Regie und Drehbuch: Darren Aronofsky, Musik: Jóhann
Jóhannsson
Darsteller: Jennifer Lawrence, Javier Bardem, Ed Harris,
Michelle Pfeiffer, Domhnall Gleeson, Brian Gleeson, Kristen Wiig, Stephen
McHattie, Jovan Adepo, Laurence Leboeuf
FSK: 16, Dauer: 122 Minuten.
Eine junge Frau (Jennifer Lawrence, "Silver Linings") ist vor Kurzem mit ihrem doppelt so alten Ehemann (Javier Bardem,
"Skyfall") – einem erfolgreichen, aber aktuell unter einer
hartnäckigen Schreibblockade leidenden Schriftsteller – in eine prächtiges,
abgelegenes Landhaus irgendwo in der Provinz gezogen. Es handelt sich um jenes Gebäude, in dem der Schriftsteller aufwuchs, das später aber einem verheerenden Brand
zum Opfer fiel – die Ehefrau hat es in mühevoller Kleinarbeit wiederaufgebaut
und renoviert, nun ist es zwar noch nicht ganz fertig, aber wieder bewohnbar.
Schon bald wird die traute Zweisamkeit allerdings gestört durch einen ungebetenen
Besucher (Ed Harris, "Snowpiercer"), den der Schriftsteller zum
Unwillen seiner Frau einlädt, ein paar Tage bei ihnen zu bleiben. Die
Verärgerung der Hausherrin steigert sich noch, als tags darauf die Gattin
(Michelle Pfeiffer, "Dark Shadows") des Fremden auftaucht, sich kurzerhand ebenfalls
einquartiert und sich ziemlich aufdringlich in ihr Leben und ihre Beziehung zu
ihrem Mann einmischt. Und sie soll nicht der letzte Besucher
bleiben. Endgültig zum Alptraum wird die Episode für alle Beteiligten, als es
schließlich zu einer beinahe biblischen Bluttat kommt …
Kritik:
Was haben folgende Filme gemein: Uwe Bolls
Videospieladaption "Alone in the Dark"; William Friedkins
psychologischer Horrorfilm "Bug – Tödliche Brut"; Steven Soderberghs
SciFi-Remake "Solaris"; Andrew Dominiks Gangsterdrama
"Killing Them Softly"; Greg McLeans australischer Horrorfilm
"Wolf Creek"; und Robert Altmans romantische Komödie "Dr. T and
the Women"? Na, gar nicht so einfach, oder? Verschiedene Genres,
Kult-Filmemacher und Trash-Regisseure, gute und schlechte Kritiken,
unterschiedliche Altersfreigaben – da ist so einiges vertreten. Die eine
große Gemeinsamkeit: All diese Filme (und noch einige deutlich weniger bekannte
mehr) haben einen "F"-CinemaScore erhalten. Zur Erklärung:
CinemaScore ist ein Marktforschungs-Unternehmen, das am bekanntesten für
ebenjenen CinemaScore ist – eine Bewertung aller in den USA breit in die Kinos
kommenden Filme in Form einer Publikumsbefragung am Starttag. Nun ist die
schlechteste Note zwar nicht ganz so schlimm, wie es klingt, da der CinemaScore
nicht ein arithmetischer Durchschnitt ist oder ein Median, sondern aufgrund
eines speziellen, geheimgehaltenen, aber mitunter nur schwer nachvollziehbaren
Algorithmus berechnet wird; es ist also keineswegs so, daß etwa 80%
aller befragten Zuschauer ein "F" vergeben haben, eher spricht das
Resultat für ein sehr polarisierendes Werk. Trotzdem ist der Wert selbstredend
kein Ruhmesblatt, zumal sich der CinemaScore als ein vergleichsweise verläßlicher
Indikator für die Mundpropaganda und somit die Kino-Langlebigkeit der entsprechenden
Filme etabliert hat. Daß "mother!" polarisiert, viele Zuschauer sogar
verstört und verärgert, wundert mich nicht und ist zuallererst einer
aus finanziellen Gesichtspunkten nachvollziehbaren, jedoch arg irreführenden
Marketingkampagne geschuldet. Denn "mother!" ist definitiv kein auch
nur halbwegs normaler Horrorfilm, auch kein psychologisches Beziehungsdrama und
trotz der grandiosen Besetzung ganz bestimmt kein klassisches Starkino. Nein,
"mother!" ist der surreale Fiebertraum eines eigenwilligen,
selbstbestimmten, keine Kompromisse eingehenden, aber oft brillanten Künstlers
namens Darren Aronofsky ("Black Swan"). So etwas hat in
Multiplex-Kinos eigentlich nichts zu suchen, sondern gehört in den
Arthouse-Bereich. Angesichts eines Budgets von mindestens $30 Mio. (der
offiziell angegebene Wert; Branchenkenner gehen allerdings davon aus, daß der
geschönt ist, da alleine die üblichen Gagen der Schauspieler ihn schon fast
erreichen müßten) kann man aber auf die Mainstream-Zuschauer eben nicht komplett
verzichten. Das ist schade für diejenigen, die wegen falscher Erwartungen einen
unangenehmen Kinoabend verbringen und es ist schade für einen in jeder Hinsicht
bemerkenswerten Film, der auf diese Weise eben mit einem "F"-CinemaScore abgestraft wird und somit fast von Beginn an – und trotz
überwiegend positiver Kritiken – unverdient einen ziemlich schlechten Ruf weg
hat.
Obwohl man "mother!" formal durchaus als
klassischen Dreiakter einstufen kann, werde ich im folgenden stattdessen von
einer Zweiteilung ausgehen, die mir sinnvoller erscheint
(und ebenso zeitlich hinkommt, wenngleich die erste Filmhälfte etwas länger ist als
die zweite). In der ersten Hälfte werden wir Zeugen einer
Kombination aus Beziehungsdrama und Gesellschaftssatire, wobei sich angesichts
der Zwei Paare-Konstellation und der wenig behaglichen Atmosphäre Vergleiche zu
Roman Polanskis "Der Gott des Gemetzels" geradezu aufdrängen.
Allerdings ist die Stimmung in "mother!" deutlich bedrückender, da
auf scharfzüngige Dialoge weitestgehend verzichtet wird und man auch einen roten
Storyfaden vermißt. Im Grunde genommen sitzt man zunehmend verstört vor der
Leinwand und fragt sich, was genau das alles soll, während sich auch
dank der genretypisch unheilvollen Klangkulisse das Gefühl immer weiter
verstärkt, daß die zwar unangenehme, aber doch eigentlich ziemlich harmlos anmutende
Situation kurz vor einer heftigen Explosion steht. Dazu trägt bei, daß die
Beziehung zwischen dem ungleichen Gastgeber-Ehepaar nicht so harmonisch ist,
wie es auf den ersten Blick scheint – er übergeht und ignoriert sie immer
wieder beiläufig, was bei ihr zu einer erkennbaren Unsicherheit führt. Das
aufdringliche und unhöfliche Verhalten der irritierenderweise auch vor intimen
Fragen nicht zurückschreckenden Gäste entblößt die Risse in einer scheinbar
glücklichen Ehe zusätzlich, zumal die Besucher immer wieder ominöse, für die
Hausherrin unverständliche Bemerkungen machen, die für den Zuschauer leicht als
"Foreshadowing" erkennbar sind und somit dessen innere Unruhe
angesichts der erwarteten Eskalation weiter steigern. Im Kern ist diese
erste Hälfte von "mother!" ein waschechter "Home
Invasion"-Film, wenn auch auf ganz andere Weise als man das von
klassischen Vertretern des Horror-Subgenres ("The Strangers",
"The Purge", "Funny Games") gewohnt ist.
