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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 14. Februar 2019

ROMA (2018)

Regie und Drehbuch: Alfonso Cuarón
Darsteller: Yalitza Aparicio, Marina de Tavira, Diego Cortina Autrey, Carlos Peralta, Marco Graf, Daniela Demesa, Fernando Grediaga, Verónica García, Nancy García García, Jorge Antonio Guerrero, José Manuel Guerrero Mendoza, Andy Cortés, Latin Lover, Zarela Lizbeth Chinolla Arellano
 Roma
(2018) on IMDb Rotten Tomatoes: 95% (9,0); weltweites Einspielergebnis: $1,1 Mio.
FSK: 12, Dauer: 135 Minuten.
Mexiko-Stadt zu Beginn der 1970er Jahre, einer Zeit, in der Studentenunruhen teilweise blutig niedergeschlagen wurden: Die junge Mixtekin (eine mexikanische Ureinwohnerin) Cleo (Yalitza Aparicio) ist im Haus der wohlhabenden Akademiker-Familie Antonio als Kindermädchen und Haushälterin angestellt und hat ein enges Verhältnis zu den vier kleinen Kindern Toño, Paco, Pepe und Sofi. Auch privat läuft es gut für Cleo, die in dem Nachwuchs-Kampfsportler Fermín (Jorge Antonio Guerrero) ihren ersten Freund hat – doch dann wird Cleo schwanger und Fermín zögert keine Sekunde, bis er … sich feige aus dem Staub macht! Cleo ist am Boden zerstört, doch die Familie Antonio steht zu ihr, vor allem Hausherrin Sofía (Marina de Tavira, "Fünf Tage ohne Nora") und Oma Teresa (Verónica García) kümmern sich um sie. Dabei hat Sofía selbst zunehmenden Kummer, denn ihr Mann (Fernando Grediaga) verläßt sie und die Kinder für eine andere und denkt gar nicht daran, Alimente zu zahlen …

Kritik:
Als vielfältig interessierter Cineast gibt es kein Genre, das ich rundheraus ablehne. Natürlich mag ich manche mehr und manche eher weniger, aber in erster Linie zählen für mich immer filmische Qualität und Unterhaltungswert. Wie so oft gibt es jedoch auch hier eine Ausnahme: Milieustudien ohne echte Handlung. Es ist nicht so, daß ich die boykottieren würde, aber ich wage ich mich nur an hochgelobte und/oder OSCAR-nominierte Vertreter und muß mich selbst bei denen ein wenig überwinden. Alfonso Cuarón ("Gravity") hat mit "Roma" eine Milieustudie ohne echte Handlung gedreht, weshalb ich anfänglich insgeheim sogar froh war, daß die Netflix-Produktion hierzulande nicht regulär in die Kinos kam. Nach den zehn OSCAR-Nominierungen nahm sie mein Stammkino allerdings doch ins Programm auf und so hatte ich keine Ausrede mehr. Im Nachhinein betrachtet haben sich meine Erwartungen recht genau erfüllt: Ich erkenne neidlos an, daß der zweistündige Schwarzweißfilm, der im spanischen respektive mixtekischen Originalton mit Untertiteln gezeigt wird, handwerklich hervorragend gemacht ist und er seine betont persönliche, von den Kindheitserinnerungen Cuaróns geprägte Story mit viel Gefühl und Einfühlungsvermögen sowie zwei starken Hauptdarstellerinnen erzählt. Jedoch kann ich nicht verhehlen, daß ich mich zwischenzeitlich mangels Handlungsfortschritten ziemlich gelangweilt habe. Mein Empfinden ist also zwiespältig – es ist eben einfach nicht mein Genre.

Anfangs ist "Roma" durchaus interessant, weil es den Zuschauer unmittelbar in eine ihm (im Normalfall) fremde Welt und Zeit entführt. Die Figuren und ihre Beziehungen zueinander werden geschickt vorgestellt, wobei zunächst vor allem Cleo und die Antonio-Kinder im Mittelpunkt stehen. Es ist nicht viel, was auf der Leinwand passiert: Cleo putzt das Haus, sie wäscht die Wäsche und sie kümmert sich liebevoll um die Kinder; in ihrer Freizeit trifft sie sich mit dem angehenden Kampfsportler Fermín, sie gehen ins Kino oder einfach spazieren und irgendwann haben sie Sex. Durch dessen neun Monate später erwartete Konsequenz kommt ein wenig Dramatik in die Geschichte, denn Cleo ist arm und wird durch Fermíns Flucht tief getroffen – ab diesem Zeitpunkt rückt Hausherrin Sofía stärker in den Fokus, da sie sich trotz ihrer eigenen Probleme Cleos annimmt. Die sich daraufhin entwickelnden zarten freundschaftlichen Bande zwischen Hausherrin und Dienstmädchen – wiewohl stets eindeutig bleibt, wer Herrin und wer Dienerin ist – sind glaubwürdig und gefühlvoll geschildert und brauchen nicht viele Worte. Das allerdings hat den Nachteil, daß wir nie wirklich viel über die handelnden Figuren erfahren. Wir können einiges aus ihrem Verhalten ableiten und die Protagonistinnen sind von Alfonso Cuarón so überzeugend geschrieben und in Szene gesetzt und von ihren Darstellerinnen auch so gut gespielt, daß das ziemlich gut funktioniert. Trotzdem würde ich nicht sagen, daß wir Cleo und Sofía wirklich gut kennenlernen; als Zuschauer bleibt man ein bloßer Betrachter einer sehr gut gemachten, aber reichlich unspektakulären Milieustudie, die in der Darstellung des Kontrastes zwischen den fast ausschließlich wohlhabenden Weißen und den ebenso fast ausschließlich armen und die Weißen bedienenden Ureinwohnern auch nie richtig in die Tiefe geht, sondern sie eher am Rande betrachtet.

