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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Mittwoch, 15. Oktober 2014

THE SALVATION (2014)

Regie: Kristian Levring, Drehbuch: Anders Thomas Jensen und Kristian Levring, Musik: Kasper Winding
Darsteller: Mads Mikkelsen, Jeffrey Dean Morgan, Eva Green, Mikael Persbrandt, Jonathan Pryce, Douglas Henshall, Eric Cantona, Michael Raymond-James, Alexander Arnold, Danny Keogh, Sean Cameron Michael, Adam Neill, Nanna Øland Fabricius, Toke Lars Bjarke
 The Salvation
(2014) on IMDb Rotten Tomatoes: 72% (6,4); weltweites Einspielergebnis: $1,4 Mio.
FSK: 16, Dauer: 93 Minuten

Nach dem gegen die Preußen verlorenen Krieg ist der dänische Soldat Jon (Mads Mikkelsen, "King Arthur") mit seinem Bruder Peter (Mikael Persbrandt, "Der Hobbit – Smaugs Einöde") 1864 nach Amerika ausgewandert. Während seine Frau Marie und sein kleiner Sohn Kresten noch in Dänemark blieben, haben Jon und Peter sich in einer kleinen Siedlerstadt irgendwo im Nirgendwo eine Existenz aufgebaut. Sieben Jahre später holt Jon seine Familie endlich nach. Doch die letzte Station der Reise verläuft tragisch: Nachdem Jon Marie und Kresten vom Zug abgeholt hat, geht es mit der Postkutsche in die neue Heimat – doch zwei eben aus der Haft entlassene Mitreisende entpuppen sich als nicht allzu angenehme Reisegesellschaft: Paul (Michael Raymond-James, "Jack Reacher") und sein Kumpan werfen Jon kurzerhand aus der fahrenden Kutsche, wenig später entdeckt er – der Kutsche zu Fuß folgend – zunächst die Leiche seines Sohnes, dann die seiner Gattin sowie der beiden Kutscher. Die Mörder sind auch noch anwesend, aber Jon macht kurzen Prozeß mit ihnen. Eine sehr verständliche Tat, die aber unangenehme Folgen für die ganze Stadt hat, denn Paul war der jüngere Bruder des ehemaligen Offiziers Delarue (Jeffrey Dean Morgan, "Watchmen"), der mit seiner Bande bereits seit längerem die Gegend terrorisiert und nun Rache schwört …

Kritik:
Dafür, daß der Western eigentlich seit Jahrzehnten als so gut wie ausgestorben gilt, gibt es noch immer erstaunlich häufig neue Genrevertreter – von denen etliche weiterhin aus den USA kommen ("True Grit", "Django Unchained", "Open Range", "Sweetwater"), immer mehr aber auch aus Europa ("Das finstere Tal", "Blackthorn") und sogar aus Asien ("The Good, the Bad, the Weird", "The Warrior's Way", "The Unforgiven"). "The Salvation" hat seine Wurzeln dank Regisseur, Drehbuch-Autoren, Komponist und Hauptdarsteller in Dänemark. Die Ausrichtung ist allerdings international, nicht nur, weil die Finanziers auch aus Großbritannien und Südafrika (wo die Dreharbeiten stattfanden) stammen. In der Besetzung finden sich Franzosen (Green, Cantona), Schweden (Persbrandt), Amerikaner (Morgan, Raymond-James) und Briten (Pryce, Henshall), stilistisch gibt es klare Anleihen beim Italo-Western. Eine Melange, die unerwartet gut funktioniert und einen sehr geradlinigen Oldschool-Western mit gesellschaftskritischer Note ergibt.

Anfangs dominieren klassische Westernmotive: die Rachestory, der wortkarge Protagonist, die klare Schwarz-Weiß-Einteilung der meisten Figuren (eine wohltuende Ausnahme ist der Sheriff, der gleichzeitig auch der Pfarrer der Stadt ist und im gutgemeinten Versuch, das Beste für die Gemeinschaft zu erreichen, auch mal sehr böse Dinge tut). Doch schon nach relativ kurzer Zeit werden diese Motive genügend variiert (etwa durch die wechselnde Rache-Perspektive), um nicht zu langweilen. Eine besondere zusätzliche Facette verleiht der insgesamt dennoch nicht übermäßig originellen Handlung die von Eva Green ("Sin City 2") gespielte Figur: Madelaine wurde als Kind von Indianern entführt, die ihr die Zunge herausschnitten. Ausgerechnet Paul hat sie gerettet und geheiratet, nach seinem Tod verspricht ihr nun sein Bruder, sich um sie zu kümmern. Angesichts ihrer Schönheit ist das allerdings kein ganz uneigennütziges Angebot, zunächst ist nicht ganz klar, wie Madelaine dazu und generell zu Delarues Machenschaften steht. Sie ist gewissermaßen der Joker der Handlung, die Graustufe zwischen Schwarz und Weiß. Und Eva Green verkörpert diese faszinierende Rolle auch ohne Worte gewohnt intensiv und energiegeladen.

