Regie und Drehbuch: David Lowery, Musik: Daniel Hart
Darsteller: Dev
Patel, Alicia Vikander, Joel Edgerton, Sarita Choudhury, Ralph Ineson, Barry Keoghan, Sean Harris,
Kate Dickie, Erin Kellyman, Emmet
O'Brien, Megan Tiernan, Patrick Duffy (Stimme)
Rotten Tomatoes: 89%
(8,1); weltweites Einspielergebnis: $18,9 Mio.
FSK: 16, Dauer: 130
Minuten.
Als der greise König
Arthur (Sean Harris, "Mission: Impossible – Fallout")
mit seiner Königin Guinevere (Kate Dickie, "The Witch") und den Rittern der
Tafelrunde Weihnachten feiert, betritt ein ungeladener Gast Camelot: Der geheimnisvolle Grüne Ritter (Ralph Ineson, "The
Ballad of Buster Scruggs") – offensichtlich nicht (ganz)
menschlich, sondern eine baumartige Kreatur – fordert den
König zu einem "Spiel" auf: Sein kühnster Krieger soll
einen einzigen Schlag gegen den Ritter ausführen. Sollte der Ritter
dies überleben, muß der Krieger genau ein Jahr später in des
Ritters Grüner Kapelle erscheinen und dort von ihm den gleichen
Schlag erhalten. Arthurs junger Neffe Gawain (Dev Patel, "David
Copperfield"), der sich bisher primär durch beachtliche Feierwut
hervorgetan hat, meldet sich freiwillig und schreitet zur Tat –
doch der Ritter überlebt! Ein Jahr später trennt sich Gawain widerwillig von seiner Mutter Morgana (Sarita Choudhury, "Ein
Hologramm für den König") und von seiner bürgerlichen
Freundin Essel (Alicia Vikander, "Ex Machina") und macht
sich auf den beschwerlichen Weg zur Grünen Kapelle; immerhin will er
ein Ritter der Tafelrunde werden (und später Arthur auf dem Thron
nachfolgen) und zu den wichtigsten Rittertugenden gehört es,
gegebene Versprechen einzuhalten. Auf seiner einsamen Reise durch ein
unwirtliches, nachhaltig von Armut, Krieg und Zerstörung gezeichnetes Land macht Gawain
einige denkwürdige Bekanntschaften ...
Kritik:
Bekanntlich sprechen
Arthouse-Filme andere Zuschauersegmente an als Mainstream-Filme, was
sich im Budget zumeist ebenso deutlich erkennbar ausdrückt wie inhaltlich
und stilistisch. Genrefilme wiederum (z.B. Horror, Fantasy, Science
Fiction, Action, Mystery) können in beiden Bereichen entstehen, jedoch zählen etwa die meisten Actionfilme (schon
budgetbedingt) eher zum Mainstream, auch im Horror- oder
Fantasy-Genre sind Arthouse-Vertreter vergleichsweise rar gesät –
zumal viele Fans des jeweiligen Genres recht konventionell und traditionsbewußt sind und gar nicht so viel
mit künstlerischeren Genrebeiträgen anfangen können, weshalb
deren kommerzielle Aussichten nicht die besten sind. Umso
bemerkenswerter ist es, daß sich das ambitionierte New Yorker
Independent-Studio A24 ab Mitte der 2010er Jahre auf genau solche
Werke spezialisiert hat und damit erstaunliche Erfolge einfährt.
Bislang galt das vor allem für Arthouse-Horrordramen wie
"Hereditary", "The Witch" oder "Der
Leuchtturm", doch auch eher unkonventionelle Coming of Age-Storys
("Eighth Grade", "Moonlight"),
Science Fiction-Filme ("Under the Skin"), Western
("Slow West") oder oft schräge Thriller-Dramen ("Under
the Silver Lake", "The Killing of a Sacred Deer",
"Raum") sorgen immer wieder für Begeisterung bei Kritikern
und wagemutigen Zuschauern. Ein Genre, das lange fehlte,
war der Fantasyfilm – und diese Lücke schließt A24 mit David
Lowerys aus dem Umfeld der Artussage stammendem "The Green
Knight", einem visuell und akustisch prächtigem Kunstwerk von
einem Film, das mich ziemlich begeistert hat, mit seiner langsamen
bis hypnotischen, eher ereignisarmen und für Interpretationen
offenen Erzählweise und den nur wenig ausgefeilten, betont symbolhaften Charakteren
allerdings wie so viele Genre-Arthouse-Filme bei weitem nicht für
jeden Zuschauer geeignet ist.
