Regie: Bryan Singer, Drehbuch: Simon Kinberg, Musik: John
Ottman
Darsteller: James McAvoy, Jennifer Lawrence, Michael
Fassbender, Oscar Isaac, Rose Byrne, Nicholas Hoult, Sophie Turner, Evan
Peters, Tye Sheridan, Kodi Smit-McPhee, Lucas Till, Josh Helman, Olivia Munn,
Alexandra Shipp, Ben Hardy, Tómas Lemarquis, Ally Sheedy, Željko Ivanek, James
Malloch, Stan Lee, Joanie Lee, John Ottman, Hugh Jackman
FSK: 12, Dauer: 145 Minuten.
Nachdem sich die Mutanten am Ende von "Zukunft ist Vergangenheit" offenbarten, schien eine friedliche Koexistenz zwischen
Menschen und Mutanten realistisch. 1983, zehn Jahre später, ist eine gewisse
Ernüchterung eingekehrt. Zwar können sich Mutanten theoretisch frei bewegen und
sind gesellschaftlich akzeptiert – in der Praxis werden sie aber in vielen
Regionen der Erde noch immer gejagt und gefürchtet, andererseits haben sich Sekten gebildet, die sie abgöttisch verehren. Diese Problematik gerät
allerdings zur Nebensache, als En Sabah Nur (Oscar Isaac, "Star Wars Episide VII") erwacht. Der erste und mächtigste Mutant auf Erden wurde im
antiken Ägypten als ein Gott angebetet … und gefürchtet. Als Folge eines
Attentatsversuchs wurde En Sabah Nur in einen jahrtausendelangen Schlaf
versetzt, aus dem er nun erwacht. Sein Ziel ist das gleiche wie vor 3600
Jahren: Er will die Apokalypse herbeiführen und mit ihr die verdorbene
Menschheit vernichten; aus deren Überresten soll dann eine neue und bessere Welt
entstehen, angeführt von den Mutanten. Für sein Ziel schart En Sabah Nur vier
"Reiter der Apokalypse" um sich, deren bereits große Kräfte er
durch seine Macht erheblich verstärkt: Magneto (Michael Fassbender,
"Shame"), Psylocke (Oliva Munn, "Magic Mike"), Angel (Ben Hardy,
TV-Serie "EastEnders") und Storm
(Alexandra Shipp, "Straight Outta Compton"). Um seinen Plan zu vollenden, benötigt En
Sabah Nur aber zusätzlich die mentalen Kräfte von Professor X (James McAvoy,
"Wanted") – der das natürlich um jeden Preis verhindern will,
unterstützt von Beast (Nicholas Hoult, "Mad Max: Fury Road"),
Mystique (Jennifer Lawrence, "American Hustle") und einigen jüngeren
Mutanten …
Kritik:
Ich ließ mir viel Zeit mit meinem Kinobesuch von
"X-Men: Apocalypse", da mir die vor allem in den USA nur
mittelmäßigen Kritiken (in Deutschland fielen sie meinem Eindruck nach
positiver aus), aber auch die nicht auf überragende Mundpropaganda hindeutenden
Einspielergebnisse etwas die Vorfreude verdarben. Doch im Nachhinein kann
ich zum Glück konstatieren, daß sich meine Befürchtungen als weitgehend haltlos
erwiesen haben. Tatsächlich zählt die erste Hälfte von "Apocalypse"
für mich sogar mit zum Besten, was das "X-Men"-Filmuniversum bisher
zu bieten hatte. Zugegeben, die zweite Hälfte kann dieses hohe Niveau nicht
halten und speziell in Sachen Charakterzeichnung gibt es einiges zu
kritisieren, dennoch: Regisseur Bryan Singer hat einmal mehr
einen würdigen Vertreter der Reihe geschaffen, der über weite Strecken gut zu
unterhalten weiß. Bevor ich darauf näher eingehe, habe ich jedoch erst einmal eine Quizfrage: Was haben die Filme "The King's Speech", "Mr.
Holland's Opus", "The Fall", "Irreversibel" und
"X-Men: Apocalypse" gemeinsam? Antwort: Sie alle verwenden in
Schlüsselsequenzen den 2. Satz der 7. Sinfonie von Ludwig van Beethoven. Diese
getragene, majestätische Komposition zählt vermutlich zu den am häufigsten in
Hollywood verwendeten klassischen Stücken, auch hier verfehlt sie ihre
Wirkung nicht. Wunderbar!
