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In eigener Sache: Mein neues Filmbuch

Einigen Lesern ist bestimmt aufgefallen, daß ich in der rechten Spalte meines Blogs seit längerer Zeit das Cover meines neuen Buchs präsen...

Donnerstag, 25. November 2021

THE GREEN KNIGHT (2021)

Regie und Drehbuch: David Lowery, Musik: Daniel Hart
Darsteller: Dev Patel, Alicia Vikander, Joel Edgerton, Sarita Choudhury, Ralph Ineson, Barry Keoghan, Sean Harris, Kate Dickie, Erin Kellyman, Emmet O'Brien, Megan Tiernan, Patrick Duffy (Stimme)
Rotten Tomatoes: 89% (8,1); weltweites Einspielergebnis: $18,9 Mio.
FSK: 16, Dauer: 130 Minuten.
Als der greise König Arthur (Sean Harris, "Mission: Impossible – Fallout") mit seiner Königin Guinevere (Kate Dickie, "The Witch") und den Rittern der Tafelrunde Weihnachten feiert, betritt ein ungeladener Gast Camelot: Der geheimnisvolle Grüne Ritter (Ralph Ineson, "The Ballad of Buster Scruggs") – offensichtlich nicht (ganz) menschlich, sondern eine baumartige Kreatur – fordert den König zu einem "Spiel" auf: Sein kühnster Krieger soll einen einzigen Schlag gegen den Ritter ausführen. Sollte der Ritter dies überleben, muß der Krieger genau ein Jahr später in des Ritters Grüner Kapelle erscheinen und dort von ihm den gleichen Schlag erhalten. Arthurs junger Neffe Gawain (Dev Patel, "David Copperfield"), der sich bisher primär durch beachtliche Feierwut hervorgetan hat, meldet sich freiwillig und schreitet zur Tat – doch der Ritter überlebt! Ein Jahr später trennt sich Gawain widerwillig von seiner Mutter Morgana (Sarita Choudhury, "Ein Hologramm für den König") und von seiner bürgerlichen Freundin Essel (Alicia Vikander, "Ex Machina") und macht sich auf den beschwerlichen Weg zur Grünen Kapelle; immerhin will er ein Ritter der Tafelrunde werden (und später Arthur auf dem Thron nachfolgen) und zu den wichtigsten Rittertugenden gehört es, gegebene Versprechen einzuhalten. Auf seiner einsamen Reise durch ein unwirtliches, nachhaltig von Armut, Krieg und Zerstörung gezeichnetes Land macht Gawain einige denkwürdige Bekanntschaften ...