Speziell ein Ausflug der Antonios samt Cleo über Weihnachten und Silvester in das Landhaus einer befreundeten reichen Familie hat mich mit der (immerhin teils im Ansatz humorvollen) Zurschaustellung der Oberflächlichkeit der Wohlhabenden ziemlich kalt gelassen und, ja, sogar gelangweilt, wenngleich es in dieser Phase des Films sehr wohl starke Szenen gibt (etwa beim überschaubaren Waldbrand). Im letzten Drittel nimmt "Roma" zum Glück endlich etwas Tempo auf, was auch daran liegt, daß die Studentenunruhen in die Handlung hineinspielen. Tragik und leicht skurriler Humor – die wohl beste Szene: Ein populärer Guru namens Profesor Zovek (Ex-Profi-Wrestler "Latin Lover") unterrichtet den von Cleo auf der Suche nach Fermín beobachteten Kampfsportnachwuchs – spielen klug ineinander, was für die vorherige Zähheit einigermaßen entschädigt. Daß beide Hauptdarstellerinnen trotz ihrer mangelnden Bekanntheit außerhalb der mexikanischen Heimat – für Cleo-Darstellerin Yalitza Aparicio ist es wie für andere Akteure im Film sogar das Schauspieldebüt – für einen OSCAR nominiert wurden, sagt bereits genügend darüber aus, wie authentisch und glaubwürdig sie ihre Rollen verkörpern. Die größte Stärke von "Roma" ist aber die kunstvolle gestalterische Umsetzung. Cuarón, der auch die Kameraführung übernahm, hat die überwiegend unspektakuläre Geschichte in dermaßen klar strukturierte und (speziell bei den Naturaufnahmen) wunderschöne Aufnahmen umgesetzt, daß es einfach eine Wucht ist – daß der Film in Schwarzweiß gedreht ist und auf viele lange, genau einstudierte Einstellungen setzt, unterstreicht die Kunstfertigkeit sogar noch.

Eindrucksvoll ist außerdem die Tongestaltung: Mein Stammkino verlangt für Filme, die in Dolby Atmos gezeigt werden, seit jeher einen Euro Aufpreis, den ich meist zähneknirschend zahle, da sich der tatsächliche Unterschied zum "normalen" Dolby Surround oft in engen Grenzen hält (sofern man ihn als Zuschauer überhaupt mitbekommt). Während actionreiche Blockbuster häufig zumindest ansatzweise die Möglichkeiten des raffinierten Tonsystems, das die Richtung der Klänge exakt steuern kann, ausnutzen, schien es mir bei kleineren Produktionen bislang einigermaßen überflüssig. Doch "Roma" beweist, wie falsch ich mit dieser Annahme lag: Die Klangkulisse ist so präzise gestaltet, daß man sich mitten im Mexiko der frühen 1970er Jahre wähnt, im Haushalt der Antonios, auf dem Land oder während der Unruhen in den Straßen von Mexiko-Stadt. Besonders effektiv ist der Einsatz von Dolby Atmos in den Szenen, die selbst in einem Kino spielen (die Protagonisten schauen sich den französischen Komödienklassiker "Drei Bruchpiloten in Paris" mit Louis de Funès an und später den SciFi-Film "Verschollen im Weltraum" mit Gregory Peck) – obwohl außer mir nur noch eine andere Person im Kinosaal war, mußte ich mich mehrfach zusammenreißen, mich nicht umzudrehen und nachzuschauen, wer da in den Reihen hinter mir raschelt oder leise redet … Zugegeben: Ich weiß nicht, ob "Roma" durch diese meisterhafte Einbeziehung auch nur minimal besser wird. Aber es besteht kein Zweifel daran, daß diese Demonstration der Möglichkeiten, die Filmemacher haben, wenn sie sich voll auf dieses Soundsystem einlassen, ungemein beeindruckend ist. Es mag ein wenig bezeichnend sein, daß es bei einem zehnfach OSCAR-nominierten Kritikerliebling (am Ende gab es die Preise für Cuaróns Regie und Kamera sowie für den besten fremdsprachigen Film) die Klangkulisse ist, die mich am stärksten zum Schwärmen bringt, aber die hat mich tatsächlich deutlich mehr begeistert als der Inhalt des Films. Hierzu wiederhole ich mich: Ich anerkenne Cuaróns handwerkliche Meisterschaft (und die des starken Schauspielensembles), aber unterm Strich ist und bleibt es einfach nicht mein Genre.

Fazit: Alfonso Cuaróns Schwarzweiß-Film "Roma" ist eine genau und einfühlsam beobachtete Milieustudie, die mit ihrer handwerklichen Kunstfertigkeit begeistert, inhaltlich jedoch recht karg bleibt – klassisches Kunstkino.

Wertung: 7 Punkte.

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