Regie: Anton Corbijn, Drehbuch: Andrew Bovell, Musik:
Herbert Grönemeyer
Darsteller: Philip Seymour Hoffman, Rachel McAdams, Grigoriy
Dobrygin, Willem Dafoe, Robin Wright, Rainer Bock, Nina Hoss, Daniel Brühl,
Vicky Krieps, Kostja Ullmann, Mehdi Dehbi, Homayoun
Ershadi, Herbert Grönemeyer, Martin Wuttke, Franz Hartwig, Tamer Yigit, Bernhard
Schütz, Derya Alabora
FSK: 6, Dauer: 122 Minuten.
Als Issa Karpov (Grigoriy Dobrygin, "4 Tage im
Mai") in Hamburg illegal nach Deutschland einreist, gerät er schnell ins
Visier der Behörden. Vorher war er nämlich in der Türkei und in Rußland im
Gefängnis, laut russischer Behörden ist Karpov ein islamistischer
tschtschenischer Terrorist. Dieter Mohr (Rainer Bock, "Zwei Leben"), der Leiter des regulären Geheimdienstes, möchte Karpov
unverzüglich festnehmen, ehe er einen Anschlag verüben kann. Doch Günter Bachmann
(Philip Seymour Hoffman, "Glaubensfrage"), der in der Hansestadt eine geheime, inoffizielle
Anti-Terroreinheit anführt, möchte den jungen Mann vorerst unbehelligt lassen,
um ihn beobachten und möglicherweise für die eigenen Zwecke nutzen zu können –
zumal er die Informationen des russischen Geheimdienstes nicht als stichhaltig einstuft. Nachdem sich Martha Sullivan (Robin Wright, "Verblendung"),
die einflußreiche Verbindungsfrau der CIA in Deutschland, für Bachmanns Plan
ausspricht, bekommt er vorerst grünes Licht. Karpov macht unterdessen
Bekanntschaft mit der idealistischen Anwältin Annabel Richter (Rachel McAdams,
"Alles eine Frage der Zeit"), die ihm helfen will, Asyl in
Deutschland zu beantragen. Vorher will Karpov jedoch unbedingt noch Kontakt zum
Hamburger Bankdirektor Tommy Brue (Willem Dafoe, "Die Tiefseetaucher") aufnehmen …
Kritik:
Es ist erstaunlich, aber es scheint tatsächlich so gut wie
unmöglich zu sein, aus einem Spionageroman des britischen Ex-Spions John le
Carré einen schlechten Film zu machen. Bereits 1965 faszinierte Richard Burton
als "Der Spion, der aus der Kälte kam" und gab eine Art Gegenentwurf
zu Sean Connerys lässigem James Bond ab, 1979 und 1982 begeisterte der große
Sir Alec Guinness in den BBC-Miniserien "Dame, König, As, Spion" und
"Agent in eigener Sache", nach der Jahrtausendwende wußten auch
"Der Schneider von Panama" (2001) und "Der ewige Gärtner"
(2005) zu überzeugen. Und erst 2011 lieferte Gary Oldman in einer Kinoversion
von "Dame, König, As, Spion" eine grandiose darstellerische Leistung
als le Carrés wohl bekannteste Romanfigur George Smiley ab. Lediglich "Das
Rußland-Haus" konnte 1990 nur verhaltene Kritiker- und Publikumsreaktionen
ernten, war aber weit entfernt von einem schlechten Film. Zwar taugen le Carrés
Romane kaum für Hollywood-Blockbuster; dafür sind die Geschichten, die er
erzählt, einfach zu realitätsnah, zu spröde, zu actionarm, zu verwinkelt
konstruiert; und seine "Helden" sind so ziemlich das Gegenteil von
James Bond oder Jason Bourne – keine taffen Alleskönner mit Schlag bei den
Frauen, sondern eher klassische Buchhalter-Typen, die mit Akribie und
Hartnäckigkeit ganz langsam vorankommen und ihre Gegenspieler wie beim Schachspiel
ausmanövrieren müssen, um überhaupt Fortschritte zu erzielen. Günter Bachmann
ist so ein typischer le Carré-Protagonist, und der einzigartige Philip
Seymour Hoffman ist genau die Art von Schauspieler, die man braucht, um ihn
glaubwürdig und subtil zu verkörpern. Daß es die letzte Hauptrolle des im Alter
von nur 46 Jahren an einer Überdosis Drogen verstorbenen Charaktermimen ist,
ist nicht weniger als eine Katastrophe für jeden Anhänger anspruchsvollen
Schauspielerkinos. Denn als Günter Bachmann zeigt Hoffman ein letztes Mal, zu
welch nuancenreichen Glanzleistungen er in der Lage ist – auch wenn "A Most Wanted
Man" insgesamt nicht an die besten le Carré-Adaptionen heranreicht.
Das liegt vor allem daran, daß die Handlung nicht an die
Raffinesse etwa der Smiley-Storys heranreicht, sondern im Kern recht
geradlinig und dementsprechend nicht übermäßig spannend verläuft. Aber auch die
betont spröde Inszenierung des niederländischen Regisseurs Anton Corbijn – der zuvor
mit "The American" ein thematisch nicht ganz unähnliches, aber sehr viel
stilbewußter und eleganter gefilmtes Drama in die Kinos brachte – paßt zwar
hervorragend zur Thematik, sorgt aber nicht gerade für Aufregung. Corbijn
verläßt sich ganz auf die Präsenz und Schauspielkunst seines Hauptdarstellers.
Das kann man ihm nur bedingt vorwerfen, schließlich nutzt Hoffman die
Möglichkeiten, die seine Rolle ihm bietet, weidlich aus mit einer umwerfend
subtilen Darstellung, die auf jegliche Knalleffekte, jegliches Overacting
verzichtet und gerade deshalb so authentisch wirkt. Unglücklicherweise leiden
darunter jedoch die übrigen Figuren, zumal die Dialoge in einigen Szenen seltsam gestelzt
wirken. Vor allem die deutschsprachigen Schauspieler sind hoffnungslos verschenkt,
lediglich Nina Hoss ("Phoenix") als Mitglied von Bachmanns Team kann in
ein paar Szenen ihr Können zeigen, gerade in den gemeinsamen Momenten mit
Hoffman; Rainer Bock gibt in seinen wenigen Auftritten als Bachmanns interner
Rivale zumindest einen schön unsympathischen Quasi-Antagonisten ab, während
Hochkaräter wie Daniel Brühl ("Rush"), Vicky Krieps ("Die Vermessung der Welt") oder Kostja Ullmann ("Quellen des Lebens")
stets am Rand bleiben. Willem Dafoe als leicht zwielichtiger Banker und Rachel
McAdams als Issa Karpovs Anwältin ergeht es etwas besser, doch lediglich Robin
Wright kann es als unterkühlte, undurchschaubare CIA-Agentin Sullivan wirklich mit
Hoffman aufnehmen.
Daß ich den Geheimdienstchef Dieter Mohr als
Quasi-Antagonisten des Films benenne, ist übrigens bezeichnend für die
Ungewöhnlichkeit dieses etwas anderen Spionagefilms. Denn es gibt tatsächlich
keinen Bösewicht im traditionellen Sinne. Der von Grigoriy Dobrygin einfühlsam verkörperte
Issa Karpov ist eben kein Klischee-Terrorist, sondern im Grunde genommen ein
armer Tropf, ein Spielball fremder Mächte, der doch eigentlich nur in Ruhe
leben will. John le Carré wurde bei der Ausgestaltung dieser Figur in seiner
Romanvorlage "Marionetten" von dem jahrelang in Guantanamo
inhaftierten und später ohne jegliche Anklage freigelassenen Deutsch-Türken
Murat Kurnaz inspiriert, mit dem er mehrmals über seine Erlebnisse sprach. Und
genau das ist das Faszinierende an "A Most Wanted Man": Es geht nur
vordergründig um den Kampf gegen den Terrorismus, in Wirklichkeit handelt
es sich primär um Ränkespiele konkurrierender Behörden, die letztlich doch
alle nur nach der Pfeife der amerikanischen CIA zu tanzen scheinen. Gerade im
Lichte der Snowden-Enthüllungen über die Praktiken amerikanischer Geheimdienste
– die übrigens erst kurz nach Produktionsbeginn von "A Most Wanted
Man" an die Öffentlichkeit gelangten – betrachtet man diese makabren
Machtspielchen auf dem Rücken jener Individuen, die dem Roman seinen deutschen
Titel bescherten, mit einer Art schauriger Faszination; weil man nun endgültig weiß,
daß das Ganze nicht nur der Phantasie eines Schriftstellers entstammt, sondern
wohl erschreckend nahe an der Realität ist. Natürlich sind le Carrés Romane
letztlich immer Fiktion, doch durch seine eigenen Erfahrungen als Spion kann
man davon ausgehen, daß er weiß, worüber er schreibt – und das auch noch
Jahrzehnte nach seinem Berufswechsel, denn le Carré ist für seine akribischen
Recherchearbeiten bekannt. Mit einem Gefühl der Sicherheit dürfte nach dem Abspann jedenfalls kaum ein Zuschauer das Kino verlassen ...
Während Regisseur Corbijn es hinsichtlich der – für le
Carré-Adaptionen eigentlich eminemt wichtigen – Figurenzeichnung jenseits
des Protagonisten Günter Bachmann deutlich fehlen läßt, führt er stattdessen einen
unerwarteten zusätzlichen Hauptdarsteller ein: Hamburg. Es ist erfrischend, in
einem Film dieser Art endlich mal einen etwas anderen Schauplatz präsentiert zu
bekommen. Das sah offensichtlich auch Corbijn so, denn er rückt die Stadt immer
wieder in den Mittelpunkt. Sie ist nicht glamourös wie Berlin oder London,
sondern eher spröde und etwas eigen, aber gewiß faszinierend – genau wie
Günter Bachmann. Kameramann Benoît Delhomme ("Schanghai") fängt die
spröde Schönheit Hamburgs mit seinen ruhigen Aufnahmen immer wieder hervorragend ein,
unterstützt von der unauffällig-atmosphärischen Filmmusik von Herbert Grönemeyer
(der auch eine kleine Rolle als Bachmanns Vorgesetzter übernommen hat). So mag "A Most Wanted Man" nicht die beste le Carré-Adaption sein, aber ein guter Film für ein anspruchsvolles Publikum ist er allemal.
Fazit: "A Most Wanted Man" ist ein sehr
bedächtiges Spionage-Drama, das ganz auf eine im Kern simple, authentisch erzählte
und von einem wie gewohnt herausragenden Hauptdarsteller Philip Seymour Hoffman in
seiner letzten Hauptrolle getragene Geschichte setzt und einen ungeschönten
Blick in die Welt der Geheimdienste der Post-9/11-Ära bietet.
Wertung: 7 Punkte.
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