Regie: Denis Villeneuve, Drehbuch: Hampton Fancher und
Michael Green, Musik: Benjamin Wallfisch und Hans Zimmer
Darsteller:
Ryan Gosling, Harrison Ford, Ana de Armas, Robin Wright, Sylvia Hoeks, Jared
Leto, Carla Juri, Dave Bautista, David Dastmalchian, Wood Harris, Lennie James,
Barkhad Abdi, Mackenzie Davis, Hiam Abbass, Tómas Lemarquis, Edward James
Olmos, Sean Young
FSK: 12, Dauer: 164 Minuten.
Nach dem Tod des Firmengründers und Replikantenschöpfers
Tyrell und einem von Replikanten verursachten weltweiten Blackout war die
Tyrell Corporation dem Untergang geweiht, die Reste wurden aufgekauft von dem Visionär Niander
Wallace (Jared Leto, "Dallas Buyers Club"). Der schuf eine neue, im Gegensatz zu den alten Tyrell-Replikanten angeblich völlig ungefährliche Generation der künstlichen Menschen,
die im Jahr 2049 weit verbreitet ist und sogar bei der Polizei ihrer Arbeit
nachgeht – wenn sich auch die Akzeptanz bei der Bevölkerung aufgrund der
schlechten Erfahrungen mit Tyrells Replikanten in Grenzen hält. Einer
der neuen Replikanten ist K (Ryan Gosling, "La La Land"), der als
Blade Runner bei der Polizei von Los Angeles tätig ist und die letzten
verbliebenen Nexus 8-Replikanten (ohne Lebensbegrenzung) aufspüren soll. Als ihm
dies bei dem inzwischen als Farmer tätigen Sapper Morton (Dave Bautista,
"Guardians of the Galaxy") gelingt, macht K eine überraschende
Entdeckung: In der Nähe des Hauses wurde vor Jahrzehnten eine Frau begraben,
die sich bei der Untersuchung ihrer Überreste als eine Replikantin herausstellt –
und sie starb bei der Geburt ihres Kindes! Da die Fähigkeit zur Fortpflanzung
eine ganz neue Perspektive auf die nicht wirklich als Menschen betrachteten und
weitgehend rechtlosen Replikanten eröffnet, soll das unbedingt geheim bleiben.
Deshalb erhält K von seiner Vorgesetzten Lieutenant Joshi (Robin Wright,
"Wonder Woman") den Auftrag, das Kind der Unbekannten zu
finden und zu beseitigen. Auch Wallace will das Kind unbedingt, weil er herausfinden
will, wie Tyrell seine Replikanten fortpflanzungsfähig machen
konnte, weshalb sich seine Assistentin Luv (Sylvia Hoeks, "Das Mädchen und der Tod") an Ks Fersen heftet…
Kritik:
Fortsetzungen sind in Hollywood bekanntlich eher die Regel
als die Ausnahme. Aber daß das Sequel eines Kultfilms satte 35 Jahre auf
sich warten läßt, das ist dann doch bemerkenswert. Dabei darf man allerdings
nicht vergessen, daß Sir Ridley Scotts "Blade Runner" seinerzeit ein
kommerzieller Flop war und er bis heute ein durchaus polarisierender Film ist
mit seiner betont langsamen Erzählweise, der faszinierenden, aber
bruchstückhaften Story und den skizzenhaft gestalteten Figuren. So
gesehen und angesichts der zwangsläufig hohen Produktionskosten einer
würdigen Fortführung ist es trotz des anhaltenden Kultstatus von Scotts Film lobenswert, daß die zu Sony gehörenden Columbia Pictures nach
35 Jahren (und mehreren gescheiterten Anläufen) tatsächlich grünes Licht für
einen mindestens $150 Mio. teuren zweiten Teil gaben. Ausschlaggebend dafür war
vermutlich das beteiligte Personal, denn Scott ist als Produzent
beteiligt, mit dem Kanadier Denis Villeneuve gewann man einen der besten
Filmemacher seiner Generation (der mit "Arrival" auch schon bewiesen
hat, daß er anspruchsvolle Science Fiction kann) für die Regie, das Drehbuch
stammt erneut von dem inzwischen stramm auf die 80 Jahre zugehenden Hampton Fancher –
wenn auch dieses Mal in Zusammenarbeit mit Michael Green ("Logan")
statt David Webb Peoples. Nicht zu vergessen: Harrison Ford kehrt in seiner
Rolle als früherer Blade Runner Rick Deckard zurück! Ob sich Columbias
Engagement in finanzieller Hinsicht rentieren wird, ist noch offen, die
Dankbarkeit der Filmfans hat sich das Filmstudio aber definitiv verdient, denn "Blade
Runner 2049" ist eine mehr als würdige Fortsetzung, die dem poetischen Geist und den
Stärken des Vorgängers verbunden bleibt, aber die Handlung und die dystopische
Filmwelt intelligent weiterentwickelt.
