiges Spionage-Drama, das ganz auf eine im Kern simple, authentisch erzählte und von einem wie gewohnt herausragenden Hauptdarsteller Philip Seymour Hoffman in seiner letzten Hauptrolle getragene Geschichte setzt und einen ungeschönten Blick in die Welt der Geheimdienste der Post-9/11-Ära bietet.

Wertung: 7 Punkte.


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