Regie: Tom
McCarthy, Drehbuch: Josh Singer und Tom McCarthy, Musik: Howard Shore
Darsteller:
Michael Keaton, Mark Ruffalo, Rachel McAdams, Brian d'Arcy James, Billy Crudup, Liev
Schreiber, John Slattery, Jamey Sheridan, Len
Cariou, Paul Guilfoyle, Richard Jenkins (Stimme), Duane Murray
FSK: 0, Dauer: 129 Minuten.
Als der "The Boston Globe" im Jahr 2001 mit Marty
Baron (Liev Schreiber, "Der Butler") einen neuen Herausgeber bekommt,
setzt der das auf Langzeitrecherchen spezialisierte investigative
"Spotlight"-Team an einen Fall über den sexuellen Mißbrauch von
Kindern durch katholische Priester. Die Journalisten Walter Robinson
(Michael Keaton, "Birdman"), Sacha Pfeiffer (Rachel McAdams, "A Most Wanted Man"), Michael Rezendes (Mark Ruffalo, "Can a Song Save Your Life?") und Matt Carroll (Broadway-Star Brian d'Arcy James) sollen den Gerüchten nachgehen, daß der Erzbischof von Boston (Len Cariou,
TV-Serie "Blue Bloods") seit vielen Jahren von entsprechenden Fällen weiß,
sie jedoch vertuscht und damit beschuldigte pädophile Priester geschützt hat. Obwohl
die Kirche und deren Unterstützer dem Spotlight-Team einige Steine in den Weg
legen, finden die zunehmend schockierten Reporter bald heraus, daß sie einem
viel größeren Skandal auf der Spur sind, als sie es sich je hätten träumen
lassen …
Kritik:
Das Rennen um den OSCAR für den besten Film des Jahres 2015
war so spannend und so divers wie lange nicht: Ein archischer Schneewestern mit
dem derzeit wohl global populärsten Schauspieler überhaupt ("The Revenant") gegen ein absolutes irres, vor ungehemmter Energie strotzendes
Endzeit-Actionspektakel ("Mad Max: Fury Road") gegen ein betont
unspektakulär inszeniertes, aber sehr engagiertes und auf Tatsachen beruhendes
Journalismus-Thriller-Drama mit ernster Thematik ("Spotlight"). Wer hätte
da schon gedacht, daß sich am Ende tatsächlich "Spotlight"
durchsetzen würde? Nunja, ich beispielsweise – so viel Eigenlob muß sein … –,
ansonsten aber nicht viele. Daß es so kam, ist mal wieder ein Testament dafür,
welch wichtiger Grundpfeiler Hollywoods sozial engagierte Filme sind. Natürlich
geht es den Studios primär um das Geldverdienen, dafür eignen sich
spektakuläre Großproduktionen mit Franchise-Potential zumindest derzeit am besten
(als die Spezialeffekte noch nicht so relativ einfach am Computer herzustellen
waren, sah das ein bißchen anders aus); doch damit die Filmbranche nicht
ihren Bezug zu den normalen Kinogängern verliert und ihre gesellschaftliche
Relevanz, braucht es Filme wie "Selma" oder "Carol" – oder
"Spotlight". Filme, die sich unabhängig vom vermuteten
Massengeschmack auf die Stärke der Geschichten verlassen, die sie erzählen und
darauf, daß sie, wenn sie gut genug gemacht sind, auch ein dankbares
Publikum finden werden. "Spotlight" ist ein Musterbeispiel dafür und
deshalb auch ein verdienter OSCAR-Gewinner.
Seit Tom McCarthys ("Station Agent") penibel
recherchiertes Thriller-Drama Premiere feierte, wurde es mit einem
anderen Journalismus-Film verglichen – DEM bisherigen Journalismus-Film
überhaupt, um genau zu sein: Alan J. Pakulas "Die Unbestechlichen"
aus dem Jahr 1976. Das ist selbstverständlich ein sehr naheliegender Vergleich,
geht es doch hier wie dort um einige engagierte investigative Reporter, die
durch hartnäckige Recherchen und unerschütterliches, unkorrumpierbares
journalistisches Handwerk einen großen Skandal aufdecken. Letztlich sind das
klassische Underdog-Storys: die kleinen, bürgerlichen Journalisten, die sich mutig
gegen die Mächtigen auflehnen und auf ganz nüchterne Art und Weise zeigen, was
man mit harter Arbeit bewirken kann. Nicht umsonst ist die Gattung des Journalismus-Films
eng verknüpft mit den Whistleblower-Filmen, in denen die Underdog-Thematik
besonders stark ausgeprägt ist – ich erinnere nur an Michael Manns Meisterwerk
"Insider" über einen ehemaligen Mitarbeiter der Tabakindustrie
(gespielt von Russell Crowe), der sein schockierendes Insiderwissen einem investigativen
TV-Team offenbart. In "Die Unbestechlichen" und in
"Spotlight" gibt es ebenfalls solche Whistleblower, doch liegt hier der
Schwerpunkt klar auf der Arbeit der Journalisten. In dramaturgischer Hinsicht ist
das auf den ersten Blick ein Nachteil, schließlich sind es in der Regel die
Informanten, die ein viel größeres persönliches Risiko eingehen, die häufiger
bedroht oder gar attackiert werden – ein gefundenes Fressen für einen
spannungsreichen Thriller. Die Journalisten selbst bekommen solchen Druck –
zumindest in demokratischen Staaten – in der Regel nur indirekt und stark
gefiltert zu spüren, was Drehbuch-Autoren durchaus vor Probleme stellen
kann. Denn wie spannend ist es schon, aufrechten Reportern zwei Stunden lang dabei
zuzusehen, wie sie alte Artikel lesen, neue Zusammenhänge herstellen und gelegentlich einen (häufig unwilligen) Zeugen oder dessen Anwalt befragen?