Mein größtes Problem mit "Blade Runner" waren die
einem allesamt ziemlich fremd bleibenden Charaktere und die sehr in
Andeutungen verhaftete Handlung. Genau hier macht "Blade Runner 2049"
eine deutlich bessere Figur. Vor allem Protagonist K fühlt man sich schnell nahe, was sicher damit zusammenhängt, daß von Anfang an
klar ist, daß er ein Replikant ist, wohingegen der erste Film auch vom
Rätseln darüber lebte, ob Deckard ein "echter" oder ein künstlicher
Mensch ist. Dieses Schema bei K zu wiederholen, hätte sowieso recht phantasielos
gewirkt, aber auf ein Mysterium um die Hauptfigur muß man dennoch nicht
verzichten, da K schnell den Verdacht hegt, er selbst könnte dieses natürlich
geborene Replikantenkind sein (mit falschen Erinnerungen). Das ist ein
sehr geschickter Schachzug des Drehbuchs, da auf diese Weise ein ähnliches Geheimnis
eine bedeutende Rolle spielt wie im ersten Teil, ohne daß es aufgesetzt
oder repetitiv wirkt. Zugleich eröffnet die Klarheit über Ks
Dasein als Replikant die Möglichkeit, viel tiefer in sein von Ryan Gosling
vortrefflich gespieltes Denken und Fühlen einzutauchen als das bei Deckard der
Fall war. Vor allem Ks bemerkenswert zarte und feinfühlige Beziehung zu seiner
holographischen KI-Freundin Joi (sehr ausdrucksstark gespielt von der Kubanerin Ana de Armas aus "Overdrive", die ein wenig wie Felicity Jones aussieht) sorgt dafür, daß
wir mit K mitfühlen und uns mit ihm identifizieren können, aber auch seine
heimliche Bewunderung für seine taffe Chefin Lt. Joshi – die ihrerseits leider
etwas zu kurz kommt, was angesichts des großen Könnens ihrer Darstellerin Robin
Wright besonders bedauerlich ist.
Auf der anderen Seite zeigt Jared Leto eine gute Leistung als blinder Visionär Niander Wallace, wobei er dessen mysteriöse Aura perfekt
zur Geltung bringt und ein bißchen so wirkt wie Peter Weyland – ebenfalls ein
Schöpfer künstlicher Menschen – in Ridley Scotts "Prometheus" und
"Alien: Covenant". Wie schon sein "Blade Runner"-Vorgänger Tyrell
muß jedoch auch Wallace mit wenigen Szenen auskommen, weshalb es beinahe den Anschein hat,
als würde er für eine mögliche weitere Fortsetzung in Stellung gebracht.
Eine größere praktische Relevanz hat seine loyale Assistentin Luv – ebenfalls eine
Replikantin –, die K heimlich auf Schritt und Tritt folgt, um an das Wunderkind
(dessen religiöse Heilands-Komponente natürlich unübersehbar ist, in der Handlung aber ziemlich subtil behandelt wird) zu kommen, ehe K es "in den
Ruhestand schicken" kann. Sie ist quasi das Gegenstück zu Rutger Hauers
Roy Batty im Vorgänger, auch wenn sie leider keine so denkwürdigen Momente und
Dialoge wie Batty spendiert bekommen hat. Generell sind die Figuren in
"Blade Runner 2049" aber viel besser ausgearbeitet, was auch mit der
bemerkenswerten, die Geduld mancher Zuschauer bestimmt strapazierenden Laufzeit von über zweieinhalb Stunden liegt. Zusätzlich gibt es
wiederum einige markante Nebenfiguren, die nur wenige Szenen haben – neben Dave
Bautistas Sapper Morton (von dem ich gerne mehr gesehen hätte) etwa die von der
schweizerischen "Feuchtgebiete"-Hauptdarstellerin Carla Juri
verkörperte Erinnerungsexpertin Dr. Stelline, Rückkehrer Edward James Olmos als
Deckards früherer Kollege und Origami-Fanatiker Gaff, Lennie James ("The Walking
Dead") als Ausbeuter Mister Cotton, der Polizei-Techniker Coco (David
Dastmalchian, "Ant-Man") oder Barkhad Abdi ("Captain Phillips") als Doc Badger. Und dann ist da natürlich Harrison Ford,
der im letzten Filmdrittel seine ikonische Rolle als Rick Deckard wieder
aufnimmt und die Handlung sofort an sich reißt – wobei er sowohl im Kampf als
auch in der Zusammenarbeit sehr gut mit Gosling harmoniert.
