Regie:
Stephen Frears, Drehbuch: Nicholas Martin, Musik: Alexandre Desplat
Darsteller:
Meryl Streep, Hugh Grant, Simon Helberg, Rebecca Ferguson, Nina Arianda,
David Mills, Christian McKay, Stanley Townsend, Allan Corduner, John Kavanagh,
David Haig, John Sessions, Brid Brennan, Mark Arnold, Nat Luurtsema
FSK:0, Dauer: 110 Minuten.
New York, 1944: Die bereits deutlich über 70 Jahre alte
Millionenerbin Florence Foster Jenkins (Meryl Streep,
"Glaubensfrage") ist eine angesehene Förderin der klassischen Musik,
die unter anderem in Philadelphia den Verdi-Club gegründet hat und Konzerte des
berühmten Dirigenten Arturo Toscanini (John Kavanagh, "Black Dahlia") finanziert. Für Florence
besteht kein Zweifel: Sie ist nicht nur eine Musikliebhaberin – Musik ist
ihr Leben! So ist es nachvollziehbar, daß sie sich nichts mehr wünscht, als
selbst als Sängerin aufzutreten. Klitzekleines Problemchen: Sie hat
nicht das geringste Talent zum Singen! Angesichts ihres Reichtums konnte sie trotzdem
immer wieder Konzerte vor einem ausgesuchten, ihr wohlgesonnenen Publikum geben, doch
nun möchte sie trotz ihres Alters und ernsthafter gesundheitlicher Probleme noch
einmal ein großes Comeback feiern, das sie bis in die berühmte Carnegie Hall
in New York führen soll. Ihr jüngerer Ehemann St. Clair "Whitey" Bayfield (Hugh
Grant, "Cloud Atlas") – ein mittelmäßig erfolgreicher britischer
Shakespeare-Mime – versucht trotz seiner Besorgnis um sie, ihr diesen Wunsch zu
erfüllen und heuert dafür den renommierten Gesangslehrer Carlo Edwards (David
Haig, "Ein Chef zum Verlieben") an und den jungen Pianisten Cosmé McMoon (Simon Helberg, Howard aus der
Hit-Sitcom "The Big Bang Theory"), der Florence bei ihren Konzerten
begleiten soll …
Kritik:
Ich gebe zu, daß ich vor dem Kinobesuch bei "Florence
Foster Jenkins" Bedenken hatte – und das, obwohl ich Regisseur Stephen
Frears ("Gefährliche Liebschaften", "Philomena") ebenso
sehr schätze wie die beiden Hauptdarsteller Meryl Streep und Hugh Grant. Doch
wenn es eines gibt, mit dem ich sehr wenig anfangen kann, dann ist das
Fremdschäm-Humor – und es schien mir schwer vorstellbar, wie die Geschichte der
angeblich schlechtesten Opernsängerin der Welt ohne diesen funktionieren
sollte. In der Tat bleiben Fremdschäm-Momente natürlich nicht aus – dennoch
habe ich Frears' Meisterschaft im Inszenieren sträflich unterschätzt (und ebenso das
Können des mir bisher unbekannten Drehbuch-Autors Nicholas Martin, für den es
nach etlichen TV-Episoden von Serien wie "Inspector Barnaby" sein
Kinodebüt ist). Denn "Florence Foster Jenkins" ist so durchdacht
aufgebaut, daß man zwar durchaus auch mal über die Protagonistin lacht, sie und
ihre unbeirrbare Leidenschaft aber im Verlauf der Geschichte immer stärker zu
schätzen und ehrlich zu respektieren lernt.
Frears' raffiniertes Vorgehen beginnt damit, daß er das
Publikum erstaunlich lange auf die erste Gesangseinlage von Florence warten läßt,
wobei er es gleich mehrfach in die Irre führt und so die Spannung auf ihr
"Debüt" steigert. Dieses findet dann schlauerweise in intimer
Atmosphäre statt, in der Wohnung ihres Mannes, der neben ihrem Gesangslehrer und
dem Pianisten der einzige Zuhörer ist – abgesehen vom Kinopublikum
selbstverständlich. Durch dieses Setting blamiert sich Florence mit
ihrem wahrlich ohrenbetäubend schlechten Gesang innerhalb der Handlung nicht,
weshalb man als Zuschauer ohne ein schlechtes Gewissen lauthals über ihr Talent,
auch wirklich jede falsche Note zu treffen, lachen kann – zusätzlich befördert durch die
fassungslose Reaktion und die Grimassen des neuen Pianisten Cosmé, der Florence
wie wir zum ersten Mal zu Gehör bekommt und nur mit viel Mühe verhindern kann,
laut loszulachen. Interessanterweise ist es tatsächlich so, daß mit diesem
eruptiven ersten Heiterkeitsausbruch die Phase des "über Florence
lachen" weitgehend beendet ist. Denn wenn wir sie später singen hören, haben wir
sie bereits näher kennengelernt und obwohl ihr Gesang natürlich nicht besser
wird, wächst – wie erwähnt – der Respekt davor, was sie für ihre große
Leidenschaft vollbringt, wie viel Arbeit sie in sie steckt und welch
schwerwiegende Hindernisse sie mit der Hilfe ihrer Freunde überwindet. Der von
ihren schillernden Kostümierungen noch verstärkte humoristische Aspekt ihres Vortrags
verschwindet so zwar nicht gänzlich – speziell bei "Highlights" wie
der berühmten, für Florence selbstredend unmöglich zu meisternden Arie
der Königin der Nacht aus Mozarts "Die Zauberflöte" –, rückt aber deutlich in
der Hintergrund und verliert vor allem den Großteil des Fremdschäm-Aspekts.
Erst nach und nach (und so wird aus der bis dahin
präsentierten Komödie eine Tragikomödie) erfahren wir, was Florence in
ihrem langen, nur monetär sorglosen Leben durchmachen mußte. Mit viel
Feingefühl weckt Frears immer stärkere Sympathien für die so enthusiastische
und scheinbar ungehemmt selbstbewußte ältere Dame, die wirklich alles in ihre
Auftritte legt. Auch erleben wir, wie sie von etlichen Menschen einfach nur ausgenutzt
wird, denen es erkennbar nur oder zumindest vorrangig um Florences Geld geht
und nicht um ihre Person. Dazu zählen etwa der Gesangslehrer, der inständig
darum bittet, daß niemand von seiner Arbeit erfährt, und gar der
berühmte Arturo Toscanini, der sie immer wieder um Geld für seine Konzerte ersucht, Einladungen zu ihren Auftritten aber beständig wegen Zeitmangels
ausschlägt. Berührend zu sehen ist dafür, wie ihr jüngerer Ehemann Whitey sie
wie eine Löwenmutter beschützt und alles versucht, um sie vor jeglichem Unbill zu
bewahren – was so weit geht, daß er das Publikum für ihre Konzerte sehr genau
aussucht und die Kritiker großzügig besticht. Nur funktioniert das nicht mehr,
als Florence während seiner kurzfristigen Abwesenheit die Carnegie Hall mit
3000 Plätzen für ein Konzert bucht, zu dem sich Promis wie Cole Porter ansagen, und für das sie auch noch
1000 Karten an Marinesoldaten verschenkt, die sie mit ihrem Konzert in
aufrichtiger Großherzigkeit von den Kriegsgreueln in Europa und im Pazifik
ablenken möchte …
Die Beziehung zwischen Florence und Whitey, ihr liebevoller
Umgang miteinander, steht klar im Zentrum von "Florence Foster
Jenkins" und wird toll gespielt – nicht nur von Streep, bei der man das
nicht anders erwartet, sondern auch und besonders von Hugh Grant, der als liebender, überfürsorglicher
Ehemann in einer ungewöhnlichen Beziehung (die durch eine von Rebecca Ferguson
aus "Mission: Impossible – Rogue Nation" verkörperte Geliebte noch
verkompliziert wird) wohl mehr schauspielerische Nuancen offenbart als je
zuvor; und eine richtig tolle Lindy Hop-Tanzeinlage darf er auch noch vorführen. Bei Meryl Streep beeindruckt natürlich vor allem ihr Gesangsvortrag, denn dermaßen schlecht zu singen ist wahrlich nicht einfach – vor allem, da Streep zuerst monatelang lernen mußte, richtig zu singen (die Früchte dieser Bemühungen darf sie übrigens in einer besonders
anrührenden Szene präsentieren, in der wir erleben, wie Florences Gesang in
ihren Ohren klingt), ehe sie dann quasi alles wieder verlernen mußte … Simon Helberg
als dritter Hauptdarsteller spielt seine Rolle derweil nicht groß anders als
jene in "The Big Bang Theory", er grimassiert jedoch etwas mehr, was
manchmal etwas grenzwürdig ausfällt. Dennoch: Die Figur des Cosmé funktioniert,
kommt sympathisch rüber und fungiert in ihren Reaktionen auf das Geschehen letztlich
als Stellvertreter des Zuschauers. Die übrigen Nebenrollen bleiben dagegen
überwiegend blaß, vor allem der Handlungsstrang rund um Whitey und seine
Geliebte fällt viel zu kurz und oberflächlich aus, um wirklich zu überzeugen. Lediglich
Nina Arianda ("Aushilfsgangster") sorgt als Agnes, die junge und
zeigefreudige, proletenhafte Gattin eines reichen Musikliebhabers für einige
starke Szenen, wenngleich ihr Part in der Story und im großen Finale bei
Florences Auftritt in der Carnegie Hall nicht wirklich unvorhersehbar ist. Daß das Konzert in Wirklichkeit so verlief wie im Film, dürfte unwahrscheinlich sein, aber
dafür kann ich Frears und Autor Martin keinerlei Vorwürfe machen – die etwas
märchenhafte Inszenierung des Konzerts sorgt für einen wunderbaren, bittersüßen
Höhepunkt des Films. Und am Ende wird wohl kaum ein Zuschauer anders können,
als Florence Foster Jenkins, dieser mutigen, aufrechten Musikliebhaberin,
ehrlichen Respekt zu zollen (zumindest Meryl Streeps Florence – wer weiß schon, wie schon die echte wirklich war ...).
Fazit: "Florence Foster Jenkins" mag es an erzählerischer Tiefe mangeln, ist dafür jedoch eine
warmherzige, phasenweise zum Brüllen komische, aber nie gemeine Tragikomödie
über eine von Meryl Streep gewohnt herausragend gespielte reiche
Musikliebhaberin, deren Leidenschaft ihr Talent als Sängerin bei weitem
übertrifft.
Wertung: Knapp 8,5 Punkte.
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