Originaltitel:
The Hunger Games: Mockingjay – Part 1
Regie: Francis Lawrence, Drehbuch: Peter Craig, Danny Strong, Musik: James Newton
Howard
Darsteller:
Jennifer Lawrence, Liam Hemsworth, Josh Hutcherson, Donald Sutherland, Julianne Moore, Philip
Seymour Hoffman, Woody Harrelson, Stanley Tucci, Sam Claflin,
Mahershala Ali, Elizabeth Banks, Jeffrey Wright, Willow Shields, Paula
Malcomson, Natalie Dormer, Elden Henson, Evan Ross, Wes Chatham, Jena Malone,
Stef Dawson, Sarita Choudhury, Robert Knepper
FSK: 12, Dauer: 123 Minuten.
Nachdem Katniss (Jennifer Lawrence, "Silver Linings"), Finnick (Sam Claflin, "Pirates of the Caribbean – Fremde Gezeiten")
und Beetee (Jeffrey Wright, "Ein Quantum Trost") von den Rebellen des
zerstört geglaubten Distrikts 13 direkt und live im Capitol TV übertragen aus den Jubiläums-Hungerspielen
herausgeholt wurden, erfahren sie, welche Auswirkungen ihren Taten in der
Bevölkerung gezeitigt haben. In den einzelnen Distrikten, vor allem den
äußeren, wurde offen zur Revolution gegen das Capitol aufgerufen, worauf der
skrupellose Präsident Snow (Donald Sutherland, "Stolz und Vorurteil")
mit der vollkommenen Vernichtung von Distrikt 12 – Katniss' Heimat –
antwortete. Katniss' alter Freund Gale (Liam Hemsworth, "The Expendables 2") und einige andere konnten vor der Bombardierung noch etliche
Zivilisten in Sicherheit bringen, darunter auch Katniss' Mutter (Paula
Malcolmson, TV-Serie "Ray Donovan") und ihre kleine Schwester Prim
(Willow Shields). Unterschlupf fanden die Überlebenden im nach der
vermeintlichen Zerstörung durch das Capitol unterirdisch gedeihenden Distrikt
13, das von der Präsidentin Coin (Julianne Moore, "A Single Man") geführt
und seit Jahren auf Krieg mit dem Capitol vorbereitet wird. Katniss – der
"Spotttölpel" (englisch: Mockingjay) – soll nun zu der Galionsfigur der
Revolution werden und so auch die anderen Distrikte endgültig gegen
Präsident Snow und seine Militärmacht aufwiegeln. Katniss ist allerdings nicht
sonderlich angetan von der Vorstellung, wieder einmal als
Propagandafigur mißbraucht zu werden, wenn auch dieses Mal (scheinbar) von der
richtigen Seite. Ihre dringlichste Sorge gilt ihrem Hungerspiele-Mitstreiter
Peeta (Josh Hutcherson, "The Kids Are All Right"), der von den
Rebellen nicht gerettet werden konnte und nun im Capitol TV gegen
diese "Zerstörer des Friedens" wettert …
Kritik:
Einer der jüngeren Trends in Hollywood ist es, bei der
Verfilmung erfolgreicher Buchreihen den letzten Band auf zwei Filme
aufzuteilen. Bei "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes"
wurde das erstmals gemacht, kurz darauf folgte der
"Twilight"-Abschluß mit zwei "Breaking Dawn"-Teilen. Die
Reaktionen auf diese neue, in kommerzieller Hinsicht absolut erfolgreiche Praxis waren von Beginn an gemischt. Während sich die
treuen Fans größtenteils darüber freuen, daß sie auf diese Weise wesentlich
mehr von ihren Lieblingen zu Gesicht bekommen, ärgern sich Kritiker und auch
viele Zuschauer über zu breit ausgewalzte Handlungsstränge und
erste Teile, die nunmal zwangsläufig kaum als eigenständige Filme bestehen
können, weil sie mitten in der Geschichte aufhören (müssen). Ich selbst bin noch
unentschieden, ob Vor- oder Nachteile überwiegen, muß aber konstatieren, daß
meine Erfahrungen bislang durchaus positiv waren. Wobei die sehr begrenzt sind,
denn die "Twilight"-Reihe habe ich nicht gesehen und verspüre auch
keinerlei Drang, das irgendwann nachzuholen. Aber bei "Harry Potter und
die Heiligtümer des Todes" wurde die Sache meines Erachtens erstaunlich
gut gelöst, indem fast der komplette erste Teil zu einer Art Road-Movie gemacht
wurde, das sich ganz auf das zentrale Trio Harry, Hermine und Ron konzentriert
und diesen beliebten Charakteren mehr Tiefe verleiht. Natürlich ließ sich ein
Cliffhanger am Ende nicht vermeiden, dennoch geht dieser Film als weitgehend
eigenständiges Werk durch. Bei "Die Tribute von Panem" werde ich das
erst nach Ansicht des zweiten Teils von "Mockingjay" abschließend
beurteilen können (zumal ich die Bücher nicht gelesen habe), aber ich
denke, es dürfte ähnlich laufen. Fakt ist jedenfalls, daß "Mockingjay,
Teil 1" sich gewaltig von den beiden Vorgängern "The Hunger Games" und "Catching Fire" abhebt, was sowohl die inhaltliche
Ausrichtung als auch das Erzähltempo und den Actiongehalt betrifft. Viele
Kritiker und Kinogänger hat das offenbar verärgert, für mich war der stark
geänderte inhaltliche Fokus eine sehr positive Überraschung.
Zugegeben: Ich kann verstehen, warum Zuschauer, die von den
ersten beiden Teilen begeistert waren, mit einem derart radikalen stilistischen
Bruch unter Umständen wenig anfangen können. Denn wer die Reihe vor allem wegen
der actionreichen Umsetzung der (im Original ja sogar namensgebenden)
"Hungerspiele" schätzt, der mußte nicht wirklich damit rechnen, mit
dem dritten Teil wie aus heiterem Himmel einen Film vorgesetzt zu
bekommen, der fast vollständig auf Action verzichtet und stattdessen (zumindest
für einen Hollywood-Blockbuster) erstaunlich detailliert und ernsthaft die
Mechanismen von Krieg, Rebellion und Propaganda thematisiert. Ich bin dagegen
von dieser Entscheidung ausgesprochen angetan, da sie viele meiner Kritikpunkte an den beiden ersten Teilen ausmerzt. Bei denen hatte
ich mich jeweils darüber beschwert, daß den im Kern wenig aufregenden
und zudem vor allem in "The Hunger Games" relativ phantasielos
umgesetzten Hungerspielen viel zu viel Aufmerksamkeit gewidmet wurde; lieber
hätte ich es gesehen, wenn die Szenen im dekadenten Capitol und in den
ausgebeuteten Distrikten stärker im Vordergrund gestanden hätten.
Und genau das geschieht in "Mockingjay, Teil 1", nachdem bereits
"Catching Fire" einen ersten, überzeugenden Schritt in diese Richtung
getan hatte.
