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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 29. April 2021

RAVENOUS – FRISS ODER STIRB (1999)

Regie: Antonia Bird, Drehbuch: Ted Griffin, Musik: Michael Nyman und Damon Albarn
Darsteller: Guy Pearce, Robert Carlyle, Jeffrey Jones, Neal McDonough, Jeremy Davies, David Arquette, Sheila Tousey, Stephen Spinella, John Spencer, Joseph Runningfox, Bill Brochtrup, David Heyman
Ravenous - Friß oder stirb (1999) on IMDb Rotten Tomatoes: 48% (5,8); weltweites Einspielergebnis: $2,1 Mio.
FSK: 18, Dauer: 101 Minuten.
Nachdem im mexikanisch-amerikanischen Krieg Mitte des 19. Jahrhunderts der US-Lieutenant John Boyd (Guy Pearce, "Iron Man 3") eher zufällig zum Helden wurde – er selbst sagt, er habe seinen Orden für Feigheit erhalten –, wird er von General Clauson (John Spencer, TV-Serie "The West Wing") widerwillig zum Captain befördert und gleich zu einem abgelegenen Außenposten in der Sierra Nevada versetzt. Das Fort ist nicht gerade ein Ausbund an Professionalität, denn neben dem freundlichen Kommandanten Colonel Hart (Jeffrey Jones, "Sleepy Hollow") zählen zur dünnen Besetzung der versoffene Arzt Knox (Stephen Spinella, "Can You Ever Forgive Me?"), der Kiffer Cleaves (David Arquette, "Scream"), der ehrgeizige Reich (Neal McDonough, "Captain America"), der religiöse Eiferer Toffler (Jeremy Davies, "Der Soldat James Ryan") und das indianische Geschwisterpaar George (Joseph Runningfox, "Savaged") und Martha (Sheila Tousey, "Lord of Illusions"). Normalerweise gibt es für die Fort-Besetzung wenig anderes zu tun als sich zu langweilen, doch nur kurz nach Boyds Ankunft taucht ein halb verhungerter Mann namens Colqhoun (Robert Carlyle, "28 Weeks Later") auf. Er berichtet, daß seine sechsköpfige Siedlergruppe von ihrem Führer Colonel Ives auf einer "Abkürzung" in die Irre geführt wurde und letztlich nach dem Wintereinbruch mitten im Gebirge in einer Höhle Zuflucht suchen mußte – um kurz vor dem Verhungern zu Kannibalen zu werden! Colonel Hart beschließt, sich mit Boyd, Colqhoun, Reich, Toffler und Scout George auf die Suche nach möglichen Überlebenden zu machen, obwohl George eindringlich vor der indianischen Legende vom "Wendigo" warnt, einem Dämon, der durch den Verzehr von Menschenfleisch immer mächtiger wird …
 
Kritik:
Obwohl der Western jahrzehntelang eines der am häufigsten bespielten Genres in Hollywood war und auch im 21. Jahrhundert noch regelmäßig interessante neue Filme hervorbringt, gibt es erstaunlich wenige Western, die eine deutliche Horror-Komponente beinhalten. Außer S. Craig Zahlers Kannibalen-Film "Bone Tomahawk" (2015) gibt es kaum gelungene Beispiele dafür; wenn man das Genre etwas großzügiger definiert, kann man vielleicht noch die beiden Vampir-Western "Near Dark" (1987) von Kathryn Bigelow und "John Carpenters Vampire" aus dem Jahr 1998 dazuzählen. Ein Horror-Western, der mir bislang noch nicht bekannt war – unter anderem deswegen, weil er in Deutschland bis 2012 indiziert war und auch deshalb nie im deutschen Free-TV lief – ist "Ravenous – Friß oder stirb" der 2013 verstorbenen britischen Regisseurin Antonia Bird ("Der Priester"). Die Produktion von "Ravenous" verlief ziemlich holprig: Das Skript von Drehbuch-Debütant Ted Griffin ("Ocean's Eleven") wurde während der Dreharbeiten immer wieder umgeschrieben, der ursprüngliche Regisseur Milcho Machevski ("Vor dem Regen") nach wenigen Wochen gefeuert und sein vorgesehener Ersatz Raja Gosnell ("Ungeküßt") fand nicht die Zustimmung des Casts, weshalb man sich auf Vorschlag von Hauptdarsteller Robert Carlyle auf Antonia Bird einigte. Als der Film schließlich das Licht der Öffentlichkeit erblickte, fielen die Kritiken mittelmäßig aus und das Publikum blieb den wenigen Kinos, die "Ravenous" spielten, weitgehend fern. Trotzdem hat "Ravenous" sich im Lauf der Jahre einen gewissen Kultstatus erarbeitet, der sicherlich mit der ungewöhnlichen Thematik und der guten Besetzung zu tun hat, aber auch mit den ziemlich schonungslosen Gewaltszenen und dem schwarzen Humor. Die Kombination dieser Elemente macht "Ravenous" in der Tat ziemlich einzigartig, angesichts einiger inaltlicher und stilistischer Probleme konnte mich der Film trotzdem nicht auf ganzer Linie überzeugen.
 
Die größte Schwäche von "Ravenous" ist, daß er nicht wie aus einem Guß wirkt, sondern recht abrupt Stil und Tonfall wechselt. Das hängt sicherlich mit den erwähnten Überarbeitungen des Drehbuches zusammen, liegt aber ebenso in einer offensichtlich gewollten Zweiteilung der lose von wahren Ereignissen inspirierten Geschichte begründet. Die erste Hälfte von "Ravenous" ist wenig originell, aber spannend und unterhaltsam inszeniert. Als es bereits nach weniger als einer Stunde zu einer Konfrontation kommt, die man eigentlich als Showdown erwartet hätte, stellt sich die Frage, was eigentlich in der zweiten Filmhälfte noch geschehen soll. Konkret kann ich das ohne massive Spoiler nicht beantworten und weil sich die Handlung erstaunlich unvorsehbar entwickelt und einige gelungene Überraschungen bereithält, will ich niemandem die Freude verderben, das selbst zu erfahren. Erwähnen kann und muß ich aber, daß beide Hälften nicht so recht zusammenpassen wollen. Nimmt "Ravenous" im ersten Teil sich und seine Geschichte noch sehr ernst – abgesehen von den mehr oder weniger skurillen Figuren –, nehmen in der zweiten Hälfte die schwarzhumorigen Elemente immer mehr überhand. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, aber es gelingt kein flüssiger, harmonischer Übergang, sondern wirkt beinahe so, als würden wir zwei kurze Filme nacheinander sehen. Ist der erste ein ziemlich klassisch anmutender (wenn auch ungewöhnlich splattriger) Horror- und Survival-Western á la "Bone Tomahawk" oder "The Revenant", kommt der zweite eher als Mischung aus Psycho-Thriller und schwarzer Komödie daher und hat mich phasenweise gar an Mary Harrons "American Psycho"-Adaption erinnert.
 
Doch obwohl diese zweite Hälfte so unvorhersehbar und wesentlich einfallsreicher als die erste ist, funktioniert sie in meinen Augen deutlich schlechter. Die (bis hierhin überlebenden) Figuren vollführen teils innerhalb kurzer Zeit so krasse Verhaltensänderungen, daß die Glaubwürdigkeit darunter stark leidet. Generell entwickelt sich die Handlung – schwarzer Humor hin oder her – arg abstrus und teilweise unlogisch (ich glaube beispielsweise nicht, daß die Sache mit der Bärenfalle so funktionieren kann) und speziell die Wendigo-Legende ist für meine Begriffe wenig überzeugend integriert. Auch die häufig vor Ironie und Zynismus triefenden Dialoge sind meines Erachtens ein wenig übertrieben und langweilen auf Dauer eher. Das ist umso bedauerlicher, als "Ravenous" ansonsten etliche Pluspunkte verbuchen kann. So hat man eine namhafte und talentierte Besetzung versammelt, aus der vor allem der entfesselt aufspielende Robert Carlyle hervorsticht, aber auch Guy Pearce als Antiheld sowie Jeffrey Jones oder Neal McDonough stark aufspielen. Sogar noch besser ist die musikalische Untermalung des Films geraten, bei der ein echter Coup gelang: Gemeinsam mit dem bereits damals erfahrenen Michael Nyman ("Das Piano") zeichnet nämlich der visionäre britische Blur- und Gorillaz-Mastermind Damon Albarn für die Musik verantwortlich. Und die kann sich wahrlich hören lassen, denn Nyman und Albarn entfesseln einen abwechslungsreichen, adrenalingetriebenen und jederzeit hörenswerten Score, der die Stimmung der Handlung kongenial musikalisch umsetzt. Schade, daß der Film selbst da qualitativ nicht mithalten kann. Trotzdem: Für Genrefans definitiv einen Blick wert.
 
Fazit: "Ravenous – Friß oder stirb" ist ein ungewöhnlicher Kannibalen-Western, der mit einigen Überraschungen, einem guten Cast und einem tollen Soundtrack aufwartet, aber mit seiner deutlichen Zweiteilung inhaltlich nicht ganz rund ist und in der zweiten Hälfte etwas zu sehr ins Abstruse abdriftet.
 
Wertung: 6,5 Punkte.
 
 
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