Der Name Michael Lonsdale (vor allem zu Beginn der Karriere nannte er sich auch oft "Michel Lonsdale") dürfte den meisten Menschen kein Begriff sein oder zumindest nur vage vertraut, denn obwohl er in rund 150 Filmen mitspielte - viele davon heute echte Klassiker -, waren das außerhalb seiner französischen Heimat meist Nebenrollen. In diesen Nebenrollen blühte der Charakterdarsteller dafür aber richtig auf, weshalb er bis ins hohe Alter gut beschäftigt war und tatsächlich seinen wohl größten schauspielerischen Triumph erst mit Ende 70 feierte. Gestern verstarb Michael Lonsdale mit 89 Jahren in seiner Geburtsstadt Paris, und das europäische Kino hat eines seiner markantesten Gesichter verloren.
Nach einigen kleinen, teils winzigen Rollen in Filmen wie Orson Welles' Kafka-Adaption "Der Prozeß" oder René Cléments "Brennt Paris?" wurde Michael Lonsdale, Sohn eines britischen Vaters und einer französischen Mutter, international bekannt durch zwei große Nebenrollen in François Truffauts "Die Braut trug schwarz" und "Geraubte Küsse" (Teil 3 seines "Antoine Donel"-Zyklus, der mit dem Meisterwerk "Sie küßten und sie schlugen ihn" begann), die beide 1968 in die Kinos kamen. In der Folge war der Mann mit dem ungewöhnlichen, meist bärtigen Gesicht und der (in vielen Rollen) vertrauenerweckenden Aura bei weiteren Filmemachern der Nouvelle Vague beliebt und agierte u.a. in Louis Malles Tragikomödie "Herzfilmmern" (1971; als Priester) und in Alain Resnais' Gauner-Biopic "Stavisky" (1974; als Arzt). Auch internationale Regisseure wurden auf Lonsdale aufmerksam, was ihm seine erste Hauptrolle in einem Welthit einbrachte: In Fred Zinnemanns auf einer wahren Geschichte basierendem Thriller-Klassiker "Der Schakal" (1973) ist er als Inspektor Lebel auf der Jagd nach einem Auftragsmörder, der es auf den französischen Präsidenten Charles de Gaulle abgesehen hat - die Rolle bescherte ihm eine Nominierung für einen BAFTA (der "britische OSCAR"). Gleich zwei Mal stand Lonsdale für US-Regisseur Joseph Losey vor der Kamera, der ihn in dem historischen Biopic "Galilei" (1975) als Kardinal (und späterer Papst) besetzte und ihm auch im Zweiter Weltkriegs-Drama "Monsieur Klein" (1976) mit Alain Delon eine Nebenrolle gab; zudem spielte Lonsdale den Hutmacher in Luis Buñuels haarsträubend-brillantem Episodenfilm "Das Gespenst der Freiheit" und den Innenminister der Vichy-Regierung in Costa-Gavras' "Sondertribunal" (1975), außerdem agierte er in Peter Handkes Regiedebüt "Die linkshändige Frau" (1977).
Die nächste Karrierestufe zündete Lonsdale im Jahr 1979 als Bond-Bösewicht in Lewis Gilberts Weltraum-007-Abenteuer "Moonraker" - nicht gerade mein Lieblings-Bondfilm, aber Lonsdale gibt als wahnsinniger Unternehmer Hugo Drax, der die nicht weniger als die ganze Menschheit vernichten will, eine starke Vorstellung ab. Die einmal mehr erhöhte Bekanntheit bescherte Lonsdale geschäftige 1980er Jahre, aus denen zwei Filme hervorstechen: George Schaefers "Der Bunker" (1981), in welchem er in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges die NSDAP-Größe Martin Bormann verkörpert (an der Seite von Sir Anthony Hopkins als Hitler) und Jean-Jacques Annauds Mittelalter-Thriller "Der Name der Rose" (1986). In der opulenten, global sehr erfolgreichen Umberto Eco-Adaption spielt Lonsdale mit natürlicher Autorität den Abt eines italienischen Benediktiner-Klosters, der den von Sir Sean Connery interpretierten Franziskaner-Mönch William von Baskerville beauftragt, den oder die Schuldigen für mehrere Morde an Mönchen der Abtei zu ermitteln. In den 1990er Jahren hielten sich dann Lonsdales Auftritte in Kinofilmen in Grenzen, dafür bewies er einen sehr treffsicheren Geschmack bei der Auswahl der Filme, wie James Ivorys achtfach OSCAR-nominiertes Historiendrama "Was vom Tage übrig blieb" (1993), Claude Sautets feinfühliges Beziehungsdrama "Nelly & Monsieur Arnaud" (1995) und John Frankenheimers Actionklassiker "Ronin" (1998) nachdrücklich belegen (und Ivorys "Jefferson in Paris" von 1995 ist zwar kein guter Film, dafür durfte er darin König Louis XI. spielen). Während Lonsdale in den englischsprachigen Werken wieder mal Nebenrollen spielte, durfte er in "Nelly & Monsieur Arnaud" in der Hauptrolle des früheren Richters Monsieur Arnaud glänzen, der der von Emmanuelle Béart verkörperten jungen Nelly aus einer Notlage hilft und sich trotz des großen Altersunterschieds in sie zu verlieben beginnt - als Belohnung für seine Leistung wurde er zum ersten Mal in seiner langen Karriere für einen César nominiert.
Eine zweite Nominierung sollte gut ein Jahrzehnt später für seine Rolle als Unternehmenschef in Nicolas Klotz' "Der Wert des Menschen" folgen, auch sonst war Michael Lonsdale nach der Jahrtausendwende weiterhin gefragt. Ob François Ozons Drama "5 x 2", Steven Spielbergs Actionthriller "München" (2005) oder Milos Formans Inquisitionsdrama "Goyas Geister" (2006), Lonsdale verlieh selbst kleinen Rollen mit seinem Können und seinem Charisma Gewicht. Zu meinen persönlichen Favoriten zählt Alejandro Amenábars Historiendrama "Agora - Die Säulen des Himmels" aus dem Jahr 2009, in dem Lonsdale den gutmütigen, weisen Vater der von Rachel Weisz verkörperten Philosophin und Mathematikerin Hypatia von Alexandria gibt. Nur ein Jahr später durfte Lonsdale den wohl größten schauspielerischen Triumph seiner Karriere feiern: als (wieder einmal) Mönch in Xavier Beauvois' von wahren Geschehnissen inspiriertem Drama "Von Menschen und Göttern" über ein französisches Trappisten-Kloster in Algerien, das von vorrückenden Islamisten bedroht wird und dessen Bewohner deshalb entscheiden müssen, ob sie bleiben oder nach Frankreich zurückkehren. Diese Rolle bescherte Michael Lonsdale im dritten Anlauf endlich seinen überfälligen ersten César und weitere Auszeichnungen respektive Nominierungen. Nach einigen Filmen und Kurzfilmen, die für weniger Aufsehen sorgten, zog sich Lonsdale 2016 mit Bouli Lanners' passend betiteltem und auf der Berlinale prämierten Drama "Das Ende ist erst der Anfang" aus dem Filmgeschäft zurück.
Am 21. September 2020 verstarb Michael Lonsdale im Alter von 89 Jahren in Paris. R.I.P.
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