Originaltitel: Alexandre le bienheureux
Regie: Yves Robert, Drehbuch: Pierre Lévy-Corti und Yves
Robert, Musik: Vladimir Cosma
Darsteller: Philippe Noiret, Marlène Jobert, Françoise
Brion, Paul Le Person, Pierre Richard, Tsilla Chelton, Jean Carmet, Bernard
Charlan
Vor zehn Jahren hat der gemütliche, naturliebende Bauer
Alexandre (Philippe Noiret, "Abschied in der Nacht") eine äußerst
ehrgeizige Frau (Françoise Brion, "Adieu, Bulle") geheiratet – und
seitdem hatte er keine ruhige Minute! Seine Gattin treibt Alexandre
nämlich unerbittlich an und hat aus Sparsamkeit sogar alle Knechte entlassen,
sodaß der arme Alexandre eigentlich nur noch von einem träumt: Schlaf! Als
seine Frau bei einem Unfall stirbt, hält sich Alexandres Trauer in
Grenzen, vielmehr verspürt er große Erleichterung und beschließt: Ab sofort
wird nicht mehr gearbeitet! Stattdessen bleibt Alexandre einfach im Bett und die
täglichen Besorgungen im Dorf läßt er von seinem äußerst schlauen Hund
erledigen. Die übrigen Dorfbewohner sind zunächst irritiert und ratlos ob
Alexandres Arbeitsverweigerung, doch nach und nach findet er Bewunderer
und Nachahmer, darunter die kürzlich aus der Großstadt
hergezogene rothaarige Schönheit Agathe (Marlène Jobert, "Der aus dem
Regen kam"). Um nicht den Dorffrieden und -wohlstand nachhaltig zu
gefährden, versuchen Dörfler rund um den
geschäftstüchtigen Sanguin (Paul Le Person, "Das Gespenst der
Freiheit") alles, um Alexandre endlich wieder zur Arbeit zu bewegen …
Kritik:
Vor Kurzem mußte ich mit Entsetzen feststellen, daß sich
unter den zu diesem Zeitpunkt mehr als 750 Rezensionen auf meinem Blog
"Der Kinogänger" keine einzige eines Films mit Marlène Jobert befand
– dabei zählt die quirlige und selbstbewußte Französin mit den Sommersprossen und
den karottenfarbenen Haaren zu meinen absoluten Lieblingsschauspielerinnen. Ein
absolut unhaltbarer Zustand also, doch da Marlène Jobert bedauerlicherweise ihre Filmkarriere
bereits zu Beginn der 1980er Jahre beendete (und stattdessen eine
erfolgreiche Kinderbuch-Autorin wurde), läßt er sich nur durch eine
Klassiker-Rezension beheben. Da ist es ausgesprochen praktisch, daß Arte kurz darauf die leicht subversive Komödie "Alexander, der
Lebenskünstler" zeigte, in der Jobert an der Seite des famosen Hauptdarstellers Philippe Noiret immerhin eine große Nebenrolle spielt und die
mich so sehr begeistert hat, daß ich sofort wußte: Da ist eine Besprechung nötig,
denn dieses herrliche Feelgood-Movie hat sich jegliche Werbung mehr als
verdient!
Filmhistorisch bemerkenswert ist "Alexander, der
Lebenskünstler" vor allem deshalb, weil er für Hauptdarsteller Philippe
Noiret den Durchbruch zu einer großartigen Karriere bedeutete, in der er in
zahlreichen heutigen Klassikern wie Alfred Hitchcocks "Topas", "Das
große Fressen", "Der Uhrmacher von St. Paul", "Abschied in
der Nacht", "Der Richter und der Mörder", "Der
Saustall", "Cinema Paradiso", "D'Artagnans Tochter",
"Der Postmann" oder "Duell der Degen" mitwirkte. Es ist
kein Wunder, daß er durch "Alexander, der Lebenskünstler" zum Star
wurde, denn der bärtige, hochgewachsene und kräftig gebaute Noiret verkörpert die Rolle so
ungemein sympathisch, schlitzohrig und (buchstäblich) bauernschlau, daß man ihm
trotz einer gewissen Grummeligkeit niemals böse sein kann. Übrigens lautet der Rollenname auch in der deutschen Synchronfassung Alexandre,
nur für den Titel wurde er vom Verleih zu Alexander abgewandelt,
weil man das vermutlich griffiger fand – aus heutiger Sicht reichlich albern, aber
was soll's. Die Handlung von Yves Roberts ("Der Krieg der Knöpfe",
"Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh") Komödie ist, vorsichtig
formuliert, nicht allzu kompliziert, doch das Vergnügen liegt in den vielen witzigen
Details und der geschickten Verknüpfung liebenswerter Figuren mit skurrilen
Dialogen und gewitzt inszenierten Slapstick-Momenten, passend untermalt von der fröhlichen und beschwingten Musik von Vladimir Cosma ("Der Hornochse und sein Zugpferd"). Selbst die namenlos
bleibende Ehefrau ist in der Darstellung von Françoise Brion ja alles andere
als böse, wenn auch zweifellos eine rechte Sklaventreiberin. Das ist im ersten Akt wunderbar übertrieben dargestellt, indem sie ihn vom Haus aus
sofort durch Pfeifen oder Zuruf antreibt, wenn sie keine Arbeitsgeräusche mehr
vom Hof hört oder ihm auch mal ins Dorf nachfährt, damit Alexandre ja keine
ruhige Minute hat. Kurzum: Auch wenn seine Gattin absolut kein klassischer Antagonist ist und zwischen der ganzen Antreiberei sogar recht liebevoll mit
Alexandre umgeht, kann man dessen überschaubare Trauer nach ihrem Tod durchaus
nachvollziehen.
