Regie und Drehbuch: Joel und Ethan Coen.
Darsteller: Oscar Isaac, Carey Mulligan, Justin Timberlake,
John Goodman, Garrett Hedlund, F. Murray Abraham, Ethan Phillips, Robin
Bartlett, Adam Driver, Jerry Grayson, Benjamin Pike
Rotten Tomatoes: 92% (8,5); weltweites Einspielergebnis:
$33,0 Mio.
FSK: 6, Dauer: 105 Minuten.
New York, 1961: Kurz bevor Folkmusik durch Bob Dylan richtig
erfolgreich wird, versucht der junge Sänger und Gitarrist Llewyn Davis (Oscar Isaac,
"Drive") mehr schlecht als recht, sich durchzuschlagen. Für
Übernachtungen drängt er sich Freunden oder Bekannten auf, hin und wieder
ergattert er kleine Auftritte oder sogar mal Studioaufnahmen als
Begleitmusiker. Früher war Llewyn Teil eines Duos, doch nun versucht er sich
notgedrungen als Solokünstler und hat sogar ein Album veröffentlicht, das
allerdings wie Blei in den Regalen liegt. Da sein Manager sich für ihn auch nicht
gerade ein Bein ausreißt, beschließt Llewyn schließlich,
mit den beiden Musikern Roland Turner (John Goodman, "Argo") und Johnny Five (Garrett
Hedlund, "Eragon") nach Chicago zu fahren, um sich dort dem bekannten
Produzenten Bud Grossman (F. Murray Abraham, "Der Name der Rose", "Amadeus")
vorzustellen. Denn sein Optimismus bezüglich seiner Musiker-Karriere ist so
ziemlich am Ende, und wenn er nicht bald richtig Geld verdient, dann muß er
wohl wieder als Matrose anheuern …
Kritik:
In den letzten Jahren haben es sich Joel und Ethan Coen
angewöhnt, munter zwischen großen, relativ massentauglichen Filmen und kleinen,
schrägen Projekten, die an ihre Frühzeit erinnern, abzuwechseln. Nach dem OSCAR-Gewinner "No Country for Old Men" und der Komödie "Burn After Reading" kam die äußerst
unkonventionelle moderne Buch Hiob-Variante "A Serious Man", auf den
Western "True Grit" folgt nach einer mit drei Jahren erstaunlich
langen Pause die im Folkmilieu der frühen 1960er Jahre spielende Loser-Ballade
"Inside Llewyn Davis". Als lose Inspirationsquelle für die Titelfigur
diente Dave Van Ronk, der laut Coens immer wieder an der Schwelle zum Durchbruch
zum Star stand, es aber nie ganz schaffte. Bei Llewyn (wird in etwa
"Lou-in" ausgesprochen) ist das durchaus ähnlich, denn als Musiker
wird er von allen, die ihn kennen, sehr respektiert, von einer echten Karriere
ist er aber – zumindest ausgehend von der einen Woche in seinem Leben, die
"Inside Llewyn Davis" zeigt – weit entfernt.
Man könnte fast Mitleid mit ihm haben, zumal man im Lauf der
Geschichte einiges Trauriges aus seiner Vergangenheit erfährt. Das Problem
ist nur: Zu Beginn wirkt Llewyn nicht sonderlich nett; am Ende ist er einem dann
richtig unsympathisch. Er nutzt seine Freunde, etwa das Musikerpaar Jean (Carey
Mulligan, "Der große Gatsby") und Jim (Justin Timberlake, "Black Snake Moan"), aus, ist unfreundlich zu seiner Familie und manchmal richtig
ruppig gegenüber Fremden. Dabei hat man das Gefühl, daß er eigentlich gar kein
schlechter Kerl ist, denn im Normalfall hat er gute Manieren, er kümmert
sich auch rührend um die Katze seines Gönners Professor Gorfein (Ethan
Phillips, Star Trek-Fans als Neelix aus der TV-Serie "Raumschiff
Voyager" bekannt), als diese durch seine Unachtsamkeit aus der Wohnung
seines Besitzers entwischt. Aber immer wieder bricht es aus ihm heraus, und die
Häufigkeit dieser aus einer Mischung aus Frustration und Selbstmitleid geborenen
Ausbrüche nimmt mit jedem weiteren Mißerfolg zu. Das macht diesen Llewyn Davis
zu einem sehr zwiespältigen Protagonisten. Auf der einen Seite muß man es
bewundern, wie sorgfältig und authentisch die Coens diese Figur geschrieben
haben und wie hervorragend Oscar Isaac (der wohlgemerkt alle der
grundsätzlich komplett ausgespielten Songs selber singt und mit der Gitarre
begleitet) sie auf der Leinwand zum Leben erweckt. Auch die Art und Weise, wie
Details über Llewyns Vergangenheit, auch seine aktuellen Gedankengänge und
seinen Charakter durch minimalistische Andeutungen (wie ein bloßes
Straßenschild) vermittelt werden, ist ohne Frage inszenatorisch eindrucksvoll. Aber auf der anderen Seite fällt es dennoch mit jeder
weiteren Eselei schwerer, Verständnis oder Empathie für Llewyn aufzubringen.
