Gestern hat die Academy die Shortlist jener 15 Dokumentarfilme bekannt gegeben, die um die fünf OSCAR-Nominierungen in dieser Kategorie konkurrieren. Dies sind:
- "The Act of Killing", über die Gräueltaten während der indonesischen Militärdiktatur in den 1960er Jahren, für Regisseur Joshua Oppenheimer stolz nachgestellt von den damaligen Tätern
- "The Armstrong Lie", über den dank Doping gefallenen Radhelden Lance Armstrong
- "Blackfish", über die wenig artgerechte Haltung von Schwertwalen/Orcas in amerikanischen Freizeitparks
- "The Crash Reel", über den US-Snowboard-Star Kevin Pearce und sein Comeback nach einer lebensgefährlichen Verletzung bei einem Sturz
- "Cutie and the Boxer", über einen recht exzentrischen japanischen Künstler und seine 40-jährige Ehe
- "Dirty Wars", über den amerikanischen Krieg gegen den Terrorismus und seine zivilen Opfer
- "First Cousin Once Removed", über den an Alzheimer erkrankten Schriftsteller Edwin Hong
- "God Loves Uganda", über radikale amerikanische Missionare in Uganda und ihren Einfluß auf Politik und Gesellschaft des ostafrikanischen Landes
- "Life According to Sam", über den Kampf einer Familie, das Leben ihres an einer seltenen und tödlichen Krankheit leidenden Sohnes zu retten
- "Pussy Riot: A Punk Prayer", über die russische Punkband und die Folgen ihrer weltweit für Schlagzeilen sorgenden Protestaktion in einer Kirche
- "The Square", über die Proteste der ägyptischen Bevölkerung auf dem Kairoer Tahrir-Platz gegen die islamistische Mursi-Präsidentschaft
- "Stories We Tell", über die Familiengeschichte der kanadischen Regisseurin Sarah Polley, auch bekannt als Schauspielerin ("Dawn of the Dead", "Beowulf & Grendel")
- "Tim's Vermeer", über den Versuch eines texanischen Erfinders, die beinahe fotorealistische Maltechnik von Jan Vermeer nachzuvollziehen
- "20 Feet From Stardom", über professionelle Background-Sängerinnen von Stars wie David Bowie, Ray Charles oder den Rolling Stones
- "Which Way is the Frontline From Here? The Life and Time of Tim Hetherington", über einen 2011 im libyschen Bürgerkrieg getöteten britischen Kriegsphotographen
Wirkliche Überraschungen enthält diese Liste nicht, die namhaftesten Auslassungen sind wohl die Abtreibungs-Doku "After Tiller" und die Rumsfeld-Doku "The Unknown Known: The Life and Times of Donald Rumsfeld". Die besten Chancen auf eine tatsächliche OSCAR-Nominierung am 16. Januar 2014 sollten hinsichtlich Kritiken, öffentlicher Aufmerksamkeit und Box Office-Ergebnissen "The Act of Killing", "Blackfish", "Stories We Tell" und "20 Feet From Stardom" haben, aber Überraschungen gibt es in dieser Kategorie eigentlich immer.
Damit zu diversen aktuellen Awards: Die ersten Preise, die in dieser Saison vergeben wurden, waren am Montag Abend die Gotham Independent Awards. Da diese sehr wenig Einfluß auf das eigentliche OSCAR-Rennen haben, will ich mich kurz fassen: Größte Überraschung war, daß Topfavorit "12 Years a Slave" komplett leer ausging. Den Hauptpreis gewann dafür die (in Deutschland morgen anlaufende) Folkballade "Inside Llewyn Davis" von den Coen-Brüdern. Als beste Doku wurde "The Act of Killing" ausgezeichnet, die Schauspielerpreise gingen an Matthew McConaughey ("Dallas Buyers Club") und Brie Larson ("Short Term 12").