Kritik:
Bekanntlich sprechen Arthouse-Filme andere Zuschauersegmente an als Mainstream-Filme, was sich im Budget zumeist ebenso deutlich erkennbar ausdrückt wie inhaltlich und stilistisch. Genrefilme wiederum (z.B. Horror, Fantasy, Science Fiction, Action, Mystery) können in beiden Bereichen entstehen, jedoch zählen etwa die meisten Actionfilme (schon budgetbedingt) eher zum Mainstream, auch im Horror- oder Fantasy-Genre sind Arthouse-Vertreter vergleichsweise rar gesät – zumal viele Fans des jeweiligen Genres recht konventionell und traditionsbewußt sind und gar nicht so viel mit künstlerischeren Genrebeiträgen anfangen können, weshalb deren kommerzielle Aussichten nicht die besten sind. Umso bemerkenswerter ist es, daß sich das ambitionierte New Yorker Independent-Studio A24 ab Mitte der 2010er Jahre auf genau solche Werke spezialisiert hat und damit erstaunliche Erfolge einfährt. Bislang galt das vor allem für Arthouse-Horrordramen wie "Hereditary", "The Witch" oder "Der Leuchtturm", doch auch eher unkonventionelle Coming of Age-Storys ("Eighth Grade", "Moonlight"), Science Fiction-Filme ("Under the Skin"), Western ("Slow West") oder oft schräge Thriller-Dramen ("Under the Silver Lake", "The Killing of a Sacred Deer", "Raum") sorgen immer wieder für Begeisterung bei Kritikern und wagemutigen Zuschauern. Ein Genre, das lange fehlte, war der Fantasyfilm – und diese Lücke schließt A24 mit David Lowerys aus dem Umfeld der Artussage stammendem "The Green Knight", einem visuell und akustisch prächtigem Kunstwerk von einem Film, das mich ziemlich begeistert hat, mit seiner langsamen bis hypnotischen, eher ereignisarmen und für Interpretationen offenen Erzählweise und den nur wenig ausgefeilten, betont symbolhaften Charakteren allerdings wie so viele Genre-Arthouse-Filme bei weitem nicht für jeden Zuschauer geeignet ist.
Regisseur und Drehbuch-Autor David Lowery ist in seiner bisherigen Karriere munter zwischen Kunstfilmen ("A Ghost Story") und leicht verdaulichen Werken wie "Elliot, der Drache" und "Ein Gauner & Gentleman") hin und her gewechselt, sein "The Green Knight" schlägt eindeutig in die erstgenannte Richtung aus. Lowery läßt seiner Phantasie freien Lauf und gestaltet gerade jene Teile der Geschichte, die sich nicht auf die von einem unbekannten mittelalterlichen Autor stammende Ritterromanze "Sir Gawain und der grüne Ritter" gründen, mit einer unbändigen Kreativität aus. Denn während der Anfang und der direkte Vorlauf zum Finale sich recht genau an die Vorlage halten, ist das meiste, was Gawain im Verlauf seiner Queste widerfährt, neu – und genau diese ebenso rätselhaften wie wunderbar mystischen Episoden sind meiner Ansicht nach die Highlights von "The Green Knight". Ein gutes Beispiel für Lowerys Vorgehensweise ist eine Traumsequenz gleich zu Beginn, die sehr kurz die Flucht von Paris und Helena aus Troja zeigt – was man aber eigentlich erst erkennen kann, wenn man im Abspann die Namen der beiden Figuren erfährt (bis dahin vergißt man die Szene entweder oder fragt sich, was sie denn bitte mit dem Rest des Films zu tun hat). Solche für Interpretationen offene Traumsequenzen sowie kunstvolle "Was wäre wenn"-Passagen gibt es immer wieder und sie sorgen dafür, daß die grundsätzlich recht lineare Roadmovie-Story wesentlich komplexer wirkt als sie ist. Doch das ist gut so, denn wie so oft ist auch und ganz besonders in "The Green Knight" die Reise das eigentliche Ziel, denn sie stellt den leichtlebigen, von romantischen Ritteridealen geleiteten Gawain vor etliche (Charakter-)Prüfungen und konfrontiert ihn mitleidlos mit der harten Realität vor den Toren Camelots – denn das Land ist von Krieg, Armut und Umweltzerstörung schwer gezeichnet, die König Arthurs salbungsvolle Weihnachtsansprache über die friedensbringenden Heldentaten seiner Ritter der Tafelrunde als typisches Politiker-Geschwätz entlarvt (und damit nebenbei ein Stück weit das in Hollywoods Technicolor-Glanzzeiten in den 1950er Jahren mit Werken wie "Die Ritter der Tafelrunde" oder "Ivanhoe, der schwarze Ritter" populäre Ritterfilm-Genre dekonstruiert).
Eindeutig im Mittelpunkt von "The Green Knight" steht wenig überraschend Gawain, wobei es schon erstaunt, wie stark sich David Lowery auf den mit dem indischstämmigen Briten Dev Patel ungewöhnlich, aber sehr überzeugend besetzten Protagonisten konzentriert. Abgesehen von seiner Freundin Essel und einer seiner Begegnungen auf dem Weg zur Grünen Kapelle ist Gawain die einzige namentlich genannte Person – selbst Arthur und Guinevere werden im Film und im Abspann nur als "König" und "Königin" bezeichnet, der – wenn ich mich recht entsinne – komplett dialogfreie Merlin (Emmet O'Brien) als "Magier" und Gawains berühmt-berüchtigte, zaubermächtige Mutter Morgana als "Mutter". Das unterstreicht, daß sie alle letztlich nur dazu da sind, Gawains charakterliche Entwicklung zu befördern, ihn zu unterstützen oder vor harte Prüfungen zu stellen. Dementsprechend bleiben sie Schablonen, die aber von Lowery kunstvoll gestaltet und paßgenau besetzt sind. Interessanterweise erfahren wir selbst bei Gawain kaum etwas über seine Vergangenheit, wir lernen ihn erst durch seine gefahrvolle Heldenreise besser kennen. Und obwohl er kein strahlender Held ist und sich schwer damit tut, Versuchungen jedweder Art zu widerstehen, fiebert man mit ihm mit, da Patel ihn in seiner Unvollkommenheit sehr nachvollziehbar, realistisch und auch charismatisch verkörpert. Auf seine Prüfungen auf der Reise will ich gar nicht näher eingehen, aber am besten gefielen mir die (übrigens jeweils mit kunstvollen Zwischentiteleinblendungen eingeleiteten) traumartigen, poetischen Episoden mit der rothaarigen Winifred (Erin Kellyman, "Solo") – die um Gawains Hilfe bei einer nicht alltäglichen Suche bittet – sowie mit einer Gruppe von nackten Riesinnen.
Daß die an sich eher unspektakulären
und kurzen Wegbegegnungen so überzeugen, ist neben Lowerys Gespür für eine äußerst atmosphärische Inszenierung (die immer wieder mit dezenten Horrorelementen durchsetzt ist, daher auch die deutsche Altersfreigabe ab 16 Jahren) zu einem Gutteil der qualitativ hochwertigen technischen Umsetzung geschuldet. Dem überschaubaren Budget von $15 Mio. zum Trotz überzeugen die visuellen Effekte auf der ganzen Linie, wobei Lowery primär auf altmodische handgemachte Effekte und Kostüme setzt und den Computer nur ergänzend einwirken läßt. Dazu kommen eine großartige, geradezu nach der ganz großen Kino-Leinwand schreiende Kameraführung von Andrew Droz Palermo ("A Ghost Story"), der dieses trostlose, mitunter aber auch magische Fantasy-Mittelalter mit grandiosen, bedächtigen Einstellungen einfängt und zwischenzeitlich mit eindrucksvollen 360°-Kamerafahrten begeistert, sowie die Musik von Lowerys Stammkomponist Daniel Hart, die geisterhafte mittelalterliche Gesänge mit perfekt zur Stimmung passenden mystischen Melodien kombiniert. In der Story kommt derweil das Beste zum Schluß, denn das denkwürdige Ende von "The Green Knight" läßt eine 20-minütige, weitestgehend wortlose, doch umso eindringlichere Sequenz meisterhaft in einen lakonischen Schlußpunkt münden. Kein Zweifel, "The Green Knight" ist kein Film für jeden Geschmack und wer sich einen halbwegs klassischen Fantasyfilm erwartet, der könnte schnell gelangweilt sein – doch läßt man sich auf die Herangehensweise ein, erwartet einen ein außergewöhnlicher Film.

