Originaltitel:
Kubo and the Two Strings
Regie:
Travis Knight, Drehbuch: Marc Haimes und Chris Butler, Musik: Dario Marianelli
Sprecher
der Originalfassung: Art Parkinson, Charlize Theron, Matthew McConaughey, Ralph
Fiennes, George Takei, Cary-Hiroyuki Tagawa, Rooney Mara
Sprecher der deutschen Synchronfassung: Ben Hadad, Nana Spier,
Benjamin Völz, Joachim Tennstedt, Wolfgang Condrus, Stefan Bräuler, Katrin
Fröhlich
FSK: 6, Dauer: 102 Minuten.
Der kleine, einäugige Kubo lebt im antiken Japan mit seiner
psychisch schwer angeschlagenen Mutter Sariatu in einer Höhle auf den Klippen
nahe eines Dorfs. Während Sariatu die meiste Zeit damit verbringt, in die Luft
zu starren, verdient Kubo Geld als Geschichtenerzähler im Dorf – denn von
seiner Mutter hat er das magische Talent geerbt, Geschichten
durch "lebende" Origami-Figuren zum Leben erwecken zu können. Laut Sariatu
war Kubos Vater Hanzo – der Held all seiner Erzählungen – ein mächtiger Samurai,
der von Kubos bösem Großvater, dem Mondkönig, und seinen beiden Tanten getötet wurde. Diese sollen auch Kubos Auge geraubt haben und immer noch auf der Suche nach ihm
sein, weshalb der Junge sich keinesfalls nach Sonnenuntergang im Freien
aufhalten darf. Kubo glaubt das alles nicht so richtig, doch als er
eines Tages tatsächlich zu spät aus dem Dorf in die Höhle zurückkehrt, wird er prompt von seinen
zaubermächtigen Häscherinnen gefunden. Mit ihrer Magie bringt Sariatu Kubo im letzten Moment in
Sicherheit, der nun drei mächtige Artefakte finden muß, um sein Leben auf Dauer
zu retten. Unterstützung erhält er von einem kleinen Origami-Hanzo, dem auf
magische Weise zum Leben erweckten Affen-Talisman Monkey und dem mannsgroßen
Käfer Beetle, der sein Gedächtnis verloren hat, aber glaubt, einst Samurai
in Hanzos Diensten gewesen zu sein …
Kritik:
Wer an Animationsfilm-Studios denkt, dem wird im Normalfall
vermutlich zunächst Disney oder Pixar in den Sinn kommen, vielleicht auch noch
das japanische Studio Ghibli ("Chihiros Reise ins Zauberland", "Wie der Wind sich hebt") oder die britischen Aardman Studios mit ihren
Knetgummi-Wunderwerken ("Wallace & Gromit", "Shaun das Schaf"). Das auf Stop Motion-Animation spezialisierte amerikanische
Unternehmen Laika läuft dagegen immer noch ziemlich unter dem Radar, obwohl es mit
Tim Burtons "Corpse Bride", Henry Selicks Neil Gaiman-Adaption
"Coraline", dem Halloween-Gruselspaß "ParaNorman" und der
Kinderbuch-Verfilmung "Die Boxtrolls" ein durchaus eindrucksvolles
Werk vorzuweisen hat. Den bisherigen qualitativen Höhepunkt von Laikas Schaffen
stellt "Kubo – Der tapfere Samurai" dar, ein anspruchsvoller, dabei detailverliebter sowie phantasie- und liebevoll
erzählter 3D-Coming of Age-Film unter den erschwerten Bedingungen einer
japanischen Fantasygeschichte, der technisch schlicht brillant
umgesetzt wurde.
Für diejenigen, die sich mit den Fachbegriffen nicht so gut
auskennen, eine kurze Erläuterung: Stop-Motion bedeutet, daß alle Szenerien und
Figuren vor dem Filmen von Hand gefertigt und aufgestellt werden, die Bewegung
ergibt sich daraus, daß Tausende von Einzelbildern mit meist nur minimalen
Veränderungen (etwa eine Kopfbewegung) im Idealfall nahtlos aneinandergereiht
werden. Das ist ungeheuer aufwendig und fehleranfällig und verschlingt daher
ein Vielfaches der Zeit, die man für einen computergenerierten
Animationsfilm á la Pixar aufbringen muß. Umso bemerkenswerter ist die
Stop-Motion-Qualität von "Kubo", die sich ohne Übertreibung nahe an
der Perfektion bewegt – nur in wenigen Situationen (speziell Großaufnahmen) merkt
man den Bewegungsabläufen überhaupt an, daß es sich immer noch um Stop-Motion
handelt. Dennoch büßt "Kubo" wundersamerweise nicht jenen schwer zu
beschreibenden altmodischen Charme ein, der mit der altbewährten Technik
einhergeht und seit jeher einen großen Vorteil gegenüber am Computer erzeugten
Animationsfilmen darstellt (deren Figuren bzw. Gesichtern es meist an dem
gewissen Etwas fehlt, dem, was sie einzigartig und unverkennbar macht).
