Regie und Drehbuch: Dan Gilroy, Musik: James Newton Howard
Darsteller:
Jake Gyllenhaal, Rene Russo, Riz Ahmed, Bill Paxton, Kevin Rahm, Holly Hannula,
Rick Chambers, Ann Cusack, Jamie McShane, Chad Guerrero, Kathleen York
FSK: 16, Dauer: 119 Minuten.
Lou Bloom (Jake Gyllenhaal, "Prince of Persia")
ist um die 30 und arbeitslos, aber gewitzt, fleißig und ehrgeizig. Daß er
einfach keinen Job findet, nervt ihn, aber es könnte durchaus mit seiner
arroganten Ausstrahlung und seinem nicht gerade herzensguten Umgang mit anderen
Menschen liegen. Notgedrungen hält sich Lou also mit Stahl-Diebstählen über
Wasser, doch als er eines Nachts auf dem Highway die Folgen eines Unfalls miterlebt,
soll sich sein Leben grundlegend verändern. Denn Lou bekommt hautnah mit, wie
kurz nach ihm einige Kameraleute ankommen, die die Rettung der verletzten
Fahrerin aus ihrem völlig zerstörten Auto filmen und sofort an das
Frühstücksfernsehen verkaufen. Lou ist fasziniert von diesen
"Nightcrawlern" – von Polizisten und Sanitätern auch gerne und
durchaus treffend als "Aasgeier" bezeichnet –, weshalb er am nächsten
Tag kurzerhand ein Rennrad stiehlt und es im Pfandgeschäft gegen eine Kamera
und einen alten Polizeifunk-Empfänger eintauscht. Da Lou effizient und skrupellos
arbeitet, gelingen ihm recht schnell spektakuläre Aufnahmen, die er an die unter
erheblichem Quotendruck stehende Nachrichtenchefin Nina (Rene Russo,
"Thor") verkauft. Euphorisiert von den ersten Erfolgen heuert Lou von der Straße
weg einen Assistenten (Riz Ahmed, "Centurion") an und widmet sich hingebungsvoll dem neuen Job, immer deutlichere Grenzüberschreitungen
inklusive …
Kritik:
Es braucht schon Mut, einen Film mit einem derart
unsympathischen Protagonisten zu drehen, wie es bei "Nightcrawler"
und seinem "Helden" Lou Bloom der Fall ist. Regie-Debütant Dan Gilroy
(Drehbuch-Autor von Tarsems "The Fall" sowie gemeinsam mit seinem älteren
Bruder Tony bei "Das Bourne Vermächtnis") hat es bei diesem abgründigen
Medien- und Großstadt-Thriller gewagt – und es funktioniert erstaunlich gut.
Ausschlaggebend dafür ist erstens Gilroys gut durchdachtes Drehbuch, das diesen
Lou Bloom bei aller Antipathie nachvollziehbar und trotz extremer Verhaltensweisen
durchaus glaubwürdig zeichnet; und zweitens natürlich die herausragende
Darstellung durch Jake Gyllenhaal, der nach "End of Watch" und
"Prisoners" ein weiteres Mal zeigt, daß er sich zu einem der talentiertesten
Charaktermimen Hollywoods gemausert hat.
Denn Jake Gyllenhaal ist als Lou Bloom wahrlich zum Fürchten: ein
gefühlloser, aber sehr zielstrebiger und eiskalt kalkulierender Soziopath mit
erschreckend irren Augen, der ohne jeden Skrupel Tatorte manipuliert, um
bestmögliche Aufnahmen zu erhalten – und der nicht einmal ansatzweise auf die
Idee kommt, noch lebenden Opfern zu helfen, wenn er als erster an einem Unfall-
oder Tatort ankommt. Lou erinnert ein wenig an den in Sam Mendes'
Gangsterfilm "Road to Perdition" von Jude Law verkörperten
Polizei-Photographen Harlen Maguire, der sogar noch ein Stück weiter geht und eigenhändig ein totgeglautes Mordopfer erstickt, als er erkennt, daß es
doch noch am Leben ist. Obwohl Lou sich niemals selbst die Hände schmutzig
macht, wirkt er eigentlich sogar noch furchterregender. Um den Vergleich
mit Harlen Maguire in "Road to Perdition" aufrechtzuerhalten (man könnte auch die
TV-Serie "Dexter" mit dem titelgebenden Serienmörder-Protagonisten
heranziehen): Während Law seine Rolle in diesem Film durchaus charismatisch
interpretierte, wirkt Gyllenhaal als Lou Bloom einfach nur "creepy".
Das liegt nicht nur in seinen tatsächlichen Aktionen begründet, sondern auch
und wahrscheinlich sogar noch mehr in seinem Verhalten gegenüber anderen
Personen. Lou – und das gibt er seinem leidgeprüften Assistenten Rick gegenüber
offen zu – mag keine Menschen, was man ihm mehr als deutlich anmerkt. Zwar hat
er Manieren und gibt sich zumindest auf den ersten Blick höflich, aber man
merkt ihm stets die Berechnung an, die hinter jedem Wort, hinter jeder Geste
und jedem falschen Lächeln lauert. Lou Bloom ist ein Manipulator, ein talentierter,
intelligenter Autodidakt, dessen enormes Selbstvertrauen jedoch alles übersteigt,
was seine Fähigkeiten rechtfertigen würden. Und so wirkt er im – häufig von
Floskeln aus einem Online-BWL-Kurs geprägten – Gespräch mit anderen Personen
stets ein wenig zu glatt, ein wenig zu engagiert, ein wenig zu einschmeichelnd,
als daß man auf ihn mit irgendetwas anderem als Unbehagen und Mißtrauen
reagieren könnte. Kurzum: Lou Bloom ist eine denkwürdige Filmfigur.
Doch "Nightcrawler" funktioniert keineswegs nur als
beklemmendes Portrait eines gefährlichen Einzelkämpfers, sondern auch als
medienkritischer Thriller. Wenn man nur das harmlos-bräsige deutsche
Frühstücksfernsehen kennt, dann hält man das, was Gilroy hier präsentiert, vielleicht für maßlos übertrieben. Aber in den USA läuft bekanntlich vieles
anders, der Medienbereich macht da keine Ausnahme, eher im Gegenteil. Der
Konkurrenzdruck zwischen den unzähligen lokalen und den landesweiten
Fernsehkanälen ist enorm, das beliebte Frühstücksfernsehen das vielleicht
umkämpfteste Schlachtfeld. Skrupel kann man sich da als Verantwortlicher kaum
leisten, denn Quote bringt nur das, was "drastisch" ist, wie es die
Nachrichten-Chefin Nina ausdrückt – oder, wie es Lou umformuliert: alles, was
blutig ist … Ganz besonders beliebt sind Verfolgungsjagden auf den Highways, die
schon mal stundenlang live aus der Helikopter-Perspektive übertragen werden,
bis die Polizei den Flüchtenden endlich gestellt oder dieser selbst einen
folgenschweren Unfall gebaut hat. Und wenn es so etwas gerade nicht gibt, dann
nimmt man halt das Nächstbeste: Morde, Einbrüche, Unfälle – Hauptsache
drastisch/blutig und aus nächster Nähe gefilmt. Die titelgebenden Nightcrawler
sind denn auch keine Erfindung Gilroys, diese freischaffenden Kameraleute
existieren tatsächlich und sie dürften in der Realität nicht weniger zimperlich
vorgehen (für zusätzliche Authentizität sorgt übrigens die Tatsache, daß die Moderatoren im Film größtenteils "echt" sind und sich selbst spielen). Und doch sind die Nightcrawler in Gilroys Film nicht die
Bösewichte, sondern nur das ausführende Element einer ganzen Kette von
moralischen Fehlentwicklungen.
Denn schließlich ist es das Publikum, das mit dem Finger auf
der Fernbedienung letztendlich darüber entscheidet, was es sehen will. Die Quoten
in den USA sind da seit Jahren eindeutig: Gefragt ist nicht (mehr) solide
Nachrichten-Berichterstattung, sondern "Unterhaltung" in allen
möglichen Formen, je nach Thematik voller Polemik (die Polit-Berichterstattung
von FOX News) und Gewalt, was insgesamt durchaus an die Gladiatorenspiele im alten
Rom erinnert. Und selbstverständlich sind auch die Medienleute selbst
mitschuldig an dieser Entwicklung, die auf Druck der Finanziers ihre
journalistische Integrität opfern und alles tun und senden, was Quote bringt.
Entsprechend gibt es in "Nightcrawler" eigentlich nur einen Medienschaffenden,
der überhaupt noch moralisch argumentiert, nämlich den Produzenten Frank Kruse
(Kevin Rahm aus der TV-Serie "Desperate Housewives"). Doch gegen
Nachrichten-Chefin Nina kann auch er sich nicht durchsetzen. Apropos: Mit der
Darstellung der im Vergleich zu Lou viel menschlicher wirkenden Nina, die
einmal eine engagierte Reporterin war, nun aber in verantwortlicher Stellung
selbst ihren Weg verloren hat, ist Rene Russo neben Gyllenhaal der zweite
Hingucker von "Nightcrawler". Es ist schön zu sehen, daß sie noch
immer gute Rollen bekommt, in denen sie zeigen kann, was sie schauspielerisch drauf hat – in Hollywood ist das bei Frauen jenseits der 50 ja alles
andere als selbstverständlich. Gut, daß Russo die Ehefrau des Regisseurs und
Drehbuch-Autors ist, hat sicherlich nicht geschadet, aber entscheidend ist, daß sie
die Rolle hervorragend ausfüllt. Vielleicht hat Gilroy sie ja sogar eigens für
sie geschrieben.
