Regie: Steve McQueen, Drehbuch: John Ridley, Musik: Hans
Zimmer
Darsteller: Chiwetel Ejiofor, Michael Fassbender, Lupita
Nyong'o, Benedict Cumberbatch, Sarah Paulson, Paul Dano, Paul Giamatti, Brad
Pitt, Garret Dillahunt, Alfre Woodard, Liza J. Bennett, Adepero Oduye, Dwight
Henry, Bryan Batt, Ashley Dyke, Scoot McNairy, Taran Killam, Jay Huguley, Ruth
Negga, Kelsey Scott, Bill Camp, Quvenzhané Wallis
FSK: 12, Dauer: 135 Minuten.
Amerika, 1841: Während in den Südstaaten noch immer
ungehemmt der Sklaverei gefrönt wird, können Schwarze im Norden ein freies und
sogar halbwegs gleichberechtigtes Leben führen. Davon profitiert auch Solomon
Northup (Chiwetel Ejiofor, "Serenity"), der mit seiner Frau und den
beiden Kindern (die junge Tochter wird vom OSCAR-nominierten "Beasts of the Southern Wild"-Shooting Star Quvenzhané Wallis gespielt) im Umfeld von
New York lebt und sein Geld als weithin respektierter Musiker verdient. Deshalb
ist er auch nicht weiter mißtrauisch, als ihm zwei fremde Gentlemen eine gute
Bezahlung dafür anbieten, daß er zwei Wochen lang eine Art fahrenden Zirkus auf
dem Weg nach Washington begleitet und bei seinen Shows mit der Geige
unterstützt. Unglücklicherweise entpuppen sich die Gentlemen als nicht ganz so
fein, denn in Washington angekommen, betäuben sie Solomon und verscherbeln ihn
an die Männer eines Sklavenhändlers aus dem Süden (Paul Giamatti,
"Barney's Version"). Verständlicherweise ist Solomon verzweifelt, muß
jedoch bald lernen, daß er sich anpassen und zumindest vorgeblich in sein
neues Sklaven-Schicksal fügen muß, wenn er überleben will. Zunächst scheint
er sogar Glück im Unglück zu haben, denn sein Käufer, der gläubige Plantagenbesitzer Ford (Benedict
Cumberbatch, "Star Trek Into Darkness"), behandelt seine Sklaven wohlwollend und gewährt dem gebildeten Solomon –
der nun "Platt" heißt – sogar eine Vorzugsbehandlung. Da dies jedoch den Neid von Fords Stellvertreter Tibeats (Paul Dano, "Looper")
und damit anhaltende Schwierigkeiten auf der Plantage hervorruft, wird Solomon an den "Niggerbrecher" Edwin Epps (Michael
Fassbender, "Prometheus") weiterverkauft ...
Kritik:
Normalerweise ist Hollywood ziemlich schnell, wenn es darum
geht, die US-amerikanische Gesellschaft prägende oder gar traumatisierende
Ereignisse filmisch aufzuarbeiten: Ob die Weltwirtschaftskrise in den 1930er
Jahren, der Zweite Weltkrieg, der Kalte Krieg, das Vietnam-Desaster oder 9/11
mit seinen weitreichenden Folgen – es dauerte höchstens zehn Jahre, bis mehrere hochkarätige Filme
darüber gedreht wurden, die ernsthaft mit der jeweiligen Thematik umgingen und
teilweise (v.a. in Bezug auf Vietnam) sogar eine beinahe kathartische Wirkung
erzielten. Auf die große amerikanische Schande schlechthin, die Sklavenhaltung
bis zum von den Nordstaaten unter der Führung Präsident Lincolns 1865
gewonnenen Bürgerkrieg, trifft das dagegen nicht wirklich zu. Natürlich liegt
das auch daran, daß es zur Zeit der Sklaverei noch keine Filme gab. Und als
sich dann eine Kinobranche entwickelte, wurden Schwarze immer noch so stark
diskriminiert, daß sie froh sein konnten, überhaupt einmal eine Rolle zu
ergattern – von der Aufarbeitung der Sklaverei wollte damals kaum jemand etwas
wissen (auch wenn es etliche Verfilmungen des bekannten Romans "Onkel Toms
Hütte" gab, die in der Stummfilmzeit aber großteils mit
weißen Darstellern gedreht wurden, die sich ihre Gesichter schwarz färbten –
was die humanistische Wirkung des Buches logischerweise ziemlich ad absurdum
führte ...). Aber auch nach der Gleichberechtigungsbewegung ab den 1960er
Jahren blieb dieses dunkle Kapitel der Sklaverei oder auch des Rassismus an sich nur eine Fußnote der Filmgeschichte, die zwar hin und wieder thematisiert
wurde (Spielbergs "Die Farbe Lila" und "Amistad", Edward
Zwicks "Glory"), aber weit von einer umfassenden Aufarbeitung
entfernt war. Erst in den letzten Jahren
(vielleicht als "Nebenwirkung" des ersten schwarzen
US-Präsidenten Barack Obama?) scheint sich das zu ändern: Spielbergs
"Lincoln", Tarantinos "Django Unchained", dazu die sich mit
dem Rassismus beschäftigenden "The Help" und "Der Butler" –
das sind innerhalb von zwei oder drei Jahren so viele Großproduktionen wie
sonst teilweise in einem ganzen Jahrzehnt nicht. Und alle waren
erfolgreich. Allerdings waren alle auch sehr massentauglich
inszeniert, eine richtige, unbequeme und dennoch öffentlichkeitswirksame Arthouse-Aufbereitung fehlte noch. Bis der
(schwarze) britische Autorenfilmer Steve McQueen bekanntgab, mit "12 Years a Slave"
die Memoiren der historischen Person Solomon Northup zu verfilmen. Das Resultat wurde mit drei OSCARs (u.a. in der Königskategorie "Bester Film") bei neun Nominierungen bedacht.