Regisseur
und Drehbuch-Autor David Lowery ist in seiner bisherigen Karriere
munter zwischen Kunstfilmen ("A Ghost Story") und
leicht verdaulichen Werken wie "Elliot, der Drache" und "Ein
Gauner & Gentleman") hin und her gewechselt, sein "The
Green Knight" schlägt eindeutig in die erstgenannte Richtung
aus. Lowery läßt seiner Phantasie freien Lauf und gestaltet gerade
jene Teile der Geschichte, die sich nicht auf die von einem unbekannten
mittelalterlichen Autor stammende Ritterromanze "Sir Gawain und
der grüne Ritter" gründen, mit einer unbändigen Kreativität aus.
Denn während der Anfang und der direkte Vorlauf zum Finale sich
recht genau an die Vorlage halten, ist das meiste, was Gawain im
Verlauf seiner Queste widerfährt, neu – und genau diese
ebenso rätselhaften wie wunderbar mystischen Episoden sind meiner
Ansicht nach die Highlights von "The Green Knight". Ein
gutes Beispiel für Lowerys Vorgehensweise ist eine Traumsequenz
gleich zu Beginn, die sehr kurz die Flucht von Paris und Helena aus
Troja zeigt – was man aber eigentlich erst erkennen kann, wenn man
im Abspann die Namen der beiden Figuren erfährt (bis dahin vergißt man die Szene entweder oder fragt sich, was sie denn bitte mit dem Rest des Films zu tun hat). Solche für Interpretationen offene
Traumsequenzen sowie kunstvolle "Was wäre wenn"-Passagen
gibt es immer wieder und sie sorgen dafür, daß die grundsätzlich
recht lineare Roadmovie-Story wesentlich komplexer wirkt als sie ist.
Doch das ist gut so, denn wie so oft ist auch und ganz
besonders in "The Green Knight" die Reise das eigentliche
Ziel, denn sie stellt den leichtlebigen, von romantischen
Ritteridealen geleiteten Gawain vor etliche (Charakter-)Prüfungen
und konfrontiert ihn mitleidlos mit der harten Realität vor den
Toren Camelots – denn das Land ist von Krieg, Armut und
Umweltzerstörung schwer gezeichnet, die König Arthurs salbungsvolle
Weihnachtsansprache über die friedensbringenden Heldentaten seiner
Ritter der Tafelrunde als typisches Politiker-Geschwätz entlarvt (und
damit nebenbei ein Stück weit das in Hollywoods Technicolor-Glanzzeiten in den 1950er Jahren mit Werken wie "Die Ritter der Tafelrunde" oder "Ivanhoe, der schwarze Ritter" populäre Ritterfilm-Genre dekonstruiert).
Eindeutig
im Mittelpunkt von "The Green Knight" steht wenig
überraschend Gawain, wobei es schon erstaunt, wie stark sich David Lowery
auf den mit dem indischstämmigen Briten Dev Patel ungewöhnlich, aber sehr
überzeugend besetzten Protagonisten konzentriert. Abgesehen von
seiner Freundin Essel und einer seiner Begegnungen auf dem Weg zur
Grünen Kapelle ist Gawain die einzige namentlich genannte Person –
selbst Arthur und Guinevere werden im Film und im Abspann nur als
"König" und "Königin" bezeichnet, der – wenn
ich mich recht entsinne – komplett dialogfreie Merlin (Emmet
O'Brien) als "Magier" und Gawains berühmt-berüchtigte,
zaubermächtige Mutter Morgana als "Mutter". Das
unterstreicht, daß sie alle letztlich nur dazu da sind, Gawains
charakterliche Entwicklung zu befördern, ihn zu unterstützen oder
vor harte Prüfungen zu stellen. Dementsprechend bleiben sie
Schablonen, die aber von Lowery kunstvoll gestaltet
und paßgenau besetzt sind. Interessanterweise erfahren wir selbst
bei Gawain kaum etwas über seine Vergangenheit, wir lernen ihn erst
durch seine gefahrvolle Heldenreise besser kennen. Und obwohl er kein
strahlender Held ist und sich schwer damit tut,
Versuchungen jedweder Art zu widerstehen, fiebert man mit ihm mit, da
Patel ihn in seiner Unvollkommenheit sehr nachvollziehbar,
realistisch und auch charismatisch verkörpert. Auf seine Prüfungen
auf der Reise will ich gar nicht näher eingehen, aber am besten
gefielen mir die (übrigens jeweils mit kunstvollen
Zwischentiteleinblendungen eingeleiteten) traumartigen, poetischen Episoden mit der
rothaarigen Winifred (Erin Kellyman, "Solo") – die um
Gawains Hilfe bei einer nicht alltäglichen Suche bittet – sowie mit
einer Gruppe von nackten Riesinnen.