Schon etwas mehr Bedeutung für das OSCAR-Rennen haben die New York Film Critics Circle Awards, deren Gewinner gestern bekanntgegeben wurden, da sie die erste Preisverleihung der Saison sind, in der auch die großen Studioproduktionen berücksichtigt werden. Die Prämierten:
Bester Film: "American Hustle"
Regie: Steve McQueen, "12 Years a Slave"
Drehbuch: "American Hustle"
Hauptdarstellerin: Cate Blanchett, "Blue Jasmine"
Hauptdarsteller: Robert Redford, "All is Lost"
Nebendarstellerin: Jennifer Lawrence, "American Hustle"
Nebendarsteller: Jared Leto, "Dallas Buyers Club"
Kamera: "Inside Llewyn Davis"
Doku: "Stories We Tell"
Nicht-englischsprachiger Film: "Blau ist eine warme Farbe", Frankreich
Animationsfilm: "The Wind Rises"
Debüt: "Fruitvale Station" von Ryan Coogler
Da sind schon ein paar Überraschungen dabei, allen voran der Hauptgewinner: Daß der 1980er Jahre-Thriller "American Hustle" vom "Silver Linings"-Team um Regisseur David O. Russell eine gute Rolle in der Awards Season spielen würde, davon war zwar auszugehen, aber daß er gleich bei den ersten Kritikerawards den Hauptpreis gegen die Favoriten "12 Years a Slave" oder "Gravity" gewinnt, ist schon erstaunlich. Natürlich bedeutet das nichts, wenn er das nicht in weiteren Preisen der Saison bestätigt, aber ein guter Auftakt ist es allemal, der durchaus auch die Abstimmungen weiterer Kritikergruppen beeinflussen kann. In den übrigen Kategorien ist nichts wirklich Sensationelles geschehen, aber daß die Kameraführung von "Inside Llewyn Davis" sich gegen die favorisierte von "Gravity" durchsetzt, ist schon bemerkenswert.
Recht große Aussagekraft haben auch die Annie Awards, allerdings nur für zwei OSCAR-Kategorien (auf die Kurzfilme werde ich an dieser Stelle aber nicht eingehen), denn es handelt sich um eine Preisverleihung ausschließlich für Animationsfilme. Dadurch, daß es in der Hauptkategorie "Best Animated Film" gleich sieben Nominierungen gibt (im Vergleich zu den maximal fünf bei den OSCARs), wird diese Aussagekraft zwar wieder etwas geschmälert, aber zumindest ist klar, daß ein Film, der es nicht einmal unter diese sieben Nominierten geschafft hat, ein echtes Problem hat. Das gilt demnach nicht für:
"A Letter to Momo"
"Ich – Einfach unverbesserlich 2"
"Ernest & Celestine"
"Die Monster Uni"
"Die Croods"
"The Wind Rises"
Schlechte Nachrichten also für "Epic – Verborgenes Königreich", ansonsten sind eigentlich alle US-Favoriten vertreten, ergänzt um die japanischen "The Wind Rises" (dessen Kult-Regisseur Hayao Miyazaki in der Regiesparte allerdings nicht nominiert wurde) und "A Letter to Momo" und den französischen "Ernest & Celestine". "Die Eiskönigin" wird mit 99,9%iger Sicherheit auch bei den OSCARs nominiert werden, die anderen sechs können sich nicht ganz so sicher sein. Normalerweise würde man natürlich Pixars "Die Monster Uni" und den Mega-Blockbuster "Ich – Einfach unverbesserlich 2" auf jeden Fall unter den Nominierten erwarten, aber so ganz gewiß ist das angesichts der beiden Filmen vielfach unterstellten Innovationslosigkeit nicht. Von den nicht-englischsprachigen Werken auf dieser Liste sollte es "A Letter to Momo" am schwierigsten haben. Meine erst vor einer Woche gepostete sehr frühe Prognose für die OSCAR-Nominierungen in der Animationsfilm-Kategorie werde ich angesichts dieser wenig überraschenden Annie-Nominierungen vorerst nicht verändern (obwohl ich zunehmend das Gefühl bekomme, daß "Ernest & Celestine" gut im Rennen liegt).
Da dieser Beitrag schon lange genug ausgefallen ist, beschränke ich mich abschließend auf einen bloßen Link zu den Nominierungen für die von ausländischen Filmjournalisten vergebenen Satellite Awards, bei denen mit Hans Zimmer (für seine Musik zu "12 Years a Slave") auch ein Deutscher berücksichtigt wurde (sowie mit der ZDF-Miniserie "Unsere Mütter, unsere Väter" eine deutsche Produktion im TV-Bereich), Daniel Brühl als Nebendarsteller in "Rush" sowie "Zwei Leben" in der Auslandskategorie hingegen leider nicht.
Quellen:
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