Empfohlener Beitrag

In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 6. August 2020

Klassiker-Rezension: DIE ERBIN (1949)

Originaltitel: The Heiress
Regie: William Wyler, Drehbuch: Ruth und Augustus Goetz, Musik: Aaron Copland
Darsteller: Olivia de Havilland, Montgomery Clift, Ralph Richardson, Miriam Hopkins, Vanessa Brown, Betty Linley, Ray Collins, Selena Royle, Mona Freeman
 Die Erbin
(1949) on IMDb Rotten Tomatoes: 100% (8,9); FSK: 12, Dauer: 110 Minuten.
Mitte des 19. Jahrhunderts wächst Catherine Sloper (Olivia de Havilland, "Vom Winde verweht") in New York als einzige Tochter des wohlhabenden Arztes Dr. Austin Sloper (Ralph Richardson, "Der Drachtentöter") auf. Obwohl sie durch den Nachlaß ihrer verstorbenen Mutter gut versorgt ist und von ihrem Vater dereinst ein noch größeres Erbe bekommen soll, finden sich allerdings nicht wirklich Heiratsanwärter für Catherine. Das dürfte daran liegen, daß sie – zum Leidwesen ihres Vaters und ihrer Tante Lavinia (Miriam Hopkins, "Serenade zu dritt") – sehr schüchtern ist, sich unscheinbar kleidet und sich lieber zu Hause ihren Strickarbeiten widmet als die noblen Partys der feinen Gesellschaft zu besuchen. Als sie trotzdem wieder einmal zu einer solchen Feier mitgeschleppt wird, lernt sie den charmanten Morris Townsend (Montgomery Clift, "Red River") kennen, der sofort von ihr fasziniert scheint und ihr fortan den Hof macht. Catherine, die selbst kaum noch daran geglaubt hatte, die Liebe zu finden, ist begeistert und fiebert bereits der baldigen Hochzeit entgegen – doch ihr Vater argwöhnt, daß der arbeitslose Morris es nur auf das Geld abgesehen hat und sich von Catherine aushalten lassen will. Also kommt man überein, daß Catherine mit ihrem Vater ein halbes Jahr auf Europa-Reise geht. Wartet Morris anschließend immer noch in New York auf sie, will Dr. Sloper in die Heirat einwilligen …

Kritik:
Bis Olivia de Havilland im Juli 2020 im stolzen Alter von 104 Jahren starb, war sie die letzte überlebende OSCAR-Gewinnerin aus "Hollywoods Goldener Ära", die von den 1930er bis zu den frühen 1950er Jahren reichte. Mehr zu de Havillands großartiger Karriere kann man meinem ausführlichen Nachruf entnehmen, in dem man auch erfährt, daß die britisch-amerikanische Schauspielerin (die kurioserweise in Japan geboren wurde und in Frankreich starb – alleine anhand dieser Daten kann man sie getrost als "weitgereist" bezeichnen …) mit zwei OSCARs ausgezeichnet wurde. Den ersten gewann sie 1947 für "Mutterherz", den zweiten drei Jahre später für "Die Erbin". "Mutterherz" habe ich noch nicht gesehen, bezüglich der Henry James-Adaption "Die Erbin" (basierend auf dem Roman "Washington Square") kann ich jedoch ohne jedes Zögern konstatieren: Dieser Academy Award war mehr als verdient! Der Schwarzweiß-Film "Die Erbin" von Star-Regisseur William Wyler ("Ben Hur", "Mrs. Miniver", "Weites Land") ist klassisches Hollywood-Schauspielerkino vom Feinsten, letztlich ein Kammerspiel mit relativ wenigen Schauplätzen und lediglich vier tragenden Rollen, die die Geschichte dominieren. Und aus diesem namhaft besetzten und hervorragend aufspielenden zentralen Quartett sticht Olivia de Havilland noch heraus mit einer schauspielerischen Meisterleistung, der ich im Folgenden – diese Warnung muß sein – nur durch kleinere Handlungs-Spoiler ansatzweise gerecht werden kann.