Die Thematik der Medienkritik ist natürlich nicht neu in Hollywood, über die Jahrzehnte hinweg wurde sie unter anderem von "Spätausgabe" (1931), "Reporter des Satans" (1951), "Network" (1976) oder "Insider" (1999) aufgegriffen – "Nightcrawler" fügt sich perfekt in diese Reihe ein. In der zweiten Hälfte entwickelt sich "Nightcrawler" dann vom medienkritischen stärker zu einem klassischen Thriller, denn es wird dann nur noch ein großer Kriminalfall thematisiert. Das ist dramaturgisch gut gelöst und auch aufgelöst, wenngleich die Handlung in diesem Teil des Films etwas konventioneller daherkommt als zu Beginn. Dafür wird der Actionanteil angehoben, was sich vor allem in einigen rasanten Auto-Verfolgungsjagden im nächtlichen Los Angeles manifestiert. Diese sind von dem OSCAR-gekrönten Kameramann Robert Elswit ("There Will Be Blood") ausgesprochen stilvoll in Szene gesetzt und erinnern deutlich an Michael Manns "Collateral", ein wenig auch an Nicolas Winding Refns "Drive". Die musikalische Untermalung dieser Sequenzen ist ebenfalls gelungen, in anderen Bereichen können die Kompositionen von Altmeister James Newton Howard ("Auf der Flucht", "Pretty Woman", "Die Tribute von Panem") dafür weniger überzeugen. Speziell in den Szenen, in denen Lou moralisch fragwürdige Erfolge feiert, sind sie geradezu irritierend triumphal; vielleicht ist das sogar ganz bewußt als eine Art ironischer Brechung von Lous Taten gedacht (schließlich sind es für ihn Triumphe, auch wenn man das als Zuschauer ganz anders empfindet), dennoch wirkt es einfach unpassend. Doch zum Glück ist das (neben dem Fehlen von Identifikationsfiguren für das Publikum) so ziemlich das einzige kleine Manko, das ich an "Nightcrawler" finden kann.
Die Thematik der Medienkritik ist natürlich nicht neu in Hollywood, über die Jahrzehnte hinweg wurde sie unter anderem von "Spätausgabe" (1931), "Reporter des Satans" (1951), "Network" (1976) oder "Insider" (1999) aufgegriffen – "Nightcrawler" fügt sich perfekt in diese Reihe ein. In der zweiten Hälfte entwickelt sich "Nightcrawler" dann vom medienkritischen stärker zu einem klassischen Thriller, denn es wird dann nur noch ein großer Kriminalfall thematisiert. Das ist dramaturgisch gut gelöst und auch aufgelöst, wenngleich die Handlung in diesem Teil des Films etwas konventioneller daherkommt als zu Beginn. Dafür wird der Actionanteil angehoben, was sich vor allem in einigen rasanten Auto-Verfolgungsjagden im nächtlichen Los Angeles manifestiert. Diese sind von dem OSCAR-gekrönten Kameramann Robert Elswit ("There Will Be Blood") ausgesprochen stilvoll in Szene gesetzt und erinnern deutlich an Michael Manns "Collateral", ein wenig auch an Nicolas Winding Refns "Drive". Die musikalische Untermalung dieser Sequenzen ist ebenfalls gelungen, in anderen Bereichen können die Kompositionen von Altmeister James Newton Howard ("Auf der Flucht", "Pretty Woman", "Die Tribute von Panem") dafür weniger überzeugen. Speziell in den Szenen, in denen Lou moralisch fragwürdige Erfolge feiert, sind sie geradezu irritierend triumphal; vielleicht ist das sogar ganz bewußt als eine Art ironischer Brechung von Lous Taten gedacht (schließlich sind es für ihn Triumphe, auch wenn man das als Zuschauer ganz anders empfindet), dennoch wirkt es einfach unpassend. Doch zum Glück ist das (neben dem Fehlen von Identifikationsfiguren für das Publikum) so ziemlich das einzige kleine Manko, das ich an "Nightcrawler" finden kann.
Fazit: "Nightcrawler" ist ein spannender und intelligenter
Medien-Thriller, der vor allem aufgrund seines unsympathischen Protagonisten nicht
ganz einfach zu goutieren ist – doch das kluge Drehbuch, die stilvolle
Inszenierung und vor allem die furchterregend gute Verkörperung des
(buchstäblich) Anti-Helden Lou Bloom durch Jake Gyllenhaal machen ihn zu einem
Highlight.
Wertung: 8,5 Punkte.
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