Das Ganze erinnert an vom Stil her an die Frühwerke von Roman
Polanski ("Der Mieter"), aber ebenso an die satirisch-beißende
Gesellschaftskritik des begnadeten Surrealisten Luis Buñuel ("Der diskrete
Charme der Bourgeoisie") – wobei hier zunächst aber nicht ganz klar ist,
ob die immer weiter, dabei nicht übermäßig authentisch eskalierenden Ereignisse
nun gewollt oder ungewollt (latent) komisch herüberkommen. Dazu zählt auch, daß die Hausherrin,
nachdem es im Haus schließlich zu der allseits erwarteten Eruption in Form einer
blutigen Tat kommt, gar nicht auf die Idee kommt, die Polizei zu holen; stattdessen
reinigt sie lieber sogar noch den Tatort! Selbst wenn man ihr zugutehält, daß
sie mehr oder weniger stark unter Schock steht, zudem naiv und unerfahren ist –
herrje, so dämlich kann man doch gar nicht sein! Zu diesem Zeitpunkt war
ich fast soweit, "mother!" für mich als Enttäuschung zu verbuchen,
zumal sich phasenweise sogar Langeweile bei mir einstellte. Doch dann folgt der Schnitt zur
einige Monate später mit einer inzwischen schwangeren Hausherrin spielenden
zweiten Hälfte, in der Darren Aronofsky jegliche Zurückhaltung ablegt. Nun wirft
Aronofsky dem zu diesem Zeitpunkt – falls ich einigermaßen repräsentativ bin – nah an der Verzweiflung stehenden Zuschauer endlich ein paar
interpretatorische Strohhalme zu, an denen er sich festhalten kann. Denn in der
trotz des Foreshadowing und einiger merkwürdiger Begebnisse (wie seltsam geformte Blutflecken,
die auftauchen und wieder verschwinden; oder eine Toilette, die aus einem hochgradig
irritierenden Grund verstopft ist) noch relativ "normal" wirkenden ersten
Hälfte fehlt einem schlicht jedweder Ansatz zur Interpretation, weshalb man
sich einfach verloren fühlt. Doch in der zweiten Hälfte kann spätestens nach
einer von Kameramann Matthew Libatique ("Iron Man") furios
gefilmten, vollkommen irren Sequenz nach der Veröffentlichung des Buches des
Schriftstellers keinerlei Zweifel mehr bestehen, daß wir den Boden der Realität
verlassen haben – was nachträglich das merkwürdige Verhalten der handelnden Personen relativiert.
Dabei wiederholt sich die zweite Hälfte die erste mehr oder weniger, aber auf eine vollkommen durchgedrehte und surreale Art und Weise, die hauptverantwortlich für die negativen Reaktionen sein dürfte. Kurioserweise ergibt so aber der "erste Durchgang" nachträglich ansatzweise Sinn und man kommt auch endlich dazu, Theorien dazu zu entwickeln, was Darren Aronofsky uns mit seinem Film eigentlich sagen will. Leicht ist
die Suche nach Antworten selbstredend nicht, aber zumindest gibt es nun
Ansätze. Am offensichtlichsten erscheint zunächst, daß es sich um eine
Schwangerschafts-Parabel handelt (der Film wird von einigen Kritikern mit
Polanskis "Rosemaries Baby" verglichen). Genauso gut ist eine
allgemeinere Metapher für (kriselnde) Beziehungen möglich, ebenso eine
Thematisierung des künstlerischen Prozesses an sich. Und natürlich darf die
religiöse Komponente nicht ignoriert werden, die sich in der zweiten Hälfte zunächst recht subtil einschleicht, dann aber immer größeren Raum einnimmt und
schließlich fast alles überstrahlt. Am Ende des Films war ich ziemlich
zuversichtlich, verstanden zu haben, worum es Aronofsky geht, aber darauf gehe
ich lieber erst nach der eigentlichen Rezension ein, denn das Rätselraten – sofern man bereit ist, sich angesichts der anfänglichen scheinbaren
Aussichtslosigkeit des Unterfangens darauf einzulassen – macht einen guten Teil
des Reizes von "mother!" aus. Die Figuren
bleiben übrigens allesamt namenlos, weshalb es sich lohnt, im Abspann ihre
vielsagenden Bezeichnungen zu lesen (oder später in der IMDb nachzuschauen, denn der Abspann läuft ziemlich schnell durch – bietet
dafür gegen Ende aber immerhin noch einen letzten Interpretationshinweis, der
meine These netterweise bestärkt); da gibt es etwa den Zeloten oder
Eiferer (Stephen McHattie, "Haunter"), den Schürzenjäger, den Herold (Kristen Wiig,
"Der Marsianer"), die Jungfrau (Laurence Leboeuf,
"Turbo Kid"), den Mundschenk (Jovan Adepo, "Fences"), den
Plünderer, die gute Samariterin oder – besonders poetisch – den Pisser.
Getragen wird "mother!" nicht nur von Aronofskys
einzigartiger, wenngleich fraglos kontrovers diskutierbarer künstlerischer
Vision, sondern auch von der exzellenten Besetzung. Vor allem Jennifer Lawrence
brilliert einmal mehr in ihrer bislang vielleicht schwierigsten Rolle. Sie ist
es, die den Film dominiert, auf sie richtet Aronofsky den Fokus, was durch den
häufigen Einsatz der Handkamera, die der werdenden Mutter dicht folgt und ihre Ruhelosigkeit angesichts der für sie nicht nachvollziehbaren
Entwicklungen unterstreicht, noch betont wird. Lawrence durfte in ihrer immer
noch jungen Karriere schon viele komplexe Charaktere verkörpern, wie
nuanciert sie allerdings in "mother!" die latente Unsicherheit der Hausherrin
auf die Leinwand bringt, ihre Verständnislosigkeit, aber auch ihre innere
Stärke, ihr Aufbegehren und ihren Löwenmut, das ist schlicht atemberaubend.
