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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 12. Oktober 2017

BLADE RUNNER 2049 (3D, 2017)

Regie: Denis Villeneuve, Drehbuch: Hampton Fancher und Michael Green, Musik: Benjamin Wallfisch und Hans Zimmer
Darsteller: Ryan Gosling, Harrison Ford, Ana de Armas, Robin Wright, Sylvia Hoeks, Jared Leto, Carla Juri, Dave Bautista, David Dastmalchian, Wood Harris, Lennie James, Barkhad Abdi, Mackenzie Davis, Hiam Abbass, Tómas Lemarquis, Edward James Olmos, Sean Young
Blade Runner 2049
(2017) on IMDb Rotten Tomatoes: 88% (8,2); weltweites Einspielergebnis nach einer Woche: $90,0 Mio.
FSK: 12, Dauer: 164 Minuten.

Nach dem Tod des Firmengründers und Replikantenschöpfers Tyrell und einem von Replikanten verursachten weltweiten Blackout war die Tyrell Corporation dem Untergang geweiht, die Reste wurden aufgekauft von dem Visionär Niander Wallace (Jared Leto, "Dallas Buyers Club"). Der schuf eine neue, im Gegensatz zu den alten Tyrell-Replikanten angeblich völlig ungefährliche Generation der künstlichen Menschen, die im Jahr 2049 weit verbreitet ist und sogar bei der Polizei ihrer Arbeit nachgeht – wenn sich auch die Akzeptanz bei der Bevölkerung aufgrund der schlechten Erfahrungen mit Tyrells Replikanten in Grenzen hält. Einer der neuen Replikanten ist K (Ryan Gosling, "La La Land"), der als Blade Runner bei der Polizei von Los Angeles tätig ist und die letzten verbliebenen Nexus 8-Replikanten (ohne Lebensbegrenzung) aufspüren soll. Als ihm dies bei dem inzwischen als Farmer tätigen Sapper Morton (Dave Bautista, "Guardians of the Galaxy") gelingt, macht K eine überraschende Entdeckung: In der Nähe des Hauses wurde vor Jahrzehnten eine Frau begraben, die sich bei der Untersuchung ihrer Überreste als eine Replikantin herausstellt – und sie starb bei der Geburt ihres Kindes! Da die Fähigkeit zur Fortpflanzung eine ganz neue Perspektive auf die nicht wirklich als Menschen betrachteten und weitgehend rechtlosen Replikanten eröffnet, soll das unbedingt geheim bleiben. Deshalb erhält K von seiner Vorgesetzten Lieutenant Joshi (Robin Wright, "Wonder Woman") den Auftrag, das Kind der Unbekannten zu finden und zu beseitigen. Auch Wallace will das Kind unbedingt, weil er herausfinden will, wie Tyrell seine Replikanten fortpflanzungsfähig machen konnte, weshalb sich seine Assistentin Luv (Sylvia Hoeks, "Das Mädchen und der Tod") an Ks Fersen heftet…

