Da ich momentan, wie mehrfach erwähnt, vor allem mit dem Fantasy Filmfest beschäftigt bin, entfällt "Neues aus Hollywood" diese Woche. Stattdessen will ich einen kurzen Blick auf die namhaften Filme werfen, die in den letzten eineinhalb Wochen bei den Festivals in Venedig und Telluride uraufgeführt wurden (aktuell läuft in Toronto bereits das nächste mit interessanten Premieren). Dabei sollte man aber bedenken, daß die Kritikerreaktionen bei den Festivals keineswegs immer der Zeit standhalten. Und damit meine ich nicht Jahre, nein, der Blick auf einen bestimmten Film kann sich bereits innerhalb weniger Wochen oder Monate komplett ändern. So wurde vor einigen Jahren beispielsweise Quentin Tarantinos "Inglourious Basterds" in Cannes mit mittelmäßigen Rezensionen abgespeist, ergatterte dann aber acht OSCAR-Nominierungen (allerdings hat Tarantino den Film vor dem regulären Kinostart noch ein wenig umgeschnitten). Dennoch, so sieht es momentan aus bei jenen Filmen, denen im Vorfeld die größten OSCAR-Chancen eingeräumt wurden:
- "Gravity": Daß Alfonso Cuaróns ("Children of Men") Film über zwei Astronauten (George Clooney und Sandra Bullock) in höchster Not qualitativ überzeugen wurde, hatte man gehofft. Daß sich die Kritiker von dem Weltraum-Thriller dermaßen begeistert zeigen würden, daß sogar Vergleiche zu Stanley Kubrick gezogen werden, ist dann doch überraschend. Die von Rotten Tomatoes derzeit gezählten 22 Kritiken sind allesamt positiv ausgefallen, bei einer durchschnittlichen Bewertung von unfaßbaren 8,8 von 10 Punkten. Vor allem die technischen Kategorien könnte der 3D-Film dominieren, aber auch für Nominierungen als Bester Film sowie für Regisseur, Hauptdarstellerin und Drehbuch sieht es nach dem momentanen Stand sehr gut aus.
- "12 Years a Slave": Der britische Regisseur Steve McQueen hat sich mit seinen sperrigen Werken "Hunger" und "Shame" schnell als Kritiker- und Arthouse-Liebling etabliert, für die großen Preisverleihungen waren seine Filme aber wohl einfach nicht genügend massentauglich. Das scheint sich hiermit zu ändern, denn die wahre Geschichte über einen freien afroamerikanischen New Yorker, der Mitte des 19. Jahrhunderts gekidnappt und als Sklave in die Südstaaten verkauft wird, scheint McQueen deutlich konventioneller zu erzählen, ohne dabei an Qualität einzubüßen. Auch hier zeigen sich die Kritiker begeistert, viele sehen den Film sogar als den Topfavoriten für die Königskategorie "Bester Film" an. Hauptdarsteller Chiwetel Ejiofor ("Serenity") sollte eine Nominierung sicher haben, einige weitere werden mit Sicherheit dazukommen.
- "Prisoners": Den Thriller des kanadischen Filmemacher Denis Villeneuve ("Die Frau, die singt – Incendies") hatte vor seiner Premiere in Telluride wohl niemand als ernsthaften Awards-Kandidaten auf der Liste. Doch auch hier waren Publikum und Kritiker ausgesprochen angetan, vor allem von dem Schauspielensemble um Hugh Jackman (als Vater, der die Suche nach seinem entführten Kind selbst in die Hand nimmt) und Jake Gyllenhaal (als leitender Detective). Zum Topfavoriten taugt ein Thriller in der Regel trotzdem nicht, doch manche Experten trauen ihm durchaus zu, eine ähnliche Rolle wie andere Ensemble-Thriller der jüngeren Vergangenheit á la "Mystic River", "Gone Baby Gone" oder auch "Departed – Unter Feinden" einzunehmen. Genauso gut kann es aber auch passieren, daß "Prisoners" letztlich zwar keine Rolle in der Awards Season spielt, dafür aber ein echter Crowdpleaser und kommerzieller Hit wird (wie es z.B. Ben Afflecks "The Town" erging).
- "Philomena": Nach einigen schwächeren Jahren mit Flops wie "Chéri", "Immer Drama um Tamara" oder "Lady Vegas" scheint dem britischen Regisseur Stephen Frears ("Die Queen", "Gefährliche Liebschaften") mit dieser Tragikomödie wieder mal ein eindrucksvolles Comeback zu gelingen. Für den ganz großen OSCAR-Wurf wird es wohl eher nicht reichen, doch Judi Dench ("Skyfall") sollte für ihre sensible Darstellung einer alten irischen Dame, die sich in den USA auf die Suche nach ihrem ihr vor Jahrzehnten von der katholischen Kirche geraubten unehelichen Sohn macht, sehr gute Chancen auf eine weitere Nominierung haben. Auch Komiker Steve Coogan ("In 80 Tagen um die Welt"), der in der Rolle eines atheistischen Journalisten Philomena bei ihrer Suche hilft, könnte bei der Verteilung der fünf Nebendarsteller-Nominierungen eine Rolle spielen.
- "Labor Day": Jason Reitman hat nach Kritikerhits wie "Thank You For Smoking", "Juno" oder "Up in the Air" mittlerweile das Problem, das man sehr viel von ihm erwartet. Entsprechend sorgte sein letzter Film "Young Adult" trotz ordentlicher Qualität eher für Enttäuschung bei den Kritikern. Und auch das Drama "Labor Day" scheint manchem Rezensenten etwas zu gewöhnlich daherzukommen. Unterm Strich kam die melodramatische Geschichte einer alleinerziehenden Mutter (Kate Winslet, "Zeiten des Aufruhrs"), die sich spontan entschließt, einem verletzten, vor der Polizei flüchtenden Mann (Josh Brolin, "True Grit") zu helfen, dennoch gut an. Und Winslet ist bekanntlich ein absoluter Liebling der Academy-Mitglieder.
- "The Zero Theorem": Viele hatten gehofft, daß Ex-Monty Python Terry Gilliam mit seiner dystopischen, an seinen Klassiker "Brazil" erinnernden Story über einen Computer-Hacker (Christoph Waltz) auf der Suche nach dem Sinn des Lebens an alte Glanzzeiten würde anknüpfen. Leider scheint sich diese Hoffnung nicht zu erfüllen, denn wenngleich einige Rezensenten sich durchaus begeistert zeigen, sehen die meisten eher wirres, enttäuschendes Mittelmaß. Nach den Ausschnitten, die ich bisher gesehen habe, würde es mich allerdings gar nicht so sehr wundern, wenn "The Zero Theorem" zu jenen Filmen gehört, die Jahre später Kultstatus einnehmen. In der aktuellen Awards Season wird Gilliams Werk aber wohl keine Rolle spielen.
- "Under the Skin": Für echte Awards-Chancen ist Jonathan Glazers ("Sexy Beast") unabhängig produzierte, hypnotische Science Fiction-Parabel, die von Kritikern mit Nicolas Roegs "Der Mann, der vom Himmel fiel" verglichen wird, wohl deutlich zu unkonventionell und abseitig. Doch möglicherweise hat Hauptdarstellerin Scarlett Johansson für ihre vielgelobte Verkörperung einer Außerirdischen auf der Reise durch Schottland eine Chance auf ihre überfällige erste OSCAR-Nominierung (daß sie für "Lost in Translation" nicht nominiert wurde, verstehe, wer will; ich tu's jedenfalls nicht ...).
Quellen:
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Der Trailer zu der Komödie "Prakti.com", in der das eingespielte "Die Hochzeits-Crasher"-Duo Owen Wilson und Vince Vaughn Praktika bei Google anfangen. Deutscher Kinostart ist am 26. September:
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