Apropos Kampf: Im Vergleich zu "Blade Runner" ist
"Blade Runner 2049" weniger actionlastig ausgefallen. Trotz fast
einer Stunde längerer Laufzeit dürften die Kampf- und Actionsequenzen insgesamt
sogar etwas weniger Minuten in Anspruch nehmen, womit noch mehr
als schon bei Scotts Film gilt: "Blade Runner 2049" ist nichts für
Kinogänger, die beim Genre Science Fiction an permanente Actiongewitter denken!
Selbstverständlich gibt es trotzdem einige Kämpfe, von denen mir gleich der
erste zwischen K und Sapper Morton am besten gefallen hat. Aber anders als noch
im ersten Teil, in dem Deckards aufregend choreographierte Kämpfe gegen die
Nexus 6-Replikanten zu den Highlights zählten, rückt die Action hier deutlich in
den Hintergrund. Das hat Vor- und Nachteile: Gut ist, daß so mehr Zeit auf Story und Charaktere verwendet wird; ein Nachteil ist, daß die
Kampf-Choreographie der Kämpfe zwar sehr kompetent ist, dabei aber nicht an die außergewöhnliche
Qualität des Vorgängers heranreicht. Das trifft übrigens auch auf den Showdown
zu, der zwar weniger in die Länge gezogen ist als Deckards Duell mit Batty,
aber dafür enttäuschend unspektakulär, ja sogar antiklimaktisch wirkt – beinahe
so, als hätten die Filmemacher das Gefühl gehabt, dem Publikum einfach einen
klassischen Endkampf bieten zu müssen. Dabei wäre das gar nicht nötig gewesen,
da "Blade Runner 2049" mit seiner gut durchdachten
Handlungsentwicklung dem Publikum mehr als genug Material zum Nachdenken
mit auf den Nachhauseweg gibt. Die Story ist stärker ausgearbeitet, die philosophischen und
ethischen Fragestellungen kommen auch dank des Replikanten-Protagonisten im
Vergleich zu den früheren, rebellischeren Generationen direkter zur Sprache und
werden nicht mehr bloß angedeutet. Manch einer wird vermutlich die extreme
Subtilität des Vorgängers
vorziehen, aber auch die Fortsetzung ist weit davon entfernt, alles bis ins
letzte Detail zu erklären. Letztlich ist es Geschmackssache, ich persönlich
finde den etwas weniger rätselhaften Ansatz des zweiten Teils besser. Aber: Das
"Blade Runner"-Universum ist und bleibt eines, bei dem man mitdenken
muß – und das ist auch gut so!
Der leichte Qualitätsrückgang bei den Actionsequenzen
deckt sich mit meinem Urteil bezüglich der visuellen und akustischen
Gestaltung des Films. Bekanntlich hat "Blade Runner" seinen Kultstatus
zu einem nicht geringen Anteil der phantastischen Bildsprache, der toll
gestalteten futuristischen Welt und der denkwürdigen musikalischen Untermalung
durch den griechischen Klangzauberer Vangelis zu verdanken. Zwar ist
"Blade Runner 2049" in jedem dieser Bereiche gut bis sehr gut aufgestellt
(und wurde mit OSCARs für Kamera und visuelle Effekte belohnt), bleibt in meinen Augen
aber jeweils leicht hinter dem Original zurück. Am deutlichsten ist das bei der
Musik, die im Produktionsprozeß auch für einige Irrungen und Wirrungen sorgte.
