Originaltitel: The Heiress
Regie: William Wyler, Drehbuch: Ruth und Augustus Goetz,
Musik: Aaron Copland
Darsteller:
Olivia de Havilland, Montgomery Clift, Ralph Richardson, Miriam Hopkins, Vanessa Brown, Betty
Linley, Ray Collins, Selena Royle, Mona Freeman
Mitte des 19. Jahrhunderts wächst Catherine Sloper (Olivia
de Havilland, "Vom Winde verweht") in New York als einzige Tochter
des wohlhabenden Arztes Dr. Austin Sloper (Ralph Richardson, "Der
Drachtentöter") auf. Obwohl sie durch den Nachlaß ihrer verstorbenen
Mutter gut versorgt ist und von ihrem Vater dereinst ein noch größeres Erbe
bekommen soll, finden sich allerdings nicht wirklich Heiratsanwärter für
Catherine. Das dürfte daran liegen, daß sie – zum Leidwesen ihres Vaters und
ihrer Tante Lavinia (Miriam Hopkins, "Serenade zu dritt") – sehr
schüchtern ist, sich unscheinbar kleidet und sich lieber zu Hause ihren Strickarbeiten widmet als
die noblen Partys der feinen Gesellschaft zu besuchen. Als sie trotzdem wieder
einmal zu einer solchen Feier mitgeschleppt wird, lernt sie den charmanten
Morris Townsend (Montgomery Clift, "Red River") kennen, der sofort
von ihr fasziniert scheint und ihr fortan den Hof macht. Catherine, die selbst
kaum noch daran geglaubt hatte, die Liebe zu finden, ist begeistert und fiebert
bereits der baldigen Hochzeit entgegen – doch ihr Vater argwöhnt, daß der
arbeitslose Morris es nur auf das Geld abgesehen hat und sich von Catherine
aushalten lassen will. Also kommt man überein, daß Catherine mit ihrem
Vater ein halbes Jahr auf Europa-Reise geht. Wartet Morris anschließend
immer noch in New York auf sie, will Dr. Sloper in die Heirat einwilligen …
Kritik:
Bis Olivia de Havilland im Juli 2020 im stolzen Alter von
104 Jahren starb, war sie die letzte überlebende OSCAR-Gewinnerin aus
"Hollywoods Goldener Ära", die von den 1930er bis zu den frühen 1950er
Jahren reichte. Mehr zu de Havillands großartiger Karriere kann man meinem
ausführlichen Nachruf entnehmen, in dem man auch erfährt, daß die
britisch-amerikanische Schauspielerin (die kurioserweise in Japan geboren wurde
und in Frankreich starb – alleine anhand dieser Daten kann man sie getrost als
"weitgereist" bezeichnen …) mit zwei OSCARs ausgezeichnet wurde. Den
ersten gewann sie 1947 für "Mutterherz", den zweiten drei Jahre
später für "Die Erbin". "Mutterherz" habe ich noch
nicht gesehen, bezüglich der Henry James-Adaption "Die Erbin"
(basierend auf dem Roman "Washington Square") kann ich jedoch ohne jedes
Zögern konstatieren: Dieser Academy Award war mehr als verdient! Der Schwarzweiß-Film "Die
Erbin" von Star-Regisseur William Wyler ("Ben Hur", "Mrs. Miniver", "Weites
Land") ist klassisches Hollywood-Schauspielerkino vom Feinsten, letztlich ein Kammerspiel mit relativ wenigen Schauplätzen und lediglich vier
tragenden Rollen, die die Geschichte dominieren. Und aus diesem namhaft
besetzten und hervorragend aufspielenden zentralen Quartett sticht Olivia de
Havilland noch heraus mit einer schauspielerischen Meisterleistung, der
ich im Folgenden – diese Warnung muß sein – nur durch kleinere
Handlungs-Spoiler ansatzweise gerecht werden kann.
Zugegeben, für heutige Sehgewohnheiten ist das
Erzähltempo von "Die Erbin" recht gemächlich und mag daher für
manchen ungeduldigen Zuschauer eine kleine Herausforderung sein, zudem regt die
im Kern banale, allerdings höchst dramatisch in Szene gesetzte Schlußpointe aus
der Perspektive des 20. Jahrhunderts heraus ein wenig zum Schmunzeln an – ohne
dabei jedoch ihre tatsächlich beabsichtigte Wirkung zu verfehlen. Trotz dieser Anpassungsschwierigkeiten für Zuschauer, die sich mit jener
glorreichen Hollywood-Ära nicht gut auskennen, lohnt es sich definitiv,
dranzubleiben und sich in dieses Liebesdrama reinzufinden. Denn dann wird man
nicht nur mit den angesprochenen exzellenten Schauspieler-Leistungen belohnt,
sondern zudem mit einem durchdacht aufgebauten, mit intelligenten,
einsichtsreichen Dialogen und authentischen Figuren mit Tiefgang gewürzten
Drama, das lange im Gedächtnis bleibt und Experten als eine der
gelungensten Literaturverfilmungen überhaupt gilt. Dafür, daß die Charaktere so
authentisch wirken, ist die Konzentration auf vier Personen (eine nicht
unwichtige, aber doch kleine Rolle spielt außerdem Morris' ältere Schwester)
naturgemäß hilfreich. Die Rollenverteilung ist dabei klar: Dr. Sloper ist der
gefühlskalte Vater, der seine Tochter ständig mit seiner verstorbenen und von
ihm sehr wahrscheinlich idealisierten Ehefrau vergleicht und die arme
Catherine konsequent spüren läßt, wie schlecht sie in diesem unfairen Vergleich
abschneidet; die verwitwete Tante Lavinia soll Catherine gesellschaftstauglicher machen und macht Dr. Slopers arg distanziertes Verhalten mit liebevoller, wenn auch
erkennbar von Mitleid gespeister Zuwendung ein Stück weit wett. Kein Wunder, daß
Catherine so anfällig ist für die überschwängliche Schwärmerei und Lebensfreude
des charmanten Morris, für den auch spricht, daß er kein Geheimnis um seine
Mittellosigkeit macht – trotzdem stellt man sich als Zuschauer die
Frage, wie ehrlich seine Avancen wirklich sind und ob Dr. Sloper nicht trotz
seines misanthropischen Zynismus Recht haben könnte mit seinen
Zweifeln an Morris. Ganz nebenbei wird im letzten Drittel auch noch eine beinahe philosophische Debatte über das Wesen der Liebe und des Glücks angestoßen, die mich kurioserweise stark an einen Film erinnert hat, der "Die Erbin" auf den ersten Blick unähnlicher kaum sein könnte: Park Chan-wooks meisterhaftes Rachedrama "Oldboy" ...
Doch im Zentrum steht selbstredend Catherine, die von Olivia
de Havilland (im Verbund mit Buchautor James) zu einer unvergeßlichen Figur gemacht wird. Obwohl streng genommen mit 32 Jahren wohl schon etwas
zu alt (Catherines Alter wird nicht genannt, aber sie dürfte kaum älter als Mitte
20 sein) und gleichzeitig zu schön und glamourös für die Rolle, schafft sie es
sehr überzeugend, Catherine zunächst als verhuschtes, nettes Mauerblümchen zu
zeigen, das angesichts der galanten Avancen ihres gutaussehenden Verehrers
Morris regelrecht aufblüht. Und das wohlgemerkt weniger klischeehaft als meine
Beschreibung klingen mag. Es ist nicht so, daß Catherine plötzlich vom
häßlichen Entlein zum schönen Schwan wird – nein, es ist eine hundertprozentig
glaubwürdige Transformation, die Catherines notorische Schüchternheit
keineswegs sich in Luft auflösen läßt, sie aber sehr wohl dazu bringt, sich
etwas zu öffnen, das Leben zu genießen und sogar die Gesellschaft anderer
Personen mehr zu schätzen. Doch ist "Die Erbin" keine
romantische Screwball-Komödie, sondern ein Drama, und so wird Catherines neu gefundenes
Glück umso heftiger erschüttert durch die Zurückweisung ihres Vaters. Olivia de
Havillands Mimik, als Catherine in einer denkwürdigen Szene endlich begreift,
daß ihr Vater nicht einfach nur streng zu ihr ist, weil er das Beste für sie erreichen
will, sondern daß er sie in Wirklichkeit weder respektiert noch sonderlich mag,
ist schlicht und ergreifend herzzerreißend. Schauspielerisch steht nicht allein in
diesem Moment der ebenfalls OSCAR-nominierte Ralph Richardson als Dr. Sloper
seiner Filmtochter kaum nach, auch Miriam Hopkins liefert als die pragmatische Tante
Lavinia eine starke Vorstellung ab. Montgomery Clift erhielt vom zentralen
Quartett die schlechtesten Kritiken und er selbst zeigte sich unzufrieden mit
seiner Leistung – so ganz nachvollziehen kann ich das allerdings nicht. Der
oberflächliche Morris ist sicher nicht die dankbarste Rolle in einem solch
charakterstarken Drama, aber Clift gelingt es mit Charme und Lockerheit
zweifellos, dem Publikum zu vermitteln, warum Morris so leicht Catherines Herz
erobert. Das mag nicht der Stoff für Filmlegenden sein, aber seine Aufgabe hat
Clift in meinen Augen tadellos erfüllt. Damit trägt er ebenso wie die wirkungsvolle Inszenierung von Regisseur William Wyler und die klangvolle Musik des nur selten als Filmkomponist agierenden Aaron Copland ("Von Mäusen und Menschen") dazu bei, daß
"Die Erbin" ein herausragendes Beispiel für die Qualitäten des alten
Hollywood abgibt.
Fazit: William Wylers "Die Erbin" ist ein zu Herzen
gehendes Liebesdrama und eine intime Charakterstudie, die Hauptdarstellerin
Olivia de Havilland dank starker Figuren und ausgefeilter Dialoge die
Gelegenheit zu einer schauspielerischen Leistung für die Ewigkeit gibt.
Wertung: 9 Punkte.
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