Regie: John Lee Hancock, Drehbuch: Kelly Marcel und Sue
Smith, Musik: John Newman
Darsteller: Emma Thompson, Tom Hanks, Colin Farrell, Paul
Giamatti, Ruth Wilson, Bradley Whitford, Jason Schwartzman, B.J. Novak, Annie
Rose Buckley, Rachel Griffiths, Kathy Baker, Melanie Paxson, Andy McPhee, Lily
Bigham, Leigh Anne Tuohy
FSK: 0, Dauer: 126 Minuten.
20 Jahre lang hat Walt Disney (Tom Hanks, "Cloud Atlas") versucht, die Filmrechte an dem Kinderbuch "Mary
Poppins" zu erlangen, da er es seinen von der Geschichte des magisch begabten Kindermädchens begeisterten Sprößlingen einst
versprochen hatte. Doch die Autorin P.L. Travers (Emma Thompson, "Radio Rock Revolution") weigerte sich stets, ihre geliebten Romanfiguren einem
Mann auszuliefern, der daraus bestimmt einen kitschigen Animations-Musical-Mix
machen würde. Erst als Travers das Geld auszugehen beginnt, willigt sie ein,
sich zumindest in Los Angeles mit Disney zu treffen und sich die Ideen des
Drehbuch-Autors Don DaGradi (Bradley Whitford, "The Cabin in the Woods") und
der Komponisten-Brüder Richard (Jason Schwartzman, "Rushmore") und
Robert Sherman (B.J. Novak, "Inglourious Basterds") anzuhören. Wie erwartet,
ist sie entsetzt. Doch Walt setzt seinen ganzen Charme und seine Überredungskunst
daran, die eigenwillige Autorin – die nur "Mrs. Travers" genannt werden will
– umzustimmen, selbst auf einige gar absonderliche Forderungen der Dame
(etwa den Verzicht auf die Farbe Rot im Film!) würde er sich
zähneknirschend einlassen. Bei Mrs. Travers werden derweil durch die Arbeiten am
Drehbuch lange unterdrückte Erinnerungen an ihre Kindheit in Australien
geweckt, denn ihr Vater Travers Goff (Colin Farrell, "7 Psychos") –
ein künstlerisch veranlagter Banker, der mit dem Leben einfach nicht klarkommt
und deshalb zum Alkohol greift –, war die Vorlage für den Familienvater Mr.
Banks in ihrem Buch ...
Kritik:
Hollywood hat schon immer gerne Filme über Hollywood bzw.
über Filme allgemein gedreht. Die Resultate der Bemühungen waren nur selten
Blockbuster, oft aber sehr sehenswert. Ob tragisch (Billy Wilders
"Boulevard der Dämmerung"), satirisch (Robert Altmans "The
Player", Barry Levinsons "Wag the Dog"), märchenhaft (Martin
Scorseses "Hugo Cabret"), nostalgisch (E. Elias Merhiges "Shadow
of the Vampire", Elia Kazans "Der letzte Tycoon", Tim Burtons
"Ed Wood", Bill Condons "Gods and Monsters", Woody Allens
"Stardust Memories"), künstlerisch (David Lynchs "Mulholland
Drive") oder auch selbstironisch (Ben Stillers "Tropic Thunder", Drew
Goddards "The Cabin in the Woods"): Wenn man sie läßt, dann haben
Filmemacher viel und oft Erstaunliches zu erzählen über ihre Branche. Ein
Feelgood-Movie ist aus dieser Thematik eher selten entstanden, doch "Saving
Mr. Banks" stopft nun gekonnt diese Lücke; denn die Geschichte von Walt
Disneys Kampf um die Filmrechte an "Mary Poppins" mag zwar – wie
von Branchenkennern kritisiert wird – im Disney-Sinne geschönt sein, aber sie
wird von "Blind Side"-Regisseur John Lee Hancock höchst unterhaltsam
und gefühlvoll dargeboten.
Entscheidend für das Gelingen von "Saving Mr.