Die Filme von Steve McQueen waren noch nie leichte Kost. Das
Nordirland-Drama "Hunger" und die Sexsucht-Story
"Shame" enthalten zwar beide großartige Passagen, die McQueens
inszenatorisches Talent eindrucksvoll aufzeigen – sie sind aber auch beide sehr
anstrengend anzuschauen, mit einem mitunter quälend langsamen Erzähltempo und
einer ganz bewußt reduzierten Handlung. Für "12 Years a Slave" hat sich
McQueen überraschenderweise etwas von diesem Stil entfernt, das Sklaverei-Drama
ist mit Abstand sein bislang zugänglichster Film geworden. Arthouse-Stoff ist
er dennoch ohne Zweifel, aber schon aufgrund der Starbesetzung ist klar, daß
McQueen dieses Mal auch ein paar Multiplex-Kinos erobern wollte. Das drückt
sich ebenso in dem im Vergleich zu seinem bisherigen Werk deutlich erhöhten
Erzähltempo aus und selbst in den mitunter berückend schönen, von Hans Zimmers zurückhaltender, aber gefühlvoller Musik untermalten Bildkompositionen seines
Stamm-Kameramanns Sean Bobbitt (die manche Kritiker aber als für die Story leicht
kontraproduktiv empfinden).
Im Zentrum steht jedoch natürlich Solomon Northup, von
Chiwetel Ejiofor ebenso einfühlsam wie intensiv verkörpert. Er läßt die
Zuschauer Solomons Verzweiflung nach der Entführung hautnah nachempfinden, seinen
anfänglichen Trotz, aber auch seine zunehmende Resignation und später das
tiefempfundene, hilflose Mitleid für die junge Sklavin Patsy (Lupita Nyong'o),
die das Begehren ihres sadistischen Herrn Epps weckt und dafür den grenzenlosen
Haß seiner Gattin (Sarah Paulson, TV-Serie "American Horror Story")
erntet. Aber trotz dieser – ebenso wie bei Newcomerin Lupita Nyong'o (die sogar gewann) und Michael
Fassbender mit einer OSCAR-Nominierung belohnten – Glanzleistung Ejiofors sorgt
McQueens eher beobachtende als aktiv teilhabende Inszenierung dafür, daß stets eine
gewisse emotionale Distanz zwischen Figuren und Publikum bestehen bleibt. Angesichts der
vielen Grausamkeiten, die Solomon und die übrigen Sklaven durchleiden müssen, ist es
doch erstaunlich, daß man nur in wenigen Sequenzen richtig in die bedrückende
Szenerie hineingezogen wird – aber möglicherweise ist das genau so gewollt,
denn andernfalls wäre das auf der Leinwand Präsentierte vielleicht zu
unerträglich für die meisten Zuschauer. Denn schwer erträglich sind
etliche Szenen auch so bereits.
Die wohl größte Stärke von "12 Years a Slave" ist
es, wie beiläufig er das Übel der Sklaverei und seine Folgen schildert. Nur
selten – wenn dafür eine dramaturgische Notwendigkeit besteht – hebt McQueen
eine besonders schlimme Bestrafung hervor, häufiger verlegt er sie in den
Hintergrund: Wenn man etwa am Bildrand und außerhalb des Kamerafokus nur
verwaschen erahnen kann, wie jene Sklaven, die an dem Tag am wenigsten Baumwolle
gepflückt haben, ausgepeitscht werden, dann ist das in der Tat wohl sogar eine
effektivere Vorgehensweise als wenn man die Szene aus nächster Nähe beobachten
dürfte oder eher müßte. Und auch umgekehrt funktioniert diese Vorgehensweise, wenn McQueen im
Hintergrund unbeschwert spielende Sklavenkinder zeigt, während im Vordergrund
Solomon halb aufgeknüpft an einem Baum hängt und um sein Leben kämpft. Auch die perfiden psychologischen "Nebenwirkungen" des Sklavenlebens auf die
Schwarzen läßt "12 Years a Slave" nicht unerwähnt, denn Solidarität
unter den Sklaven gibt es kaum – wenn es um die eigene Haut geht, ist eben
jeder sich selbst der Nächste und selbst der Stolzeste und Edelste wird unter der
Knute der Sklavenpeitsche irgendwann zum Egoisten. Und wenn am Ende Solomon
doch noch befreit wird (was ob der Tatsache, daß es sich um die Verfilmung von Northups Memoiren handelt, kein echter Spoiler ist), dann ist das fern von einem Happy-End, denn seine
Leidensgenossen – die nicht weniger Anrecht auf Freiheit und ein menschwürdiges
Leben haben als er – muß er ja zurücklassen.
Wie angesichts der Besetzung nicht anders zu erwarten, zählen auch die schauspielerischen Leistungen zu den großen Vorzügen von "12 Years a Slave".
Dafür sprechen schon die drei Darsteller-OSCAR-Nominierungen, aber auch die
übrigen Rollen sind vorzüglich besetzt, was umso wichtiger ist, da viele Nebendarsteller nur wenige Szenen haben, um ihre Figuren zum Leben zu
erwecken. Einer dieser Schauspieler ist übrigens Brad Pitt, der erst gegen Ende
in einer kleinen, aber wichtigen Rolle als kanadischer Handwerker zu sehen ist;
noch wichtiger war allerdings seine Position hinter den Kulissen, denn mit
seiner eigenen Produktionsfirma Plan B war Pitt maßgeblich an der Finanzierung
beteiligt – laut Steve McQueen würde der Film ohne Pitt gar nicht
existieren. Hervorheben möchte ich zudem den von mir sehr geschätzten Garret
Dillahunt ("Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford"), dem es wieder einmal gelingt, aus einer Minirolle – er ist nur
wenige Minuten zu sehen als ehemaliger Sklavenaufseher, der als Folge seiner
Trunksucht nun selbst neben den Sklaven arbeiten muß – erstaunlich viel
herauszuholen und sie gar zu einer der am nachhaltigsten im Gedächtnis bleibenden
des gesamten Films zu machen.
Eines der wenigen Probleme, die "12 Years a Slave"
hat, sind ebenjene zwölf Jahre aus dem Titel. Die "fühlt" man nämlich
nicht. McQueen gelingt es leider so gut wie gar nicht, die Länge von Solomons
Martyrium greifbar zu machen. Angesichts des Storyverlaufs würde man eher
vermuten, daß sich die ganze Geschichte innerhalb von zwei, vielleicht drei
Jahren abspielt. Nun wären zwei oder drei Jahre in der Sklaverei natürlich
weißgott schlimm genug – aber zwölf Jahre sind doch noch einmal eine ganz
andere Dimension des Schreckens, die man dem Publikum besser hätte vermitteln
können und auch sollen. Es soll zudem nicht verschwiegen werden, daß die Handlung des Films im Großen und Ganzen ziemlich vorhersehbar ist
– aber das kann man ihm kaum anlasten, da er nun einmal den Aufzeichnungen
des echten Solomon Northup folgt; Drehbuch-Autor John Ridley hat einen sehr
guten Job gemacht, diese filmtauglich aufzuarbeiten, aber verfälschen wollte und durfte er sie natürlich nicht. Ähnlich sieht es bei den
Charakteren aus, die teilweise recht klischeehaft wirken (allen voran der
sadistische Aufseher, aber auch der Plantagenbesitzer, der sich in eine Sklavin
verliebt), aber vermutlich dennoch der damaligen Realität entsprechen.
Fazit: "12 Years a Slave" ist ein
beeindruckender, unbequemer Blick auf die Sklaverei im 19. Jahrhundert, der
weniger von seiner nicht allzu originellen und etwas distanziert erzählten Story lebt als von der klugen,
hintersinnigen Inszenierung und seinem hervorragenden Darsteller-Ensemble.
Gewissermaßen der Arthouse-Gegenentwurf zu "Django Unchained".
Wertung: 8,5 Punkte.
Den Film möchte ich unbedingt diese Woche noch sehen, bin doch gespannt, auch wenn ich glaube, dass man da fast nicht enttäuscht werden kann. Die Kritik ist auf jeden Fall wahnsinnig gut geschrieben, da kommen mir meine geradezu stümperhaft vor!:-) Viele Grüße Chris
AntwortenLöschenErneut danke für das Lob (auch wenn deine/eure Kritiken ganz bestimmt nicht "stümperhaft" sind, ich hab' extra noch mal nachgeschaut :-)), allerdings fallen mir beim Überfliegen meines Textes gleich mal ein paar unnötige Wiederholungen auf, die ich noch korrigieren muß ... Und im Nachhinein betrachtet hätte ich wohl auch stärker auf die Bedeutung des Glaubens für die Story eingehen sollen (irgendeiner aus der Media Monday-Schar hat das in seiner oder ihrer Rezension sehr schön ausgeführt, ich weiß leider nicht mehr, wer es war ...).
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