Regie und Drehbuch: Marco Wilms, Musik: Moritz Denis, Eike
Hosenfeld und Tim Stanzel
Protagonisten:
Hamed Abdel-Samad, Ammar Abo Bakr, Ganzeer, Bosaina, Ramy Essam, Alaa Awad, Mohammed
Khaled
Rotten Tomatoes: -; FSK: 12, Dauer: 89 Minuten.
Rotten Tomatoes: -; FSK: 12, Dauer: 89 Minuten.
Als der Arabische Frühling auch Ägypten erfaßt und Millionen
wütender Demonstranten den jahrzehntelang autoritär regierenden Präsidenten
Husni Mubarak im Februar 2011 zum Rücktritt zwingen, sind die Ziele der
Revolution – mehr Bürgerrechte, mehr Freiheit, mehr Gerechtigkeit – noch lange
nicht erreicht. Zu den vielen Unzufriedenen zählen auch Schriftsteller, Musiker und Graffiti-Künstler, die den Aufstand tatkräftig unterstützen.
Doch als Mubarak Geschichte ist, folgt Unterdrückung durch die
Militärherrschaft. Auf die erste freie Wahl folgt Unterdrückung durch die
Wahlsieger von der Muslimbruderschaft um den neuen Präsidenten Mohammed Mursi.
Die wiederholten Rückschritte auf dem Weg zu der von ihnen erträumten freien, offenen
Gesellschaft kommen für die Künstler nicht überraschend, dennoch sind sie
frustrierend und finden wiederum ihren Niederschlag in ihren Werken …
Kritik:
Es ist purer Zufall, doch genau einen Tag, bevor ich diese
Zeilen schreibe, gab der populäre ägyptische Chirurg und Satiriker Bassem
Youssef bekannt, daß er seine Fernsehsendung "El Barnameg" ("Das
Programm") – vergleichbar mit satirischen Nachrichtensendungen wie
"The Daily Show with Jon Stewart" oder der deutschen
"heute-show" –, endgültig aufgibt. Der Grund: Angst um seine
Sicherheit angesichts anhaltender Anfeindungen und Drohungen aus den Reihen des Militärs.
Einen besseren Aufhänger für meine Rezension der Dokumentation
"Art War" von Marco Wilms kann es kaum geben, denn er zeigt, wie aktuell der Film
weiterhin ist, obwohl die politischen Ereignisse in Ägypten ihn eigentlich
schon wieder längst überholt haben.
Der deutsch-ägyptische Schriftsteller und Islamkritiker
Hamed Abdel-Samad sinniert zu Beginn des Films darüber, daß Revolutionen nie von der
Mehrheit, sondern immer von einer Minderheit ausgingen. Das ist ein interessanter
und durchaus treffender Gedanke, wie die vielen Beispiele der letzten Zeit (Ukraine,
Syrien, Thailand, auch die Türkei) immer wieder belegen. Es ist gleichzeitig keine wirklich
überraschende Erkenntnis, denn der Mensch an sich neigt nunmal zur
Bequemlichkeit. Aufstände, der Wunsch nach mehr Freiheit und Rechten oder generellen
Verbesserungen gehen anfangs immer von einer vergleichsweise kleinen Gruppe
Engagierter aus. Nur wenn sie Glück haben und/oder wenn sie gegen eine besonders
himmelschreiende Ungerechtigkeit aufbegehren und das auch noch zum richtigen
Zeitpunkt, kann daraus eine Massenbewegung werden. Deshalb ist es in meinen
Augen auch kein sehr überzeugendes Argument gegen die Demonstranten oder meinetwegen
auch Revolutionäre etwa auf dem Kiewer Maidan, daß sie sich landesweit
nicht in der Überzahl befinden. Denn wenn das das alleinzählende Argument wäre, gäbe es so gut wie nie Veränderungen, da die schweigende Mehrheit stets triumphieren und für die Zementierung des Status Quo sorgen würde. In Ägypten jedenfalls wurde der
Aufstand Einiger zu einer Massenbewegung, und die Künstler, die die Geschehnisse
begleiteten und kreativ dokumentierten, hatten ihren Anteil daran.
Regisseur, Drehbuch-Autor und Kameramann Marco Wilms
konzentriert sich in "Art War" auf einen Zeitraum von etwa zwei
Jahren, der mit Mubaraks Abdankung beginnt und mit Mursis Absetzung durch das
Militär endet. Wilms hält sich an einen klassischen chronologischen Aufbau, allerdings hat
er kein Interesse, eine "normale" Dokumentation dieses Volksaufstandes
abzuliefern. Stattdessen wählt er bewußt einen sehr speziellen Aspekt der
"Arabellion", indem er die Geschehnisse aus der engen Perspektive einiger
engagierter Künstler präsentiert. Wilms kommentiert oder wertet nichts, nach
der Wahl Mursis darf auch ein für die Muslimbrüder eintretender Künstler seine
Sicht der Dinge kundtun (und sich dabei selbst entlarven, indem er etwa behauptet,
die verbliebenen Demonstranten auf dem Tahrir-Platz wären samt und sonders "Süchtige und
Prostituierte" und zudem Faulpelze, die bloß nicht arbeiten wollen) –
dennoch ist unverkennbar, auf welcher Seite die Sympathien des Filmemachers
liegen. Das schadet dem Film nicht, der gerade durch Wilms' mutigen Einsatz,
als er die Künstler u.a. bei einigen nicht ganz ungefährlichen nächtlichen
Guerilla-Aktionen begleitet, an Intensität gewinnt, aber wer von einem
Dokumentarfilm größtmögliche Objektivität erwartet, der sei hiermit gewarnt.
Daß sich Künstler gegen Krieg und Unterdrückung engagieren, ist ja nicht ganz neu. In den USA beispielsweise wurde die große Friedensbewegung während des Vietnam-Krieges in nicht unerheblichem Maß durch die Musik von späteren Ikonen wie Bob Dylan oder Joan Baez sowie das legendäre Woodstock-Festival beflügelt, die Schauspielerin Jane Fonda ging mit ihren symbolischen Aktionen gar so weit, daß sie jahrzehntelang ein Feindbild des Militärs blieb. Die Protagonisten von "Art War" sehen sich offenbar in dieser Tradition (gleichzeitig reicht ihre Inspiration bis in die Zeit der Pharaonen mit den vielen Zeichnungen auf den Wänden der Pyramiden zurück), die Auswahl der Künstler, die im Zentrum des Films stehen, ist Wilms dabei gut gelungen. Sie unterscheiden sich genügend, um nicht durch Wiederholungen zu langweilen, zugleich sind sie so charismatisch und enthusiastisch, daß man
ihnen gerne folgt. Manche von ihnen halten Gewalt als letztes Mittel für die
Revolution für gerechtfertigt, andere sind strikt gegen jegliche Gewalt. Und
einige von ihnen durchlaufen über die zwei Jahre hinweg eine teilweise
deutliche Veränderung. Eindrucksvoll ist beispielsweise die Gegenüberstellung
der frühen Werke des Graffiti-Künstlers Ganzeer, der nach Mubaraks Sturz die
"Märtyrer" der Revolution auf den Mauern der Stadt so abbildete, wie
sie zu Lebzeiten aussahen und damit mit dafür sorgte, daß das Opfer der
Getöteten nicht vergessen wurde, mit seinen späteren Arbeiten. Denn nach dem
brutalen Vorgehen der Muslimbrüder und ihrer Anhänger gegen ihre vielen
Gegner hält Ganzeer solche fotogenen "Touristenmotive" nicht länger für
zweckdienlich und porträtiert die neuen "Märtyrer" folgerichtig so,
wie sie zum Zeitpunkt ihres gewaltsamen Todes aussahen: Von Schrotkugeln
zerfetzt oder auch von einem Panzer überfahren. Sicherlich keine
Touristenmotive mehr.
Auch eine Szene, in der Hamed Abdel-Samad zur Zeit der
Mursi-Präsidentschaft an einer von eigentlich nur wenigen Fußgängern gesäumten
Straße Wilms ein Interview gibt und, ausgelöst durch ein paar passierende Jugendliche, unvermittelt zum Ziel eines wütenden
Mobs wird, der sich am Aufdruck seines T-Shirts "God's busy – Can I help
you?" stört (einige verteidigen ihn aber auch), zeigt nachdrücklich, daß es noch ein weiter Weg zur
Überwindung jeglichen Extremismus in Ägypten ist. Interessant zu sehen ist ebenfalls, wie Nationalisten Proteste gegen die Militärherrschaft (vor Mursis Wahl) mit Methoden – patriotische Musik, Behauptung
"unislamischer Inhalte", wenn etwa Pinocchio in einem kritischen
Graffiti enthalten ist – und Parolen – "Ägypten den Ägyptern!" – kontern, die
einem irgendwie bekannt vorkommen. Wie wir wissen, sind die Muslimbrüder
inzwischen verboten, viele ihrer Anführer sogar zum Tode verurteilt; an ihrer statt
herrscht wieder das Militär, neuer gewählter Präsident wird der bisherige
Feldmarschall al-Sisi. Ob das wirklich eine Wende hin zu einer
echten Demokratie für Ägypten bedeutet, ist fraglich.
Es wäre sicherlich interessant, zu hören, was die Protagonisten von "Art War" heute zu diesen Entwicklungen zu sagen hätten; gerade auch
die weiblichen Künstler, die noch einmal eine besondere Stellung einnehmen, da sie noch mehr diskriminiert werden. So wird im Film nach der Mursi-Wahl generell die
zunehmende Frustration der "Kunst-Revolutionäre" thematisiert, vor allem jedoch der
weiblichen, die sich seit der Machtübernahme der Islamisten noch stärker benachteiligt fühlen als zuvor (was mitunter an Marjane Satrapis hervorragenden
Animationsfilm "Persepolis" über das Leben einer Frau im Iran
erinnert). Ein sehr treffendes Beispiel für die vorherrschende Doppelmoral wird
gleich mitgeliefert: So erhalten Nacktfotos einer jungen Ägypterin, die sie aus
Protest auf ihrer Homepage postet, innerhalb weniger Tage 4 Millionen Aufrufe.
Fast gleichzeitig verklagt eine andere Ägypterin einen Militärarzt, nachdem sie vor
Soldaten einem beschämenden "Jungfrauentest" unterzogen wurde –
aber das scheint kaum jemanden zu interessieren (inzwischen wurde der Arzt übrigens freigesprochen) ...
Gerade anhand dieser Episode, die recht kurz und ohne
weitere Erklärungen abgehandelt wird, zeigt sich aber auch eine kleine Schwäche
dieser Doku. Manchmal würde man sich schon etwas mehr einordnende oder erklärende Kommentare
wünschen, wenn etwa die Künstler wie selbstverständlich von Personen oder Ereignissen
sprechen, die in Ägypten sicher jedem ein Begriff sind, im Rest der Welt aber
höchstens jenen, die die Nachrichten sehr genau verfolgt haben. Auch sorgt der temporeiche Wechsel zwischen den einzelnen Künstlern dafür, daß es mitunter etwas schwer fällt, den Überblick über die Geschehnisse zu behalten. Aber davon abgesehen ist Marco Wilms eine gute, relativ unkonventionelle Dokumentation gelungen.
Fazit: "Art War" ist ein faszinierender,
wenn auch vielleicht etwas zu sehr mit einordnenden Hintergründen geizender Insider-Blick auf die
ägyptische Revolution aus der ganz persönlichen Perspektive einiger Künstler, von
Regisseur Marco Wilms engagiert begleitet und dokumentiert.
Wertung: 8 Punkte.
Das Rezensionsexemplar wurde von der Agentur rische & co PR zur Verfügung gestellt.
Das Rezensionsexemplar wurde von der Agentur rische & co PR zur Verfügung gestellt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen