Originaltitel:
Score: A Film Music Documentary
Regie und Drehbuch: Matt Schrader, Musik: Ryan Taubert
Mitwirkende:
Hans Zimmer, Tom Holkenborg (Junkie XL), Leonard Maltin, Dr.
Siu-Lan Tan, John Williams, James Cameron, Steven Spielberg, Danny Elfman, Thomas Newman, Trent Reznor,
Atticus Ross, Randy Newman, Howard Shore, Quincy Jones, Bear
McCreary, Garry Marshall, Moby, Dario Marianelli, Alexandre Desplat, Patrick
Doyle, Mark Mothersbaugh, John Powell, Brian Tyler, Harry Gregson-Williams,
Henry Jackman, Jerry Goldsmith, Christope Beck, Rachel Portman, Steve Jablonsky, Marco Beltrami, David Arnold, Heitor Pereira, Deborah Lurie
FSK: 12, Dauer: 93 Minuten.
Die Filmmusik ist vermutlich das vom durchschnittlichen
Zuschauer am meisten unterschätzte Element des Gesamtkunstwerks "Film". Meisterwerke können für immer verkannt bleiben, nur weil sie mit
der falschen (oder gar keiner Musik) unterlegt sind, andererseits kann aber eine
besonders gelungene, zum Geschehen auf der Leinwand passende musikalische
Untermalung aus einem guten oder sogar einem mittelmäßigen Film einen echten
Klassiker machen. Dabei ist der Ursprung der Filmmusik denkbar banal: Zur
Stummfilmzeit mußte man irgendwie das laute Brummen der Projektoren übertönen –
also sorgte (meist) ein Pianist für eine deutlich schönere Klangkulisse.
Oft improvisierten die Musiker dabei, doch mit Einführung des Tonfilms war so
etwas natürlich nicht mehr möglich. Stattdessen etablierten sich orchestrale
Scores, später sorgte die Hinwendung zu morderner Musik wie dem Jazz für eine
Revolution in Sachen Filmmusik. Matt Schraders "Score – Eine Geschichte der
Filmmusik" gibt einen kurzen Abriß über die Entwicklung der Filmmusik in
den letzten über 100 Jahren, konzentriert sich aber auch darauf, dem Zuschauer
die Arbeitsweisen zahlreicher heutiger Filmkomponisten und -musiker nahezubringen …
Kritik:
Ich gehe eher selten für Dokumentarfilme ins Kino (weil ich
finde, daß die außer bei Naturdokus selten von einer großen Leinwand
profitieren), aber als bekennender Filmmusik-Fan mit einer ansehnlichen Sammlung
von Soundtrack-CDs wollte ich mir "Score" dann doch nicht entgehen
lassen – zumal die Soundanlage meines Stammkinos mit Sicherheit deutlich besser ist als
der Fernseherton bei mir zu Hause. Außerdem unterstütze ich natürlich gerne ein Thema,
das mir sehr am Herzen liegt, von vielen aber gar nicht wirklich wahrgenommen
wird; daß es nicht nur mir so geht, belegt die Tatsache, daß "Score"
zum Teil durch Crowdfunding finanziert wurde. Leider ist der deutsche
Untertitel etwas irreführend, denn die darin beworbene Geschichte der Filmmusik – die
mich persönlich stärker interessiert – nimmt im Vergleich zur Arbeitsweise der
Musiker den deutlich kleineren Raum ein, geschätzt maximal 30%.
Generell war es wohl nicht die allerbeste Idee,
gleich zwei große Themen in einen 90 Minuten-Film zu quetschen, denn so wird man
beiden nur bedingt gerecht. "Score" ist zwar jederzeit unterhaltsam
und häufig informativ, aber daß der Film in die Tiefe geht, kann man
wahrlich nicht behaupten. Er kratzt an der Oberfläche und präsentiert einen fraglos kompetent aufbereiteten
Überblick, angereichert durch Anekdoten der Mitwirkenden, deren Anzahl
allerdings dermaßen groß ist, daß in diesen 90 Minuten zwangsläufig nur wenige von
ihnen eine bedeutende Rolle spielen können. Vielleicht macht Matt Schrader aus seinem
gesammelten Material (auf der Film-Homepage kann man eine DVD mit sechs
Stunden Interviewmaterial sowie ein Transkript in Buchform erwerben)
irgendwann einen TV-Mehrteiler, der das spannende Thema "Filmmusik"
wesentlich intensiver behandelt – ich würde ihn mir jedenfalls anschauen. Bis
dahin muß man sich eben mit "Score" begnügen. Am spannendsten ist
dabei der Blick auf die Arbeitsweisen aktueller Musiker, wobei wir unter anderem Heitor Pereira bei seinen Orchesteraufnahmen zu "Minions" über die Schulter schauen dürfen. Zusätzlich
geben viele der derzeit berühmtesten Filmkomponisten in Interview-Schnipseln kurze
Einblicke in ihre Denk- und Vorgehensweise, allen voran der deutsche
OSCAR-Gewinner Hans Zimmer ("Der König der Löwen", "The Dark Knight"), der Niederländer Tom Holkenborg alias Junkie XL – dank seiner
adrenalingetriebenen Scores zu Werken wie "300 – Rise of an Empire"
oder "Mad Max: Fury Road" der Aufsteiger der letzten Jahre – oder
auch Tim Burtons Stammkomponist Danny Elfman ("Batman", "Sleepy Hollow", "Dark Shadows"). Via Archivmaterial (mit Steven Spielberg) wird mit John
Williams ("Star Wars") außerdem einer der Größten seines Fachs eingebunden, der im Jahr 2015
überraschend verstorbene "Titanic"- und "Avatar"-Komponist
James Horner wird während des Abspanns ausführlich von James Cameron gewürdigt.
Für etwas Abwechslung sorgt Regisseur und Drehbuch-Autor
Matt Schrader, indem er immer wieder zwischen seinen beiden großen Themen
wechselt. In der Regel werden ein oder zwei Jahrzehnte an Filmmusik
thematisiert, ehe dann wieder Interviews oder Aufnahmesessions mit den heutigen
Komponisten gezeigt werden. Der Wechsel wirkt mitunter etwas willkürlich, aber
insgesamt geht das schon in Ordnung. Der renommierte Filmhistoriker Leonard Maltin sorgt dabei gekonnt für die historische Einordnung, während die Psychologie-Professorin Dr.
Siu-Lan Tan die Wirkung von Musik aus wissenschaftlicher Perspektive erläutert. Nicht verneinen läßt sich allerdings, wie
erwähnt, daß der filmhistorische Abriß arg kurz gerät. Zwar erfahren wir von
Meilensteinen wie dem ersten Jazz-Soundtrack, den Alex North 1951 für
Elia Kazans Klassiker "Endstation Sehnsucht" mit
Marlon Brando und Vivien Leigh schuf; oder Bernard Herrmanns innovativen Scores
zu Hitchcock-Thrillern wie "Psycho" oder "Vertigo". Zu
viele wegweisende Filmmusiken und Komponisten werden jedoch nur ganz kurz erwähnt (wie
"King Kong und die weiße Frau" von Max Steiner, der als erster klassischer orchestraler Score der Filmgeschichte gilt) oder komplett
verschwiegen. Meinem Eindruck nach wird vor allem der starke Einfluß der
europäischen beziehungsweise europäischstämmigen Filmmusiker sträflich ignoriert – klar,
an Ennio Morricone ("Zwei glorreiche Halunken") kommt "Score" nicht vorbei, aber eine Filmmusik-Doku, in der Erich
Wolfgang Korngold ("Robin Hood, König der Vagabunden", "Der Herr
der sieben Meere"), Dimitri Tiomkin ("Zwölf Uhr Mittags",
"Rio Bravo"), Miklós Rózsa ("Ben-Hur", "Quo
Vadis?"), Maurice Jarre ("Lawrence von Arabien", "Der Club
der toten Dichter"), Vangelis ("Blade Runner") oder Basil Poledouris ("Conan der Barbar",
"RoboCop") nicht einmal
erwähnt werden, ist einfach nicht komplett!
Zudem ist "Score" betont mainstreamlastig
geraten, obwohl selbstredend auch im Independent-Bereich viel gute und innovative
Musik geschrieben wird (etwa in Rian Johnsons Debüt
"Brick", bei dem sein Bruder Nathan neben normalen
auch exotische Instrumente und sogar diverse Alltagsgegenstände zum Musizieren nutzte
und derart einen beeindruckenden, kongenial zum Film passenden
Klangteppich schuf). Immerhin eröffnet "Score" gleich mit einer
netten Story zu Tommy Lee Jones' ziemlich unbekanntem Western "The
Homesman", dessen Musik Marco Beltrami mit einem Klavier aufnahm, das auf
dem Dach eines Gebäudes stand, da er den Wind in die Klangkulisse integrieren
wollte. Ansonsten dominieren aber bekannte Großproduktionen das Bild, für die dafür
gelegentlich aufschlußreich aufgezeigt wird, wie beispielsweise einzelne Motive
in Abwandlungen immer wieder auftauchen und so die Handlung stärker prägen als
man das meist selbst wahrnimmt (etwa Howard Shores verspielte
Hobbit-Melodie in Peter Jacksons "Der Herr der Ringe"-Trilogie).
"Score" hat dem interessierten Zuschauer und -hörer also einiges zu
bieten, letztlich kann es sich aber um nicht mehr als eine Einführung in das Thema handeln, die hoffentlich ein paar Zuschauer dazu ermutigt, sich anschließend selbst intensiver damit zu beschäftigen.
Fazit: "Score – Eine Geschichte der
Filmmusik" ist eine unterhaltsame und häufig informative Dokumentation über
Filmmusik, die allerdings zu viele Themen und Personen innerhalb von nur 90
Minuten abhandelt und deshalb letztlich kaum mehr als an der Oberfläche kratzen
kann.
Wertung: 7 Punkte.