Originaltitel: Kaze tachinu, Englischsprachiger Titel: The Wind Rises
Regie und Drehbuch: Hayao Miyazaki, Musik: Joe Hisaishi
Sprecher der Originalversion (zu den deutschen
Sprechern konnte ich keine Informationen finden): Hideaki Anno, Miori
Takimoto, Hidetoshi Nishijima, Masahiko Nishimura, Mirai Jita, Keiko Takeshita, Jun Kunimura, Mansai Nomura,
Stephen Alpert
FSK: 6, Dauer: 127 Minuten.
Japan nach dem Ersten Weltkrieg: Schon als Schüler sind
Flugzeuge die größte Leidenschaft von Jirō Horikoshi. Schnell weiß er, was er
später einmal werden will: Flugzeug-Konstrukteur. Zielstrebig geht er seinen
Weg, daß er tatsächlich großes Talent besitzt, ist naturgemäß sehr hilfreich.
So landet Jirō nach der Schule auf der Universität in Tokio, mit einem
hervorragenden Abschluß ergattert er sogleich eine Anstellung beim Konzern
Mitsubishi, wo er seine Kollegen und Vorgesetzten mit seinen innovativen Ideen
fasziniert und begeistert. Allerdings geht die Weltwirtschaftskrise auch an
Mitsubishi nicht spurlos vorüber, und nach einem gescheiterten Konstruktions-Auftrag für ein
neues Kampfflugzeug für die japanische Marine geht der Konzern eine
Partnerschaft mit den deutschen Verbündeten ein, die den Japanern technisch um
20 Jahre voraus sind. Jirō, der nach Deutschland geschickt wird, um vor Ort
über die Flieger des berühmten Dr. Junkers zu lernen, nutzt die Gelegenheit, um sein
Wissen fleißig zu erweitern. Während der Zweite Weltkrieg bereits am Horizont
heraufdämmert, entwickelt Jirō während einer Urlaubsreise die Idee zu einem revolutionären Jäger, der
unter dem Namen "Zero" in die Militärgeschichte eingehen soll …
Kritik:
Mit seinem vermutlich letzten Film fügt Hayao Miyazaki, der japanische
Großmeister der Zeichentrickfilme, seinem beeindruckenden Œuvre
noch einmal eine ganz neue Facette hinzu. Weltweit berühmt geworden sind
Miyazaki und das von ihm mitgegründete Studio Ghibli ja mit phantastischen
Geschichten wie "Chihiros Reise ins Zauberland", "Das Schloß im
Himmel" oder "Prinzessin Mononoke", Realismus wurde in seinen
Filmen – trotz einer unverkennbaren Symbolik vor allem in Sachen Umgang mit der Natur
– selten groß geschrieben. Und nun, im reifen Alter von 73 Jahren, bringt er
ein allerdings in weiten Teilen fiktives Zeichentrick-Biopic über einen realen japanischen
Flugzeug-Konstrukteur in die Kinos – damit hätte im Vorfeld wohl niemand
gerechnet. Dabei hat der erklärte Flugzeug-Fan Miyazaki sogar schon einmal
einen leicht ähnlichen Film gedreht, der allerdings zu seinen etwas weniger bekannten
Werken zählt: "Porco Rosso". Darin spielt zwar ein von einem Fluch in
ein Schwein verwandelter Mann die Hauptrolle, doch ist dieser ein ehemaliger Kampfflieger
in der Zeit zwischen den Weltkriegen. "Wie der Wind sich hebt"
geht die Flugzeug-Thematik gewissermaßen von der anderen Seite her an – und
entpuppt sich als ein weiteres erzählerisches und ganz besonders zeichnerisches
Meisterwerk, das dem Schaffenswerk Miyazakis einen ausgesprochen würdigen Schlußpunkt verpaßt (sofern ihn nicht doch wieder die Arbeitswut überkommt, denn er
kündigte bereits mehrfach seinen Rückzug an – angesichts seines Alters und der
mehrjährigen Produktionszeit eines Zeichentrickfilms von Miyazaki-Qualität könnte
er es diesmal aber wirklich durchziehen).
Und natürlich wäre Hayao Miyazaki nicht Hayao Miyazaki, wenn
er nicht selbst in einem (lose) auf historischen Fakten basierenden Biopic
phantastische Elemente unterbringen würde. Nur geschieht dies hier eben etwas
subtiler, am deutlichsten erkennbar ist es – neben einigen Traumsequenzen, in
denen der italienische Flugzeug-Pionier Graf Caproni zu Jirōs Mentor wird –
daran, daß in der Welt von "Wie der Wind sich hebt" alles zu leben
scheint. Wenn die Flugzeuge ihre Propeller starten, geben diese beispielsweise
ein Schnaufen und Ächzen von sich, als ob sie menschlich wären; und als ein
gewaltiges Erdbeben Tokio und Umgebung verwüstet (das reale Kantō-Erdbeben von
1923, das über 140.000 Menschenleben forderte), dann wird jedes Nachbeben von einem zornigen
Grollen wie aus dem Maul eines finsteren Dämons begleitet. Solche Details mögen
vernachlässigbar klingen, wenn man nur darüber liest, aber sie verleihen
Miyazakis Werk einmal mehr das gewisse Etwas, sie sorgen dafür, daß man selbst die im Kern wahre Lebensgeschichte einer historischen Figur immer klar als Teil von Miyazakis ganz
eigener Gedankenwelt identifizieren kann.
Die Melancholie, die die meisten Miyazaki-Filme durchzieht,
ist in "Wie der Wind sich hebt" besonders deutlich ausgeprägt. Zwar
konzentriert sich der Film stark auf den Protagonisten Jirō, doch die Folgen
von Erstem Weltkrieg und Weltwirtschaftskrise sind ebenso stets spürbar wie es
der Schatten des aufziehenden Zweiten Weltkrieges ist. Schließlich findet ein
Großteil der Handlung während der 1930er Jahre statt, Jirō und sein bester Freund und
Kollege Honjō besuchen Deutschland und treffen dort auf Flugzeug-Konstrukteur
Dr. Junckers, aber auch bereits auf finstere Nazi-Schergen. Und zurück in der
Heimat gerät Jirō gar ins Visier des Staatsschutzes, wahrscheinlich als Folge einer zufälligen Bekanntschaft mit dem offensichtlich regimekritischen
Deutschen Castorp – der übrigens abends im Gesellschaftsraum des Hotels am Klavier den
deutschen Evergreen "Das gibt's nur einmal" (bekannt gemacht im Jahr 1931 durch
Lilian Harvey in dem Film "Der Kongreß tanzt")
anstimmt, in den bemerkenswerterweise sämtliche japanischen Gäste lauthals
einstimmen. Dennoch ist Jirō im Großen und Ganzen sehr glücklich in seinem Job.
Schließlich darf er seinen lebenslangen Traum verwirklichen und Flugzeuge
konstruieren und verbessern, von seinen Kollegen – später Untergebenen – und
den Vorgesetzten wird er beinahe vorbehaltlos unterstützt. Er weiß, daß seine
Erfindungen früher oder später todbringende Verwendung finden werden, und das
belastet ihn durchaus. Aber er konzentriert sich einfach auf seine Aufgabe und
will nur "etwas Wunderschönes schaffen". Diesem Schaffensprozeß
widmet sich "Wie der Wind sich hebt" recht ausführlich, was manche
Zuschauer phasenweise langweilen könnte – wiewohl ich klar hervorheben muß, daß
ich selbst wirklich nicht die geringste Ahnung von Ingenieurskunst habe und der
Handlung trotzdem stets aufmerksam und interessiert gefolgt bin. Tatsächlich
halte ich die erste Filmhälfte sogar für die etwas schwungvollere, denn in der
zweiten, in der die thematischen Schwerpunkte stärker von Jirōs
Arbeit fortverlegt werden, verliert die – passend zum Titel immer mal wieder durch den Wind vorangetriebene – Handlung ein klein wenig an Elan.
So wie das Ende der japanischen Herrlichkeit bereits
absehbar ist, so trifft das jedoch auch auf Jirōs privates Glück zu. Zwar verliebt er
sich unsterblich in die schöne Naoko Satomi, die seine Gefühle erwidert und ihn
heiratet – doch sie leidet an Tuberkulose und ist daher bereits dem Tode
geweiht. Hin- und hergerissen zwischen seinem Beruf und seiner Liebe zu Naoko, versucht
Jirō verzweifelt, beidem gerecht zu werden. Die Romanze zwischen Jirō und Naoko
steht keineswegs im Mittelpunkt von "Wie der Wind sich hebt", so
richtig kommt sie sowieso erst in der zweiten Hälfte zum Tragen, doch wie
zärtlich Miyazaki das Kennenlernen und Jirōs verzögertes Werben um Naoko
erzählt, rührt einem das Herz. Generell wimmelt es nur so vor grundsympathischen
Figuren. Ob Jirōs Freund Honjō, sein Vorgesetzter Kurokawa (Typ: raue Schale,
weiches Herz), Naokos Eltern, Jirōs freche kleine Schwester Kayo oder der
imaginäre Graf Caproni – Miyazaki gelingt es wie kaum einem zweiten, einen
interessanten, spannenden und hochgradig unterhaltsamen Film zu drehen, ohne
daß dafür echte Antagonisten nötig wären. Angesichts dessen mag man "Wie
der Wind sich hebt" vielleicht sogar vorwerfen, daß die Charaktere
geradezu unwahrscheinlich nett sind, zumal gerade Protagonist Jirō in einem arg heldenhaften Licht gezeichnet wird. Wenigstens ist er
Kettenraucher, ansonsten würde er beinahe übermenschlich wirken …
Was Hayao Miyazakis Filme seit jeher auszeichnet, sind aber nicht nur die intelligenten, phantasievollen Storys und
die sympathischen Charaktere, sondern es ist auch der Zeichenstil. "Wie
der Wind sich hebt" ist in dieser Hinsicht besonders schön geraten, neben den rasanten Flugmanövern sind vor allem die zahlreichen
Naturszenen so traumhaft schön gezeichnet, daß man sie am liebsten Bild für
Bild ausschneiden und sich zu Hause an die Wand hängen möchte. Wieder einmal muß ich konstatieren: Da können Pixars ("WALL-E") oder Disneys ("Die Eiskönigin") CGI-Animationsfilme
inhaltlich noch so gut sein, die Lebendigkeit, den Charme und die
Detailliertheit eines so liebevoll und meisterhaft gezeichneten Films wie
"Wie der Wind sich hebt" erreichen sie noch nicht einmal ansatzweise.
Passend ergänzt werden die wunderschönen Bilder noch durch Joe Hisaishis
gefühlvolle Musik, die die Stimmungen der Hauptfiguren gekonnt widerspiegelt.
Fazit: "Wie der Wind sich hebt" ist ein
anspruchsvoller Zeichentrickfilm mit einer erwachsenen, melancholischen
Handlung mit Tiefgang, die zwar biopic-typisch eher unspektakulär ausfällt,
aber sehr phantasie- und liebevoll erzählt wird und zeichnerisch sensationell
gut umgesetzt ist.
Wertung: 8,5 Punkte.
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