Regie und Drehbuch: Wes Anderson, Musik: Alexandre Desplat
Sprecher der Originalfassung: Bryan Cranston, Edward Norton,
Liev Schreiber, Bill Murray, Jeff Goldblum, Bob Balaban, Koyu Rankin, Kunichi
Nomura, Greta Gerwig, Scarlett Johansson, F. Murray Abraham, Akira Takayama, Frances McDormand,
Akira Ito, Yoko Ono, Tilda Swinton, Harvey Keitel, Fisher
Stevens, Ken Watanabe, Roman Coppola, Kara Hayward, Courtney B. Vance, Anjelica
Huston
Sprecher der deutschen Synchronfassung: Torsten Michaelis,
Andreas Fröhlich, Leon Boden, Klaus-Dieber Klebsch, Tom Vogt, Lutz Mackensy,
Manja Doering, Luise Helm, Karin Buchholz, Christian Brückner, Wolf Frass,
Martin Umbach
FSK: 6, Dauer: 102 Minuten.
Japan, 2038: Hunde sind allgegenwärtig, weshalb
Bürgermeister Kobayashi (Kunichi Nomura, "Lost in Translation") von Megasaki City – dessen Familie Hunde seit Generationen hasst
– zu drastischen Maßnahmen greift, als sich eine Hundegrippe ausbreitet
und auf den Menschen überzuspringen droht: Alle Hunde, die auch nur ansatzweise Symptome der Krankheit zeigen, werden nach Trash Island
gebracht und dort sich selbst überlassen. Da der Name Programm und Trash Island
eine Ansammlung kleinerer Inseln nahe der Küste ist, die verlassen und voller
Müllberge sind, ist die Situation für die hungernden Vierbeiner bereits nach einem
halben Jahr ziemlich aussichtslos. Eines Tages legt der 12-jährige Atari (Koyu Rankin)
mit einem kleinen Flugzeug eine Bruchlandung auf Trash Island hin und wird von
einem Rudel Alphahunde um Rex (Edward Norton, "Birdman") und den früheren Streuner
Chief (Bryan Cranston, "Godzilla") gefunden. Schnell verstehen sie, was Atari – das Mündel
des Bürgermeisters – hier will: Er ist auf der Suche nach seinem geliebten Hund
Spots, der als allererster auf die Müllinseln verbannt wurde. Obwohl Chief
anfangs dagegen ist, beschließt das fünfköpfige Rudel, dem Jungen zu helfen –
immerhin ist er der erste Mensch, der die so schmählich im Stich gelassenen
Hunde in ihrer unwirtlichen neuen Heimat aufsucht …
Kritik:
Ein Hund in einem Wes Anderson-Film zu sein war bislang
kein erstrebenswertes Schicksal. Hunde werden bei Anderson Opfer eines Verkehrsunfalls ("Die Royal Tenenbaums"), achtlos zurückgelassen
("Die Tiefseetaucher"), unter Drogen gesetzt ("Der fantastische Mr. Fox") und gar versehentlich erschossen ("Moonrise Kingdom") – immerhin, in "Grand Budapest Hotel" war es zur
Abwechslung eine Katze, die kurzerhand aus dem Fenster geworfen wurde … Und nun
hat jener Wes Anderson einen ganzen Film über Hunde gedreht? Kann das
gutgehen? Oder steht uns "Das große Hunde-Kettensägenmassaker" bevor?
Nein, das natürlich nicht (obwohl im Handlungsverlauf eine
industrielle Häckselmaschine eine prominente Rolle spielt …), aber so richtig
gut sieht es für des Menschen besten und treuesten Freund zu Beginn von
"Isle of Dogs – Ataris Reise" nicht aus – und das ist noch sehr
freundlich formuliert. Trotzdem dürfte sich Wes Anderson mit diesem zauberhaft
realisierten Stop Motion-Abenteuer (seinem zweiten nach "Der fantastische
Mr. Fox") in den Augen vieler Hundefreunde rehabilitieren, stehen sie und
ihr Kampf um die eigene Rehabilitierung doch eindeutig im Zentrum des Films –
was schon dadurch klargemacht wird, daß die Hunde Englisch respektive in der
Synchronfassung Deutsch "bellen", während die Menschen größtenteils
Japanisch sprechen (untertitelt oder von anderen Filmfiguren übersetzt; manchmal muß man auch raten, was sie sagen, was aber in der Regel anhand der jeweiligen Situation und des Tonfalls nicht so schwer ist).
Gleichzeitig ist "Isle of Dogs" der politischste Film,
den Anderson bislang gedreht hat, und die Mischung aus herrlich verschrobenem
Hundeabenteuer und engagierter Faschismus-Parabel funktioniert alles in allem sehr gut.