Denn Katniss' Befreiung durch die unerwartet gut
vorbereiteten Rebellen ändert in der Tat alles. Gleich zu Beginn lernen wir den
Distrikt 13 kennen, der laut Capitol komplett zerstört wurde, in Wahrheit aber
in einem unterirdischen Komplex überlebt und sich seitdem zielstrebig auf den
offenen Konflikt mit Präsident Snow vorbereitet hat. Katniss, die trotz allem,
was sie er- und überlebt hat, letztlich immer noch ein Teenager ist, ist von
der neuen Situation erst einmal überfordert. Zwar freut sie sich selbstredend über
das Wiedersehen mit ihrer Familie und ihrem guten Freund Gale, aber
gleichzeitig sorgt sie sich um ihren Hungerspiele-Mitstreiter Peeta, der zuerst
als verschollen gilt und dann im TV-Gespräch mit Caesar Flickerman
(Stanley Tucci, "Einfach zu haben") die Seiten gewechselt zu haben
scheint. Und so müssen Präsidentin Coin und der vermeintliche Spielemacher
Heavensbee (Philip Seymour Hoffman, "A Most Wanted Man") dafür
sorgen, daß Katniss mit eigenen Augen sieht, wie das Capitol auf ihre
"Flucht" aus den Hungerspielen und die darauf folgenden Unruhen in
den Distrikten reagiert hat. Und zu diesem Zeitpunkt wird "Mockingjay,
Teil 1" endgültig zu einem (dystopischen) Kriegsfilm.
Allerdings meine ich damit keinen Kriegsfilm im
herkömmlichen Sinne, in dem Soldaten auf dem Schlachtfeld gegen den Feind
kämpfen (das mag zumindest in Ansätzen im zweiten Teil vielleicht noch folgen);
sondern einen Anti-Kriegsfilm, der die Kämpfe selbst ausspart und sich ganz auf
deren schreckliche Folgen konzentriert. Denn schrecklich ist das, was sich
Katniss bei ihrem traurigen Besuch in ihrem völlig zerbombten Heimatdistrikt 12
offenbart, wahrlich. Die zerstörten Gebäude und die überall unter dem Schutt
verborgenen Leichen all jener, die nicht rechtzeitig von den Rebellen gerettet
werden konnten, treffen Katniss bis ins Mark und sorgen dafür, daß sie ihre
Rolle als Anführerin der Revolution doch noch annimmt – allerdings mit dem
Hintergedanken, daß sie nur so den in Distrikt 13 nun als Verräter gebrandmarkten
Peeta noch retten kann. Doch bereits diese Szenen offenbaren, daß
"Mockingjay, Teil 1" nicht einfach nur auf eine simple
Schwarz-Weiß-Dramaturgie setzt, wie es bei den Vorgängern deutlich stärker
der Fall war (oder der Fall zu sein schien). Denn Katniss wird bei ihrem
"Heimatbesuch" von einem Kamerateam unter Leitung der Regisseurin
Cressida (Natalie Dormer, "Rush") begleitet, das ihre
Reaktion für Propagandazwecke filmt und sie auch ganz gezielt zu heroischen Posen anleitet. Und das setzt Maßstäbe für den gesamten
folgenden Film.
Ich will an dieser Stelle gar nicht so sehr ins Detail
gehen, aber Stoff zum Nachdenken liefern Regisseur Lawrence und die beiden
Drehbuch-Autoren Craig und Strong hier reichlich, auch Parallelen zu unserer
Gegenwart sind unübersehbar. Das mag nicht immer übermäßig subtil dargeboten
sein, aber es handelt sich ja auch nicht um ein Arthouse-Drama, sondern um
einen primär an ein junges Publikum gerichteten Blockbuster. Daß darin das
erneut erfreulich dezent gehaltene Liebesdreieck zwischen Katniss, Gale und
Peeta so weit zurückstehen muß und man stattdessen mit moralischen Fragen über
das Recht oder sogar den (wenn man aus einer klaren "Außenseiter-Position" heraus gewinnen will) Zwang zur hemmungslosen
Propaganda respektive Gegenpropaganda konfrontiert wird oder mit der Rechtfertigung von Guerilla-Taktiken,
die je nach Perspektive auch als ruchlose Terrorakte interpretiert werden
können, ist schon bemerkenswert. Erst recht gilt das dafür, daß es Lawrence gelingt, in die entsprechenden,
ungemein atmosphärisch inszenierten Sequenzen bei aller
Parteinahme für die offensichtliche Heldin Katniss fast immer einen
ambivalenten Unterton einzuflechten. So fragt man sich (sofern man
die Bücher nicht kennt) wiederholt, ob ein Erfolg der Rebellen von Distrikt 13
– dessen Präsidentin bei ihren Ansprachen letztlich auch nur auf die üblichen
Politiker- bzw. Anführer-Phrasen zurückgreift und dafür mit durchaus
besorgniserregend einhelligem, fanatischen Jubel belohnt wird –
auf lange Sicht wirklich eine Verbesserung der Situation für die Zivilisten
bringen würde oder nicht doch nur eine Zementierung der Verhältnisse
unter einer neuen Führung …
Auch eine der (im Wortsinn) nachhallendsten Szenen von
"Mockingjay, Teil 1" wird folgerichtig für die Propaganda der
Rebellen benutzt, als Katniss nach ihrem Besuch im zerstörten Distrikt 12 ihren
Reisegefährten ein trauriges Lied vorsingt. "The Hanging Tree" ist
ein grandioser Song und klares Highlight der generell sehr gelungenen
musikalischen Untermalung durch Komponist James Newton Howard
("Nightcrawler"). Wobei Howard mit "The Hanging Tree"
abgesehen vom Arrangement gar nicht so viel zu tun hatte, denn die Melodie hat die
Band The Lumineers beigesteuert und den Text Romanautorin Suzanne Collins. Und Jennifer Lawrences gefühlvoller Vortrag
mit ihrer relativ tiefen Stimme machte das (leider bei den OSCARs
aus für mich nicht nachvollziehbaren Gründen nicht wählbare) Lied sogar zum Welthit, der es in den deutschen Charts bis auf
Platz 2 schaffte. Soweit ich gelesen habe, wurde "The Hanging Tree"
in der deutschen Synchronfassung übrigens übersetzt ("Lied vom
Henkersbaum") und synchronisiert; mein Lob bezieht sich aber ausdrücklich auf
die Originalfassung, da ich den Film auf Englisch gesehen habe.
Viel zu kritisieren habe ich eigentlich nicht. Zugegeben,
manche Szenen wirken schon etwas länger als nötig; die letzten Minuten
führen zu offensichtlich gewollt auf den unvermeidlichen Cliffhanger
hin, der sich dann als ziemlich banal entpuppt; und die weitgehende Absenz einer
so zentralen Figur wie Peeta (sowie einiger beliebter Nebenfiguren wie Haymitch
oder Johanna) kann man schon bedauern. Aber dafür kann der bis dahin
deutlich vernachlässigte Gale endlich an Profil gewinnen, mit Präsidentin Coin
wird ein interessanter neuer Charakter eingeführt und Katniss' Gefühlswelt
wird eingehender beleuchtet als zuvor, was Jennifer Lawrence zusätzlich Gelegenheit gibt, ihre schauspielerischen Fähigkeiten auszuspielen. Und so stellt "Mockingjay, Teil
1" für mich eine weitere (leichte) Steigerung zu dem ordentlichen
"The Hunger Games" und dem richtig guten "Catching Fire"
dar, die mich auf ein furioses Finale im zweiten Teil hoffen läßt – auch wenn
dann wahrscheinlich die politische Thematik zugunsten eines actionreichen Showdowns
wieder in den Hintergrund wird treten müssen.
Fazit: "Die Tribute von Panem – Mockingjay, Teil
1" stellt mit seiner überraschend radikalen Abkehr vom actionreichen
Abenteuerkino hin zu einem beklemmenden Kriegsszenario mit einer starken politischen
Note eine Herausforderung für die Anhänger der beiden Vorgänger dar, die bei
weitem nicht jedem gefällt – wer sich jedoch für die behandelten Themen
interessiert und kein Problem mit einem gemächlicheren Erzähltempo hat, der wird mit einem ungewöhnlich anspruchsvollen,
sehr atmosphärisch inszenierten Blockbuster belohnt.
Wertung: Knapp 9 Punkte.
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