Eine Rückkehr Vangelis' stand wohl bedauerlicherweise nie zur Debatte, da
der bekannt streitbare Grieche und Scott sich beim "Blade
Runner"-Dreh hoffnungslos zerstritten haben. Da war es konsequent, daß Villeneuve
seinem bewährten Stammkomponisten Jóhann Jóhannsson die Aufgabe übertrug – jedoch war er mit dem Resultat dann nicht zufrieden, da sich Jóhannssons
Kompositionen stilistisch zu weit von Vangelis' "Blade Runner"-Score
entfernten. Und so mußte kurzfristig das deutsch-britische Duo Benjamin Wallfisch und Hans
Zimmer (das bereits für "Hidden Figures" kollaborierte)
einspringen, dessen Musik Vangelis'
unverwechselbaren Stil gut imitiert, ohne aber dessen melodische Höhepunkte
aus dem ersten Film replizieren zu können. Ähnlich sieht es bei der Optik aus:
Kameramann Roger Deakins ("Sicario") schafft zweifellos eindrucksvolle Bilder (die auch in
3D gut wirken, wenngleich Deakins selbst kein 3D-Anhänger ist) des düsteren,
hoffnungslos überbevölkerten Los Angeles der gar nicht allzu fernen Zukunft, zudem
glänzt er mit eindrucksvollen und teilweise regelrecht idyllischen Aufnahmen der
kargen Landschaften außerhalb des Großstadt-Molochs; dennoch hat mir Scotts
"Blade Runner" mit seinem etwas farbkräftigeren Design und dem Retrochic
der Fahrzeuge noch besser gefallen. Ungemein authentisch wirkt jedoch die
vorgeführte technologische Fortentwicklung. Vor allem die allgegenwärtigen Hologramme und
besonders die "Überblendung" der holographischen KI Joi auf auf eine
"echte" Frau namens Mariette (Mackenzie Davis, "Der Marsianer") – damit K seine
Gefährtin erstmals berühren kann – sind technisch sehr eindrucksvoll in
Szene gesetzt und das erste Aufeinandertreffen von K und Deckard wird
durch stimmungsvolle holographische Darstellungen im Hintergrund klar aufgewertet. Dennoch: Die Optik und die Technik spielen in "Blade Runner 2049" keine gar so dominante Rolle wie in "Blade Runner", dafür steht der Inhalt stärker im Vordergrund.
Sowohl Denis Villeneuve als auch Drehbuch-Autor Hampton
Fancher und einige den Film "überlebende" Darsteller haben bereits die
grundsätzliche Bereitschaft zu weiteren Abenteuern im "Blade
Runner"-Universum bekundet. Ob es dazu kommen kann, ist angesichts des
hohen Budgets und des recht eng gesteckten Zuschauerpotentials
dieses Arthouse-Science Fiction-Films unklar. Es wäre aber
definitiv wünschenswert. Wer noch ein wenig tiefer in die Welt von "Blade Runner
2049" eintauchen will, der kann das mit drei sehenswerten
Prequel-Kurzfilmen tun, die unter anderem hier zu finden sind: Der 15-minütige
animierte "Black Out 2022" von Shinichirô Watanabe (TV-Serien
"Cowboy Bebop" und "Samurai Champloo") zeigt – mit einem
Gastauftritt des von Edward James Olmos gesprochenen Gaff –, wie es zum
globalen Blackout kam, der viele Daten über die verbliebenen Nexus 8-Replikanten
unwiederbringlich zerstörte; im fünfminütigen "2036: Nexus Dawn" von
Ridley Scotts Sohn Luke versucht Niander Wallace,
einige wichtige Politiker (einer davon wird von "Doctor Strange"-Star
Benedict Wong gespielt) davon zu überzeugen, die Produktion von Replikanten
wieder zu erlauben; und im ebenfalls von Luke Scott inszenierten "2048:
Nowhere to Run" erfahren wir, wie Sapper Morton in das Visier des Los Angeles Police Department
gerät.
Fazit: "Blade Runner 2049" ist ein würdiger
Nachfolger von Ridley Scotts Cyperpunk-Klassiker, der mehr Wert auf Handlung und Figuren legt als Scotts Werk und weniger auf Action – das
wird nicht jeden Geschmack treffen, atmosphärisch ist der Film jedoch wie sein
Vorgänger eine Klasse für sich.
Wertung: 8 Punkte.
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