Fazit: "The Green Knight" ist ein äußerst unkonventioneller, rätselhafter und eher ereignisarmer Arthouse-Fantasyfilm, der ein aufgeschlossenes Publikum mit einer grandiosen künstlerischen Gestaltung und einer durchdachten, zu Interpretationen einladenden Handlung begeistert.

Wertung: 9 Punkte.
 
 
"The Green Knight" wird von EuroVideo Medien am 26. November 2021 digital veröffentlicht, am 9. Dezember folgen DVD, Blu-ray und ein Mediabook. Das Bonusmaterial ist erfreulich üppig ausgefallen und umfaßt eine Gesamtlänge von gut eineinhalb Stunden, wobei qualitativ die drei informativen "Making of"-Featurettes positiv hervorstechen. Die (bei der DVD offenbar fehlenden) Interviews mit David Lowery, Dev Patel und Joel Edgerton sind hingegen eher verzichtbar, was primär den umständlichen und ziemlich langweiligen Fragen des Interviewers geschuldet ist. Da wäre ein Audiokommentar von Regisseur und Drehbuch-Autor Lowery mit Sicherheit erhellender gewesen, denn es gibt zahlreiche Szenen, bei denen es sehr interessieren würde, was genau sich Lowery dabei dachte und wie er sie realisiert hat. Trotzdem ein gutes Bonusmaterial (das Mediabook ist zusätzlich mit einem Booklet ausgestattet). Ein Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Entertainment Kombinat zur Verfügung gestellt.
 
 
Screenshots: © EuroVideo Medien

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