Zugegeben, für heutige Sehgewohnheiten ist das Erzähltempo von "Die Erbin" recht gemächlich und mag daher für manchen ungeduldigen Zuschauer eine kleine Herausforderung sein, zudem regt die im Kern banale, allerdings höchst dramatisch in Szene gesetzte Schlußpointe aus der Perspektive des 20. Jahrhunderts heraus ein wenig zum Schmunzeln an – ohne dabei jedoch ihre tatsächlich beabsichtigte Wirkung zu verfehlen. Trotz dieser Anpassungsschwierigkeiten für Zuschauer, die sich mit jener glorreichen Hollywood-Ära nicht gut auskennen, lohnt es sich definitiv, dranzubleiben und sich in dieses Liebesdrama reinzufinden. Denn dann wird man nicht nur mit den angesprochenen exzellenten Schauspieler-Leistungen belohnt, sondern zudem mit einem durchdacht aufgebauten, mit intelligenten, einsichtsreichen Dialogen und authentischen Figuren mit Tiefgang gewürzten Drama, das lange im Gedächtnis bleibt und Experten als eine der gelungensten Literaturverfilmungen überhaupt gilt. Dafür, daß die Charaktere so authentisch wirken, ist die Konzentration auf vier Personen (eine nicht unwichtige, aber doch kleine Rolle spielt außerdem Morris' ältere Schwester) naturgemäß hilfreich. Die Rollenverteilung ist dabei klar: Dr. Sloper ist der gefühlskalte Vater, der seine Tochter ständig mit seiner verstorbenen und von ihm sehr wahrscheinlich idealisierten Ehefrau vergleicht und die arme Catherine konsequent spüren läßt, wie schlecht sie in diesem unfairen Vergleich abschneidet; die verwitwete Tante Lavinia soll Catherine gesellschaftstauglicher machen und macht Dr. Slopers arg distanziertes Verhalten mit liebevoller, wenn auch erkennbar von Mitleid gespeister Zuwendung ein Stück weit wett. Kein Wunder, daß Catherine so anfällig ist für die überschwängliche Schwärmerei und Lebensfreude des charmanten Morris, für den auch spricht, daß er kein Geheimnis um seine Mittellosigkeit macht – trotzdem stellt man sich als Zuschauer die Frage, wie ehrlich seine Avancen wirklich sind und ob Dr. Sloper nicht trotz seines misanthropischen Zynismus Recht haben könnte mit seinen Zweifeln an Morris. Ganz nebenbei wird im letzten Drittel auch noch eine beinahe philosophische Debatte über das Wesen der Liebe und des Glücks angestoßen, die mich kurioserweise stark an einen Film erinnert hat, der "Die Erbin" auf den ersten Blick unähnlicher kaum sein könnte: Park Chan-wooks meisterhaftes Rachedrama "Oldboy" ...

Doch im Zentrum steht selbstredend Catherine, die von Olivia de Havilland (im Verbund mit Buchautor James) zu einer unvergeßlichen Figur gemacht wird. Obwohl streng genommen mit 32 Jahren wohl schon etwas zu alt (Catherines Alter wird nicht genannt, aber sie dürfte kaum älter als Mitte 20 sein) und gleichzeitig zu schön und glamourös für die Rolle, schafft sie es sehr überzeugend, Catherine zunächst als verhuschtes, nettes Mauerblümchen zu zeigen, das angesichts der galanten Avancen ihres gutaussehenden Verehrers Morris regelrecht aufblüht. Und das wohlgemerkt weniger klischeehaft als meine Beschreibung klingen mag. Es ist nicht so, daß Catherine plötzlich vom häßlichen Entlein zum schönen Schwan wird – nein, es ist eine hundertprozentig glaubwürdige Transformation, die Catherines notorische Schüchternheit keineswegs sich in Luft auflösen läßt, sie aber sehr wohl dazu bringt, sich etwas zu öffnen, das Leben zu genießen und sogar die Gesellschaft anderer Personen mehr zu schätzen. Doch ist "Die Erbin" keine romantische Screwball-Komödie, sondern ein Drama, und so wird Catherines neu gefundenes Glück umso heftiger erschüttert durch die Zurückweisung ihres Vaters. Olivia de Havillands Mimik, als Catherine in einer denkwürdigen Szene endlich begreift, daß ihr Vater nicht einfach nur streng zu ihr ist, weil er das Beste für sie erreichen will, sondern daß er sie in Wirklichkeit weder respektiert noch sonderlich mag, ist schlicht und ergreifend herzzerreißend. Schauspielerisch steht nicht allein in diesem Moment der ebenfalls OSCAR-nominierte Ralph Richardson als Dr. Sloper seiner Filmtochter kaum nach, auch Miriam Hopkins liefert als die pragmatische Tante Lavinia eine starke Vorstellung ab. Montgomery Clift erhielt vom zentralen Quartett die schlechtesten Kritiken und er selbst zeigte sich unzufrieden mit seiner Leistung – so ganz nachvollziehen kann ich das allerdings nicht. Der oberflächliche Morris ist sicher nicht die dankbarste Rolle in einem solch charakterstarken Drama, aber Clift gelingt es mit Charme und Lockerheit zweifellos, dem Publikum zu vermitteln, warum Morris so leicht Catherines Herz erobert. Das mag nicht der Stoff für Filmlegenden sein, aber seine Aufgabe hat Clift in meinen Augen tadellos erfüllt. Damit trägt er ebenso wie die wirkungsvolle Inszenierung von Regisseur William Wyler und die klangvolle Musik des nur selten als Filmkomponist agierenden Aaron Copland ("Von Mäusen und Menschen") dazu bei, daß "Die Erbin" ein herausragendes Beispiel für die Qualitäten des alten Hollywood abgibt.

Fazit: William Wylers "Die Erbin" ist ein zu Herzen gehendes Liebesdrama und eine intime Charakterstudie, die Hauptdarstellerin Olivia de Havilland dank starker Figuren und ausgefeilter Dialoge die Gelegenheit zu einer schauspielerischen Leistung für die Ewigkeit gibt.

Wertung: 9 Punkte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen