Originaltitel: The Lion in Winter
Regie:
Anthony Harvey, Drehbuch: James Goldman, Musik: John Barry
Darsteller:
Peter O'Toole, Katharine Hepburn, Sir Anthony Hopkins, John Castle, Nigel
Terry, Jane Merrow, Timothy Dalton, Nigel Stock
FSK: 16, Dauer: 129 Minuten.
Weihnachten 1183: Der alternde britische König Henry II.
(Peter O'Toole, "Der Sternwanderer") versammelt seine Familie auf
einer französischen Burg um sich. Eine heile Familienwelt ist allerdings nicht
angesagt, denn seine Ehefrau Eleanor von Aquitanien (Katharine Hepburn,
"Die Nacht vor der Hochzeit") hält er seit Jahren quasi unter
Hausarrest in einer englischen Burg und die noch lebenden Söhne bringen sich nach dem kürzlichen Tod ihres ältesten Bruders und designierten Thronfolgers bereits in Stellung für den Erbschaftsstreit um Henrys Krone. Der aufbrausende Richard (Sir Anthony
Hopkins, "Noah") – später mit dem Beinamen "Löwenherz"
bedacht – ist der älteste der drei, ein begnadeter Krieger, der seine Mutter
als Unterstützerin seiner Herrschafts-Ambitionen auf seiner Seite weiß. Der naive John
(Nigel Terry, "Excalibur") ist ein von seinem Vater
verwöhnter Teenager, dem Henry aber die Krone überlassen will. Der mittlere
Sohn Geoffrey (John Castle, "Blow Up") hat sein Talent fürs
Intrigieren offenbar von der Mutter geerbt: Niemand denkt ernsthaft daran, daß
er König werden könnte, und er selbst scheint es gar nicht schlecht zu finden,
wenn er seine Pläne mehr oder weniger unbehelligt verfolgen kann – zumal er
beiden Brüdern seine Unterstützung zusichert und daher so oder so eine
wichtige, privilegierte Stellung im Reich sicher haben sollte. Für die
entscheidende Würze in diesem nicht wirklich bekömmlichen Familien-Cocktail
sorgt die junge, schöne französische Prinzessin Alais (Jane Merrow), die aktuell
Henrys Geliebte ist, aber von ihrem Halbbruder König Philip II. von Frankreich
(Timothy Dalton, "The Tourist") dem Thronerben als Gemahlin
versprochen wurde …
Kritik:
Normalerweise bin ich ein ziemlich großzügiger Kritiker. Ich
lege nicht den allergrößten Wert auf historische Korrektheit, bei Literatur-
oder Comicverfilmungen beobachte ich Abweichungen von der Originalquelle mit
ehrlicher, gespannter Neugierde anstelle von reflexartiger Ablehnung. Auch unglaubwürdige
Verhaltensweisen oder dezente Logikfehler toleriere ich, wenn sie dem größeren
Wohl des Films dienen, wobei das natürlich auch vom Genre und der
generellen Machart abhängt. Kurzum: Ich bin ein großer Verfechter der
künstlerischen Freiheit in fast jeder Situation. Dennoch gibt es gewisse Elemente,
bei denen ich wesentlich schärfere Maßstäbe anlege, ohne das wirklich
begründen zu können. Eines dieser Elemente sind Intrigen. Intrigen haben ein
weit überdurchschnittliches Potential, mich entweder zu begeistern oder eben zu
verärgern. Ich liebe (nicht nur in Filmen oder TV-Serien, sondern auch in Büchern)
perfekt durchdachte, haargenau konstruierte und gerne möglichst perfide Ränkespiele,
die einen als Zuschauer oder Leser herausfordern, penibel auf kleinste Details
zu achten, um auch wirklich alle Feinheiten der Winkelzüge zu erkennen und
verstehen. Es ist dabei noch nicht einmal unabdingbar, daß die Intrigen am Ende
tatsächlich funktionieren – auch ein unglücklich, etwa durch einen dummen Zufall
oder einen winzigen Planungsfehler gescheitertes Vorhaben kann mich in einen
regelrecht enthusiastischen Zustand versetzen, wenn es nur intelligent genug
vorgebracht ist.
Doch genau das ist der Knackpunkt: Eine richtig schöne,
verwinkelte Intrige zu ersinnen, ist nicht leicht. Ganz im Gegenteil, es ist
eine große Herausforderung. Eine Herausforderung, an der meiner Erfahrung nach
(in der Kunst wie auch im Leben) die meisten scheitern. Was am Reißbrett als
elegante Kabale geplant ist, erweist sich in der Umsetzung nur zu oft als
plump, vorhersehbar, unglaubwürdig, unlogisch, verwirrend statt ausgeklügelt oder
schlicht: dämlich. Im Filmbereich trifft das vor allem auf Thriller allzu oft
zu, aber auch – um nur ein paar mir spontan in den Sinn kommende Beispiele zu
nennen – der politische Nebenplot um Königin Gorgo in "300" oder George
Clooneys von vielen gelobter, mich hingegen nur bedingt überzeugendes Politdrama
"The Ides of March" sind solche für mich unbefriedigende
Intrigen-Umsetzungen (und ein Grund dafür, daß ich im Gegensatz zu den meisten die ränkefreie "300"-Fortsetzung "Rise of an Empire" besser finde). Zugegeben: In der Realität dürften plumpe Intrigen in vielen Fällen bessere Erfolgsaussichten haben als komplizierte. Aber auch wenn ein simples "hinter dem Rücken fiese Gerüchte streuen" noch so effektiv sein mag: Es ist nicht vergleichbar mit einem raffiniert konstruierten Plan, bei dem man – so sehr man auch die Vorgehensweise an sich verachten mag – kaum anders kann, als die pure intellektuelle Leistung widerzuwillig zu bewundern; sondern es ist einfach nur hinterhältig und mies. Und dafür kann ich mich absolut nicht begeistern. Auch in der Kunst kommt Derartiges häufig vor, doch glücklicherweise gibt es positive Ausnahmen: William Shakespeare
war natürlich ein Meister der Intrige, Filme wie Stephen Frears'
"Gefährliche Liebschaften" oder manche asiatische Historienwerke
wissen in dieser Hinsicht auch zu überzeugen. Auf "Der Löwe im
Winter" trifft das ebenfalls zu.
Ursprünglich ein erfolgreiches Theaterstück von James Goldman, transformierte der Autor höchstpersönlich die Handlung in ein Drehbuch für diese
Verfilmung. Wobei er wohl nicht allzu viel änderte (ich kenne das Bühnenstück
nicht), denn im Grunde genommen wirkt "Der Löwe im Winter" immer noch
wie ein Theaterstück – mit einem streng abgegrenzten, siebenköpfigen Figurenensemble,
das fast vollständig auf ein einziges (großes) Gebäude beschränkt agiert. Mit
Weltklasse-Schauspielern, die grandios ausgeklügelte Dialoge veredeln und mit
einer scheinbar beiläufigen Geste oder einer kleinsten mimischen Regung mehr
zu sagen imstande sind als die meisten anderen mit tausend Worten. Nicht ohne Grund brachte der Film unter der souveränen,
OSCAR-nominierten Regie des damals erst 37 Jahre alten Briten Anthony Harvey
(der später bedauerlicherweise nicht mehr viel Bemerkenswertes zustande
brachte) der Schauspiel-Ikone Katharine Hepburn ihren dritten Academy Award ein,
auch das Drehbuch von James Goldman und die unkonventionelle, ziemlich
einzigartige Musik von James Bond-Komponist John Barry ("Man lebt nur
zweimal") wurden mit verdienten Goldjungen prämiert.
Peter O'Toole, selbstverständlich ebenfalls für den OSCAR
nominiert, gibt als nicht mehr junger, aber immer noch ehrgeiziger und
energischer König eine hervorragende Figur ab und harmoniert wunderbar in der
Haßliebe-Beziehung zu Eleanor, mit der er seit Jahrzehnten mit vielen Höhen und
Tiefen verheiratet ist und die ihm in fast jeder Hinsicht ebenbürtig ist. Die
schlagfertigen Rededuelle dieser beiden suchen ihresgleichen, blitzschnell,
stakkatoartig beinahe, hauen sie sich die spitzzüngigen Dialoge um die Ohren,
als stünden sie im Mittelpunkt einer Screwball-Comedy aus der großen Zeit
Hollywoods (häufig mit Hepburn in der weiblichen Hauptrolle …). Doch die
übrigen Darsteller stehen ihnen nicht viel nach: Für Anthony Hopkins bedeutete
die Rolle als späterer Richard Löwenherz den internationalen Durchbruch, und es
ist wahrlich nicht schwer zu erkennen, warum es genau diese Leistung war, die seine
große Karriere maßgeblich beflügelte. Störrisch seinem Vater gegenüber,
sensibel im trauten Zwiegespräch mit der Mutter, entschieden und
machthungrig im (ungeliebten) Intrigenspiel mit seinen Brüdern – Hopkins deutet
alle Facetten seines Könnens mehr als nur an. Nigel Terry, kaum
wiederzuerkennen, wenn man ihn aus seiner ikonischen Darstellung des König
Artus in John Boormans düsterem Meisterwerk "Excalibur" 13 Jahre später kennt, zeigt
als weibischer Jüngling John gleichfalls eine gute Leistung, lediglich John
Castle bleibt als mittlererer Sohn Geoffrey – durchaus seiner Rolle entsprechend – vergleichsweise
blaß. Jane Merrow als Alais und der spätere James Bond-Darsteller Timothy
Dalton spielen neben der schrecklich netten britischen Königsfamilie nur eine
Nebenrolle, haben aber auch ein paar schöne Szenen.
Zur Handlung selbst will ich gar nicht viel verraten: Es ist
eben ein Intrigenspiel mit zahlreichen Wendungen; intellektuell anregend,
aber auch extrem dialoglastig, was bestimmt nicht jedem Zuschauer gefällt.
Schon gar nicht, wenn er einen "klassischen" Historienfilm erwartet,
mit dem "Der Löwe im Winter" bis auf die opulente Ausstattung
nicht viel gemein hat. James Goldmans Drehbuch erzählt im Kern ein Psychodrama, die tragikomisch ausgespielte Geschichte einer dysfunktionalen Familie, deren Mitglieder zufällig königlichen
Blutes sind, womit wir gleichsam einen fiktiven Blick hinter die Kulissen des Mittelalter-Adels
erhalten. Action gibt es kaum, zumindest keine handfeste, die messerscharfen Dialoge hingegen
bieten mehr als genug davon. Wer das mag, der kann kaum ein größeres
Vergnügen erleben als das von Goldmans Bühnenstück respektive Drehbuch gebotene –
wie auch die sehr gelungene TV-Neuverfilmung aus dem Jahr 2003
beweist, mit Patrick Stewart und Glenn Close in den Hauptrollen.
Fazit: "Der Löwe im Winter" ist ein exquisites, sein Publikum intellektuell forderndes und in hohem Tempo
fesselnd erzähltes historisches Intrigenspiel, zugunsten der Konzentration auf
das Wesentliche bewußt karg und stringent inszeniert, dazu herausragend gespielt
von einigen der besten Darsteller ihrer Generation.
Wertung: 9,5 Punkte.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen