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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 6. Dezember 2012

KILLING THEM SOFTLY (2012)

Regie und Drehbuch: Andrew Dominik
Darsteller: Brad Pitt, Richard Jenkins, James Gandolfini, Ray Liotta, Sam Shepard, Scoot McNairy, Ben Mendelsohn, Vincent Curatola, Slaine, Linara Washington, Garret Dillahunt
 Killing Them Softly
(2012) on IMDb Rotten Tomatoes: 73% (6,8); weltweites Einspielergebnis: $37,9 Mio.
FSK: 16, Dauer: 97 Minuten.

Die Vereinigten Staaten von Amerika im Jahr 2008: Während sich Politiker der Republikaner und Demokraten populistische Parolen um die Ohren hauen und über die Ursachen der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise sowie mögliche Gegenmaßnahmen streiten, heuert der windige Wäschereibesitzer Johnny Amato (Vincent Curatola, TV-Serie "Die Sopranos") zwei abgewrackte Ganoven an, um eine von Markie Trattman (Ray Liotta, "Good Fellas") veranstaltete Pokerrunde der Mafia zu überfallen. Normalerweise ein Selbstmordkommando, doch Amato hält sich für besonders schlau und möchte es ausnutzen, daß Trattman bereits einmal seine eigene Pokerrunde hat ausrauben lassen und später damit geprahlt hat. Bei einem erneuten Überfall, so Amatos (Milchmädchen-)Rechnung, würde also jeder glauben, es würde erneut Trattman dahinterstecken. Natürlich ist die Mafia aber nicht gar so dämlich und heuert über einen Mittelsmann (Richard Jenkins, "The Cabin in the Woods") den auswärtigen Vollstrecker Jackie Cogan (Brad Pitt, "The Tree of Life") an, um die wahren Täter zu finden und final zu bestrafen ...

Kritik:
Wenn in den USA ein neuer Film in die Kinos kommt, dann wird am Starttag in 25 Städten mittels Zuschauerbefragungen der sogenannte CinemaScore-Wert ermittelt, der sich am (US-)Schulnotensystem orientiert. Dieser Wert ist ein guter Indikator für die Langlebigkeit des entsprechenden Films in den Kinos, da er mehr darüber aussagt, wie die Mundpropaganda des Otto-Normalverbrauchers ausfallen wird als es etwa bei den Rezensionen der professionellen Filmjournalisten oder auch bei den IMDB-Werten der Fall ist. Denn man darf nicht vergessen, daß selbst in einer Zeit, in der Millionen Filmfans bei der IMDB ihre Wertungen abgeben, diese keineswegs automatisch dem Mainstream entsprechen. Wer den wöchentlichen Kinobesuch eher als gesellschaftliches Ritual betrachtet und Filme einfach nur konsumiert, der wird sich in der Regel kaum extra die Mühe machen, diese anschließend im Internet zu bewerten. Teils erhebliche Diskrepanzen zwischen den CinemaScore-Werten und den Rotten Tomatoes- oder IMDB-Bewertungen sind also ganz normal, weshalb jemand, der das weiß, kaum noch überrascht werden kann. Als "Killing Them Softly" beim US-Kinostart die schlechtestmögliche Note "F" erhielt, war ich dennoch erstaunt. Nachdem ich den Film nun gesehen habe, bin ich es nicht mehr. Wie sonst sollte der Durchschnitts-Amerikaner auf einen Film reagieren, der als actionreicher Thriller vermarktet wird, in Wahrheit aber ein quälend langsames, unangenehmes und höchst pessimistisches Drama ist? Ein Drama zudem, das darauf hinausläuft, daß am Ende Publikumsliebling Brad Pitt, während er im Fernsehen Barack Obamas euphorische Siegesrede nach dem Erringen der Präsidentschaft verfolgt, verächtlich konstatiert: "Amerika ist keine Nation, sondern ein Business."

Doch auch wenn man weiß, worauf man sich einläßt, macht es "Killing Them Softly" einem nicht einfach, den Film zu mögen. Nach ihrem elegischen Spätwestern "Die Ermordung des Jesse James durch den Feigling Robert Ford" präsentieren der australische Regisseur und Drehbuch-Autor Andrew Dominik und sein Hauptdarsteller und Co-Produzent Brad Pitt diesmal einen Abgesang auf die US-amerikanische Gesellschaft in Zeiten der Finanzkrise. Übermäßig subtil gehen sie dabei zwar nicht vor, denn immer wieder sind im Hintergrund in TV oder Radio gleichsam als Ersatz für den (abgesehen von einigen Songs) nicht vorhandenen Soundtrack Wahlkampfreden oder Politiker-Statements zur Finanzkrise zu sehen und hören, die die Parallelität der Strukturen in der realen Wirtschaft zur organisierten Kriminalität verdeutlichen sollen. Dementsprechend ist es schwer, diesen Zusammenhang zu übersehen, auch wenn die Parallelen dankenswerterweise nicht so deutlich sind, daß der Film dem Zuschauer das Denken abnehmen würde. Die Thematik ist dabei nicht ganz neu, denn ähnliche Verbindungen wurden bereits in Klassikern wie "Der Pate" oder "American Gangster" aufgezeigt. Angesichts der realen Geschehnisse ist aber natürlich eine große Aktualität gegeben, die dadurch noch unterstrichen wird, daß die Filmhandlung 2008 spielt, sich beim Kinostart vier Jahre später aber noch immer nicht viel an den globalen wirtschaftlichen Strukturen geändert hat. Und daß die Romanvorlage "Cogan's Trade" von George V. Higgins bereits aus dem Jahr 1974 stammt, ist ebenfalls bezeichnend.

Die Krise dominiert dementsprechend nicht nur indirekt, sondern ganz konkret die Handlung von "Killing Them Softly", denn sie macht vor der Unterwelt nicht Halt. Die beiden abgebrannten und deshalb zu fast jeder Schandtat bereiten Kleinkriminellen, die Amato zu Beginn anheuert und die in den ersten 25 Minuten die Protagonisten des Films sind, lassen sich problemlos dem "white trash" zuordnen. Scoot McNairy ("Argo") und Ben Mendelsohn ("The Dark Knight Rises", "Animal Kingdom") geben diesen unangenehmen, in Gossensprache miteinander verkehrenden verkommenen Subjekten, deren ganzes Denken einzig von Geld und Sex bestimmt ist, ein Gesicht und machen dabei eine gute Figur. Doch auch fast alle anderen Figuren, die die trostlose Welt von "Killing Them Softly" bevölkern, sind nur unwesentlich besser, wenn überhaupt. Ob Amato, der seine Frau betrügt und einen Raub beauftragt in der Vermutung, ein anderer müsse dafür bluten; ob der abgehalfterte Vollstrecker Mickey (James Gandolfini, "Die Sopranos", "Violet & Daisy"), den Jackie als Unterstützung in die Stadt beordert, nur um erkennen zu müssen, daß er seine ganze Zeit mit Saufen, Herumhuren und Jammern verbringt; oder ob Markie Trattman, der seine eigene Pokerrunde überfallen ließ und auch noch stolz auf diesen Coup ist. Man kann kaum umhin zu denken, daß sie alle ihr Schicksal redlich verdient haben. Selbst die nur durch ihren von Richard Jenkins überzeugend verkörperten Mittelsmann vertretenen Mafiabosse zeichnen sich vor allem durch Geiz und einen eklatanten Mangel an Mut und Entschlußkraft aus (womit wir wieder bei den Parallelen zu Politik und Wirtschaft wären). Lediglich Jackie Cogan, ausgerechnet dieser gnadenlose Mafia-Vollstrecker, der kein Problem damit hat, Menschen foltern zu lassen und zu töten, scheint noch so etwas wie Anstand zu besitzen. Das Töten ist sein Beruf, doch ansonsten legt er Wert auf Manieren und Ehrlichkeit, weshalb er stets gereizt reagiert, wenn seine Mitmenschen beispielsweise den Kellner schlecht behandeln oder mit dem Trinkgeld knausern. Ja, es ist eine seltsame, eine verkehrte Welt, in der jemand wie Jackie Cogan noch am ehesten als so etwas wie ein Sympathieträger oder ein moralisches Vorbild dient.

Obwohl Brad Pitt erst nach 25 Minuten das Bild betritt, trägt er den Film. Heutzutage ist es beinahe unvorstellbar, daß Pitt zu Beginn seiner Karriere Anfang der 1990er Jahre – ähnlich wie Leonardo DiCaprio – von gar nicht so wenigen als reiner Schönling ohne nennenswertes schauspielerisches Talent abgetan wurde. Pitt ist nicht nur ein ausgezeichneter Schauspieler, wie er in der Zwischenzeit oft genug bewiesen hat, ihn zeichnen auch großes Charisma und eine außerordentliche Leinwandpräsenz aus. Selbst in einer Rolle wie der des Jackie Cogan, die nicht einmal sonderlich vielseitig ist und auch nicht viele Worte macht, beherrscht er die Szenerie von der Sekunde seines Auftretens an. Wenn er dann auch noch mit so guten Charakterdarstellern wie James Gandolfini oder Richard Jenkins agieren und einen Anflug dunklen Humors einbringen darf, werden die entsprechenden Szenen zu einem wahren Fest für Anhänger der gepflegten Schauspielkunst.

Es gibt also vieles, was man an "Killing Them Softly" bewundern kann. Den Film zu mögen, ist jedoch, wie bereits erwähnt, schwierig. Das liegt nicht nur an dem trostlosen Setting, dem ausgesucht langsamen Erzähltempo und den kaputten Charakteren, sondern auch an der sehr rudimentären Handlung. Cogan sucht die Männer, die die Pokerrunde überfallen haben, aber das erfordert gar keine raffinierten Ermittlungsmethoden, da sich die Täter mehr oder weniger selbst verraten. Cogan muß also eigentlich nur warten und dann irgendwann in eruptiven, geradlinig inszenierten Gewaltausbrüchen zuschlagen. Zwar ist der Film von einem bösen, oft ironischen Humor durchzogen, doch einen zu großen Anteil der knapp 100 Minuten verbringt man als Zuschauer damit, unsympathischen Männern dabei zuzuhören, wie sie ausschweifend und in einer ziemlich widerlichen Wortwahl mit ihren Sexerlebnissen protzen. Vermutlich ist das Geschmackssache, aber mich nervt es ziemlich schnell – auch wenn es innerhalb des Milieus durchaus glaubwürdig ist.

Fazit: "Killing Them Softly" ist ein handwerklich hochwertiger und gut besetzter Abgesang auf die amerikanische Gesellschaft, der sein Publikum mit in eine höchst unangenehme, zynische und von Egoismus geprägte Welt voller gescheiterter Existenzen nimmt. Nicht gerade ein Feelgood-Movie, aber ohne Frage ein ebenso faszinierendes wie pessimistisches Sittenbild.

Wertung: 7 Punkte.


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