Doch zum Glück erschöpft sich die Qualität von
"Kubo" bei weitem nicht in der Technik. Die Story, die sich die
beiden Drehbuch-Autoren Marc Haimes und Chris Butler (auf dessen Konto auch
"ParaNorman" geht) ausgedacht haben, ist voller Poesie und Einfallsreichtum. Zwar gibt es im Mittelteil ein paar
kleinere Längen und einige Enthüllungen im Handlungsverlauf kommen nicht wirklich überraschend, insgesamt aber wird gekonnt asiatischen Themen und Legenden Respekt gezollt,
verknüpft mit der anrührenden Geschichte eines kleinen Jungen, dem schon in
frühen Jahren sehr übel mitgespielt wurde – und das von Teilen seiner eigenen
Familie. Der einäugige Kubo ist ein liebenswerter, tapferer Junge, der zu allen
freundlich ist und mit seinem magischen Geschichtenerzähler-Talent regelmäßig
für Staunen sorgt. Gleichzeitig ist er traurig, da es seiner Mutter
nicht gut geht und er den Vater vermißt. Dessen Name Hanzo ist übrigens eine
von zahlreichen Anspielungen auf die japanische Kultur, denn Hattori Hanzo ist einer
der bekanntesten historischen Samurai, der in etlichen Filmen (u.a.
Tarantinos "Kill Bill", allerdings ist er dort ein Schwertschmied in
unserer Gegenwart) vorkommt – es gibt auch eine japanische Samurai-Filmreihe
namens "Hanzo the Razor", die ist aber definitiv für Erwachsene und
somit vermutlich eher nicht das Vorbild für den "Kubo"-Hanzo … Wie
dem auch sei, Regisseur Travis Knight – der sein Debüt als
Verantwortlicher hinter der Kamera gibt, nachdem er an früheren Laika-Filmen als
Animator, teilweise auch als Produzent beteiligt war – läßt sich Zeit
für die Einführung von Kubo und seiner Mutter sowie ihren einzigartigen
Fähigkeiten, wodurch beide einem schnell ans Herz wachsen.
Doch als dann Kubos finstere Tanten (die Masken nach Art des
japanischen Kabuki-Theaters tragen) auftauchen und der Junge seine aufregende
Suche nach den drei Artefakten beginnt, erhöht sich das Tempo rasant. Regisseur Knight
findet eine ausgezeichnete Balance zwischen humorvollen, actionreichen und gruseligen
Szenen, wobei für das Amüsement meist Monkey und Beetle sorgen. Die
fürsorgliche Monkey und der forsche, aber etwas tollpatschige Beetle zanken
sich wie ein altes Ehepaar, was dank der gewitzten Dialoge für viele Schmunzler
und Lacher wie in einer guten Hollywood-Screwball-Komödie sorgt. Die Gruselsequenzen –
deren unbestrittener Höhepunkt ein riesiges Skelett ist, dessen Entstehung
übrigens gegen Ende des Abspanns per Zeitraffer demonstriert wird – hingegen sorgen
dafür, daß "Kubo" (wie die meisten Laika-Filme) trotz Altersfreigabe
ab 6 Jahren für ganz kleine Kinder eher weniger geeignet ist. Die recht
komplexe, sich sensibel mit ernsten Themen wie dem Tod nahestehender Personen befassende
Handlung könnte auch bei etwas Älteren für Verständnisprobleme sorgen,
dafür hat "Kubo" aber ohne jeden Zweifel für Erwachsene viel zu
bieten – sowohl was die interessante Märchen-Handlung betrifft als auch die
glaubhaften und unterhaltsamen Charaktere sowie die bereits ausgiebig gelobte
visuelle Umsetzung. Auch die verspielte, asiatisch geprägte Musik von Dario
Marianelli ("Agora") fügt sich wunderbar ein, die passend zu Kubos Instrument u.a. auf
Shamisen-Klänge setzt und während des Abspanns mit einer von Marianelli ebenfalls
unter Rückgriff auf das traditionelle japanische Lauteninstrument kunstvoll arrangierten und zu dem bittersüßen
Tonfall des Films passende Coverversion des wehmütigen Beatles-Songs
"While My Guitar Gently Weeps" endet, wunderschön und gefühlvoll
vorgetragen von der Alternative-Sängerin Regina Spektor.
Ein Punkt von besonderem Interesse sind bei Animationsfilmen immer die
Sprecher. Während ich normalerweise versuche, Originalfassungen zu sehen,
habe ich bei "Kubo" (zwangsweise) auf die deutsche Synchronfassung
zurückgegriffen – die aber erfreulicherweise sehr gelungen ist. Auf Promi-Sprecher wird
dankenswerterweise komplett verzichtet, stattdessen wird teils auf die
etablierten deutschen Stimmen der Originalsprecher zurückgegriffen, teilweise auch
einfach auf passende Sprecher. Der 14-jährige Ben Hadad macht seine Sache als Kubo überzeugend, ansonsten liefert vor allem Matthew McConaugheys
Stammsprecher Benjamin Völz als Beetle eine Glanzleistung ab, ebenso wie Nana Spier
als Monkey, die hier erstmals Charlize Theron synchronisiert (ebenso wie der
sonst für John Malkovich, Michael Keaton oder Jeff Bridges zuständige Joachim
Tennstedt den Mondkönig-Sprecher Ralph Fiennes) – schwer vorstellbar, daß das
witzige Hin und Her zwischen diesen beiden magisch beeinflußten Figuren im
Original noch besser klingt. Kurz zusammengefaßt: Das ist eine Synchronfassung, die der
Qualität des Films absolut gerecht wird. Bravo!
Fazit: "Kubo – Der tapfere Samurai" ist der
technisch wohl beste Stop-Motion-Animationsfilm aller Zeiten, der Zuschauer fast aller Altersgruppen
auch mit interessanten, charismatischen Figuren und einer poetischen,
durchaus tiefgehenden Märchen-Handlung fernab klassischer Schwarzweiß-Malerei begeistert.
Wertung: 9 Punkte.
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