Auch der weitgehende Verzicht auf eine echte Handlung macht
es nicht unbedingt leichter, "Inside Llewyn Davis" zu mögen. Die
Coens setzen ganz bewußt darauf, einfach nur einen einwöchigen Ausschnitt aus
dem Leben eines talentierten, aber (noch?) erfolglosen Musikers zu Beginn
der 1960er Jahre zu zeigen. Es geht ihnen um die Atmosphäre, um die Musik, um
die Figuren. Und eigentlich setzen sie das alles richtig stark um. Die Zeit ein
paar Jahre vor Vietnam, Rassenunruhen und Woodstock ist von den Kulissen und
den Autos auf den Straßen bis hin zu Frisuren und Kleidung überzeugend
eingefangen und selbst die vielen Nebenfiguren – von denen die wenigsten mehr
als zwei oder drei Szenen haben – wirken durch liebevolle Details und paßgenaue
Besetzung lebensecht und interessant. Doch im Mittelpunkt steht natürlich die
Musik. Ich bin nun kein ausgemachter Anhänger von Folkmusik, aber die von T-Bone Burnett (OSCAR für "Crazy Heart", nominiert für "Unterwegs nach
Cold Mountain") und Marcus Mumford (von der Band "Mumford &
Sons") produzierten und arrangierten Songs – überwiegend Coverversionen
bekannter Folksongs aus dieser Zeit – sind gut ausgewählt und haben mir mit
einer Ausnahme allesamt gefallen. Wer aber mit Folkmusik überhaupt nichts
anfangen kann, für den dürfte "Inside Llewyn Davis" naturgemäß eher
ungeeignet sein.
Obwohl ich also eigentlich viel Lob für den neuen Film der Coens übrig
habe, bin ich doch bei weitem nicht so begeistert wie von vielen ihrer früheren
Werke. Gerade im Vergleich zu ihrem anderen "Musik-Film", der
grandiosen Bluegrass-Odyssee "O Brother, Where Art Thou?" aus dem
Jahr 2000, wirkt "Inside Llewyn Davis" doch ziemlich zahm. Die für
die Coens so typische lakonische Erzählweise ist natürlich wieder vorhanden, aber
ein bißchen mehr Story hätte es in meinen Augen schon sein dürfen, auch
mehr Humor und vor allem etwas sympathischere Charaktere. Zwar gibt es wie
üblich jede Menge unterschwelligen, subtilen Humor, der vor allem aus den
Situationen heraus und aus den typisch schrägen Dialogen oder Monologen (in
John Goodmans Fall) entsteht, und eine Aufnahmesession von Llewyn mit Jim und
einem weiteren Musiker ist sogar richtig witzig; aber das Ganze wirkt dieses
Mal doch etwas eintönig und erschöpft sich irgendwann. In der ersten Hälfte
habe ich mich noch gut bis sehr gut unterhalten gefühlt, aber etwa ab der
Fahrt nach Chicago nahm eine gewisse Unruhe und Unzufriedenheit langsam
überhand. So konnte ich zwar weiterhin auf intellektueller Ebene die Stärken
des Drehbuchs und der Inszenierung durch Joel und Ethan Coen goutieren,
entfernte mich aber auf emotionaler Ebene immer weiter von diesem unbequemen
Protagonisten, dessen Schicksal mir zunehmend gleichgültig wurde. Und das ist
letztlich einfach unbefriedigend.
Fazit: "Inside Llewyn Davis" ist eine bewundernswert sorgfältig und detailverliebt inszenierte Loser-Ballade, die die
Folkmusik-Szene der frühen 1960er Jahre wunderbar einfängt und mit genau
beobachteten Figuren fasziniert, emotional allerdings etwas zu distanziert bleibt und
angesichts eines wenig sympathischen Protagonisten sowie des Fehlens einer
Handlung im traditionellen Sinn eine nicht ganz einfache Seherfahrung ist. Aber das kennt man als Fan der Coens ja, und es wäre auch nicht das erste Mal, daß einer ihrer Filme bei mehrfacher Sichtung deutlich gewinnt.
Wertung: 7 Punkte.
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