Neben so illustren Namen wie Catherine Deneuve, Brigitte Bardot oder Isabelle Huppert zählt Jeanne Moreau zu den größten weiblichen Ikonen des französischen Kinos. Gerade mit ihrer unwahrscheinlichen Wandlungsfähigkeit, aber auch mit ihrer unverkennbaren rauchigen Stimme (mit der sie in ihrer Heimat als Sängerin Erfolge feierte) und dem nicht makellos schönen, aber faszinierenden und einprägsamen Gesicht bleibt Jeanne Moreau lange in Erinnerung. Gestern starb sie mit 89 Jahren in ihrer Geburtsstadt Paris.
Die, wie so viele Schauspieler, am Theater ausgebildete Jeanne Moreau - in diesem Fall an der legendären Comédie-Française - feierte ihren Durchbruch auf der großen Leinwand mit 30 im Jahr 1958 als klassische Femme fatale in dem Film noir "Fahrstuhl zum Schafott" von Louis Malle, mit dem sie auch gleich das intime Novuelle Vague-Drama "Die Liebenden" drehte, das kurioserweise in die Justizgeschichte der USA einging. Denn ein Theaterbetreiber, der den Film zeigte - in dem es offen um Ehebruch geht, ohne daß dieser ausdrücklich verurteilt würde -, wurde in Ohio wegen "öffentlichen Zeigens obszönen Materials" verurteilt, der Fall ging bis vor den Obersten Gerichtshof - wo der Theaterbetreiber freigesprochen wurde. Legendär wurde die Begründung des Richters Potter Stewart, der zwar auch nicht genau sagen konnte, wie man den Unterschied zwischen (damals verbotener) Pornographie und Nicht-Pornographie definieren könnte, aber feststellte: "I know it when I see it." Moreaus Bekanntheit in Amerika schadete dieser aufsehenerregende Prozeß, in den sie nur indirekt verwickelt war, sicherlich nicht, aber in Frankreich bekam sie nach dem Malle-Double auch so problemlos starke Rollen.
Sp spielte sie 1959 in Roger Vadims (im Vergleich zu Stephen Frears' knapp 30 Jahre späterer Verfilmung ziemlich zahmer) "Gefährliche Liebschaften"-Adaption die Hauptrolle der intriganten Juliette de Merteuil und hatte einen Gastauftritt in François Truffauts Meisterwerk "Sie küßten und sie schlugen ihn", in den 1960er Jahren folgten Klassiker wie Michelangelo Antonionis "Die Nacht", Orson Welles' Franz Kafka-Adaption "Der Prozeß", Jacques Demys Charakterstudie "Die blonde Sünderin", Luis Buñuels bissige Gesellschaftssatire "Tagebuch einer Kammerzofe" oder Truffauts Kriminaldrama "Die Braut trug schwarz", auch in englischsprachigen Filmen wie Carl Foremans britisch-amerikanischem Kriegsepos "Die Sieger", John Frankenheimers "Der Zug" (an der Seite von Burt Lancaster) oder dem britischen Episodenfilm "Der gelbe Rolls-Royce" wirkte sie erfolgreich mit. Zwei Werke aus dieser erfolgreichsten Zeit in Moreaus langer Karriere möchte ich hervorheben: "Jules und Jim" (1961) und "Viva Maria!" (1965). Diese beiden extrem unterschiedlichen Filme stehen exemplarisch für Jeanne Moreaus Wandlungsfähigkeit: Während sie in der poetischen Dreiecksgeschichte "Jules und Jim" - Truffauts Herzstück der Nouvelle Vague - als Catherine leidenschaftlich eine Frau zwischen zwei Männern im frühen 20. Jahrhundert verkörpert, beweist sie in Louis Malles herrlich alberner, feministisch angehauchter Westernkomödie "Viva Maria!" ihr komödiantisches Talent. Als durch Mittelamerika ziehende Schauspielerin und Sängerin Maria tut sich hier mit der aus Irland geflohenen Terroristin Maria (Brigitte Bardot) zusammen, um mit ihren ganz eigenen Mitteln gegen kirchliche Inquisitoren und brutale Diktatoren zu kämpfen - wobei die Terroristin Maria versehentlich den Striptease erfindet! Im Grunde genommen ist "Viva Maria!" (der in Frankreich nahezu dreieinhalb Millionen Zuschauer in die Kinos lockte) fast schon eine Parodie heutiger Superhelden-Filme, auch wenn das damals natürlich niemand ahnen konnte (wohingegen einige satirische Seitenhiebe gegen US-Western sehr wohl gewollt waren) ...
Ab den 1970er Jahren war Jeanne Moreau - inzwischen zu alt für jene Rollen, die sie berühmt machten - nicht mehr so oft im Kino zu sehen, auch weil sie sich wieder verstärkt dem Theater und weiterhin der Gesangskarriere widmete. Zu etlichen erinnerungswürdigen, wenn auch meist kleineren Rollen reichte es trotzdem, etwa an der Seite von Gérard Depardieu in Bertrand Bliers unkonventioneller Komödie "Die Ausgebufften" (1974), neben Alain Delon im sehr sehenswerten Kriegsgewinnler-Drama "Monsieur Klein" (1976) oder in Hollywood in Elia Kazans letztem Film "Der letzte Tycoon" (1976). 1982 stand sie für Rainer Werner Fassbinder in "Querelle" uneitel als Puffmutter vor der Kamera, Luc Besson besetzte sie 1990 in "Nikita" als hartgesonnene Profikiller-Trainerin, in Wim Wenders' postapokalyptischem Drama "Bis ans Ende der Welt" spielte sie im Jahr darauf William Hurts Mutter und Max von Sydows Ehefrau, zudem fungierte Moreau 1992 in Jean-Jacques Annauds Literaturverfilmung "Der Liebhaber" als Erzählerin. 1995 arbeitete sie für den Episodenfilm "Jenseits der Wolken" noch einmal mit Antonioni (der aus Altersgründen von Wim Wenders unterstützt wurde), dem Ruf Hollywoods folgte sie letztmals 1998 für einen kurzen Auftritt in Andy Tennants charmanter Cinderella-Version "Auf immer und ewig" mit Drew Barrymore. Dafür trat sie verstärkt im Fernsehen auf, so in den aufwändigen TV-Mehrteilern "Katharina die Große" (als Zarin Elisabeth), "Balzac" (als Mutter des Schriftstellers) und "Les Misérables" (als Ordensvorsteherin Mutter Innozentia). Nach der Jahrtausendwende agierte Jeanne Moreau nur noch in französischen Filmen, von denen der bekannteste François Ozons Melodram "Die Zeit, die bleibt" aus dem Jahr 2005 ist, in dem sie die Großmutter des Protagonisten spielte. Einen letzten relativ großen Kinoauftritt hatte die große alte Dame des französischen Films 2012 als Hauptdarstellerin des Dramas "Eine Dame in Paris". Für OSCAR oder Golden Globe wurde Jeanne Moreau übrigens nie nominiert, dafür gewann sie u.a. einen britischen BAFTA Award (für "Viva Maria!"), den Darstellerpreis des Festivals von Cannes (für Malles "Stunden voller Zärtlichkeit", 1960) und den César für "Die Dame, die im Meer spazierte" (1991) sowie zahlreiche Ehren- oder Lebenswerkpreise, darunter bei den Filmfestivals in Berlin, Cannes und Venedig; in Cannes war sie zudem zweimal Jurypräsidentin.
Am 31. Juli 2017 starb Jeanne Moreau im Alter von 89 Jahren in ihrer Pariser Wohnung. R.I.P.
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