Javier Bardem ist ihr ein würdiger Partner, wenngleich seine Rolle weniger
komplex ist und ihm damit nicht so viel Raum zum Glänzen gibt. Auch Ed Harris
und Michelle Pfeiffer in ihrer besten (und gleichzeitig unangenehmsten) Rolle
seit einer geraumen Weile überzeugen auf der ganzen Linie, wohingegen die übrigen Darsteller
(darunter die beiden Gleeson-Brüder Domhnall und Brian als die Söhne der
ungebetenen Besucher) nur kurze – wenngleich teilweise erinnerungswürdige –
Auftritte haben. Es ist schwer, dem Leser auch nur
ansatzweise zu vermitteln, wie irre, wie absurd, wie surreal sich die zweite
Hälfte von "mother!" entwickelt – es gab Phasen, da fühlte ich mir
gar an Monty Pythons "Das Leben des Brian" erinnert! –, doch ich kann
sagen, daß Aronofsky ein formal wie inhaltlich beeindruckendes, dabei fraglos
höchst anstrengendes Kunstwerk gelungen ist, das konzentriertes Mitdenken und
qualifiziertes Rätselraten einfordert, sich aber unauslöschbar ins
Gedächtnis einbrennt und zum ausdauernden Nachdenken und Interpretieren
einlädt. Mir macht das großen Spaß, aber mir ist vollkommen klar, daß viele Menschen nichts mit einem solchen Film anfangen können.
Fazit: "mother!" ist ein Film, der sich jeglicher konkreter Genredefinition entzieht – ein an das Horrorgenre angelehnter, stark gespielter und optisch wie akustisch eindrucksvoll umgesetzter Experimentalfilm, Fiebertraum eines genialen, unangepaßten Künstlers, der sein Publikum mit verstörender, lange Zeit ratlos zurücklassender Atmosphäre und einer zunehmend surrealen bis völlig irren zweiten Filmhälfte fordert.
Wertung: 8 Punkte (6 für die erste Hälfte, 9 für die
zweite, die aber nachträglich auch die erste besser macht …).
EXTREME SPOILERWARNUNG!
Nun also, wie versprochen, zu meiner Interpretation von
"mother!": Wenngleich es für zahlreiche Erklärungsansätze gute Gründe
gibt – ich war durchaus froh, als ich nach dem Kinobesuch im Internet
nachforschte und erkannte, daß ich zumindest die gängigsten fast alle erkannt
habe – und Aronofsky natürlich durchaus eine Kombination von mehreren im Sinn
gehabt haben kann, gefällt mir persönlich die Kunst-Allegorie am besten:
Bardems Schriftsteller steht dabei allgemein für die
Künstler dieser Welt, Lawrences werdende Mutter ist seine Muse beziehungsweise Inspiration, das Baby ist ihr gemeinsames
Werk. Die fanatischen Anhänger entsprechen der Überhöhung von Künstlern (auch
Sportlern) in unserer Gesellschaft, wohingegen die Aggressionen für
vernichtende Verrisse oder auch schlicht die Vereinnahmung des Werks durch
alle, die sich irgendwie dazu berufen fühlen, stehen. Der Film könnte sogar
eine Metapher für Darren Aronofskys Karriere sein angesichts der ursprünglichen
Begeisterung über sein Werk (wie bei seinen ersten Filmen "Pi" und
"Requiem for a Dream"), die in teilweise heftige Ablehnung umschlägt (bei
seinem Bibelfilm "Noah"). Jennifer Lawrence dagegen hat öffentlich
die Theorie vertreten, daß es sich um eine biblische Allegorie handelt mit ihr
als "Mutter Erde", dem Schriftsteller als Gott und den Besuchern als
Adam und Eva. Das ist ebenfalls schlüssig (und gar nicht so unähnlich,
schließlich ist der Künstler auch ein Erschaffer …), mir gefällt
"meine" aber besser.
SPOILERWARNUNG ENDE.
SPOILERWARNUNG ENDE.
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