Regie: François Ozon, Drehbuch: Philippe Piazzo und François
Ozon, Musik: Philippe Rombi
Darsteller: Paula Beer, Pierre Niney, Marie Gruber, Ernst
Stötzner, Johann von Bülow, Anton von Lucke, Cyrielle Clair, Alice de
Lencquesaing, Merlin Rose
FSK: 12, Dauer: 114 Minuten.
Quedlinburg im Jahr 1919: Das tägliche Leben in der
mitteldeutschen Kleinstadt geht seinen gemütlichen, geregelten Gang, ist
allerdings noch stark geprägt von den Nachwehen des jüngst verlorenen Ersten
Weltkrieges. Fast jeder im Ort hat einen Verwandten oder einen anderweitig geliebten
Menschen verloren, was durch die Niederlage des Deutschen
Kaiserreichs besonders sinnlos scheint. Manche betrauern die Gefallenen in
aller Stille, andere träumen bereits wieder von der grandiosen
Wiederauferstehung des deutschen Volkes. Zur ersten Kategorie zählt die Familie
Hoffmeister, die den einzigen Sohn Frantz (Anton von Lucke, TV-Serie
"Babylon Berlin") – der vor dem Krieg in Frankreich studierte – in
den Schützengräben verlor. Der Vater Hans (Ernst Stötzner, "Die kommenden
Tage"), ein Arzt, vertieft sich in seine Arbeit, verläßt aber sonst kaum
noch das Haus, während Mutter Magda (Marie Gruber, "Das Leben der
Anderen") unermüdlich dafür sorgt, daß alles am Laufen bleibt; ebenfalls
im Haus wohnt Frantz' Verlobte Anna (Paula Beer, "Poll"), die für die
Hoffmeisters wie eine Tochter ist. Eines Tages sieht Anna, während sie wie
jeden Tag Frantz' Grab besucht, einen Fremden, der ebenfalls dort Blumen
ablegt. Wenig später taucht der stille junge Mann beim Haus der Hoffmeisters
auf und stellt sich vor: Adrien (Pierre Niney, "Die anonymen
Romantiker") ist eigens aus Frankreich angreist, um Frantz' und seiner
Familie die letzte Ehre zu erweisen. Während der Franzose im Ort bestenfalls skeptisch aufgenommen wird, sind vor allem Magda und Anna begierig
darauf, von Adrien mehr über Frantz' Leben in Frankreich vor dem Krieg zu
erfahren, aber ebenso und ganz besonders über seine letzten Tage …
Kritik:
François Ozon ist inzwischen seit fast zwei Jahrzehnten eine
zuverlässige Konstante in der französischen Kinolandschaft; man könnte fast
sagen, er ist das für das Arthouse-Kino, was Luc Besson für das Mainstream-Kino
ist – naja, oder zumindest war, solange er sich mehr auf das Regie führen
konzentrierte als auf seine Tätigkeiten als Produzent und Drehbuch-Autor von
meist mittelmäßigen Actionstreifen. Natürlich kam auch Ozons bisherige Karriere nicht
ohne Fehlschläge aus, speziell sein englischsprachiges Melodram
"Angel" und das mit Fantasy-Elementen angereicherte
Sozialdrama "Ricky" sorgten 2007 und 2009 für wenig Begeisterung bei
Kritikern und Publikum. Bis auf diese kurze Schwächephase ist Ozons Œuvre ziemlich makellos, wobei vor allem beeindruckt, wie elegant er immer
wieder zwischen klassischem Arthouse ("Unter dem Sand",
"Swimming Pool", "In ihrem Haus") und
massentauglicheren Werken wie "8 Frauen" und "Das Schmuckstück" wechselt. Mit dem großteils in Schwarzweiß gedrehten Nachkriegsdrama
"Frantz" – einem losen Remake von Ernst Lubitschs "Der Mann, den
sein Gewissen trieb" aus dem Jahr 1931 – begibt sich der Filmemacher
wieder eindeutig in die künstlerische Richtung und liefert einen eigenwilligen, doch starken und meinungsstarken Film ab.