Besagte Sequenz ist Höhe- und Schlußpunkt einer ersten
Hälfte, die nach dem eindrucksvollen Prolog im alten Ägypten (und einer
ungemein stylishen Titelsequenz, die eine zeitliche Brücke zwischen Prolog
und Filmgegenwart schlägt) die bekannten Stärken des
"X-Men"-Universums glänzend zur Geltung bringt. Dabei gelingt es
Singer, einerseits durch die Einführung "neuer" Mutanten (die wir
allerdings allesamt bereits aus der älteren Trilogie kennen, wenn auch teils
nur sehr flüchtig) wieder lange und sehr unterhaltsame
"Rekrutierungs"-Storylines einzubringen, andererseits aber auch durch
zahlreiche Rückgriffe auf "Erste Entscheidung" und "Zukunft ist
Vergangenheit" klarzumachen, daß es sich um den Abschluß dieser
Prequel-Trilogie handelt. Wobei das mit dem "Prequel" ziemlich
relativ ist, denn wo schon die beiden Vorgänger mit dem Thema Kontinuität zur
Original-Trilogie recht großzügig umgingen, scheint das in "Apocalypse"
fast gar keine Rolle mehr zu spielen. Besonders gut kann man das anhand der
Figur "Angel" erkennen, deren Darsteller Ben Hardy mit 25 Jahren das gleiche Alter hat wie Ben Foster, als er die Rolle 2006 in
"X-Men: Der letzte Widerstand" spielte – obwohl
"Apocalypse" mehr als 20 Jahre vorher angesetzt ist … Aber was soll's, das
ist zwar für Fans der Reihe schon ein wenig ärgerlich, inhaltlich macht es jedoch
natürlich keinen wirklichen Unterschied – auch wenn es schon nett gewesen
wäre, zur Abwechslung wieder ein paar komplett unverbrauchte Mutanten
einzuführen (ich lese die Comics nicht, aber ich bin sicher, da gäbe es genügend Optionen).
Die Besetzung der Neuzugänge ist dafür insgesamt gelungen, vor allem "Game of Thrones"-Aktrice Sophie Turner als Jean Grey (ursprünglich: Famke Janssen) und Kodi Smit-McPhee ("Let Me In") als Nightcrawler – der in Alan Cummings Verkörperung schon in der
Original-Trilogie zu meinen Favoriten zählte, auch wenn er nur im zweiten Film
dabei war – machen einen guten Eindruck. Schön auch die Rückkehr von
Rose Byrne ("Insidious") als CIA-Agentin Moira MacTaggert, außerdem
hat der heimliche "Zukunft ist Vergangenheit"-Star Quicksilver diesmal eine deutlich größere Rolle erhalten – angesichts Evan Peters' (TV-Serie "American Horror Story") erneut ausgesprochen
amüsanter Darbietung eine sehr erfreuliche Entscheidung, die selbstredend erneut
mit einer grandiosen Sequenz (zu den Klängen des Eurythmics-Hits "Sweet
Dreams") garniert wird, die die extrem coole
Fähigkeit des blitzschnellen Mutanten eindrucksvoll zur Schau stellt.
Angesichts der Fülle von Figuren kommen jedoch zwangsläufig wieder einige davon
deutlich zu kurz, was in diesem Fall vor allem auf die wiederkehrenden Figuren
zutrifft, aber auch auf die Nebenantagonisten. Vor allem die eigentlich im
Zentrum der "X-Men"-Prequels stehenden Professor X, Mystique und Beast haben
in "Apocalypse" merklich weniger zu tun als in den beiden Vorgängern,
was den Unterhaltsamkeitsgrad des Films jedoch zum Glück kaum beeinträchtigt –
da eben die neuen Mutanten gut eingeführt werden und sich nicht nur als
wertvolle Ergänzung erweisen, sondern sogar als dazu in der Lage, die Handlung
vorübergehend fast alleine zu tragen.
Daß die erste Filmhälfte mit ihrem vergleichsweise
actionarmen Vorgehen mir so große Freude bereitet hat, liegt aber auch am blauhäutigen
Antagonisten En Sabah Nur (aka Apocalypse), der für mich dank Oscar Isaacs (der kaum zu erkennen ist)
intensiver Darbietung mit einer eindrucksvoll unheimlich-bedrohlichen
Ausstrahlung sogar der beste Bösewicht der Reihe ist – wenngleich
zugegebenermaßen seine Motivation und seine Ziele keinen Preis für Originalität gewinnen. Das ist aber auch gar nicht unbedingt nötig, dafür ist
dieser gottgleiche, scheinbar unbesiegbare "Erzmutant", dessen Macht
selbst die von Magneto bei weitem übertrifft, einfach zu cool. Zu kurz kommen
dagegen eindeutig seine vier "Reiter", von denen drei so gut wie
keine eigene Persönlichkeit zeigen dürfen (am ehesten noch die junge Storm, was
natürlich daran liegt, daß sie in Halle Berrys Interpretation ein zentrales
Element der Originaltrilogie war). Die große Ausnahme ist Magneto, der schon
vor En Sabah Nurs Auftauchen einen eigenen Handlungsstrang erhält, der
erstens seine Rekrutierung durch den Urmutant vorbereitet und zweitens
natürlich Michael Fassbender die Gelegenheit gibt, seine großartige
Schauspielkunst zu zeigen – alles andere wäre auch Verschwendung, wenn man
schon einen Darsteller dieses Kalibers im Cast hat. Allerdings will ich nicht
verschweigen, daß es doch etwas einfallslos wirkt, Magneto schon wieder mit
einer privaten Tragödie zu konfrontieren, damit er auch ja weiterhin zwischen
Gut und Böse schwankt. Sollte Magneto in weiteren "X-Men"-Filmen (vor
einem eventuellen erneuten Reboot) auftauchen – was absolut unklar ist, da die
Verträge von Fassbender, McAvoy, Lawrence und Hoult mit "Apocalypse"
ausgelaufen sind und zuerst neu verhandelt werden müssten –, sollte auf ein
erneutes Recycling dieses Plotelements tunlichst verzichtet werden …
Im großen und ganzen gelungen ist derweil die Einbettung der
Handlung in das 1980er Jahre-Setting. Zwar hätte man sicher noch etwas mehr auf
eine entsprechende Atmosphäre achten können, aber optisch (die Frisuren ...), musikalisch
(Metallica, Eurythmics, auch John Ottmans gelungener Score orientiert sich
hörbar an der Dekade) und politisch (der Kalte Krieg ist im Hintergrund
allgegenwärtig) ist das sehr solide umgesetzt. Unglücklicherweise geht das
alles in der zweiten Filmhälfte dann aber ziemlich unter, in der doch wieder –
blockbustertypisch – fast alles der Action untergeordnet wird. Das beinhaltet
einen Storyschwenker, der mal wieder den berüchtigten Colonel Stryker (Josh
Helman, "Jack Reacher") ins Spiel bringt und ansprechend gestaltete Kampfsequenzen präsentiert,
dramaturgisch aber ziemlich überflüssig wirkt (und ebenso wie die
Post-Credit-Szene wohl vor allem als Brücke zum nächsten "Wolverine"-Film
eingefügt wurde). Letztlich mündet natürlich alles in einen optisch
spektakulären, unterhaltsam choreographierten Showdown zwischen En Sabah Nur
und seinen Reitern auf der einen Seite und den X-Men auf der anderen. Das macht
Laune und sollte vor allem Actionfans befriedigen (speziell bei En Sabah Nurs teils doch recht grausigen Aktionen werden die FSK12-Grenzen übrigens ziemlich ausgereizt), kommt aber eben auch recht unoriginell daher und macht die zuvor durchaus in Ansätzen offenbarte
Handlungstiefe beinahe zur Makulatur. Immerhin stört in diesem Finale der
3D-Einsatz nicht sonderlich, der vor allem in der ersten Hälfte mit zahllosen
nervigen Geisterbildern speziell bei Nahaufnahmen ziemlich schludrig geraten
ist.
Insgesamt merkt man "Apocalypse" noch mehr als den
meisten anderen Teilen der Reihe an, daß er eine Comicverfilmung ist – und das
meine ich durchaus positiv, weil Regisseur Bryan Singer und Drehbuch-Autor
Simon Kinberg ("Sherlock Holmes") nicht davor zurückschrecken, das
Publikum mit einem immer größeren Maß an phantastischen Elementen zu konfrontieren. Andererseits
werden so vermutlich Zuschauer, die nicht viel mit Comics am Hut haben, eher
verschreckt (stärker als bei den Vorgänger-Filmen), was vielleicht die schwächeren
Kritiken und Einspielergebnisse erklärt. Daß es eine Fortsetzung geben wird,
ist dennoch so gut wie sicher – laut Kinberg soll sie in den 1990er Jahren
spielen –, welche Figuren und Schauspieler genau daran beteiligt sein werden,
ist noch offen.
Fazit: "X-Men: Apocalypse" bildet den
Abschluß der insgesamt sehr sehenswerten Prequel-Trilogie und vereint dabei die
größten erzählerischen, figurenbezogenen und schauspielerischen Stärken der
Reihe (in der ersten Filmhälfte) mit altbekannten Schwächen im Action-Overkill des
breit ausgewälzten Finales (samt noch längerer unmittelbarer Vorbereitung).
Wertung: Knapp 8 Punkte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen