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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 11. Juni 2015

Nachruf: Sir Christopher Lee (1922-2015)

Einer der ganz Großen ist von uns gegangen: Sir Christopher Lee starb bereits am Sonntag im Alter von 93 Jahren in London an Herzversagen.

Es gibt wohl kaum jemanden auf der Welt, der das einprägsame, auffallend lange und im Alter zunehmend (attraktiv) verwitterte Gesicht von Christopher Lee nicht kennt; kaum jemanden, der seine unverkennbare tiefe, majestätische Baßstimme, mit der das Sprachentalent sich selbst oft in mehreren Sprachen synchronisierte, nicht ab der ersten Silbe identifizieren könnte. Mir wird in dieser Hinsicht vor allem der Zeichentrick-Klassiker "Das letzte Einhorn" von Jules Bass und Arthur Rankin Jr. für immer im Gedächtnis bleiben, in dem Lee 1982 auch in der deutschen Synchronfassung den verbitterten König Haggard sprach: ein wahres Fest für die Ohren, wie er selbst in einer Nicht-Muttersprache und trotz seines durchaus wahrnehmbaren Akzents dem tragischen Antagonisten der Geschichte mit einer gravitätischen, nuancenreichen Interpretation Charakter verlieh und ihn weit hinaus über die Ebene eines bloßen 08/15-Bösewichts erhob, ihn vielmehr zu einer unvergeßlichen Figur machte. Wen mag es da verwundern, daß Lee vor allem in gehobenem Alter Heavy Metal-Alben mit dieser wundervollen, schaurig-schönen Stimme als Erzähler veredelte?

Doch Karriere machte Sir Christopher Lee natürlich schon viel früher. Es geht ja die Legende, daß kein anderer Mensch je in so vielen Filmen mitwirkte wie er. 212 listet die Internet Movie Database auf, wobei Lee selbst gerne darauf hinwies, daß die Liste erstens nicht komplett sei, dafür aber zweitens einige Werke enthalte, bei denen er sich ganz sicher sei, NICHT darin aufgetreten zu sein ... Wie auch immer, viele von diesen über 200 Filmen sind nicht der Rede wert, das ist bei dieser Menge ja unvermeidlich. Dennoch kann sich die Bilanz des notorischen Vielfilmers absolut sehen lassen; zumal er im Grunde genommen mindestens zwei Karrieren machte. Die erste, die ihn berühmt machte, als (neben seinem Freund Peter Cushing) DIE prägende Gestalt der Hammer-Ära. Für meine jüngeren Leser: Das (vor ein paar Jahren nach langer Pause wiederbelebte) Studio Hammer Films sorgte in den späten 1950er und in den 1960er Jahren für eine gigantische Renaissance des Horror- und Gruselgenres, indem es unter anderem die alten Universal-Klassiker aus den 1930er Jahren neu verfilmte und dabei kräftig entstaubte (und mit reichlich Kunstblut beschmierte). Christopher Lee spielte in einer Vielzahl dieser nicht immer hochqualitativen, aber meist unterhaltsamen und daher sehr populären Filme mit, allen voran bekleidete er ab 1958 die ikonische Rolle des Vampir-Grafen Dracula. Und in dieser Rolle ließ er selbst den legendären Ur-Dracula Bela Lugosi recht alt aussehen, denn Lees Dracula strömte unter der grausigen, spitzzähnigen Oberfläche eine unübersehbare, gefährliche Erotik aus, die heutige romantische Vampire á la "Twilight" nur schamvoll erblassen lassen kann. Dieser in den Filmen eigentlich nur sporadisch auftauchende Vampirfürst mit Lees aristokratischem Gesicht und seiner dominanten Ausstrahlung war einer, von dem Frau sich gerne in den Nacken beißen ließe – oder es sich zumindest in der Sicherheit des Kinosessels vorstellen konnte ...

Acht Mal spielte Lee den Grafen Dracula (darunter in dem komplett durchgeknallten "Dracula jagt Mini-Mädchen", in dem er das "Swinging London" der früher 1970er Jahre unsicher macht), dann wollte er nicht mehr; aus Angst, nur noch mit dieser Rolle identifiziert zu werden. Alleine über Lees Anteil an der Hammer-Ära könnte man ganze Bücher schreiben (vermutlich wurden sie das schon), aber dies hier ist ja immer noch und bedauerlicherweise ein Nachruf, also will ich mich relativ kurz fassen und es dabei belassen. Hammer ebnete Lee jedenfalls den Weg zu zahlreichen weiteren kultigen Rollen, fast immer als Bösewicht. So spielte er im Jahr 1974 den titelgebenden James Bond-Bösewicht "Der Mann mit dem goldenen Colt" (alias Scaramanga), verkörperte von 1965 bis 1969 fünf Mal den größenwahnsinnigen Oberschurken Dr. Fu Manchu und war drei Mal als Comte de Rochefort Gegenspieler der "Drei Musketiere". Zudem drehte Lee 1973 seinen persönlichen Favoriten unter all den Filmen, in denen er mitgespielt hat: den gruseligen Mystery-Thriller "The Wicker Man". In Deutschland ist Robin Hardys Film leider kaum bekannt (eher wohl noch dessen richtig mieses Remake von 2006 mit Nicolas Cage), im englischsprachigen Raum ist er Kult. Und das durchaus zu Recht, denn "The Wicker Man" sucht seinesgleichen, was Atmosphäre und Skurrilität betrifft. Als Lord Summerisle, Patriarch einer kleinen, abgelegenen schottischen Insel, darf Lee sogar singen und den eigentlichen Protagonisten des Films, einen Polizisten auf der Suche nach einem vermißten Mädchen, nach allen Regeln der Kunst in ein elegant gewobenes Spinnennetz der Verschleierung einwickeln. Ich kann es nur betonen: Wer mal einen ganz anderen Film sehen will, der vor verrückten Ideen nur so strotzt, der sollte sich unbedingt "The Wicker Man" besorgen!

Sir Christopher Lees bereits angesprochene zweite Karriere hat er dem neuseeländischen Regisseur Peter Jackson zu verdanken. Denn nachdem Lee in den 1980er und 1990er Jahren beruflich nicht gerade von der Muse geküsst war, bewarb er sich um die Jahrtausendwende herum für die Rolle des weisen Zauberers Gandalf in Jacksons epischer Tolkien-Adaption "Der Herr der Ringe". Für Lee war das ein Herzensprojekt, schließlich hat er Tolkiens Trilogie nach eigener Aussage seit Erscheinen in den 1950er Jahren jedes Jahr gelesen! Bekanntlich ging die Gandalf-Rolle an Sir Ian McKellen, doch Jackson bot Lee dafür an, den Zauberer Saruman zu spielen. Lee akzeptierte und durfte so einmal mehr als Bösewicht glänzen. So hervorragend verkörperte er die Rolle, daß er schon kurz darauf ein Rollenangebot von George Lucas erhielt. Der drehte gerade die "Star Wars"-Prequel-Trilogie und brauchte noch dringend einen guten Antagonisten – wer würde sich da besser eignen als Christopher Lee? Richtig, niemand; und so spielte er in Episode II und Episode III den finsteren Sith-Lord Count Dooku und zählte damit zu den klaren Highlights der gemischt aufgenommenen Filme. Durch diese beiden Nebenrollen als Saruman und Count Dooku war Christopher Lee plötzlich Teil zweier der erfolgreichsten Franchises der Kinogeschichte (auch in den "Der Herr der Ringe"-Prequels "Der Hobbit" war er wieder dabei) und avancierte damit von der schon fast in Vergessenheit zu geraten drohenden Berühmtheit zum absoluten Weltstar. Wer das während oder nach seinem gewichtigen Part in der trotz ihrer Popularität nicht wirklich mainstreamigen Hammer-Ära vorhergesagt hätte, der wäre mit Sicherheit für verrückt erklärt worden.

Bis ins hohe Alter blieb der stets eher asketisch als zerbrechlich wirkende Lee aktiv und drehte Filme, zudem engagierte er sich oft und gerne für wohltätige Zwecke. Tim Burton machte Lee beinahe zu so etwas wie seinem Maskottchen und ließ ihn ab "Sleepy Hollow" (1999) in fünf seiner Werke auftreten (teilweise als Sprecher animierter Figuren), Martin Scorsese wollte ihn unbedingt für seine Kino-Hommage "Hugo Cabret". Sir Christopher Lees letzter Film wird wohl der bereits abgedrehte Genremix "Angels in Notting Hill" sein, in dem er wenigstens mit einer seiner Karriere (und auch seiner beeindruckenden Körpergröße von 1,96 m) angemessenen Rolle abtritt: Er spielt "The Boss" alias ... Gott.

R.I.P.

 

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