Kritik:
Fortsetzungen sind in Hollywood bekanntlich eher die Regel als die Ausnahme. Aber daß das Sequel eines Kultfilms satte 35 Jahre auf sich warten läßt, das ist dann doch bemerkenswert. Dabei darf man allerdings nicht vergessen, daß Sir Ridley Scotts "Blade Runner" seinerzeit ein kommerzieller Flop war und er bis heute ein durchaus polarisierender Film ist mit seiner betont langsamen Erzählweise, der faszinierenden, aber bruchstückhaften Story und den skizzenhaft gestalteten Figuren. So gesehen und angesichts der zwangsläufig hohen Produktionskosten einer würdigen Fortführung ist es trotz des anhaltenden Kultstatus von Scotts Film lobenswert, daß die zu Sony gehörenden Columbia Pictures nach 35 Jahren (und mehreren gescheiterten Anläufen) tatsächlich grünes Licht für einen mindestens $150 Mio. teuren zweiten Teil gaben. Ausschlaggebend dafür war vermutlich das beteiligte Personal, denn Scott ist als Produzent beteiligt, mit dem Kanadier Denis Villeneuve gewann man einen der besten Filmemacher seiner Generation (der mit "Arrival" auch schon bewiesen hat, daß er anspruchsvolle Science Fiction kann) für die Regie, das Drehbuch stammt erneut von dem inzwischen stramm auf die 80 Jahre zugehenden Hampton Fancher – wenn auch dieses Mal in Zusammenarbeit mit Michael Green ("Logan") statt David Webb Peoples. Nicht zu vergessen: Harrison Ford kehrt in seiner Rolle als früherer Blade Runner Rick Deckard zurück! Ob sich Columbias Engagement in finanzieller Hinsicht rentieren wird, ist noch offen, die Dankbarkeit der Filmfans hat sich das Filmstudio aber definitiv verdient, denn "Blade Runner 2049" ist eine mehr als würdige Fortsetzung, die dem poetischen Geist und den Stärken des Vorgängers verbunden bleibt, aber die Handlung und die dystopische Filmwelt intelligent weiterentwickelt.
Mein größtes Problem mit "Blade Runner" waren die einem allesamt ziemlich fremd bleibenden Charaktere und die sehr in Andeutungen verhaftete Handlung. Genau hier macht "Blade Runner 2049" eine deutlich bessere Figur. Vor allem Protagonist K fühlt man sich schnell nahe, was sicher damit zusammenhängt, daß von Anfang an klar ist, daß er ein Replikant ist, wohingegen der erste Film auch vom Rätseln darüber lebte, ob Deckard ein "echter" oder ein künstlicher Mensch ist. Dieses Schema bei K zu wiederholen, hätte sowieso recht phantasielos gewirkt, aber auf ein Mysterium um die Hauptfigur muß man dennoch nicht verzichten, da K schnell den Verdacht hegt, er selbst könnte dieses natürlich geborene Replikantenkind sein (mit falschen Erinnerungen). Das ist ein sehr geschickter Schachzug des Drehbuchs, da auf diese Weise ein ähnliches Geheimnis eine bedeutende Rolle spielt wie im ersten Teil, ohne daß es aufgesetzt oder repetitiv wirkt. Zugleich eröffnet die Klarheit über Ks Dasein als Replikant die Möglichkeit, viel tiefer in sein von Ryan Gosling vortrefflich gespieltes Denken und Fühlen einzutauchen als das bei Deckard der Fall war. Vor allem Ks bemerkenswert zarte und feinfühlige Beziehung zu seiner holographischen KI-Freundin Joi (sehr ausdrucksstark gespielt von der Kubanerin Ana de Armas aus "Overdrive", die ein wenig wie Felicity Jones aussieht) sorgt dafür, daß wir mit K mitfühlen und uns mit ihm identifizieren können, aber auch seine heimliche Bewunderung für seine taffe Chefin Lt. Joshi – die ihrerseits leider etwas zu kurz kommt, was angesichts des großen Könnens ihrer Darstellerin Robin Wright besonders bedauerlich ist.