Denn wie bei Ernst Lubitschs erstem Tonfilm ist auch bei
"Frantz" die versöhnliche, ja sogar pazifistische Haltung unverkennbar. Die bitteren Folgen des Ersten Weltkrieges dominieren den gesamten Film,
dessen Protagonisten zwar überlebt haben, aber durch die seelischen Qualen,
die sie angesichts des Verlusts geliebter Menschen erlitten haben, stark
verändert sind. Jenen, die vor allem mit einem generellen Zorn auf die
siegreichen Franzosen reagieren, widmet sich François Ozon eher am Rande, versäumt es
aber nicht, die Hohlheit der nationalistischen und rückwärtsgewandten
Phrasen zu entlarven – am eindrucksvollsten durch eine leidenschaftliche Rede
von Hans Hoffmeister bei einem Treffen verbitterter deutscher Väter, die im Krieg
Söhne verloren haben. Während die von einem Wiedererstarken Deutschlands
träumen und ihren Haß auf die Franzosen kultivieren, erinnert Hoffmeister sie
voller Gram daran, daß die Franzosen kaum weniger tote Söhne, Brüder und Väter in den Schützengräben zu beklagen
hatten und daß sie, die Elterngeneration, es waren, die die jungen Männer oft gegen deren Willen mit
Appellen an die Vaterlandsliebe in einen furchtbaren, sinnlosen Krieg
sandten. Ozon verzichtet aber darauf, die Patrioten um den großmäuligen,
letztlich aber doch harmlosen Kreutz (Johann von Bülow, "Im Labyrinth des Schweigens") als Schurken darzustellen, selbst die Vorwehen der
Nazi-Herrschaft werden – anders als in Michael Hanekes in dieser Hinsicht arg
plakativem "Das weiße Band" – nur zart angedeutet. Einfache
Schuldzuweisungen sind Ozons Sache nicht, um sie geht es ihm gar nicht, er will
lieber auf das Positive, auf das Verbindende speziell zwischen den Nachbarn Frankreich und
Deutschland verweisen (wozu paßt, daß wohl fast die Hälfte der Dialoge auf Französisch stattfindet, deutsch untertitelt).
An dieser Stelle kommen Adrien und die Hoffmeisters (Anna
dazugerechnet, auch wenn sie Frantz ja nicht mehr heiraten konnte) ins Spiel.
Wiewohl es zwar auch hier anfangs Differenzen gibt – Hans Hoffmeister wirft
Adrien bei dessen erstem Besuch rein aufgrund seiner Herkunft aus dem Haus,
noch ehe der sein Anliegen überhaupt vortragen kann –, entwickelt sich doch schnell alles recht harmonisch. Anna und Magda sehnen sich vor allem
danach, von Adrien etwas über Frantz zu hören, auch Hans öffnet sich sehr
schnell dem zurückhaltenden Fremden gegenüber. Kein Wunder, ist Adrien doch wie
von einer Wolke der Traurigkeit umhüllt, weshalb man die Aufrichtigkeit seines
Kummers nicht anzweifeln kann, wie auch Hans – dem es ganz ähnlich ergeht – zügig erkennt. Zudem erinnert Adriens ganzes Verhalten an den Verstorbenen,
was ihre Freundschaft glaubwürdig macht (und die leichte Verwunderung darüber
überspielt, daß Frantz seinen Freund niemals erwähnte). Und so erzählt Adrien
von der gemeinsamen Zeit mit Frantz, von einem Besuch im Louvre und Frantz'
dortigem Lieblingsgemälde von Édouard Manet; er verbringt einfach Zeit mit den
trauernden Hoffmeisters. Denen tut seine Anwesenheit sichtlich gut, Anna
entwickelt sogar Gefühle für Adrien und ihre Fast-Schwiegereltern ermutigen sie
noch, mit dem Franzosen glücklich zu werden. Doch der scheint sich trotz
gelegentlicher heiterer, gar ausgelassener Momente mit Anna nicht so einfach
aus seinem tiefsitzenden Gram befreien zu können. Erstaunlicherweise
übertragen sich die tiefen Gefühle der Protagonisten nur bedingt auf
das Publikum, was an Ozons bewußt distanzierter Inszenierung liegt, die durch
die Schwarzweiß-Optik und die für eine gewisse Statik sorgenden strengen
Bildkompositionen noch unterstrichen wird. "Frantz" ist eben nicht irgendein
Hollywood-Edel-Melodram, sondern ein intensiver, poetischer europäischer Arthousefilm, erfüllt von Trauer und Melancholie, aber eher Kopf- als Gefühlskino, bei dem auch die gefühlvolle Musik von
Ozons Stammkomponist Philippe Rombi ("Willkommen bei den Sch'tis") auffallend dosiert eingesetzt wird. Insgesamt funktioniert Ozons ziemlich unkonventionelle Vorgehensweise gut, wenn man sie als
Zuschauer akzeptieren kann.