Ehrliche Antwort: nicht überragend spannend. Und obwohl das
kein entscheidender Mangel von "Spotlight" ist, ist es doch ein
kleines Problem – gerade im Zusammenspiel mit der Tatsache, daß jeder, der auch
nur ansatzweise die Nachrichten verfolgt, ganz genau weiß, daß es solche
Mißbrauchsskandale in der katholischen Kirche vielfach gab, womit auch die
Recherchen des "Spotlight"-Teams zu diesem konkreten, in Europa nicht so bekannten Fall keine größeren Überraschungen mehr an
den Tag bringen können. Das war den beiden Drehbuch-Autoren natürlich klar, weshalb sie die eher mittelmäßige Spannung mit starken Figuren
kompensieren, die gerade mit ihren authentischen Reaktionen auf das,
was sie alles erfahren, für die nötige emotionale Bindung sorgen. Von entscheidender
Bedeutung ist naturgemäß die Besetzung der Rollen – und die ist absolut
tadellos. Mit Mark Ruffalo und Rachel McAdams wurden zwei aus dem Ensemble für
OSCARs nominiert, aber die Leistungen der übrigen Darsteller – neben den
Journalisten wäre dabei in erster Linie Stanley Tucci als Opferanwalt Mitchell
Garabedian zu nennen – stehen dahinter kein Stück zurück, was ebenfalls der
überlegten und prägnanten Figurenzeichnung zu verdanken ist. Daß Ruffalo ein
klein wenig herausragt, liegt vor allem daran, daß der von ihm verkörperte
Michael Rezendes die emotionalste Rolle in "Spotlight" ist, der das
Drehbuch die meisten starken Szenen und zornigen Gefühlsausbrüche gönnt. Denn
diese emotionalen Reaktionen der Journalisten sind es, die für den Zuschauer am
stärksten die mangelnde inhaltliche Spannung wettmachen – wenn Robinson,
Pfeiffer und Co. wieder einmal ein neues kleines, aber schockierendes Detail
aufgedeckt haben (das das Publikum so oder so ähnlich vermutlich bereits
aus den Nachrichten kennt), verleihen ihre glaubwürdig entsetzten,
fassungslosen Reaktionen darauf ihnen Bedeutung. Das gilt natürlich sogar noch stärker für
die gelegentlichen Aussagen von Mißbrauchsopfern, bei denen Regisseur McCarthy
stets genau die Balance wahrt zwischen "genau genug, um das wahre Ausmaß der
Verbrechen verstehen zu können" und "nicht so detailliert, daß es
voyeuristisch wirkt".
Überhaupt ist diese ausgewogene Machart die wohl größte
Stärke von "Spotlight", denn der Film verweigert sich sehr konsequent den
mannigfaltigen Möglichkeiten, sein brisantes Thema effekthascherisch aufzubauschen oder
die Kirche frontal anzugreifen (was wohlgemerkt auch gerechtfertigt wäre
und in anderen Filmen wie der düsteren belgischen Satire "In the Name of the Son" ja schon gemacht wurde). Die Kirche beziehungsweise deren weißgott
nicht wenige Vertreter, die bei dem Thema Schuld auf sich geladen haben,
werden natürlich offen kritisiert, aber es ist keine pauschale
Fundamentalkritik, sondern eine, die sich tatsächlich ganz konkret auf die (erheblichen) individuellen, aber auch systemischen Verfehlungen konzentriert – und ebenso auf
willfährige Helfer aus Politik, Justiz und Wirtschaft, die bei der
jahrzehntelangen Vertuschung behilflich waren. Die Versuche, die Reporter
von ihren Recherchen abzubringen oder sie zumindest stark dabei zu behindern,
fallen übrigens zwar teilweise fies und raffiniert, aber doch vergleichsweise harmlos und damit umso glaubwürdiger aus – wodurch gleichzeitig eine klassische Bösewicht-Rolle innerhalb der Filmhandlung entfällt. Nein,
"Spotlight" ist nicht rachsüchtig, er will lediglich eine gewaltige
Ungerechtigkeit nachzeichnen und damit ein wenig mithelfen, den Opfern
Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Und er will zeigen, wie wichtig auch oder vielleicht sogar gerade im Internet-Zeitalter (in dem viele junge Journalisten das "echte" Recherchieren abseits von Google und Wikipedia nie richtig gelernt zu haben scheinen) die Presse als kontrollierende "vierte Macht" im Staate ist, angetrieben von unbestechlichen und leidenschaftlichen Journalisten (von denen es vermutlich zu wenige gibt). Das sind hehre Ziele, die Regisseur
McCarthy und sein Team jedoch hundertprozentig erreichen.
Fazit: "Spotlight" ist ein unspektakulärer,
aber sehr engagiert erzählter und genau beobachteter Journalismus-Thriller, dessen preiswürdiges
Schauspiel-Ensemble das Publikum mitnimmt auf die anstrengende und unglamouröse Suche nach
Gerechtigkeit.
Wertung: 8,5 Punkte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen