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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Dienstag, 16. Dezember 2014

DIE TRIBUTE VON PANEM – MOCKINGJAY, TEIL 1 (2014)

Originaltitel: The Hunger Games: Mockingjay – Part 1
Regie: Francis Lawrence, Drehbuch: Peter Craig, Danny Strong, Musik: James Newton Howard
Darsteller: Jennifer Lawrence, Liam Hemsworth, Josh Hutcherson, Donald Sutherland, Julianne Moore, Philip Seymour Hoffman, Woody Harrelson, Stanley Tucci, Sam Claflin, Mahershala Ali, Elizabeth Banks, Jeffrey Wright, Willow Shields, Paula Malcomson, Natalie Dormer, Elden Henson, Evan Ross, Wes Chatham, Jena Malone, Stef Dawson, Sarita Choudhury, Robert Knepper
The Hunger Games: Mockingjay - Part 1
(2014) on IMDb Rotten Tomatoes: 69% (6,3); weltweites Einspielergebnis: $759,2 Mio.
FSK: 12, Dauer: 123 Minuten.

Nachdem Katniss (Jennifer Lawrence, "Silver Linings"), Finnick (Sam Claflin, "Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten") und Beetee (Jeffrey Wright, "Ein Quantum Trost") von den Rebellen des zerstört geglaubten Distrikts 13 direkt und live im Capitol TV übertragen aus den Jubiläums-Hungerspielen herausgeholt wurden, erfahren sie, welche Auswirkungen ihren Taten in der Bevölkerung gezeitigt haben. In den einzelnen Distrikten, vor allem den äußeren, wurde offen zur Revolution gegen das Capitol aufgerufen, worauf der skrupellose Präsident Snow (Donald Sutherland, "Stolz und Vorurteil") mit der vollkommenen Vernichtung von Distrikt 12 – Katniss' Heimat – antwortete. Katniss' alter Freund Gale (Liam Hemsworth, "The Expendables 2") und einige andere konnten vor der Bombardierung noch etliche Zivilisten in Sicherheit bringen, darunter auch Katniss' Mutter (Paula Malcolmson, TV-Serie "Ray Donovan") und ihre kleine Schwester Prim (Willow Shields). Unterschlupf fanden die Überlebenden im nach der vermeintlichen Zerstörung durch das Capitol unterirdisch gedeihenden Distrikt 13, das von der Präsidentin Coin (Julianne Moore, "A Single Man") geführt und seit Jahren auf Krieg mit dem Capitol vorbereitet wird. Katniss – der "Spotttölpel" (englisch: Mockingjay) – soll nun zu der Galionsfigur der Revolution werden und so auch die anderen Distrikte endgültig gegen Präsident Snow und seine Militärmacht aufwiegeln. Katniss ist allerdings nicht sonderlich angetan von der Vorstellung, wieder einmal als Propagandafigur mißbraucht zu werden, wenn auch dieses Mal (scheinbar) von der richtigen Seite. Ihre dringlichste Sorge gilt ihrem Hungerspiele-Mitstreiter Peeta (Josh Hutcherson, "The Kids Are All Right"), der von den Rebellen nicht gerettet werden konnte und nun im Capitol TV gegen diese "Zerstörer des Friedens" wettert …

Kritik:
Einer der jüngeren Trends in Hollywood ist es, bei der Verfilmung erfolgreicher Buchreihen den letzten Band auf zwei Filme aufzuteilen. Bei "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" wurde das erstmals gemacht, kurz darauf folgte der "Twilight"-Abschluß mit zwei "Breaking Dawn"-Teilen. Die Reaktionen auf diese neue, in kommerzieller Hinsicht absolut erfolgreiche Praxis waren von Beginn an gemischt. Während sich die treuen Fans größtenteils darüber freuen, daß sie auf diese Weise wesentlich mehr von ihren Lieblingen zu Gesicht bekommen, ärgern sich Kritiker und auch viele Zuschauer über zu breit ausgewalzte Handlungsstränge und erste Teile, die nunmal zwangsläufig kaum als eigenständige Filme bestehen können, weil sie mitten in der Geschichte aufhören (müssen). Ich selbst bin noch unentschieden, ob Vor- oder Nachteile überwiegen, muß aber konstatieren, daß meine Erfahrungen bislang durchaus positiv waren. Wobei die sehr begrenzt sind, denn die "Twilight"-Reihe habe ich nicht gesehen und verspüre auch keinerlei Drang, das irgendwann nachzuholen. Aber bei "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" wurde die Sache meines Erachtens erstaunlich gut gelöst, indem fast der komplette erste Teil zu einer Art Road-Movie gemacht wurde, das sich ganz auf das zentrale Trio Harry, Hermine und Ron konzentriert und diesen beliebten Charakteren mehr Tiefe verleiht. Natürlich ließ sich ein Cliffhanger am Ende nicht vermeiden, dennoch geht dieser Film als weitgehend eigenständiges Werk durch. Bei "Die Tribute von Panem" werde ich das erst nach Ansicht des zweiten Teils von "Mockingjay" abschließend beurteilen können (zumal ich die Bücher nicht gelesen habe), aber ich denke, es dürfte ähnlich laufen. Fakt ist jedenfalls, daß "Mockingjay, Teil 1" sich gewaltig von den beiden Vorgängern "The Hunger Games" und "Catching Fire" abhebt, was sowohl die inhaltliche Ausrichtung als auch das Erzähltempo und den Actiongehalt betrifft. Viele Kritiker und Kinogänger hat das offenbar verärgert, für mich war der stark geänderte inhaltliche Fokus eine sehr positive Überraschung.

Zugegeben: Ich kann verstehen, warum Zuschauer, die von den ersten beiden Teilen begeistert waren, mit einem derart radikalen stilistischen Bruch unter Umständen wenig anfangen können. Denn wer die Reihe vor allem wegen der actionreichen Umsetzung der (im Original ja sogar namensgebenden) "Hungerspiele" schätzt, der mußte nicht wirklich damit rechnen, mit dem dritten Teil wie aus heiterem Himmel einen Film vorgesetzt zu bekommen, der fast vollständig auf Action verzichtet und stattdessen (zumindest für einen Hollywood-Blockbuster) erstaunlich detailliert und ernsthaft die Mechanismen von Krieg, Rebellion und Propaganda thematisiert. Ich bin dagegen von dieser Entscheidung ausgesprochen angetan, da sie viele meiner Kritikpunkte an den beiden ersten Teilen ausmerzt. Bei denen hatte ich mich jeweils darüber beschwert, daß den im Kern wenig aufregenden und zudem vor allem in "The Hunger Games" relativ phantasielos umgesetzten Hungerspielen viel zu viel Aufmerksamkeit gewidmet wurde; lieber hätte ich es gesehen, wenn die Szenen im dekadenten Capitol und in den ausgebeuteten Distrikten stärker im Vordergrund gestanden hätten. Und genau das geschieht in "Mockingjay, Teil 1", nachdem bereits "Catching Fire" einen ersten, überzeugenden Schritt in diese Richtung getan hatte.

Denn Katniss' Befreiung durch die unerwartet gut vorbereiteten Rebellen ändert in der Tat alles. Gleich zu Beginn lernen wir den Distrikt 13 kennen, der laut Capitol komplett zerstört wurde, in Wahrheit aber in einem unterirdischen Komplex überlebt und sich seitdem zielstrebig auf den offenen Konflikt mit Präsident Snow vorbereitet hat. Katniss, die trotz allem, was sie er- und überlebt hat, letztlich immer noch ein Teenager ist, ist von der neuen Situation erst einmal überfordert. Zwar freut sie sich selbstredend über das Wiedersehen mit ihrer Familie und ihrem guten Freund Gale, aber gleichzeitig sorgt sie sich um ihren Hungerspiele-Mitstreiter Peeta, der zuerst als verschollen gilt und dann im TV-Gespräch mit Caesar Flickerman (Stanley Tucci, "Einfach zu haben") die Seiten gewechselt zu haben scheint. Und so müssen Präsidentin Coin und der vermeintliche Spielemacher Heavensbee (Philip Seymour Hoffman, "A Most Wanted Man") dafür sorgen, daß Katniss mit eigenen Augen sieht, wie das Capitol auf ihre "Flucht" aus den Hungerspielen und die darauf folgenden Unruhen in den Distrikten reagiert hat. Und zu diesem Zeitpunkt wird "Mockingjay, Teil 1" endgültig zu einem (dystopischen) Kriegsfilm.

Allerdings meine ich damit keinen Kriegsfilm im herkömmlichen Sinne, in dem Soldaten auf dem Schlachtfeld gegen den Feind kämpfen (das mag zumindest in Ansätzen im zweiten Teil vielleicht noch folgen); sondern einen Anti-Kriegsfilm, der die Kämpfe selbst ausspart und sich ganz auf deren schreckliche Folgen konzentriert. Denn schrecklich ist das, was sich Katniss bei ihrem traurigen Besuch in ihrem völlig zerbombten Heimatdistrikt 12 offenbart, wahrlich. Die zerstörten Gebäude und die überall unter dem Schutt verborgenen Leichen all jener, die nicht rechtzeitig von den Rebellen gerettet werden konnten, treffen Katniss bis ins Mark und sorgen dafür, daß sie ihre Rolle als Anführerin der Revolution doch noch annimmt – allerdings mit dem Hintergedanken, daß sie nur so den in Distrikt 13 nun als Verräter gebrandmarkten Peeta noch retten kann. Doch bereits diese Szenen offenbaren, daß "Mockingjay, Teil 1" nicht einfach nur auf eine simple Schwarz-Weiß-Dramaturgie setzt, wie es bei den Vorgängern deutlich stärker der Fall war (oder der Fall zu sein schien). Denn Katniss wird bei ihrem "Heimatbesuch" von einem Kamerateam unter Leitung der Regisseurin Cressida (Natalie Dormer, "Rush") begleitet, das ihre Reaktion für Propagandazwecke filmt und sie auch ganz gezielt zu heroischen Posen anleitet. Und das setzt Maßstäbe für den gesamten folgenden Film.

