Originaltitel:
Ruben Brandt, a gyutjo
Regie:
Milorad Krstić, Drehbuch: Radmila Roczkov und Milorad Krstić, Musik: Tibor Cári
Sprecher
der ungarischen Originalfassung: Iván Kamarás, Gabriella Hámori, Zalán Makranczi, Gábor
Nagypál, Máté Mészáros, Katalin Dombi
FSK: 16; Dauer: 94 Minuten.
Ruben Brandt ist ein renommierter Kunsttherapeut, der seit
dem kürzlichen Tod seines Vaters in regelmäßigen Alpträumen von
weltberühmten, zum Leben erwachten Kunstwerken attackiert wird. Seine neue
Patientin Mimi, eine erfahrene Kunstdiebin, schlägt Ruben vor, gemeinsam mit
drei weiteren, ebenfalls kriminellen Patienten jene 13 Kunstwerke kurzerhand zu
stehlen, die ihn in seinen Träumen peinigen, in der Hoffnung, daß ihr Besitz
die Alpträume beendet. Und so macht sich das Quintett auf, um die in Museen
überall in der Welt verteilten Gemälde – zu denen Sandro Botticellis "Die
Geburt der Venus", Édouard Manets "Olympia", Pablo Picassos "Frau mit Buch" und Andy Warhols
"Double Elvis" zählen – zu erbeuten. Dicht auf den Fersen ist ihnen
allerdings der Privatdetektiv Mike Kowalski, außerdem hat es sich Mimi dank
eines nicht korrekt ausgeführten Auftrags mit einem gefährlichen Gangster
verscherzt, der auf Rache sinnt …
Kritik:
Die Kunst und zum Leben erwachende Kunstwerke in das
Zentrum eines unkonventionellen Animationsfilms zu stellen, ist keine ganz neue
Idee – erst 2017 sorgte der polnisch-britische "Loving Vincent" für
Furore und wurde sogar für einen OSCAR nominiert. An einem ähnlichen Konzept
versucht sich auch der ungarische "Ruben Brandt, Collector", wobei
man angesichts der langen Produktionszeit von Animationsfilmen davon ausgehen
kann, daß es sich nicht um einen Nachahmer des "Loving
Vincent"-Erfolgs handelt. Dafür sind beide Filme sowieso viel zu
unterschiedlich, denn während sich "Loving Vincent" beispielsweise –
der Titel verrät es – auf Gemälde von Vincent van Gogh beschränkt, deckt
"Ruben Brandt, Collector" alleine mit seiner Haupthandlung ganze 13
Kunstwerke verschiedenster Stilrichtungen von der Renaissance über Impressionismus und Surrealismus bis hin zur Pop Art ab, dazu kommen unzählige indirekte
Anspielungen. Auch die Handlung unterscheidet sich bei "Ruben Brandt"
deutlich von "Loving Vincent": Zwar haben beide Filme mit kriminalistischen
Handlungen zu tun, während jedoch "Loving Vincent" die Ermittlungen
eines Amateur-Detektivs begleitet, gibt sich "Ruben Brandt" eher
als im Kern relativ klassischer Heistfilm – wenngleich in beiden Fällen die
Story sowieso vorrangig ein Mittel zum Zweck ist, um der beeindruckenden Animationskunst
einen passenden Rahmen zu verleihen. Das funktioniert ordentlich,
weshalb beide Werke trotz dramaturgischer Schwächen nicht allein, aber
besonders für Kunstkenner und -liebhaber höchst empfehlenswert sind.
Ich gebe gerne zu, daß ich kein großer Gemälde-Experte bin, ein robustes Basiswissen ist allerdings durchaus vorhanden.
Mit anderen Worten: Ich habe viele der Kunstanspielungen in "Ruben Brandt,
Collector" – dessen in Jugoslawien geborener ungarischer Regisseur Milorad Krstić selbst ein erfolgreicher Maler ist – erkannt, ohne sie immer genau zuordnen zu können. Zu den
Ausnahmen zählen eine erschreckte Passantin, deren Gesicht sich wie Edvard
Munchs "Der Schrei" verzerrt, sowie eine deutlich an die
impressionistischen Gemälde Claude Monets gemahnende zersplitternde
Windschutzscheibe. Dankenswerterweise werden die im Film direkt referenzierten
Kunstwerke im Abspann aufgezählt, eine Auflistung aller Anspielungen würde allerdings ungleich länger ausfallen. Wer nicht ganz so viel mit
Gemälden am Hut hat, kann sich übrigens darüber freuen, daß es ebenso
zahlreiche Filmanspielungen gibt. Beispielsweise sammelt Kowalski Filmrequisten
wie Rambos Messer oder Rasiermesser aus diversen Filmen (wie "Der große
Diktator" und "Die Unbestechlichen"), während das Arbeitszimmer von Rubens Vater mit Filmplakaten von Klassikern des deutschen
Expressionismus der 1910er und 1920er Jahre (etwa "Der Student von
Prag" und "Das Cabinet des Dr. Caligari") zugepflastert ist. Die Animation von
"Ruben Brandt, Collector" ist derweil entsprechend der vielfältigen involvierten Kunstrichtungen ungewöhnlich und passenderweise sehr
künstlerisch, ohne sich dabei groß um Realismus zu scheren (einer von Rubens
Komplizen ist sogar zweidimensional ...). Das sieht ein wenig gewöhnungsbedürftig,
dann aber definitiv höchst sehenswert und künstlerisch beeindruckend aus.
Gerade Rubens häufig surreale Alpträume sind ansprechend und originell
gestaltet. Ja, genau so sollte ein Animationsfilm über Kunst tatsächlich
aussehen!
Zu den Stärken des Films zählt aber keineswegs nur die Optik,
sondern auch die Akustik. Die musikalische Untermalung ist eine in der Theorie
äußerst krude anmutende, in der Praxis aber erstaunlicherweise wunderbar
funktionierende Mischung aus klassischer Musik von Schubert, Strawinsky,
Mozart, Tschaikowski oder Haydn mit der melancholisch
angehauchten Filmmusik von Tibor Cári und jazzigen Coverversionen von Pophits
wie Britney Spears' "Oops! … I did it again", Meghan Trainors "All About That Bass"
oder Radioheads "Creep" (jeweils eingespielt von Scott Bradlee's Postmodern
Jukebox). Nicht ganz so sehr überzeugen hingegen Handlung und Figuren. Die
Protagonisten sind durchaus sympathisch, sie bleiben dem Publikum jedoch
ziemlich fremd, obwohl die Sprecher in der deutschen Synchronfassung gute Arbeit leisten (eine Übersicht der Sprecher konnte ich leider nicht finden).
Gleichzeitig fehlt es der ein wenig schwarzhumorigen Handlung lange Zeit am für einen Heistfilm
nötigen Tempo, außerdem hätte man den Kunstrauben selbst gerne mehr
Aufmerksamkeit widmen können. Im letzten Drittel nehmen dann die (allerdings
spannend inszenierten) Actionsequenzen etwas überhand und führen zu einem ziemlich
abrupt wirkenden, trotz einer interessanten Erklärung für Rubens Alpträume nur bedingt befriedigenden Ende. Ähnliche Probleme hatte ja
auch "Loving Vincent" und es ist schade, daß es bislang nicht
gelingt, solch kunstvolle Animationstechnik mit einer richtig
überzeugenden Story zu kombinieren. Trotzdem ist "Ruben Brandt,
Collector" zweifellos ein buchstäblich sehenswerter (und auch
hörenswerter) Film nicht nur für Kunstliebhaber und ein in ziemlich einzigartiges Filmvergnügen.
Fazit: "Ruben Brandt, Collector" ist ein
visuell eindrucksvoll gestalteter und musikalisch stark untermalter ungarischer
Animationsfilm mit Kunstschwerpunkt, dessen schwarzhumorige Story allerdings etwas dünn ausfällt.
Wertung: 8 Punkte.
"Ruben Brandt, Collector" wird in der Theorie ab dem 29. Oktober 2020 von Indeed Film in ausgewählten deutschen Kinos präsentiert, was durch die coronabedingte Kinoschließung im ganzen November aber nicht mehr umsetzbar sein dürfte. Eine Rezensionsmöglichkeit wurde mir freundlicherweise von more publicity zur Verfügung gestellt.
P.S.: Wer an der vollen Liste der Kunstwerke interessiert ist, die Ruben peinigen:
Frédéric Bazille: Porträt des Pierre Auguste Renoir (1867)
Sandro Botticelli: Die Geburt der Venus (ca. 1486)
Hans Holbein der Jüngere: Porträt Antons des Guten, Herzog von Lothringen (1543)
Frank Duveneck: Whistling Boy (1871)
Paul Gauguin: Frau, die eine Frucht hält (1893)
Vincent van Gogh: Porträt des Briefträgers Joseph Roulin (1888)
Edward Hopper: Nighthawks (1942)
René Magritte: Der Verrat der Bilder (1929)
Édouard Manet: Olympia (1863)
Pablo Picasso: Frau mit Buch (1932)
Tiziano Vecellio: Venus von Orbino (1538)
Diego Velázquez: Infantin Margarita in blauem Kleid (1659)
Andy Warhol: Double Elvis (1964)
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