War bereits Alexandres Dasein als Quasi-Sklave für das
Publikum amüsant mitanzusehen, legt "Alexander, der Lebenskünstler"
nach seiner "Befreiung" in Sachen Komik noch einmal einige Schippen
drauf. Das Drehbuch wartet mit immer neuen skurrilen Situationen auf und
parodiert nebenbei gar andere Genres (wenn der Versuch eines militärerfahrenen
Dörflers, in Alexandres von ihm per Gewehr verteidigtes Haus vorzudringen und
ihn im persönlichen Gespräch wieder zur Vernunft zu bringen, wie ein Kriegsfilm
inszeniert ist) – einige Szenen mögen manchen Zuschauern womöglich ein bißchen
zu albern ausfallen, aber angesichts der demonstrativen, liebenswerten Naivität, mit
der sie ausgespielt werden, sollte man das leicht verzeihen können. Dabei
habe ich den größten Sympathieträger noch gar nicht erwähnt, das ist nämlich
nicht etwa Joberts gemütliche Agathe und noch nicht einmal Alexandre … sondern sein
Hund (den Alexandre einfach nur "Hund" nennt)! Der entpuppt sich als ausgesprochen intelligent, er tut genau, was sein Herrchen ihm
befiehlt (sofern es ihn nicht wegschicken will) und versorgt ihn deshalb
im Dorf Tag für Tag per Korb mit dem Nötigsten. Dabei bemerkt er, wenn die
Verkäufer schummeln wollen, einmal nimmt er sogar an Alexandres Stelle an
einer Ratssitzung teil, ohne daß es auch nur ansatzweise merkwürdig rüberkäme!
Kein Zweifel: "Hund" paßt locker in die Reihe ikonischer Filmhunde
wie Asta aus "Der dünne Mann", Idefix aus den "Asterix & Obelix"-Realfilmen,
Jack aus "The Artist" oder natürlich Lassie. Die Fähigkeit von Roberts Komödie, selbst absurdeste Szenarien vollkommen ernsthaft auszuspielen,
kann sich durchaus mit der Monty Python-Truppe oder diversen Peter
Sellers-Filmen (z.B. "Der rosarote Panther" oder "Der
Partyschreck") messen … Daß das so gut funktioniert, ist auch dem
exzellenten Schauspieler-Ensemble (mit dem jungen Pierre Richard in der erwähnten Nebenrolle als Indochina-Veteran) zu verdanken, aus dem Paul Le Person als Alexandres guter Freund,
aber nach der Beerdigung zugleich größter Kritiker noch etwas heraussticht.
"Alexander, der Lebenskünstler" wäre eine fast perfekte Komödie,
wären da nicht die letzten 10 bis 15 Minuten, in denen Robert relativ krampfhaft
versucht, ein passendes Ende zu finden. Das funktioniert nicht so
richtig, da sein Bemühen erstens eine arg abrupte charakterliche Kehrtwendung
von Agathe beinhaltet und das Ende zweitens ziemlich vorhersehbar ist. Mehr als
ein kleiner Wermutstropfen ist das jedoch glücklicherweise nicht.
Fazit: "Alexander, der Lebenskünstler" ist
eine liebenswerte Ode an die Faulheit, eine herrliche Komödie voller
Lebensfreude, die ihren höchst sympathischen Hauptdarsteller Philippe Noiret
verdientermaßen zum Star machte.
Wertung: 9 Punkte.
Arte wiederholt "Alexander, der Lebenskünstler" am morgigen 4.7.2019 um 13.50 Uhr sowie am 11.7.2019 um 15.20 Uhr.
Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger Bestellungen über einen der amazon.de-Links in den Rezensionen oder über das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.
Arte wiederholt "Alexander, der Lebenskünstler" am morgigen 4.7.2019 um 13.50 Uhr sowie am 11.7.2019 um 15.20 Uhr.
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