Ich will an dieser Stelle gar nicht so sehr ins Detail gehen, aber Stoff zum Nachdenken liefern Regisseur Lawrence und die beiden Drehbuch-Autoren Craig und Strong hier reichlich, auch Parallelen zu unserer Gegenwart sind unübersehbar. Das mag nicht immer übermäßig subtil dargeboten sein, aber es handelt sich ja auch nicht um ein Arthouse-Drama, sondern um einen primär an ein junges Publikum gerichteten Blockbuster. Daß darin das erneut erfreulich dezent gehaltene Liebesdreieck zwischen Katniss, Gale und Peeta so weit zurückstehen muß und man stattdessen mit moralischen Fragen über das Recht oder sogar den (wenn man aus einer klaren "Außenseiter-Position" heraus gewinnen will) Zwang zur hemmungslosen Propaganda respektive Gegenpropaganda konfrontiert wird oder mit der Rechtfertigung von Guerilla-Taktiken, die je nach Perspektive auch als ruchlose Terrorakte interpretiert werden können, ist schon bemerkenswert. Erst recht gilt das dafür, daß es Lawrence gelingt, in die entsprechenden, ungemein atmosphärisch inszenierten Sequenzen bei aller Parteinahme für die offensichtliche Heldin Katniss fast immer einen ambivalenten Unterton einzuflechten. So fragt man sich (sofern man die Bücher nicht kennt) wiederholt, ob ein Erfolg der Rebellen von Distrikt 13 – dessen Präsidentin bei ihren Ansprachen letztlich auch nur auf die üblichen Politiker- bzw. Anführer-Phrasen zurückgreift und dafür mit durchaus besorgniserregend einhelligem, fanatischen Jubel belohnt wird – auf lange Sicht wirklich eine Verbesserung der Situation für die Zivilisten bringen würde oder nicht doch nur eine Zementierung der Verhältnisse unter einer neuen Führung …

Auch eine der (im Wortsinn) nachhallendsten Szenen von "Mockingjay, Teil 1" wird folgerichtig für die Propaganda der Rebellen benutzt, als Katniss nach ihrem Besuch im zerstörten Distrikt 12 ihren Reisegefährten ein trauriges Lied vorsingt. "The Hanging Tree" ist ein grandioser Song und klares Highlight der generell sehr gelungenen musikalischen Untermalung durch Komponist James Newton Howard ("Nightcrawler"). Wobei Howard mit "The Hanging Tree" abgesehen vom Arrangement gar nicht so viel zu tun hatte, denn die Melodie hat die Band The Lumineers beigesteuert und den Text Romanautorin Suzanne Collins. Und Jennifer Lawrences gefühlvoller Vortrag mit ihrer relativ tiefen Stimme machte das (leider bei den OSCARs aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen nicht wählbare) Lied sogar zum Welthit, der es in den deutschen Charts bis auf Platz 2 schaffte. Soweit ich gelesen habe, wurde "The Hanging Tree" in der deutschen Synchronfassung übrigens übersetzt ("Lied vom Henkersbaum") und synchronisiert; mein Lob bezieht sich aber ausdrücklich auf die Originalfassung, da ich den Film auf Englisch gesehen habe.

Viel zu kritisieren habe ich eigentlich nicht. Zugegeben, manche Szenen wirken schon etwas länger als nötig; die letzten Minuten führen zu offensichtlich gewollt auf den unvermeidlichen Cliffhanger hin, der sich dann als ziemlich banal entpuppt; und die weitgehende Absenz einer so zentralen Figur wie Peeta (sowie einiger beliebter Nebenfiguren wie Haymitch oder Johanna) kann man schon bedauern. Aber dafür kann der bis dahin deutlich vernachlässigte Gale endlich an Profil gewinnen, mit Präsidentin Coin wird ein interessanter neuer Charakter eingeführt und Katniss' Gefühlswelt wird eingehender beleuchtet als zuvor, was Jennifer Lawrence zusätzlich Gelegenheit gibt, ihre schauspielerischen Fähigkeiten auszuspielen. Und so stellt "Mockingjay, Teil 1" für mich eine weitere (leichte) Steigerung zu dem ordentlichen "The Hunger Games" und dem richtig guten "Catching Fire" dar, die mich auf ein furioses Finale im zweiten Teil hoffen läßt – auch wenn dann wahrscheinlich die politische Thematik zugunsten eines actionreichen Showdowns wieder in den Hintergrund wird treten müssen.

Fazit: "Die Tribute von Panem – Mockingjay, Teil 1" stellt mit seiner überraschend radikalen Abkehr vom actionreichen Abenteuerkino hin zu einem beklemmenden Kriegsszenario mit einer starken politischen Note eine Herausforderung für die Anhänger der beiden Vorgänger dar, die bei weitem nicht jedem gefällt – wer sich jedoch für die behandelten Themen interessiert und kein Problem mit einem gemächlicheren Erzähltempo hat, der wird mit einem ungewöhnlich anspruchsvollen, sehr atmosphärisch inszenierten Blockbuster belohnt.

Wertung: Knapp 9 Punkte.


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