In gewisser Weise ist die Geschichte, die "Frantz"
erzählt, bereits nach der ersten von knapp zwei Stunden auserzählt. Bis dahin
entwickelt sich nämlich alles so, wie man es im Großen und Ganzen erwarten konnte,
bis hin zu einer emotionalen Offenbarung, die für die handelnden Figuren sehr
unerwartet und als echter Schock kommt, im Publikum jedoch kaum jemanden überraschen dürfte. Darauf
hat es das Drehbuch auch nicht angelegt, dafür ist die Enthüllung zu
offensichtlich und Ozon versucht im Vorfeld nicht, die Zuschauer im Ungewissen
zu lassen oder sie gar in die Irre zu führen. Wäre das also das Ende des Films,
dann dürfte man darauf durchaus mit einer gewissen Enttäuschung reagieren. Ozon
nutzt die Wendung jedoch, um im Grunde genommen noch einmal die gleiche
Geschichte zu erzählen – nur gespiegelt! War es in der ersten Hälfte Adrien,
der als Fremder in ein ihm feindselig gesinntes Land kam, ist
es nun Anna, die nach Frankreich reist und ganz Ähnliches erlebt. Wo die
Rückwärtsgewandten in Quedlinburg ein patriotisches deutsches Volkslied sangen,
wird in Paris schon mal spontan die Marseillaise angestimmt (die übrigens
bemerkenswert blutrünstig ist, wenn man dank der Untertitel auch mal den übersetzten Text erfährt – aber gut, sie wurde halt für die Französische Revolution
geschrieben und ist schlicht und ergreifend ein Kriegslied …). Ist es in der
ersten Hälfte Adrien, der bei einer Musizierszene zusammenbricht, wird in
Frankreich Anna in einer vergleichbaren Szene von ihren Gefühlen überwältigt. Diese Spiegelungen setzen sich in vielen kleinen Details fort, wobei Ozon
das aber raffiniert und subtil genug macht, damit es nicht zu sehr auffällt
oder gar langweilt. Strukturell erinnert die Geschichte von Adrien und Anna sogar ein klein wenig an Shakespeares "Romeo & Julia"; dazu paßt, daß Frantz' bereits erwähntes Lieblingsgemälde von Manet auf den
Titel "Der Selbstmörder" hört … Schauspielerisch weiß derweil vor
allem Paula Beer zu beeindrucken, die für ihre Leistung beim Festival in
Venedig als beste Nachwuchsschauspielerin ausgezeichnet wurde. Pierre Niney kam
in den internationalen Kritiken weniger gut weg, zeigt meiner Meinung nach aber
ebenfalls eine gute Leistung in einer Rolle, die vergleichsweise wenig Raum zum Glänzen
gibt (er muß eben größtenteils traurig aus der Wäsche schauen). Hervorheben
möchte ich zudem Ernst Stötzner und Marie Gruber, die als Vater und Mutter
Hoffmeister letztlich das emotionale Zentrum eines Films darstellen, der mehr von der melancholischen Atmosphäre lebt als von der gefühlsmäßigen Bindung zwischen Figuren und Publikum.
Fazit: "Frantz" ist ein intensives
Nachkriegsdrama, das seine pazifistische Grundhaltung offen, aber (fast) nie
plakativ vor sich herträgt und trotz einer gewissen gewollten Distanziertheit
eine bewegende Geschichte von Verlust, Trauer und Hoffnung erzählt.
Wertung: 8 Punkte.
Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger amazon.de-Bestellungen über einen der Links in den Rezensionen oder das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.
Bei Gefallen an meinem Blog würde ich mich über die Unterstützung von "Der Kinogänger" mittels etwaiger amazon.de-Bestellungen über einen der Links in den Rezensionen oder das amazon.de-Suchfeld in der rechten Spalte freuen, für die ich eine kleine Provision erhalte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen