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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Mittwoch, 4. November 2015

MACBETH (2015)

Regie: Justin Kurzel, Drehbuch: Jacob Koskoff, Michael Lesslie und Todd Louiso, Musik: Jed Kurzel
Darsteller: Michael Fassbender, Marion Cotillard, David Thewlis, Sean Harris, Paddy Considine, Jack Reynor, Elizabeth Debicki, David Hayman, Ross Anderson
Macbeth
(2015) on IMDb Rotten Tomatoes: 79% (7,2); weltweites Einspielergebnis: $16,3 Mio.
FSK: 12, Dauer: 113 Minuten.

Schottland, 11. Jahrhundert: Die Rebellion gegen König Duncan (David Thewlis, "Regression") steht kurz vor dem Triumph, als Duncans tapferer Heerführer Macbeth (Michael Fassbender, "Shame") mit dem letzten Aufgebot die entscheidende Schlacht doch für sich entscheiden kann. Noch auf dem nebelverhangenen Schlachtfeld wird er Zeuge der Prophezeiung dreier Hexen, die ihm unter anderem weissagen, daß er dereinst König wird. Als sich ein Teil der Prophezeiung binnen kürzester Zeit erfüllt, ist Macbeth wie besessen von der Erlangung der Königswürde, und auf Drängen seiner Ehefrau (Marion Cotillard, "The Dark Knight Rises") tötet er den König heimlich des Nachts in seinem Zelt. Da Duncans Sohn Malcolm (Jack Reynor, "Unbroken"), der Thronfolger, nach England flieht, wird Macbeth tatsächlich zum neuen König ernannt. Doch noch ist nicht die gesamte Prophezeiung erfüllt, und das trübt das Seelenheil des frisch gekrönten Herrschers ganz erheblich …

Kritik:
Als ich sah, daß mein Stammkino die neueste von inzwischen beinahe zahllosen "Macbeth"-Verfilmungen auch in der Originalfassung mit deutschen Untertiteln zeigt, war für mich die Sache klar: Wenn ich schon die Chance habe, Shakespeare auf Englisch zu sehen und zu hören, dann werde ich die auch wahrnehmen. Rückblickend betrachtet war das ein Fehler. Bekanntlich ist das Shakespeare-Englisch sowieso schon anspruchsvoll, weshalb ich über die deutschen Untertitel froh war – Shakespeare-Englisch mit schottischem Akzent ist aber noch mal eine ganz andere Liga. Kurzum: Ich war im Grunde genommen schon froh, ab und zu mal einen kompletten Satz verstehen zu können. Aber gut, dafür sind ja die Untertitel da. Problem: Die orientieren sich vermutlich an der gängigen, recht freien Übersetzung des Bühnenstücks anstatt – wie sonst bei untertitelten Filmen üblich – eine möglichst wörtliche Übertragung ins Deutsche zu bieten. Das erschwert das Verständnis des Gesagten zusätzlich, da man nicht einfach nur kurz auf die Untertitel achten kann, wenn man ein Wort oder einen Satzteil nicht verstanden hat, da die "Übersetzung" eben nicht ansatzweise wortgetreu ist. Glücklicherweise habe ich schon mehrere "Macbeth"-Versionen gesehen, weshalb sich aus der kleinen Misere für mich keine wirklichen Verständnisprobleme der Handlung ergaben – aber den Filmgenuß trübt die Konstellation eindeutig. Diese Vorbemerkung ist wichtig, weil meine Rezension von Justin Kurzels bildgewaltiger Adaption des "Scottish Play" deutlich negativer ausfällt als viele andere – inwiefern das durch meine leicht problematische OmU-Sichtung beeinflußt ist, läßt sich schwer beurteilen, ich will es aber jedenfalls nicht verheimlichen.

Dabei ist "Macbeth" eigentlich einer dieser Filme, die – wenn man seine einzelnen Elemente betrachtet – wie für mich geschaffen sein müßte. Eines der berühmtesten Shakespeare-Stücke (auch wenn es noch nie zu meinen persönlichen Favoriten aus der Feder des Barden zählte), eine opulente visuelle und akustische Umsetzung und eine (mit einer Ausnahme) hervorragende Besetzung bis in die Nebenrollen hinein. Das sollte mich begeistern, so wie es viele andere Zuschauer begeistert (einer aus der von mir besuchten Vorstellung sprach mich anschließend vor dem Kino sogar spontan an, weil er einfach seiner Bewunderung für den Film Ausdruck verleihen mußte). Allein, so ist es nicht. Und dafür finde ich auch abseits meiner spezifischen OmU-Problematik so einige Gründe. Der wichtigste: Kurzel konzentriert sich so stark darauf, einen ganz eigenen Look und eine zum Greifen dichte, schwermütige Atmosphäre zu kreieren, daß er darob den Erzählfluß und die Figurenzeichnung vernachlässigt.

Bei "Macbeth" hat dieses Manko eine besondere Tragweite, da die Frage der Motivation hinter den Taten von Macbeth und Lady Macbeth hohe psychologische Brisanz besitzt. Wenn man sich damit nicht intensiv beschäftigt, dann wirkt es einfach unglaubwürdig. In dieser Version bringt das Autoren-Trio zwar einen interessanten neuen Ansatz ein – Macbeth leidet im Grunde genommen unter einer klassischen posttraumatischen Belastungstörung, ausgelöst zunächst durch die brutalen Schlachten, an denen am Ende sogar Kindersoldaten mitwirken mußten, dann naturgemäß verstärkt durch den Königsmord –, den Michael Fassbender ausgezeichnet auf die Leinwand überträgt; sie meinen aber offensichtlich, daß das alleine bereits ausreicht in Sachen psychologischer Feinzeichnung … was nicht der Fall ist. Zudem spielt Lady Macbeth (von Marion Cotillard ebenfalls sehr überzeugend interpretiert) erkennbar nur die zweite Geige, womit ihr Antrieb jenseits der reinen Machtgier erst Recht fragwürdig bleibt. Gerade im direkten Vergleich zu Roman Polanskis "Macbeth" aus dem Jahr 1971 ist das zumindest mir zu doch etwas zu wenig. In Verbindung mit der Entscheidung des jungen australischen Regisseurs, die Handlung eher bruchstückhaft zu erzählen und sich vor allem auf die angesprochenen formalen Stärken und das Schauspiel Michael Fassbenders zu konzentrieren, wirkt der annähernd zweistündige Film deshalb nicht wirklich rund. Es ergibt sich kaum ein echter Handlungsfluß, kein "Flow", der einen immersiv in die düstere Geschichte über Macht, Wahn und Vorsehung hineinzieht, sondern es wirkt alles eher bruchstückhaft. Das entspricht zwar ein Stück weit dem (aufgrund der natürlichen Beschränkungen) zwangsweisen Vortrag auf der Theaterbühne, ein Kinofilm hat aber natürlich ganz andere Möglichkeiten, die er dann auch ausschöpfen sollte. Bei Kurzel dagegen kommt es mitunter sogar vor, daß Dialoge, die auf der Bühne funktionieren, nun unfreiwillig komisch wirken. Ich verweise nur auf Lady Macbeths "What's the problem?" im Zelt des getöteten Königs, das einfach albern ist, wenn sie, während sie diese Zeile spricht, direkt auf den blutigen Leichnam Duncans blickt. Erneut verweise ich auf Polanskis Version, die die cineastische Umsetzung des Theaterstoffes für mein Empfinden viel besser (wenngleich ebenfalls nicht perfekt) hinbekommt.

Dennoch kommen die vielen Lobeshymnen für Justin Kurzels "Macbeth" auch nicht ganz von ungefähr. So gelingt es dem Regisseur vortrefflich, die düstere, schwermütige, pessimistische Atmosphäre der Tragödie einzufangen – einen großen Anteil daran hat Kameramann Adam Arkapaw, dem es bereits in Jane Campions vielfach prämierter TV-Miniserie "Top of the Lake" gelang, die neuseeländische Landschaft gleichsam zu einer weiteren Hauptfigur zu befördern. Das schafft er auch in "Macbeth", wo die nebelverhangenen schottischen Highlands oder die dunkle, beengende Königsburg sehr viel zur Stimmung beitragen. Dies gilt ebenso für die von Moll-Klängen dominierte musikalische Untermalung durch Jed Kurzel (des Regisseurs jüngerer Bruder), die an Clint Mansells hervoragenden "The Fountain"-Score erinnert und zugleich auch ein wenig an Philip Glass' OSCAR-nominierte Klaviermelodien aus "The Hours". Ausstattung, Kostüme und (betont schmutzige) Maske sind gleichfalls gekonnt und gewissenhaft ausgeführt, und dann ist da natürlich noch die Besetzung. In den Hauptrollen machen, wie erwähnt, Michael Fassbender und Marion Cotillard eine ausgezeichnete Figur, wobei vor allem der Deutsch-Ire in der Vorführung des zunehmenden Wahns von Macbeth regelrecht brilliert. Doch auch die meisten Nebenfiguren sind paßgenau ausgewählt. Das ist umso wichtiger, als sie zugungsten des Ehepaars Macbeth ziemlich vernachlässigt werden und damit nur wenig Zeit haben, um an Kontur zu gewinnen. Am besten gelingt das meines Erachtens Sean Harris ("Prometheus") als Macbeth-Widersacher Macduff, aber auch Paddy Considine ("Das Bourne Ultimatum", als Macbeths Freund Banquo), Jack Reynor (als regulärer Thronfolger Malcolm) und Elizabeth Debicki ("Everest", als Lady Macduff) wissen zu überzeugen. Einzige Ausnahme ist David Thewlis, der als König Duncan schlicht und ergreifend fehlbesetzt ist. Während man allen übrigen Darstellern und selbst den meisten Statisten problemlos die Bewohner des 11. Jahrhunderts abnimmt, wirkt dieser König Duncan so, als wäre er ein Schauspieler aus dem 20. oder 21. Jahrhundert, der einen Mittelalter-König mimt. Das liegt nicht allein an seinem Schauspiel und seiner Sprechweise, sondern auch daran, wie Kurzel ihn in Szene setzt (und nicht zuletzt an seiner Frisur und der Maske), ist aber sehr auffällig und stört ganz einfach. Etwas enttäuschend fand ich außerdem die Kampfsequenzen; teils, weil ich den wiederholten stilisierten Zeitlupen-Einsatz á la "300" in dieser Szenerie nur bedingt passend finde, vor allem aber, weil die Choreographie nicht allzu mitreißend gestaltet ist – womit ich ein letztes Mal Polanskis Version der Geschichte heranziehen muß, deren wuchtige Kampfszenen mir deutlich besser gefallen haben. An Brutalität läßt es zwar (trotz einer FSK 12-Freigabe) auch Kurzel nicht mangeln, den direkten Vergleich gewinnt für mich aber Polanski.

Fazit: "Macbeth" ist eine Shakespeare-Verfilmung, die mit visueller und akustischer Opulenz auftrumpft sowie mit (fast) durchgehend starken Schauspieler-Leistungen – unglücklicherweise gelingt es Regisseur Kurzel jedoch nur bedingt, aus den vielversprechenden Einzelteilen ein funktionierendes Ganzes zu machen, da er zu wenig Zeit auf Figurenzeichnung und Handlung verwendet.

Wertung: 6 Punkte.


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