Nachdem es in den letzten Tagen schon ein paar erste Vorboten durch die Nominierungen für die Independent Spirit Awards und gestern die Gewinner der (ebenfalls auf Independent-Filme beschränkten) Gotham Independent Film Awards gab, startet die Awards Season nun mit den Kritiker-Filmpreisen endgültig durch, deren Einfluß auf die Golden Globes wie auch auf die OSCARs beträchtlich ist und die in kürzester Zeit Außenseiter zu Favoriten machen können (und umgekehrt, versteht sich). Den Auftakt macht traditionell das altehrwürdige National Board of Review mit seinen NBR Awards. Letztes Jahr gab es mit George Millers "Mad Max: Fury Road" einen Überraschungssieger, der sein Momentum bis zur OSCAR-Verleihung im Februar halten konnte - zwar nicht auf allerhöchstem Niveau, aber mit mehr als beachtlichen sechs Academy Awards in den technischen Kategorien. Diesmal ist der Gewinner etwas traditioneller - die wichtigsten Kategorien:
Bester Film: "Manchester by the Sea"
Regie: Barry Jenkins, "Moonlight"
Hauptdarsteller: Casey Affleck, "Manchester by the Sea"
Hauptdarstellerin: Amy Adams, "Arrival"
Nebendarsteller: Jeff Bridges, "Hell or High Water"
Nebendarstellerin: Naomie Harris, "Moonlight"
Originaldrehbuch: Kenneth Lonergan, "Manchester by the Sea"
Adaptiertes Drehbuch: Jay Cocks und Martin Scorsese, "Silence"
Animationsfilm: "Kubo - Der tapfere Samurai"
Fremdsprachiger Film: "The Salesman", Iran
Dokumentarfilm: "O.J.: Made in America"
Ensemble: "Hidden Figures"
Unter den Gewinnern gibt es keine Sensationen, alle galten als aussichtsreiche Kandidaten. Das gilt auch und gerade für das aufwählende Charakterdrama "Manchester by the Sea", das einen Platz in der OSCAR-Königskategorie "Bester Film" ziemlich sicher haben dürfte. Am überraschendsten ist noch der (meiner Ansicht nach nicht unverdiente) Triumph von "Kubo" bei den Animationsfilmen über stärker eingeschätzte und wesentlich teurere Konkurrenten wie "Zoomania", "Findet Dorie" oder "Vaiana". Bei den Darstellern werden sich besonders Bridges und Harris freuen, die zuletzt bei den Spirit Awards unerwartet nicht einmal nominiert wurden. Affleck, der auch bei den Gotham Awards gewann, ist als OSCAR-Nominee so gut wie gesetzt, Adams' Chancen sind durch diesen Sieg bei großer Konkurrenz (zu der Gotham-Gewinnerin Isabelle Huppert zählt) deutlich gestiegen. Erwähnenswert ist zudem der Drehbuch-Preis für Martin Scorseses "Silence", zu dem bislang noch keine einzige Kritik veröffentlicht wurde - allzu schlecht scheint das "portugiesische Jesuiten im Japan des 17. Jahrhunderts"-Drama mit Andrew Garfield, Adam Driver und Liam Neeson nicht zu sein ...
Die 10 besten Filme des Jahres (alphabetisch, ohne konkrete Reihung):
- Arrival
- Hacksaw Ridge
- Hell or High Water
- Hidden Figures
- La La Land
- Moonlight
- Patriots Day
- Silence
- Sully
Die Serie bleibt bestehen: Gefühlt seit Jahrhunderten wird jeder neue Film von Clint Eastwood bei den NBR Awards in die Top 10 des Jahres gewählt - ein Running Gag der etwas anderen Art, wenngleich die Kritiken für "Sully" diese Plazierung durchaus rechtfertigen. Ebenfalls zu erwarten waren der mit vier Preisen große Gotham-Triumphator "Moonlight" (ein Coming of Age-Film über einen homosexuellen Afroamerikaner), Mel Gibsons Anti-Kriegsfilm "Hacksaw Ridge" sowie "Silence". Gestärkt gehen zudem das philosophische SciFi-Drama "Arrival" und der Neo-Western "Hell or High Water" in die weitere Awards Season. Die größte Überraschung ist derweil wohl die Komödie "Hail, Caesar!" von den Coen-Brüdern, die trotz guter Kritiken nie so richtig öffentliche Aufmerksamkeit erhielt. Auch mit Peter Bergs "Patriots Day" (über den Bombenanschlag auf den Boston-Marathon) oder dem Indie-Biopic "Hidden Figures" (über drei afroamerikanische NASA-Mathematikerinnen in den 1960er Jahren) mußte man nicht unbedingt rechnen. Das von den Kritikern eigentlich hymnisch gefeierte Musical "La La Land" mit Emma Stone und Ryan Gosling geht wenigstens nicht komplett leer aus, anders als solche OSCAR-Kandidaten wie Denzel Washingtons "Fences", Jeff Nichols' "Loving", Pablo Larraíns "Jackie" oder Garth Davis' "Lion".
Die 5 besten nicht-englischsprachigen Filme:
- "Elle", Frankreich
- "Die Taschendiebin", Südkorea
- "Julieta", Spanien
- "Unter dem Sand", Dänemark
- "Neruda", Chile
Daß der deutsche Favorit "Toni Erdmann" komplett leer ausgeht, ist eine Enttäuschung. Dafür sind mit "Elle" und "Unter dem Sand" aber zwei deutsche Koproduktionen vertreten, von denen "Elle" auch gute OSCAR-Chancen hat. Die übrigen Filme in dieser Kategorie konnte man so erwarten (auch wenn Almodóvars "Julieta" nicht die besten Rezensionen erhielt).
Alle Gewinner und Bestenlisten gibt es auf der NBR Homepage.
Die Sieger der Gotham Independent Awards bei IndieWire.
Bereits übermorgen geht es weiter mit den Nominierungen für die Critics' Choice Awards, über die ich natürlich wieder berichten werde.
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