Auf der anderen Seite zeigt Jared Leto eine gute Leistung als blinder Visionär Niander Wallace, wobei er dessen mysteriöse Aura perfekt zur Geltung bringt und ein bißchen so wirkt wie Peter Weyland – ebenfalls ein Schöpfer künstlicher Menschen – in Ridley Scotts "Prometheus" und "Alien: Covenant". Wie schon sein "Blade Runner"-Vorgänger Tyrell muß jedoch auch Wallace mit wenigen Szenen auskommen, weshalb es beinahe den Anschein hat, als würde er für eine mögliche weitere Fortsetzung in Stellung gebracht. Eine größere praktische Relevanz hat seine loyale Assistentin Luv – ebenfalls eine Replikantin –, die K heimlich auf Schritt und Tritt folgt, um an das Wunderkind (dessen religiöse Heilands-Komponente natürlich unübersehbar ist, in der Handlung aber ziemlich subtil behandelt wird) zu kommen, ehe K es "in den Ruhestand schicken" kann. Sie ist quasi das Gegenstück zu Rutger Hauers Roy Batty im Vorgänger, auch wenn sie leider keine so denkwürdigen Momente und Dialoge wie Batty spendiert bekommen hat. Generell sind die Figuren in "Blade Runner 2049" aber viel besser ausgearbeitet, was auch mit der bemerkenswerten, die Geduld mancher Zuschauer bestimmt strapazierenden Laufzeit von über zweieinhalb Stunden liegt. Zusätzlich gibt es wiederum einige markante Nebenfiguren, die nur wenige Szenen haben – neben Dave Bautistas Sapper Morton (von dem ich gerne mehr gesehen hätte) etwa die von der schweizerischen "Feuchtgebiete"-Hauptdarstellerin Carla Juri verkörperte Erinnerungsexpertin Dr. Stelline, Rückkehrer Edward James Olmos als Deckards früherer Kollege und Origami-Fanatiker Gaff, Lennie James ("The Walking Dead") als Ausbeuter Mister Cotton, der Polizei-Techniker Coco (David Dastmalchian, "Ant-Man") oder Barkhad Abdi ("Captain Phillips") als Doc Badger. Und dann ist da natürlich Harrison Ford, der im letzten Filmdrittel seine ikonische Rolle als Rick Deckard wieder aufnimmt und die Handlung sofort an sich reißt – wobei er sowohl im Kampf als auch in der Zusammenarbeit sehr gut mit Gosling harmoniert.
Apropos Kampf: Im Vergleich zu "Blade Runner" ist "Blade Runner 2049" weniger actionlastig ausgefallen. Trotz fast einer Stunde längerer Laufzeit dürften die Kampf- und Actionsequenzen insgesamt sogar etwas weniger Minuten in Anspruch nehmen, womit noch mehr als schon bei Scotts Film gilt: "Blade Runner 2049" ist nichts für Kinogänger, die beim Genre Science Fiction an permanente Actiongewitter denken! Selbstverständlich gibt es trotzdem einige Kämpfe, von denen mir gleich der erste zwischen K und Sapper Morton am besten gefallen hat. Aber anders als noch im ersten Teil, in dem Deckards aufregend choreographierte Kämpfe gegen die Nexus 6-Replikanten zu den Highlights zählten, rückt die Action hier deutlich in den Hintergrund. Das hat Vor- und Nachteile: Gut ist, daß so mehr Zeit auf Story und Charaktere verwendet wird; ein Nachteil ist, daß die Kampf-Choreographie der Kämpfe zwar sehr kompetent ist, dabei aber nicht an die außergewöhnliche Qualität des Vorgängers heranreicht. Das trifft übrigens auch auf den Showdown zu, der zwar weniger in die Länge gezogen ist als Deckards Duell mit Batty, aber dafür enttäuschend unspektakulär, ja sogar antiklimaktisch wirkt – beinahe so, als hätten die Filmemacher das Gefühl gehabt, dem Publikum einfach einen klassischen Endkampf bieten zu müssen. Dabei wäre das gar nicht nötig gewesen, da "Blade Runner 2049" mit seiner gut durchdachten Handlungsentwicklung dem Publikum mehr als genug Material zum Nachdenken mit auf den Nachhauseweg gibt. Die Story ist stärker ausgearbeitet, die philosophischen und ethischen Fragestellungen kommen auch dank des Replikanten-Protagonisten im Vergleich zu den früheren, rebellischeren Generationen direkter zur Sprache und werden nicht mehr bloß angedeutet. Manch einer wird vermutlich die extreme Subtilität des Vorgängers vorziehen, aber auch die Fortsetzung ist weit davon entfernt, alles bis ins letzte Detail zu erklären. Letztlich ist es Geschmackssache, ich persönlich finde den etwas weniger rätselhaften Ansatz des zweiten Teils besser. Aber: Das "Blade Runner"-Universum ist und bleibt eines, bei dem man mitdenken muß – und das ist auch gut so!
Der leichte Qualitätsrückgang bei den Actionsequenzen deckt sich mit meinem Urteil bezüglich der visuellen und akustischen Gestaltung des Films. Bekanntlich hat "Blade Runner" seinen Kultstatus zu einem nicht geringen Anteil der phantastischen Bildsprache, der toll gestalteten futuristischen Welt und der denkwürdigen musikalischen Untermalung durch den griechischen Klangzauberer Vangelis zu verdanken. Zwar ist "Blade Runner 2049" in jedem dieser Bereiche gut bis sehr gut aufgestellt (und wurde mit OSCARs für Kamera und visuelle Effekte belohnt), bleibt in meinen Augen aber jeweils leicht hinter dem Original zurück. Am deutlichsten ist das bei der Musik, die im Produktionsprozeß auch für einige Irrungen und Wirrungen sorgte. Eine Rückkehr Vangelis' stand wohl bedauerlicherweise nie zur Debatte, da der bekannt streitbare Grieche und Scott sich beim "Blade Runner"-Dreh hoffnungslos zerstritten haben. Da war es konsequent, daß Villeneuve seinem bewährten Stammkomponisten Jóhann Jóhannsson die Aufgabe übertrug – jedoch war er mit dem Resultat dann nicht zufrieden, da sich Jóhannssons Kompositionen stilistisch zu weit von Vangelis' "Blade Runner"-Score entfernten. Und so mußte kurzfristig das deutsch-britische Duo Benjamin Wallfisch und Hans Zimmer (das bereits für "Hidden Figures" kollaborierte) einspringen, dessen Musik Vangelis' unverwechselbaren Stil gut imitiert, ohne aber dessen melodische Höhepunkte aus dem ersten Film replizieren zu können. Ähnlich sieht es bei der Optik aus: Kameramann Roger Deakins ("Sicario") schafft zweifellos eindrucksvolle Bilder (die auch in 3D gut wirken, wenngleich Deakins selbst kein 3D-Anhänger ist) des düsteren, hoffnungslos überbevölkerten Los Angeles der gar nicht allzu fernen Zukunft, zudem glänzt er mit eindrucksvollen und teilweise regelrecht idyllischen Aufnahmen der kargen Landschaften außerhalb des Großstadt-Molochs; dennoch hat mir Scotts "Blade Runner" mit seinem etwas farbkräftigeren Design und dem Retrochic der Fahrzeuge noch besser gefallen. Ungemein authentisch wirkt jedoch die vorgeführte technologische Fortentwicklung. Vor allem die allgegenwärtigen Hologramme und besonders die "Überblendung" der holographischen KI Joi auf auf eine "echte" Frau namens Mariette (Mackenzie Davis, "Der Marsianer") – damit K seine Gefährtin erstmals berühren kann – sind technisch sehr eindrucksvoll in Szene gesetzt und das erste Aufeinandertreffen von K und Deckard wird durch stimmungsvolle holographische Darstellungen im Hintergrund klar aufgewertet. Dennoch: Die Optik und die Technik spielen in "Blade Runner 2049" keine gar so dominante Rolle wie in "Blade Runner", dafür steht der Inhalt stärker im Vordergrund.
Sowohl Denis Villeneuve als auch Drehbuch-Autor Hampton Fancher und einige den Film "überlebende" Darsteller haben bereits die grundsätzliche Bereitschaft zu weiteren Abenteuern im "Blade Runner"-Universum bekundet. Ob es dazu kommen kann, ist angesichts des hohen Budgets und des recht eng gesteckten Zuschauerpotentials dieses Arthouse-Science Fiction-Films unklar. Es wäre aber definitiv wünschenswert. Wer noch ein wenig tiefer in die Welt von "Blade Runner 2049" eintauchen will, der kann das mit drei sehenswerten Prequel-Kurzfilmen tun, die unter anderem hier zu finden sind: Der 15-minütige animierte "Black Out 2022" von Shinichirô Watanabe (TV-Serien "Cowboy Bebop" und "Samurai Champloo") zeigt – mit einem Gastauftritt des von Edward James Olmos gesprochenen Gaff –, wie es zum globalen Blackout kam, der viele Daten über die verbliebenen Nexus 8-Replikanten unwiederbringlich zerstörte; im fünfminütigen "2036: Nexus Dawn" von Ridley Scotts Sohn Luke versucht Niander Wallace, einige wichtige Politiker (einer davon wird von "Doctor Strange"-Star Benedict Wong gespielt) davon zu überzeugen, die Produktion von Replikanten wieder zu erlauben; und im ebenfalls von Luke Scott inszenierten "2048: Nowhere to Run" erfahren wir, wie Sapper Morton in das Visier des Los Angeles Police Department gerät.

Fazit: "Blade Runner 2049" ist ein würdiger Nachfolger von Ridley Scotts Cyperpunk-Klassiker, der mehr Wert auf Handlung und Figuren legt als Scotts Werk und weniger auf Action – das wird nicht jeden Geschmack treffen, atmosphärisch ist der Film jedoch wie sein Vorgänger eine Klasse für sich.

Wertung: 8 Punkte.


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