Überhaupt ist die Besetzung eine der größten Stärken von "The Salvation": Zwar gibt es keine ganz großen Namen im Cast, dafür haben die Filmemacher sorgfältig darauf geachtet, echte Charakterköpfe für die Rollen auszuwählen, die hervorragend in einen Western passen. Ob das nun Jeffrey Dean Morgan als grimmiger, brutaler Rächer ist, Michael Raymond-James als hitzköpfiger Mörder und Vergewaltiger, Douglas Henshall ("Der Adler der neunten Legion") als Sheriff und Pfarrer, Jonathan Pryce ("In guten Händen") als geschäftstüchtiger Bürgermeister (der gleichzeitig Schreiner ist und dank großer Nachfrage nach Särgen gut daran verdient), der kantige Ex-Fußballer Eric Cantona ("Looking for Eric") als Delarues rechte Hand, Alexander Arnold (TV-Serie "Skins") als mutiger junger Ladenbesitzer Voichek oder Mikael Persbrandt als Jons kampfstarker Bruder: Sie alle füllen ihre Rollen ideal aus. Diese Stärke bringt allerdings gleichzeitig auch die bedeutendste Schwäche des Films mit sich: Er ist mit seinen 90 Minuten zu kurz, um all den interessanten Figuren gerecht zu werden. Zwar sind diese von den Autoren markant genug gezeichnet, daß sie schnell im Gedächtnis bleiben und man gerne mehr über sie erfahren würde (wobei natürlich wiederum die hervorragende Besetzung eine Rolle spielt), doch echten Tiefgang gibt es kaum, eine Entwicklung ist nur in Ausnahmefällen zu erkennen – am offensichtlichsten bei Madelaine. Dummerweise kommt gerade Protagonist Jon in dieser Hinsicht etwas zu kurz: Zu sehr verläßt sich Regisseur Levring ("Wen du fürchtest") auf dessen Stellung als archetypischer schweigsamer Westernheld á la Eastwood, versäumt es darob aber etwas, diese leidgeprüfte Figur noch interessanter zu gestalten. Auch die Schauspielkünste Mikkelsens kommen deshalb nicht so zum Tragen wie in vielen anderen Filmen – Mikkelsen gibt einen sehr soliden Westernhelden ab, aber Jon ist meist einfach zu stoisch, als daß er sich nachhaltig ins Gedächtnis des Zuschauers einbrennen könnte.

Einige Kritiker werfen "The Salvation" vor, er sei zwar gut gemacht, aber nicht eigenständig genug, kaum mehr als eine Kopie der bekannten amerikanischen Western. Meiner Ansicht nach trifft dieser Vorwurf nicht zu. Obwohl es, wie erwähnt, der Story tatsächlich an Originalität mangelt, haben Levring und sein Co-Autor Anders Thomas Jensen ("In einer besseren Welt") unter der Oberfläche doch einige interessante Nuancen eingebaut, die der näheren Betrachtung wert sind. Vor allem ist die Handlung viel gesellschafts- und auch amerikakritischer als es bei US-Western in der Regel üblich ist (dafür wird die Nähe zu den großen Italo-Western eines Sergio Leone in dieser Hinsicht besonders deutlich). Phasenweise hat man fast das Gefühl, Lars von Trier hätte doch noch seine "Amerika"-Trilogie abgeschlossen, die nach den ersten beiden Teilen "Dogville" und "Manderville" seit vielen Jahren ihrer Fortsetzung harrt, denn "The Salvation" läßt kaum eine Gelegenheit zur Kritik aus. Auch hier kann man wieder den Mangel an Tiefgang beklagen, dennoch ist es sehr interessant, wie schonungslos realistisch das raue, entbehrliche Siedlerleben geschildert wird: Es herrscht auf extreme Weise das Recht des Stärkeren, Loyalität gibt es eigentlich nur innerhalb von Familien, die Furcht vor Delarue und seiner Bande sorgt dafür, daß jegliche Moral und jeglicher Anstand unter dem Mäntelchen des "Wohls der Gesamtheit" vergessen wird. Korruption und Gier sind allgegenwärtig und durch Delarues Vergangenheit bleiben auch die Verbrechen an den Indianern nicht unerwähnt (der Bürgermeister erzählt Jon, früher wäre Delarue ein guter Typ gewesen; daß er nun ein brutaler Zyniker ist, liege wohl daran, daß er als Soldat zu viele Indianer getötet habe). Und während sich die Menschen je nach Stellung und Charakter entweder in ihren Gewalt-, Rache- und Machtphantasien suhlen oder aber nach Kräften buckeln, um irgendwie am Leben zu bleiben, blubbert im Hintergrund gemächlich die Ölquelle, deren Existenz überhaupt erst für Delarues Anwesenheit gesorgt hat ...

Das alles ist handwerklich gut umgesetzt und wirkt stilvoll und authentisch, auch wenn man der Produktion das im Vergleich zu Hollywood geringe Budget von rund 10 Millionen Euro hin und wieder ansieht und es Kameramann Jens Schlosser trotz einiger stimmungsvoller Aufnahmen nicht gelingt, solch epische Bilder auf die Leinwand zu bannen, wie man sie eigentlich von Western gewohnt ist. Dafür ist die relativ spärlich, aber effektiv eingesetzte Musik von Kasper Winding ausgezeichnet gelungen und kommt vor allem im unvermeidlichen finalen Shootout gut zur Geltung. Der ist sehr spannend in Szene gesetzt, generell überzeugend konstruiert und choreographiert und erinnert ein wenig an das große Finale von Kevin Costners "Open Range". Ein Fest für Western-Liebhaber.

Fazit: "The Salvation" ist geradliniger Oldschool-Western für Genrefans, der vor allem mit seiner grimmigen Machart und einer bis in die Nebenrollen ausgezeichneten Besetzung punktet, auch wenn die Handlung nicht ganz frei von Klischees ist und die Bildgewalt der großen Vorbilder nur selten erreicht wird.

Wertung: 8 Punkte.

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