Wegen des Eisernen Vorhangs haben es nach dem Zweiten Weltkrieg wenige osteuropäische Filmemacher zu Weltruhm gebracht - eigentlich würde ich nur den Polen Roman Polanski, den Ungarn István Szabó, den Russen Andrei Tarkowski und den Tschechen Miloš Forman in diese Kategorie einordnen, vielleicht noch den früh verstorbenen Polen Krzystof Kieslowski und den Serben Emir Kusturica. Es wird höchste Zeit für Nachwuchs, denn Miloš Forman ist gestern gestorben, womit nur noch Polanski (84), Szabó (80) und Kusturica (63) übrig bleiben. Forman hat zwar gar nicht so viele Spielfilme gedreht - neun in Hollywood, vier in der Tschechoslowakei bzw. Tschechien -, dafür ist die Anzahl der auch nur tendentiell mißlungenen bewundernswert niedrig. Miloš Forman war ein gewissenhafter und perfektonistischer Regisseur (und manchmal auch Drehbuch-Autor), der sich Zeit für seine Filme - in denen es oft um Künstler respektive Freigeister ging - ließ, um sie wirklich so gut wie nur irgend möglich hinzubekommen. Und das hat sich meist gelohnt.
Forman - der bereits als Teenager seine Eltern verlor, die in deutschen Konzentrationslagern ermordet wurden - begeisterte sich schon früh für Film und Theater und schuf mit Mitte 20 erste Dokumentarfilme. Sein erster Spielfilm war 1964 "Der schwarze Peter", eine dokumentarisch anmutende Schwarzweiß-Charakterstudie des vom Pech verfolgten 17-jährigen Peter, für den Miloš Forman gleich etliche internationale Auszeichnungen erhielt. Den endgültigen Durchbruch feierte die Leitfigur der "Tschechoslowakischen Neuen Welle" der 1960er Jahre mit ihren beiden nächsten, ebenfalls vorwiegend mit Laiendarstellern besetzten Werken, die sich wieder durch Formans präzise Beobachtungsgabe auszeichnen, die er sich vermutlich in seinen Anfängen als Dokumentarfilmer aneignete: "Die Liebe einer Blondine" (1965) ist eine Kombination aus tragikomischer Charakterstudie und melancholischer Analyse einer unterdrückten Gesellschaft, "Der Feuerwehrball" (1967) eine köstliche und noch offener gesellschaftskritische (laut Forman von eigenen Erlebnissen inspirierte) Satire über die von unfähigen Funktionären mehr schlecht als recht organisierte titelgebende Feierlichkeit. Bei der kommunistischen Führung kam dies naturgemäß nicht so gut an und nach der blutigen Niederschlagung des Prager Frühlings war es vorbei mit der relativen Freiheit des osteuropäischen Kinos. Forman, der sich da gerade in Paris aufhielt, durfte nicht in seine Heimat zurückkehren und zog deshalb schließlich in die USA, wo er seine Karriere nach einem holprigen Start in Hollywood (die stark vom Stil seiner Frühwerke geprägte Satire "Taking Off" überforderte scheinbar die amerikanischen Zuschauer und Kritiker und floppte trotz einer Auszeichnung beim Filmfestival von Cannes) in ganz neue Höhen katapultierte.
Hauptsächlich dafür verantwortlich ist seine kongeniale Adaption des Romans "Einer flog über das Kuckucksnest" von Ken Kesey (sowie dessen Theaterumsetzung von Dale Wassermann). Das in einer psychiatrischen Anstalt spielende, von Michael Douglas koproduzierte Drama ist ohne jeden Zweifel einer der besten Filme aller Zeiten (aktuell Platz 16 in den IMDb Top 250!) und auch einer meiner persönlichen Favoriten. Es ist schier unglaublich, wie es Forman gelingt, die im Kern zutiefst tragische Story so zu inszenieren, daß sie das Publikum abwechselnd zum Lachen und zum Weinen bringt, es aufrüttelt und wütend macht, aber zugleich inspiriert und berührt mit der großen Menschlichkeit, die den Film jederzeit durchströmt. Jack Nicholson spielt die vielleicht beste Rolle seiner großartigen Karriere als charismatischer Kleinkrimineller und Koreaveteran Randle McMurphy, der wegen Verführung einer Minderjährigen verurteilt wird. Um nicht erneut ins Gefängnis zu müssen, verhält sich Randle wie ein Wahnsinniger und wird prompt in die Psychiatrie eingewiesen. Lange ist er darüber jedoch nicht froh, denn die Station, in die er kommt, wird von Schwester Ratched (Louise Fletcher) mit sadistischer, gnadenloser Strenge geleitet. Randle, der sich nicht anpassen will und zunehmend für Unruhe unter den Patienten sorgt, ist ihr natürlich ein besonders großer Dorn im Auge - doch Randle, der sich ja eigentlich nur aus Egoismus einweisen ließ, entwickelt zunehmend den Drang, den schlecht behandelten und mit Medikamenten betäubten Mitpatienten (die u.a. von Will Sampson, Brad Dourif, Christopher Lloyd und Danny DeVito verkörpert werden) wirklich zu helfen. "Einer flog über das Kuckucksnest" gewann fünf OSCARs (für Nicholson, Fletcher, Drehbuch, Regie und als Bester Film), seine größte Leistung war aber, daß er maßgeblich dazu beitrug, daß die höchst umstrittene Hirnoperationstechnik der Lobotomie in Verruf geriet und schließlich keine Anwendung mehr fand.
Nach dem gewaltigen Erfolg von "Einer flog über das Kuckucksnest" hatte Forman mehr oder weniger freie Hand, was er für eine abseits der hervorragenden Musiksequenzen jedoch eher mittelmäßig besprochene Adaption des Anti-Kriegsmusicals "Hair" im Jahr 1979 nutzte sowie zwei Jahre später für eine Verfilmung von E.L. Doctorows kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges spielendem Roman "Ragtime". Beide Filme enttäuschten kommerziell, obwohl es für "Ragtime" mit James Cagney stolze acht OSCAR-Nominierungen gab, von denen allerdings keine in einen Gewinn umgemünzt werden konnte. Das sollte sich mit der Theaterverfilmung "Amadeus" (1984) ändern, denn das kunstvolle Mozart-Biopic aus der Sicht seines Erzrivalen Antonio Salieri (F. Murray Abraham), für dessen Dreharbeiten Forman erstmals wieder in die Tschechoslowakei zurückkehren durfte, gewann acht Academy Awards bei elf Nominierungen und war ein Hit an den Kinokassen! Anschließend ließ sich Forman zunehmend Zeit bei neuen Projekten, seine letzten vier Filme verteilen sich auf rund 20 Jahre: "Valmont" (1989) mit Colin Firth und Annette Bening war eine gefällige und opulente, aber inhaltlich unspektakuläre und überraschend zahm wirkende Verfilmung des Briefromans "Gefährliche Liebschaften", die vor allem darunter litt, daß Stephen Frears' konkurrierende und deutlich bessere Adaption mit John Malkovich und Glenn Close ein Jahr früher die Leinwände eroberte.
Mehr Erfolg zumindest bei den Kritikern und Arthouse-Fans hatte Forman in den 1990er Jahren mit seinem schwarzhumorigen Biopic "Larry Flynt - Die nackte Wahrheit" (1996) mit Woody Harrelson in der Titelrolle des Gründers des Männermagazins "Hustler". Der Film positioniert sich klar zugunsten von Meinungs- und Kunstfreiheit, im Zentrum steht Flynts Verurteilung und vorübergehende Inhaftierung wegen Pornographie in den 1970er Jahren. Sein letztes, wenn auch unbequemes Meisterwerk gelang Miloš Forman 1999 mit dem tragikomischen Künstler-Biopic "Der Mondmann", in dem Jim Carrey mit der mit Abstand besten schauspielerischen Leistung seines Lebens (die ihm einen Golden Globe einbrachte) den höchst unkonventionellen US-Komiker Andy Kaufman spielt, der kein klassisches Stand-Up-Programm macht, sondern sein Publikum schon mal mit dem Singen von Kinderliedern irritiert oder seinen Auftritt dazu nutzt, F. Scott Fitzgeralds kompletten Roman "Der große Gatsby" vorzulesen ... Nachdem Forman im Jahr 2000 sogar als Schauspieler überzeugte (als Pfarrer in Edward Nortons sehr unterhaltsamem Regiedebüt "Glauen ist alles!"), sollte 2006 die spanische Produktion "Goyas Geister" seine letzte große Regiearbeit werden. Auch hier vermengte er wieder Künstlerportrait und Gesellschaftsstudie, wobei der spanische Maler Francisco de Goya (Stellan Skarsgård), seine junge Muse Inés (Natalie Portman) und die Untaten der spanischen Inquisition um das Jahr 1800 herum im Zentrum stehen. Leider ist der Film recht mittelmäßig geraten und floppte, was abgesehen von dem außerhalb seiner alten Heimat kaum wahrgenommenen, gemeinsam mit seinem Sohn Petr in Tschechien inszenierten Musical "A Walk Worthwile" (2009) auch ob seines Alters das Ende von Formans aktiver Karriere bedeutete (ein letztes Projekt mit Gérard Depardieu konnte nicht die nötige Finanzierung sichern).
Am Freitag, dem 13. April 2018 starb der große Filmemacher Miloš Forman im Alter von 86 Jahren nach kurzer Krankheit in den USA. R.I.P.
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