Natürlich ist die politische Note von "Isle of
Dogs" nicht überragend subtil eingeflochten – schon die Aufmachung der
Wahlkampfveranstaltung von Bürgermeister Kobayashi zu Beginn des Films
erinnert deutlich an vergleichbare Bilder aus totalitären oder zumindest autoritär
regierten Staaten (bedauerlicherweise auch unserer aktuellen Gegenwart). In diesem ziemlich düsteren Japan der nahen Zukunft
(oder zumindest in Megasaki City) scheint es nur noch zwei Parteien zu geben, wie wir
später erfahren – und die oppositionelle, rationale Wissenschafts-Partei um den
aussichtsreich an einem Serum gegen die Hundegrippe arbeitenden Professor
Watanabe (Akira Ito) hat keine Chance gegen Kobayashis populistische Parolen
und generalstabsmäßig gestreuten Gerüchte, Halbwahrheiten und Lügen,
sogar glatter Wahlbetrug steht glaubwürdig im Raum. Parallelen zu einem
gewissen, global nicht ganz unbedeutenden Staat, in dem Wes Anderson geboren wurde,
sind dabei sicher kein bloßer Zufall, auch wenn die Situation in "Isle of
Dogs" selbstredend zugespitzt ist. Da die Dreharbeiten in Europa (u.a. in London und im
Studio Babelsberg) bereits ein paar Monate vor Donald Trumps Amtsantritt
begannen, ist der Film keine direkte Reaktion auf dessen turbulente Präsidentschaft,
aber der dazu führende Wahlkampf dürfte Anderson beeinflußt haben. Jedenfalls
ist es sehr auffällig, welch große Rolle in "Isle of Dogs" –
wohlgemerkt sowohl bei den Hunden als auch bei den Menschen – Gerüchte spielen.
"Es wird gemunkelt" ist die am häufigsten verwendete Formulierung des
Films und die daraufhin weiterverbreiteten Gerüchte sind ausnahmslos negativ –
häufig von unbegründeten Ängsten unterfüttert, nicht selten einfach nur bösartig
und in den allermeisten Fällen komplett falsch. Kommt das irgendjemandem
bekannt vor? Oder daß ironischerweise jene, die ständig "Fake News!"
brüllen und abstruse Verschwörungstheorien verbreiten, in Wirklichkeit
diejenigen sind, die sich aus Haß und Machtgier gegen die Gesellschaft verschworen haben? Zugleich ist durch die Deportation der Hunde natürlich auch der gedankliche Sprung zum Zweiten Weltkrieg nicht wirklich weit, was durch Details wie eine pilzförmige Explosionswolke noch unterstrichen wird.
Aber bevor dies nun jemand liest und erschrocken denkt: "Um
Himmelswillen, was ist denn mit Wes Anderson geschehen, diesem Meister der
Skurrilität, der mit seinen exzentrischen und selbstbewußt realitätsfremden
Figuren die Herzen der Zuschauer berührt?" – keine Angst, der ist immer
noch da. Sicher, die Politik spielt eine ziemlich wichtige Rolle in "Isle
of Dogs", der mit Sicherheit Andersons bisher ernsthaftester Film ist und
damit den Trend fortsetzt, den er mit dem deutlich nostalgischeren, aber bereits politischen OSCAR-Gewinner "Grand Budapest Hotel" begann; und
Andersons Analyse einer (in diesem konkreten Fall fiktiven) Gesellschaft, die
immer faschistoidere Züge annimmt, ist schmerzlich treffsicher aufbereitet.
Aber letztlich bietet sie "nur" den Nährboden für die eigentliche
Geschichte des hundeliebenden Jungen und der fünf Vierbeiner, die ihm bei
seiner mutigen Suche helfen. Und Ataris Reise (die ein bißchen an die von
Miguel im Pixar-Hit "Coco" erinnert) ist wieder vollgestopft mit liebenswert-schrägen
Charakteren, skurrilen Details und exzentrisch-boshaften Slapstick-Momenten, wie
man sie von Anderson kennt. Dazu trägt die sensationelle Stop
Motion-Optik mit den zahlreichen, sichtlich aufwendig und detailreich gestalteten
Figuren bei, die qualitativ noch einmal einen Schritt nach vorne gegenüber
"Der fantastische Mr. Fox" bedeutet und beinahe die Perfektion von
Laikas "Kubo – Der tapfere Samurai" erreicht, dabei sogar mehrere
Stile kombiniert und u.a. von den traditionellen japanischen Farbholzschnitten
des 19. Jahrhunderts beeinflußt ist. Das Resultat ist ein sensationell gut
aussehender, fast perfekt animierter Film, dem Anderson seinen ganz eigenen,
unverkennbaren "Puppenhaus"-Stempel aufgedrückt hat – Paradebeispiel dafür sind die chaotischen und comichaften Kampfszenen. In Sachen
Humor hat "Isle of Dogs" zwar nicht ganz so viel bieten wie frühere
Anderson-Filme, was angesichts der Prämisse verständlich ist; aber sein Gespür
für eine perfekt gesetzte, oft unerwartete und um mehrere Ecken gedachte Pointe
hat er zum Glück nicht verloren, wie man anhand einiger denkwürdiger Momente
sieht. Zwar sorgt (ähnlich wie bei "Grand Budapest Hotel") die schiere Größe des Ensembles dafür, daß die
Figurenzeichnung nicht extrem in die Tiefe geht, speziell die erwachsenen
Menschen wie Kobayashis Helfer, der ghulhafte Majordomus (Akira Takayama, "Schnee, der auf Zedern fällt"), bleiben relativ
stereotyp und oberflächlich. Besser sieht es bei den Kindern aus, sowohl Atari
als auch die US-Austauschschülerin Tracy (Greta Gerwig, "To Rome with Love"), die den
Kampf gegen die Hundehasser anführt, wirken sehr sympathisch. Noch besser
getroffen sind allerdings die vergleichsweise wenig vermenschlichten Hunde, die
einem nicht nur wegen ihres harten Schicksals in Windeseile ans Herz wachsen,
sondern auch wegen ihrer liebenswerten Marotten, ihres Einfallsreichtums und
ihrer bemerkenswerten Selbstlosigkeit, die selbst den anfangs so grimmigen Chief nach und nach überkommt.
Daran haben die Sprecher naturgemäß großen Anteil. Eigentlich wollte ich "Isle of Dogs" ob der großartigen Besetzung mit
zahlreichen Anderson-Stammdarstellern sowie hochkarätigen Neuzugängen in
seinem Filmuniversum (Bryan Cranston, Scarlett Johansson, Greta Gerwig, Liev
Schreiber) in der Originalfassung anschauen, mußte aber doch mit der
synchronisierten Version Vorlieb nehmen. Die ist allerdings ausgesprochen gut
gelungen, zumal klugerweise auf Promi-Sprecher komplett verzichtet wurde und stattdessen die bekannten Synchronsprecher der US-Stars zum Einsatz kommen, die
ihren Job mit der gewohnten Klasse erledigen. Nur bei Hauptsprecher Bryan
Cranston ist leider nicht seine deutsche "Breaking Bad"-Stimme
Joachim Tennstedt zu hören, sondern Torsten Michaelis (u.a. Benicio Del Toro),
was aber qualitativ kein Problem ist – das gilt ebenso für Klaus-Dieter Klebsch
(u.a. Hugh Laurie, Gabriel Byrne) und Tom Vogt (Colin Firth), die den
verstorbenen Arne Elsholtz als Stimme von Bill Murray bzw. Jeff Goldblum
hochwertig ersetzen. Und um gleich bei der Akustik zu bleiben: Alexandre
Desplat erweist sich einmal mehr als kongenialer musikalischer Partner
Andersons (er schrieb bereits für "Der fantastische Mr. Fox",
"Moonrise Kingdom" und "Grand Budapest Hotel" die Musik), seine großartigen,
verspielt-verschroben-feinfühligen Kompositionen verstärken die buchstäblich
fabel-hafte Wirkung von "Isle of Dogs" noch. Dabei bindet Desplat
auch japanische Klänge ein, was wohlgemerkt nicht – wie bei nicht wenigen
Hollywood-Filmen mit Asien-Bezug – plakativ oder alibihaft wirkt, sondern vollkommen harmonisch in einen Soundtrack eingebunden ist, der als heimlichen
Höhepunkt den wunderbar melancholischen Song "I Won't Hurt You" von
The West Coast Pop Art Experimental Band beinhaltet. Zusätzlich finden zwei Tracks aus
den Soundtracks zu den Akira Kurosawa-Filmen "Die sieben Samurai" und
"Engel der Verlorenen" Anwendung, was angesichts dessen ganz bestimmt
kein Zufall ist, daß stilistische Parallelen zur japanischen
Filmemacher-Legende für das geübte Auge unverkennbar sind – abgesehen davon, daß Anderson Kurosawa ausdrücklich als große
Inspirationsquelle benannt hat. Mit dessen ganz großen Meisterwerken mag
"Isle of Dogs" nicht ganz mithalten können, auch in Andersons Œuvre
siedele ich das Hundeabenteuer nicht ganz an der Spitze an (da bleiben für mich
"Die Tiefseetaucher" und "Moonrise Kingdom"), jedoch
definitiv im oberen Drittel. Und das reicht locker, um einer der besten Filme
des Jahres 2018 zu sein, der selbstverständlich für den Animationsfilm-OSCAR nominiert wurde – und um die Hundefreunde unter den Kinogängern mit Wes Anderson zu versöhnen ...
Fazit: Der einfallsreich gestaltete und brillant
animierte Stop Motion-Film "Isle of Dogs – Ataris Reise" ist ein
typischer Wes Anderson-Film mit ganz viel Herz, schrägem Humor und skurrilen Figuren
– auch wenn der Film wegen der sehr ernsten, parabelhaften Handlung etwas weniger witzig ist als frühere Anderson-Werke.
Wertung: 8,5 Punkte.
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