Regie: David Leitch, Drehbuch: Kurt Johnstad, Musik: Tyler
Bates
Darsteller: Charlize Theron, James McAvoy, John Goodman,
Toby Jones, Sofia Boutella, Eddie Marsan, Roland Møller, James Faulkner, Bill
Skarsgård, Til Schweiger, Jóhannes Jóhannesson, Barbara Sukowa, Sam Hargrave,
Daniel Bernhardt
FSK: 16, Dauer: 115 Minuten.
Berlin, 1989, wenige Tage nach dem Fall der Mauer: Die
britische Agentin Lorraine Broughton (Charlize Theron,
"Prometheus") muß ihrem direkten Vorgesetzten Eric Gray (Toby Jones,
"My Week with Marilyn"), dem MI6-Chef C (James Faulkner, "Underworld:
Blood Wars") und auch dem hochrangigen CIA-Agenten Emmett Kurzfeld (John
Goodman, "Flight") Bericht erstatten über die turbulenten Ereignisse der letzten
zehn Tage. Alles begann mit dem gewaltsamen Tod des britischen Geheimagenten James
Gascoigne (Sam Hargrave), der von dem zum Überlaufen bereiten Stasi-Offizier "Spyglass" (Eddie Marsan, TV-Serie "Ray
Donovan") eine hochbrisante Liste mit den Namen aller aktiven Spione in
der Sowjetunion erhielt. Ermordet wurde Gascoigne vom russischen Agenten
Yuri Bakhtin (Jóhannes Jóhannesson, "Reykjavík-Rotterdam: Tödliche
Lieferung"), der allerdings dem Reiz des Kapitalismus erliegt und die
Liste nicht etwa seinem Vorgesetzten Aleksander Bremovych (Roland Møller,
"Unter dem Sand") übergibt, sondern sie an den Meistbietenden
verkaufen will. Gemeinsam mit ihrem ortskundigen, jedoch etwas außer
Kontrolle seiner Vorgesetzten geratenen Kollegen David Percival (James McAvoy,
"Wanted") soll Lorraine die Liste unbedingt wiederbeschaffen.
Mit im Spiel sind allerdings auch noch die unerfahrene französische Agentin
Delphine Lasalle (Sofia Boutella, "Star Trek Beyond") und ein
geheimnisvoller Doppelagent namens Satchel, dessen Identität niemand kennt …
Kritik:
Offenbar ist Charlize Theron auf den Geschmack gekommen:
Nach ihrer denkwürdigen Badass-Performance in "Mad Max: Fury Road", in
dem sie Titeldarsteller Tom Hardy (der wohlgemerkt keineswegs schlecht
spielte) aber sowas von die Schau stahl, zeigt sich das südafrikanische
Ex-Model, das sich zu einer der besten Schauspielerinnen Hollywoods entwickelt
hat, erneut als kampfstarke, kompromißlose Actionheldin. "Atomic
Blonde" – eine Adaption der Graphic Novel "The Coldest City" von
Antony Johnston – war seit Jahren ein
Wunschprojekt für sie, weshalb sie nicht nur die Hauptrolle spielt,
sondern ebenso als Koproduzentin fungiert. Theron war es auch, die einen
der beiden Regisseure des stylishen Rachethrillers "John Wick" mit
Keanu Reeves für "Atomic Blonde" begeistern konnte, nämlich David
Leitch. Dementsprechend ist es wenig verwunderlich, daß "Atomic
Blonde" ein bißchen wie eine weibliche Version von "John Wick"
wirkt, wenn es auch im Detail doch einige Unterschiede gibt. Eine Gemeinsamkeit
ist, daß beide Filme viel Spaß machen und von einem charismatischen
Protagonisten getragen werden – "Atomic Blonde" zeigt sich jedoch
inhaltlich ambitionierter, was bedauerlicherweise ob einer nicht
fehlerfreien Umsetzung dazu führt, daß er bei aller Unterhaltsamkeit insgesamt
etwas schwächer ausfällt.
"John Wick" zeichnete sich unter anderem durch
seine Geradlinigkeit aus, dadurch, daß man gar nicht erst versuchte, eine
komplexe Story zu erzählen. Die Prämisse war klar: Legendärer
Ex-Auftragskiller geht auf blutigen Rachefeldzug. Mehr Handlung war nicht nötig,
damit der Film wunderbar funktionierte (wenngleich ein paar interessante
Hintergrund-Infos am Rande natürlich nicht schadeten). "Atomic
Blonde" geht es fast gegenteilig an, indem der in seiner bisherigen
Arbeit nicht unbedingt durch übermäßige Subtilität aufgefallene Drehbuch-Autor Kurt
Johnstad ("300", "300 – Rise of an Empire", "Act of
Valor") ein sehr kompliziertes Geflecht aus Spionen etabliert, dessen
sehr offensichtliches Vorbild John le Carré ist, der Autor der Romanvorlagen
zu "Der Spion, der aus der Kälte kam", "Dame, König, As, Spion" oder auch "A Most Wanted Man". "Atomic Blonde"
ist gewissermaßen le Carré auf Speed, allerdings mit einer erheblichen
Einschränkung: Wo le Carrés brillant konstruierte, nur eher sporadisch auf
Action setzende Geschichten geradezu bersten vor echter Komplexität und teils richtiggehend philosophischem Tiefgang, gaukelt "Atomic
Blonde" mit seinem ähnlich großen Ensemble erkennbar von le Carré
inspirierter Figuren dies größtenteils nur vor. Wie beim großen Vorbild wird
die in der Endphase des Kalten Krieges spielende Spionagegeschichte als
ein perfides (anders als bei le Carré aber bereits auf der körperlichen Ebene sehr brutales) Schachspiel voller Täuschungen, Intrigen und raffinierter Manöver
dargestellt, jedoch geht die Handlung hier nie wirklich in die Tiefe und die
hohe Anzahl an "Spielern" soll eigentlich nur verbergen, daß es sich
bei der begehrten Liste um einen reinen MacGuffin handelt.
Das ist per se ja gar nicht schlecht und man kann sicherlich
nicht leugnen, daß die ständigen Wendungen und Enthüllungen (inklusive eines
amourösen Abstechers von Lorraine) ziemlich großen Unterhaltungswert besitzen
und zum Mitraten anregen, wer denn nun eigentlich der wahre Bösewicht ist. Denn
in Frage kommt dafür jeder, Lorraine keinesfalls ausgenommen! Nur kommt
"Atomic Blonde" dabei etwas zu selbstverliebt daher, während die
meisten Figuren letztlich Stereotype ohne Tiefgang bleiben. Das sorgt dafür,
daß das Interesse des Publikums an ihnen begrenzt bleibt, was wiederum der
Grund dafür ist, daß "Atomic Blonde" im Mittelteil einige Längen
offenbart. Fast zwei Stunden sind zu viel für eine erzählerisch so
limitierte Story; nicht umsonst beschränkte sich "John
Wick" auf knackige gut eineinhalb Stunden (wenngleich dessen
Fortsetzung darauf gut 20 Minuten aufschlug). Die Stärken von "Atomic
Blonde" liegen eben nicht primär in der Handlung oder in den Nebenfiguren.
Nein, Leitchs Film lebt von drei gut bis sehr gut eingesetzten Elementen:
Charlize Theron, der fast pausenlosen Action und dem 1980er Jahre-Soundtrack. Theron beweist
wieder einmal, daß sie einen Film tragen kann mit ihrer Ausstrahlung, ihrer –
wenngleich hier aufgrund ihrer Rolle eher reduzierten – Mimik, ihren Kampfsportfähigkeiten und natürlich auch ihrer Schönheit. Zwar begeistert sie nicht ganz so sehr wie in
"Mad Max" (der einfach der noch deutlich bessere Film ist), doch Lorraine beim Manövrieren durch das spionagetechnische Minenfeld Berlin
zuzusehen, ist eine wahre Freude und ich kann mir durchaus vorstellen, daß sie
sich zum weiblichen Pendant von Liam Neeson als nicht mehr ganz junge Actionheldin
entwickelt – falls sie das will. Von den übrigen Akteuren überzeugt am
meisten James McAvoy; der Schotte war schon immer besonders gut, wenn er so
richtig die Sau rauslassen konnte, wie etwa in "Filth" oder
"Split". Hier ist das nicht ganz der Fall, aber sein Agent Percival
ist exzentrisch, undurchschaubar und zwielichtig genug, daß sich McAvoy
austoben kann und seine Spielfreude dabei klar erkennbar ist. John Goodman und
Toby Jones sind dagegen in weitestgehend passiven Rollen eigentlich verschenkt,
andererseits verleihen sie der Rahmenhandlung rund um Lorraines Befragung allein
durch ihre Präsenz eine größere Bedeutung. Da "Atomic Blonde"
in Berlin spielt und teilweise auch dort gedreht wurde (zweiter Drehort war
Budapest), sind in kleinen Rollen auch zwei deutsche Darsteller vertreten:
Til Schweiger ("Die drei Musketiere") spielt einen Uhrmacher, der als eine Art Mittelsmann der diversen
Spione zu fungieren scheint, Barbara Sukowa ("Rosa Luxemburg",
"Hannah Arendt", TV-Serie "12 Monkeys") hat eine Szene als
Gerichtsmedizinerin.
Die Actionpassagen sind in "Atomic Blonde"
selbstredend überreichlich vertreten und dabei nahkampflastiger als im eher auf Shootouts
setzenden "John Wick", meines Erachtens jedoch nicht ganz so
spektakulär choreographiert. Der lange, vorgezogene Showdown bei Spyglass' Transport
nach West-Berlin ist allerdings definitiv sehr sehenswert, weil temporeich
inszeniert und mit der Einbindung von Nahkämpfen, Schießereien und einer aufregenden, ohne Einsatz von CGI-Effekten schön altmodisch in Szene gesetzten Autoverfolgungsjagd auch erfreulich mannigfaltig.
Daran, daß Berlin Schauplatz der Geschichte ist, wird man übrigens durch die
Einbindung diverser Sehenswürdigkeiten immer wieder erinnert – wirklich wichtig
ist die Stadt allerdings nicht, das haben andere Filme besser hinbekommen, in
denen der Schauplatz quasi zu einem weiteren Akteur wurde. Passend untermalt wird
die Szenerie dafür stets von einem hörenswerten 1980er Jahre-Soundtrack, der
sowohl zeitgenössische Songs – von David Bowie, New Order, Depeche Mode, George Michael
oder The Clash – umfaßt als auch moderne, aber im damaligen Stil gehaltene
Coverversionen. Lieder von deutschsprachigen Künstlern kommen auch einige vor;
zwar ist die Auswahl nicht gerade originell (Nena, Falco, Peter Schilling),
aber wenn Lorraine zur Musik von Schillings "Major Tom" in Berlin ankommt und
gleich in die erste große Actionsequenz verwickelt wird, dann hat das definitiv
Stil! Gleiches gilt für einen späteren Kampf, der auf einer
Kinobühne stattfindet, während im Hintergrund Andrei Tarkovskis Sowjet-Kultfilm "Stalker" läuft. Ach, und wo wir schon bei popkulturellen
Referenzen sind: In einer Bar voller Spione, was spielt da wohl im Hintergrund
der Pianist? Richtig, "As Time Goes By" aus "Casablanca" …
Eine Fortsetzung ist bereits im Gespräch, da
"Atomic Blonde" zwar in kommerzieller Hinsicht kein Riesenhit ist,
aber auf jeden Fall ein Erfolg – und im Heimkino sollte sich der Film sowieso sehr gut verkaufen. Charlize Theron und David Leitch haben jedenfalls
bereits großes Interesse daran bekundet, zurückzukehren – und ich freue mich
darauf, dann aber hoffentlich mit einem Drehbuch, das sich stärker auf die offensichtlichen Stärken dieses Szenarios konzentriert und nicht mehr sein will als es ist.
Fazit: "Atomic Blonde" ist ein temporeicher
Actionthriller, dessen Handlung zwar bei weitem nicht so komplex ist wie sie
gerne sein möchte, der aber mit stark choreographierten Kämpfen und einer
tollen Hauptdarstellerin Genrefans gut unterhält.
Wertung: 7 Punkte.
Wertung: 7 Punkte.
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