Daß
die an sich eher unspektakulären und
kurzen Wegbegegnungen so
überzeugen, ist neben Lowerys Gespür für eine äußerst atmosphärische Inszenierung (die immer wieder mit dezenten Horrorelementen durchsetzt ist, daher auch die deutsche Altersfreigabe ab 16 Jahren) zu einem Gutteil der qualitativ
hochwertigen technischen Umsetzung geschuldet. Dem überschaubaren Budget von $15
Mio. zum Trotz überzeugen die visuellen Effekte auf der ganzen Linie, wobei
Lowery primär auf altmodische handgemachte Effekte und Kostüme
setzt und den Computer nur ergänzend einwirken läßt. Dazu kommen
eine großartige, geradezu nach der ganz großen Kino-Leinwand schreiende
Kameraführung von Andrew Droz Palermo ("A Ghost Story"), der dieses trostlose,
mitunter aber auch magische Fantasy-Mittelalter mit grandiosen,
bedächtigen Einstellungen einfängt und zwischenzeitlich mit
eindrucksvollen 360°-Kamerafahrten begeistert, sowie die Musik von
Lowerys Stammkomponist Daniel Hart, die geisterhafte
mittelalterliche Gesänge mit perfekt zur Stimmung passenden
mystischen Melodien kombiniert. In der Story kommt derweil das Beste zum Schluß, denn das
denkwürdige Ende von "The Green Knight" läßt eine 20-minütige, weitestgehend wortlose, doch umso eindringlichere
Sequenz meisterhaft in einen lakonischen Schlußpunkt münden. Kein Zweifel, "The Green Knight" ist kein Film für jeden Geschmack und wer sich einen halbwegs klassischen Fantasyfilm erwartet, der könnte schnell gelangweilt sein – doch läßt man sich auf die Herangehensweise ein, erwartet einen ein außergewöhnlicher Film.
Fazit:
"The Green Knight" ist ein äußerst unkonventioneller, rätselhafter und eher ereignisarmer Arthouse-Fantasyfilm, der ein
aufgeschlossenes Publikum mit einer grandiosen künstlerischen
Gestaltung und einer durchdachten, zu Interpretationen einladenden
Handlung begeistert.
Wertung:
9 Punkte.
"The Green Knight" wird von EuroVideo Medien am 26. November 2021 digital veröffentlicht, am 9. Dezember folgen DVD, Blu-ray und ein Mediabook. Das Bonusmaterial ist erfreulich üppig ausgefallen und umfaßt eine Gesamtlänge von gut eineinhalb Stunden, wobei qualitativ die drei informativen "Making of"-Featurettes positiv hervorstechen. Die (bei der DVD offenbar fehlenden) Interviews mit David Lowery, Dev Patel und Joel Edgerton sind hingegen eher verzichtbar, was primär den umständlichen und ziemlich langweiligen Fragen des Interviewers geschuldet ist. Da wäre ein Audiokommentar von Regisseur und Drehbuch-Autor Lowery mit Sicherheit erhellender gewesen, denn es gibt zahlreiche Szenen, bei denen es sehr interessieren würde, was genau sich Lowery dabei dachte und wie er sie realisiert hat. Trotzdem ein gutes Bonusmaterial (das Mediabook ist zusätzlich mit einem Booklet ausgestattet). Ein Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Entertainment Kombinat zur Verfügung gestellt.
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