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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Freitag, 17. Januar 2014

12 YEARS A SLAVE (2013)

Regie: Steve McQueen, Drehbuch: John Ridley, Musik: Hans Zimmer
Darsteller: Chiwetel Ejiofor, Michael Fassbender, Lupita Nyong'o, Benedict Cumberbatch, Sarah Paulson, Paul Dano, Paul Giamatti, Brad Pitt, Garret Dillahunt, Alfre Woodard, Liza J. Bennett, Adepero Oduye, Dwight Henry, Bryan Batt, Ashley Dyke, Scoot McNairy, Taran Killam, Jay Huguley, Ruth Negga, Kelsey Scott, Bill Camp, Quvenzhané Wallis
12 Years a Slave
(2013) on IMDb Rotten Tomatoes: 95% (8,9); weltweites Einspielergebnis: $187,7 Mio.
FSK: 12, Dauer: 135 Minuten.

Amerika, 1841: Während in den Südstaaten noch immer ungehemmt der Sklaverei gefrönt wird, können Schwarze im Norden ein freies und sogar halbwegs gleichberechtigtes Leben führen. Davon profitiert auch Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor, "Serenity"), der mit seiner Frau und den beiden Kindern (die junge Tochter wird vom OSCAR-nominierten "Beasts of the Southern Wild"-Shooting Star Quvenzhané Wallis gespielt) im Umfeld von New York lebt und sein Geld als weithin respektierter Musiker verdient. Deshalb ist er auch nicht weiter mißtrauisch, als ihm zwei fremde Gentlemen eine gute Bezahlung dafür anbieten, daß er zwei Wochen lang eine Art fahrenden Zirkus auf dem Weg nach Washington begleitet und bei seinen Shows mit der Geige unterstützt. Unglücklicherweise entpuppen sich die Gentlemen als nicht ganz so fein, denn in Washington angekommen, betäuben sie Solomon und verscherbeln ihn an die Männer eines Sklavenhändlers aus dem Süden (Paul Giamatti, "Barney's Version"). Verständlicherweise ist Solomon verzweifelt, muß jedoch bald lernen, daß er sich anpassen und zumindest vorgeblich in sein neues Sklaven-Schicksal fügen muß, wenn er überleben will. Zunächst scheint er sogar Glück im Unglück zu haben, denn sein Käufer, der gläubige Plantagenbesitzer Ford (Benedict Cumberbatch, "Star Trek Into Darkness"), behandelt seine Sklaven wohlwollend und gewährt dem gebildeten Solomon – der nun "Platt" heißt – sogar eine Vorzugsbehandlung. Da dies jedoch den Neid von Fords Stellvertreter Tibeats (Paul Dano, "Looper") und damit anhaltende Schwierigkeiten auf der Plantage hervorruft, wird Solomon an den "Niggerbrecher" Edwin Epps (Michael Fassbender, "Prometheus") weiterverkauft ...

Kritik:
Normalerweise ist Hollywood ziemlich schnell, wenn es darum geht, die US-amerikanische Gesellschaft prägende oder gar traumatisierende Ereignisse filmisch aufzuarbeiten: Ob die Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren, der Zweite Weltkrieg, der Kalte Krieg, das Vietnam-Desaster oder 9/11 mit seinen weitreichenden Folgen – es dauerte höchstens zehn Jahre, bis mehrere hochkarätige Filme darüber gedreht wurden, die ernsthaft mit der jeweiligen Thematik umgingen und teilweise (v.a. in Bezug auf Vietnam) sogar eine beinahe kathartische Wirkung erzielten. Auf die große amerikanische Schande schlechthin, die Sklavenhaltung bis zum von den Nordstaaten unter der Führung Präsident Lincolns 1865 gewonnenen Bürgerkrieg, trifft das dagegen nicht wirklich zu. Natürlich liegt das auch daran, daß es zur Zeit der Sklaverei noch keine Filme gab. Und als sich dann eine Kinobranche entwickelte, wurden Schwarze immer noch so stark diskriminiert, daß sie froh sein konnten, überhaupt einmal eine Rolle zu ergattern – von der Aufarbeitung der Sklaverei wollte damals kaum jemand etwas wissen (auch wenn es etliche Verfilmungen des bekannten Romans "Onkel Toms Hütte" gab, die in der Stummfilmzeit aber großteils mit weißen Darstellern gedreht wurden, die sich ihre Gesichter schwarz färbten – was die humanistische Wirkung des Buches logischerweise ziemlich ad absurdum führte ...). Aber auch nach der Gleichberechtigungsbewegung ab den 1960er Jahren blieb dieses dunkle Kapitel der Sklaverei oder auch des Rassismus an sich nur eine Fußnote der Filmgeschichte, die zwar hin und wieder thematisiert wurde (Spielbergs "Die Farbe Lila" und "Amistad", Edward Zwicks "Glory"), aber weit von einer umfassenden Aufarbeitung entfernt war. Erst in den letzten Jahren (vielleicht als "Nebenwirkung" des ersten schwarzen US-Präsidenten Barack Obama?) scheint sich das zu ändern: Spielbergs "Lincoln", Tarantinos "Django Unchained", dazu die sich mit dem Rassismus beschäftigenden "The Help" und "Der Butler" – das sind innerhalb von zwei oder drei Jahren so viele Großproduktionen wie sonst teilweise in einem ganzen Jahrzehnt nicht. Und alle waren erfolgreich. Allerdings waren alle auch sehr massentauglich inszeniert, eine richtige, unbequeme und dennoch öffentlichkeitswirksame Arthouse-Aufbereitung fehlte noch. Bis der (schwarze) britische Autorenfilmer Steve McQueen bekanntgab, mit "12 Years a Slave" die Memoiren der historischen Person Solomon Northup zu verfilmen. Das Resultat wurde mit drei OSCARs (u.a. in der Königskategorie "Bester Film") bei neun Nominierungen bedacht.

Die Filme von Steve McQueen waren noch nie leichte Kost. Das Nordirland-Drama "Hunger" und die Sexsucht-Story "Shame" enthalten zwar beide großartige Passagen, die McQueens inszenatorisches Talent eindrucksvoll aufzeigen – sie sind aber auch beide sehr anstrengend anzuschauen, mit einem mitunter quälend langsamen Erzähltempo und einer ganz bewußt reduzierten Handlung. Für "12 Years a Slave" hat sich McQueen überraschenderweise etwas von diesem Stil entfernt, das Sklaverei-Drama ist mit Abstand sein bislang zugänglichster Film geworden. Arthouse-Stoff ist er dennoch ohne Zweifel, aber schon aufgrund der Starbesetzung ist klar, daß McQueen dieses Mal auch ein paar Multiplex-Kinos erobern wollte. Das drückt sich ebenso in dem im Vergleich zu seinem bisherigen Werk deutlich erhöhten Erzähltempo aus und selbst in den mitunter berückend schönen, von Hans Zimmers zurückhaltender, aber gefühlvoller Musik untermalten Bildkompositionen seines Stamm-Kameramanns Sean Bobbitt (die manche Kritiker aber als für die Story leicht kontraproduktiv empfinden).

Im Zentrum steht jedoch natürlich Solomon Northup, von Chiwetel Ejiofor ebenso einfühlsam wie intensiv verkörpert. Er läßt die Zuschauer Solomons Verzweiflung nach der Entführung hautnah nachempfinden, seinen anfänglichen Trotz, aber auch seine zunehmende Resignation und später das tiefempfundene, hilflose Mitleid für die junge Sklavin Patsy (Lupita Nyong'o), die das Begehren ihres sadistischen Herrn Epps weckt und dafür den grenzenlosen Haß seiner Gattin (Sarah Paulson, TV-Serie "American Horror Story") erntet. Aber trotz dieser – ebenso wie bei Newcomerin Lupita Nyong'o (die sogar gewann) und Michael Fassbender mit einer OSCAR-Nominierung belohnten – Glanzleistung Ejiofors sorgt McQueens eher beobachtende als aktiv teilhabende Inszenierung dafür, daß stets eine gewisse emotionale Distanz zwischen Figuren und Publikum bestehen bleibt. Angesichts der vielen Grausamkeiten, die Solomon und die übrigen Sklaven durchleiden müssen, ist es doch erstaunlich, daß man nur in wenigen Sequenzen richtig in die bedrückende Szenerie hineingezogen wird – aber möglicherweise ist das genau so gewollt, denn andernfalls wäre das auf der Leinwand Präsentierte vielleicht zu unerträglich für die meisten Zuschauer. Denn schwer erträglich sind etliche Szenen auch so bereits.

Die wohl größte Stärke von "12 Years a Slave" ist es, wie beiläufig er das Übel der Sklaverei und seine Folgen schildert. Nur selten – wenn dafür eine dramaturgische Notwendigkeit besteht – hebt McQueen eine besonders schlimme Bestrafung hervor, häufiger verlegt er sie in den Hintergrund: Wenn man etwa am Bildrand und außerhalb des Kamerafokus nur verwaschen erahnen kann, wie jene Sklaven, die an dem Tag am wenigsten Baumwolle gepflückt haben, ausgepeitscht werden, dann ist das in der Tat wohl sogar eine effektivere Vorgehensweise als wenn man die Szene aus nächster Nähe beobachten dürfte oder eher müßte. Und auch umgekehrt funktioniert diese Vorgehensweise, wenn McQueen im Hintergrund unbeschwert spielende Sklavenkinder zeigt, während im Vordergrund Solomon halb aufgeknüpft an einem Baum hängt und um sein Leben kämpft. Auch die perfiden psychologischen "Nebenwirkungen" des Sklavenlebens auf die Schwarzen läßt "12 Years a Slave" nicht unerwähnt, denn Solidarität unter den Sklaven gibt es kaum – wenn es um die eigene Haut geht, ist eben jeder sich selbst der Nächste und selbst der Stolzeste und Edelste wird unter der Knute der Sklavenpeitsche irgendwann zum Egoisten. Und wenn am Ende Solomon doch noch befreit wird (was ob der Tatsache, daß es sich um die Verfilmung von Northups Memoiren handelt, kein echter Spoiler ist), dann ist das fern von einem Happy-End, denn seine Leidensgenossen – die nicht weniger Anrecht auf Freiheit und ein menschwürdiges Leben haben als er – muß er ja zurücklassen.

Wie angesichts der Besetzung nicht anders zu erwarten, zählen auch die schauspielerischen Leistungen zu den großen Vorzügen von "12 Years a Slave". Dafür sprechen schon die drei Darsteller-OSCAR-Nominierungen, aber auch die übrigen Rollen sind vorzüglich besetzt, was umso wichtiger ist, da viele Nebendarsteller nur wenige Szenen haben, um ihre Figuren zum Leben zu erwecken. Einer dieser Schauspieler ist übrigens Brad Pitt, der erst gegen Ende in einer kleinen, aber wichtigen Rolle als kanadischer Handwerker zu sehen ist; noch wichtiger war allerdings seine Position hinter den Kulissen, denn mit seiner eigenen Produktionsfirma Plan B war Pitt maßgeblich an der Finanzierung beteiligt – laut Steve McQueen würde der Film ohne Pitt gar nicht existieren. Hervorheben möchte ich zudem den von mir sehr geschätzten Garret Dillahunt ("Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford"), dem es wieder einmal gelingt, aus einer Minirolle – er ist nur wenige Minuten zu sehen als ehemaliger Sklavenaufseher, der als Folge seiner Trunksucht nun selbst neben den Sklaven arbeiten muß – erstaunlich viel herauszuholen und sie gar zu einer der am nachhaltigsten im Gedächtnis bleibenden des gesamten Films zu machen.

Eines der wenigen Probleme, die "12 Years a Slave" hat, sind ebenjene zwölf Jahre aus dem Titel. Die "fühlt" man nämlich nicht. McQueen gelingt es leider so gut wie gar nicht, die Länge von Solomons Martyrium greifbar zu machen. Angesichts des Storyverlaufs würde man eher vermuten, daß sich die ganze Geschichte innerhalb von zwei, vielleicht drei Jahren abspielt. Nun wären zwei oder drei Jahre in der Sklaverei natürlich weißgott schlimm genug – aber zwölf Jahre sind doch noch einmal eine ganz andere Dimension des Schreckens, die man dem Publikum besser hätte vermitteln können und auch sollen. Es soll zudem nicht verschwiegen werden, daß die Handlung des Films im Großen und Ganzen ziemlich vorhersehbar ist – aber das kann man ihm kaum anlasten, da er nun einmal den Aufzeichnungen des echten Solomon Northup folgt; Drehbuch-Autor John Ridley hat einen sehr guten Job gemacht, diese filmtauglich aufzuarbeiten, aber verfälschen wollte und durfte er sie natürlich nicht. Ähnlich sieht es bei den Charakteren aus, die teilweise recht klischeehaft wirken (allen voran der sadistische Aufseher, aber auch der Plantagenbesitzer, der sich in eine Sklavin verliebt), aber vermutlich dennoch der damaligen Realität entsprechen.

Fazit: "12 Years a Slave" ist ein beeindruckender, unbequemer Blick auf die Sklaverei im 19. Jahrhundert, der weniger von seiner nicht allzu originellen und etwas distanziert erzählten Story lebt als von der klugen, hintersinnigen Inszenierung und seinem hervorragenden Darsteller-Ensemble. Gewissermaßen der Arthouse-Gegenentwurf zu "Django Unchained".

Wertung: 8,5 Punkte.


2 Kommentare:

  1. Den Film möchte ich unbedingt diese Woche noch sehen, bin doch gespannt, auch wenn ich glaube, dass man da fast nicht enttäuscht werden kann. Die Kritik ist auf jeden Fall wahnsinnig gut geschrieben, da kommen mir meine geradezu stümperhaft vor!:-) Viele Grüße Chris

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    1. Erneut danke für das Lob (auch wenn deine/eure Kritiken ganz bestimmt nicht "stümperhaft" sind, ich hab' extra noch mal nachgeschaut :-)), allerdings fallen mir beim Überfliegen meines Textes gleich mal ein paar unnötige Wiederholungen auf, die ich noch korrigieren muß ... Und im Nachhinein betrachtet hätte ich wohl auch stärker auf die Bedeutung des Glaubens für die Story eingehen sollen (irgendeiner aus der Media Monday-Schar hat das in seiner oder ihrer Rezension sehr schön ausgeführt, ich weiß leider nicht mehr, wer es war ...).

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