Banks" dürften zwei Dinge sein: Erstens die Besetzung von P.L. Travers mit
Emma Thompson, die in der Rolle geradezu aufblüht und die wohl beste
Vorstellung seit ihrer OSCAR-Nominierung für "Sinn und Sinnlichkeit"
1995 abliefert. Zweitens der Einfall der Drehbuch-Autorinnen Marcel ("Fifty Shades of Grey", TV-Serie "Terra Nova") und Smith, nicht einfach
nur geradlinig den amüsanten Kampf um die Filmrechte zwischen zwei
grundverschiedenen Persönlichkeiten darzustellen, sondern zusätzlich durch Travers'
bittersüße Erinnerungen an ihre Kindheit eine zweite Ebene einzuführen,
die der Figur der Kinderbuch-Autorin eine ungeahnte emotionale Tiefe verleiht.
Und da Travers ihre Inspiration für "Mary Poppins" aus ihrer eigenen
Umwelt nahm, erfahren wir auf diese Weise mehr über die realen Hintergründe
ihrer Geschichte und können sie mit Disneys Verfilmung – aus der gegen Ende von
"Saving Mr. Banks" einige Ausschnitte gezeigt werden – vergleichen.
Vor allem Colin Farrell zeigt in diesen Rückblenden als Vater eine starke
Leistung, speziell im harmonischen Zusammenspiel mit Travers' von Annie Rose
Buckley liebenswert verkörpertem kindlichem Ich. Auch die OSCAR-nominierte
Musik von Thomas Newman ("Road to Perdition") hat in Travers'
Erinnerungen ihre stärksten Momente.
Eine Kenntnis von Disneys "Mary Poppins" ist
übrigens zwar natürlich hilfreich, aber absolut nicht vonnöten, um "Saving
Mr. Banks" genießen zu können. Denn dessen Story steht allen Anspielungen zum Trotz
problemlos auf eigenen Beinen. Das ist ein großes Verdienst des wohlüberlegten
Drehbuchs, das die Figuren detailliert und empathisch ausgestaltet
und damit den hochkarätigen Schauspielern eine hervorragende Vorlage liefert.
Gerade P.L. Travers ist sicherlich eine der überzeugendsten Frauenfiguren der
letzten Zeit im bekanntlich männlich dominierten Hollywood – und Emma Thompsons
grandiose, facettenreiche Darstellung dieser störrischen Frau mittleren Alters,
die sehr genaue Vorstellungen und auch etliche Macken hat und im Großen und
Ganzen ziemlich genau der Beschreibung "rauhe Schale, weicher Kern"
entspricht, sorgt endgültig dafür, daß man sie sehr positiv im Gedächtnis behält. Ob ihre sich gemächlich entwickelnde Freundschaft mit ihrem
Hollywood-Chauffeur Ralph (Paul Giamatti, "Barney's Version") – die
zwar ein wenig origineller Nebenhandlungsstrang ist, aber sehr liebenswert
erzählt wird und deshalb viel Freude bereitet –, ihre ständigen
leidenschaftlichen Dispute mit Walt Disney oder auch die langen Stunden, in
denen sie mit dem Drehbuch-Autor und den beiden Komponisten zusammenarbeitet und diese
dabei regelmäßig an den Rand des Wahnsinns treibt: Mit leichter Hand und einem
sicheren Gespür für Details fügt Regisseur Hancock all diese
Elemente zu einem unverschämt unterhaltsamen Ganzen zusammen, auch wenn die Dramaturgie der Story altbekannten Mustern entspricht und diese zwischenzeitlich ein wenig durchhängt. Ein kleines,
bezauberndes Beispiel für die erwähnten Details: P.L. Travers will von jedem
nur als "Mrs. Travers" angesprochen werden und verwendet selbst stets eine eher distanzierte Anrede – Walt Disney dagegen
besteht ebenso vehement darauf, nur mit dem Vornamen angesprochen zu werden
("Mr. Disney hieß mein Vater") und spricht zu deren Verdruß auch die Autorin hartnäckig als "Pamela" an; somit ist die Gegensätzlichkeit der beiden
von ihrer ersten Begegnung an klar definiert, und das auf eine sehr humorvolle Art und
Weise.
Die Hollywood-Ikone Walt Disney wird von Tom Hanks
selbstverständlich sehr charmant und ausdrucksstark gespielt – ein jovialer, im
Herzen junggebliebener Bursche, den es glücklich macht, die Kino-Zuschauer
glücklich zu machen. Das ist natürlich, wie bereits angedeutet, eine
geschönte Interpretation des strammen Republikaners, der u.a. Gewerkschaften
bekämpfte und in der McCarthy-Ära vermeintlich kommunistische Filmschaffende
verpfiff, also sicherlich kein Heiliger war – aber für diesen Film funktioniert
der Ansatz einwandfrei. Ich würde sogar sagen: ein anderer wäre überhaupt nicht
möglich, dafür müßte man schon ein eigenes Walt Disney-Biopic drehen. Mein
Problem ist nur: Ich nehme Tom Hanks einfach nicht ab, daß er Walt Disney ist.
Damit meine ich gar nicht mal so sehr, daß er trotz ähnlicher Statur dem echten
Disney nicht sehr ähnlich sieht – Cate Blanchett hat sogar noch weniger
Ähnlichkeiten zu Katharine Hepburn, trotzdem hat sie in Martin Scorseses
"Aviator" eine grandiose Hepburn abgegeben. Auch Hanks müht sich
redlich, Mimik und Gestik der realen Person zu imitieren, aber trotzdem: Für mich springt
der Funke nicht über. Es ist nicht Walt Disney, den ich mit P.L. Travers
diskutieren sehe, sondern Tom Hanks. Das macht es wohlgemerkt kaum weniger unterhaltsam,
ist aber nun einmal ganz sicher nicht Sinn der Sache. Ich hatte mir ja immer
vorgestellt, daß der ewige Nebendarsteller Michael O'Neill (bekannt aus Filmen
wie "Dallas Buyers Club", "J. Edgar" oder
"Transformers" sowie TV-Serien wie "Grey's Anatomy" oder "The West Wing") einen ganz hervorragenden Walt Disney abgeben würde –
aber für eine solche Prestigerolle ist der natürlich nicht prominent
genug ...
Von diesem kleinen Manko abgesehen – das den meisten
Zuschauern vermutlich sowieso nicht auffallen wird, schließlich ist Walt Disney
schon lange tot und nur wenige dürften sich genau an sein Auftreten erinnern –
ist "Saving Mr. Banks" aber ein richtig schöner Film. Im Abspann
werden übrigens die Schauspieler Photographien (oder, wenn wie bei Travers'
Familie keine existieren, Kinderzeichnungen) ihrer realen Vorbilder
gegenübergestellt, zudem werden einige Ausschnitte aus Tonbandaufzeichnungen
abgespielt, die während Travers' Arbeit mit DaGradi und den Sherman-Brüdern auf Wunsch der Autorin gemacht wurden (und die tatsächlich
Basis dieses Films sind). Das ist erstens interessant mitanzuhören und zweitens
ein geschickter Schachzug von Disney, denn auf Vorhaltungen der Schönfärberei
ihrer eigenen Geschichte können sie nun immer entgegnen: "Hört es Euch
doch an: Es WAR so!" ...
Fazit: "Saving Mr. Banks" ist ein sehr unterhaltsamer Wohlfühlfilm, der mit der harmonischen Kombination seines amüsanten Haupt-Handlungsstrangs rund um die Verhandlungen über die "Mary
Poppins"-Filmrechte mit den bittersüßen Kindheitserinnerungen der Schriftstellerin
eine ungeahnte emotionale Tiefe erreicht und eine Hauptdarstellerin Emma
Thompson in Höchstform präsentiert – die nebenbei vollzogene Schönfärberei der Disney-Historie
dürfte letztlich nur Filmhistorikern übel aufstoßen ...
Wertung: 8,5 Punkte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen