Regie und Drehbuch: Jane Campion, Musik: Jonny Greenwood
Darsteller: Benedict
Cumberbatch, Kodi Smit-McPhee, Kirsten Dunst, Jesse Plemons,
Peter Carroll,
Frances Conroy, Geneviève Lemon, Thomasin McKenzie, Alison Bruce, Alice Englert, Keith Carradine, Adam Beach
FSK: 16, Dauer: 128
Minuten.
Montana, 1925: Die
ungleichen Brüder Phil (Benedict Cumberbatch, "Dame, König, As, Spion")
und George Burbank (Jesse Plemons, "Feinde – Hostiles") sind
wohlhabende und einflußreiche Rancher. Doch während der
rauhbeinige, dominante Phil mit ihrem Leben vollkommen zufrieden ist,
wünscht sich der feinfühlige George mehr – allem voran eine Gattin. Als er die Witwe Rose Gordon (Kirsten Dunst, "Die Verführten")
kennenlernt, verliebt er sich und heiratet sie schon bald,
woraufhin sie mit auf die Ranch zieht. Phil, der überzeugt ist, Rose habe es
nur auf ihr Geld abgesehen, ist davon überhaupt nicht begeistert
und läßt die nicht allzu selbstbewußte Frau seine Ablehnung
deutlich spüren – was diese in den Alkohol treibt. Das bleibt auch
Roses beinahe erwachsenem Sohn Peter (Kodi Smit-McPhee, "Alpha")
nicht verborgen, der zunächst in der Stadt blieb und erst in den
Schulferien auf die Ranch nachkommt. Obwohl der linkische,
wenig maskulin auftretende Peter, der Chirurg werden will, zunächst
von Phil und den anderen Cowboys verspottet und aufgezogen wird,
entwickelt sich nach einer Weile überraschend eine freundschaftliche
Beziehung zwischen ihm und Phil. Phil wird zu einer Art Mentor für
Peter – so wie es einst ein gewisser Bronco Henry für ihn war,
über den Phil ständig redet –, bringt ihm das Reiten bei und
nimmt ihn mit zu diversen Arbeiten auf der weitläufigen Ranch. Rose
wühlt die Verbindung zwischen ihrem Sohn und dem Mann, den sie hasst
und fürchtet, allerdings nur noch mehr auf ...
Kritik:
Während im 21.
Jahrhundert die Zahl der weiblichen Filmemacher in Hollywood und
in weiten Teilen der restlichen Welt merkbar zunimmt, waren
Regisseurinnen noch vor wenigen Dekaden ein ziemlich seltener
Anblick in der Filmbranche. Gerade in Hollywood dominierten die
Männer mit nur wenigen Ausnahmen wie Penny Marshall ("Big"),
Nora Ephron ("Schlaflos in Seattle") oder Kathryn Bigelow
("Strange Days"). Für Aufsehen sorgte zudem die Neuseeländerin Jane Campion, als sie 1994 für ihr
historisches Drama "Das Piano" mit Holly Hunter, Harvey
Keitel und Sam Neill einen überraschenden Hit landete und als erst zweite Frau
(nach der Italienerin Lina Wertmüller) für den Regie-OSCAR
nominiert wurde. Nachdem ihr nächster Film "Portrait of a Lady"
floppte, verschwand sie jedoch schnell wieder aus dem Blickfeld, auch
ihre nächsten Projekte brachten keine nennenswerten Erfolge.
Erst mit dem Melodram "Bright Star" (2009) ging es wieder
bergauf, ehe sie 2013 mit der gefeierten TV-Serie "Top
of the Lake" den zweiten großen Hit ihrer Karriere feierte.
Acht Jahre später steht Jane Campion auf dem mutmaßlichen
Höhepunkt mit dem von Netflix produzierten
psychologischen Westerndrama "The Power of the Dog" nach
dem autobiographisch angehauchten Roman "Die Gewalt der Hunde"
von Thomas Savage, das weltweit glänzende Kritiken und zahllose
Auszeichnungen erhielt. Das ist verdient, denn wenngleich "The
Power of the Dog" eindeutig Nischenkino ist und mit seiner
bedächtigen, aktionsarmen Erzählweise, die sich ganz auf die fein
ausgearbeiteten Charaktere konzentriert, klassische Westernfans abschrecken dürfte, ist Campion ein beeindruckender und intelligenter
Film gelungen, der lange nachhallt.
Dummerweise
ist "The Power of the Dog" ein Film, den man nur
dann erschöpfend rezensieren kann, wenn man eine Entwicklung
spoilert, die man zwar früh erahnen kann, aber erst in der zweiten
Hälfte richtig offenbar wird. Manche Kritiker schreiben dennoch
darüber, doch ich werde darauf verzichten, zumal ich selbst den Film
ohne vorheriges Spoilerwissen gesehen habe und glaube, daß es auf
diese Weise ein spannenderes, intensiveres Seherlebnis ist. Das
bedeutet natürlich, daß ich über gewisse Aspekte bestenfalls
abstrakt schreiben kann, aber ich denke, das ist es wert. Was ich
definitiv beschreiben kann, ist, was "The Power of the Dog" nicht
ist. Denn angesichts einer kurzen Inhaltsbeschreibung hatte ich
eigentlich befürchtet, in Campions Film würde Phils Mobbing
gegenüber Rose im Zentrum stehen – und da ich diese Thematik
aufgrund eines ausgeprägten Unrechtsbewußtseins selbst in fiktiven
Stoffen schwer ertrage, hielt sich meine Vorfreude auf "The
Power of the Dog" in Grenzen. Glücklicherweise wurde ich sehr
positiv überrascht, denn Phils Mobbing spielt sehr wohl eine
Rolle, eine nicht unwichtige dazu, jedoch steht es nicht im
Zentrum und ist zudem mit wenigen Ausnahmen sehr subtil ausgespielt –
und damit aus Zuschauerperspektive noch erträglich. Dabei besteht kein
Zweifel, daß Phil ein klassischer "Bully" ist, der
mit seiner (toxischen) Männlichkeit protzt und seinen etwas fülligen
Bruder George mit wenig schmeichelhaften Spitznamen bedenkt, Rose
trotz oft vorgetäuschter Höflichkeit seine geballte Verachtung
jederzeit spüren läßt und gemeinsam mit den für ihn arbeitenden
Cowboys Peter verspottet, weil dieser so gar nicht dem in dieser Ära
und Region üblichen Bild von Männlichkeit entspricht. Der
Unterschied ist, daß der äußerst langmütige George mit
den Spötteleien seines Bruders gut umgehen kann (sicher auch,
weil er es nicht anders gewohnt ist), während sie den etwas
wunderlichen Peter sichtlich treffen und seine Mutter Rose sogar
daran zugrundezugehen droht.
Wohlgemerkt
begeht Jane Campion natürlich nicht den Fehler, Phil einfach als tumben
Macho-Bösewicht zu zeichnen, sondern verleiht ihm zahlreiche
charakterliche Facetten und Nuancen, die ihn zu einem sehr interessanten Antagonisten machen. Beispielsweise ist bei allem Spott deutlich erkennbar, daß Phil seinen Bruder aufrichtig liebt, ihn sogar
dringend in seinem Leben braucht – schon um seine eigene Einsamkeit
zu kaschieren. Angesichts dessen ist klar, daß sein Verhalten
gegenüber Rose auch von seiner eigenen panischen Furcht getrieben
ist, die einzige echte Bezugsperson in seinem Leben zu verlieren
(denn das Verhältnis zu den Eltern entpuppt sich als ziemlich
lieblos, was wiederum ein weiteres Puzzlestück zum Verstehen von
Phils Verhalten ist). Auch sein ständiges bewunderndes Gerede von
seinem und Georges lange verstorbenem Mentor Bronco Henry zeigt, daß Phil
alles andere als gefühllos ist. Daß diese Figurenzeichnung so gut
funktioniert, liegt nicht allein an der gefeierten Romanvorlage und an
Campions Drehbuch-Adaption, sondern selbstverständlich ebenso an
Phils Darsteller Benedict Cumberbatch. Der sonst primär für seine
von ihm perfektionierten mehr oder weniger schrägen Rollen in "The
Imitation Game", "Doctor Strange" oder der TV-Serie
"Sherlock" bekannte Brite zeigt eine schauspielerische
Meisterleistung und schafft es, aus einem vordergründig denkbar
unsympathischen und buchstäblich
breitbeinig auftretenden
Obermacho eine der komplexesten und faszinierendsten Figuren der
jüngeren Kinohistorie zu machen, deren positive Seiten man als
Zuschauer ebenso würdigt wie man seine vielen negativen verurteilt.
Ihm gegenüber zeigt der junge Australier Kodi Smit-McPhee eine
ebenbürtige Performance als sensibler, staksiger Peter, der nicht viel
redet, aber dafür Mimik und Gestik subtil, doch deutlich für sich
sprechen läßt. Die freundschaftliche Beziehung, die sich zwischen
diesen beiden so unterschiedlichen Männern völlig unerwartet –
und zum Entsetzen von Rose – entwickelt, ist psychologisch fein
ausgearbeitet und wartet mit vielen für sich genommen unscheinbaren
Szenen und Momenten auf, die zusammengenommen ein wunderbar komplexes
Bild ergeben.
Durch
die Konzentration auf Phil und Peter kommen die übrigen Charaktere
etwas kurz. Doch
auch Jesse Plemons als sanfter
George – der
Rose aufrichtig liebt, jedoch durch eine gewisse Unachtsamkeit
gegenüber ihren Wünschen und seine Loyalität zu Phil zu ihrem
wachsenden Unglück unfreiwillig beiträgt –
und Kirsten Dunst als Rose – die
von ihrem neuen Leben nicht nur wegen Phils Verhalten überfordert
ist und sich noch am ehesten wohlfühlt, wenn sie sich mit ihren weiblichen Bediensteten wie Gleichgestellte unterhält –
haben ihre starken Momente und spielen eine wichtige Rolle für die
Handlungsentwicklung (beide sind übrigens auch in der Realität seit
2016 ein Paar, stehen aber
erstmals gemeinsam für einen Film vor der Kamera).
Dazu, daß man sich in dem elegischen, soghaften Westerndrama
verliert, sorgt derweil
neben dem
gekonnten Psychogramm der beiden Protagonisten und den eindrucksvollen Bildern der weitläufigen neuseeländischen Drehorte von Kamerafrau
Ari Wegner ("Lady Macbeth")
auch der ruhige, jedoch durch die Einbindung atonaler Elemente
zugleich latent beunruhigend wirkende Score von Jonny Greenwood
("There Will Be Blood"). "The
Power of the Dog" – der Titel bezieht sich übrigens sowohl
auf eine Bibelstelle als auch auf eine Szene, die die Beziehung
zwischen Phil und Peter stark beeinflußt – ist alles andere als
ein typischer Western. Hier gibt es keine Schießereien, Banditen kommen
nicht vor, Indianer haben nur einen kurzen Gastauftritt und die
Cowboys sind tatsächlich nur mit ihren Viehtrieb-Aufgaben
beschäftigt. Auch die Dialoge sind eher kurz gehalten, immerhin sind
die beiden Hauptfiguren ziemlich schweigsam; stattdessen rückt
Campion das Unausgesprochene in den Vordergrund und arbeitet
viel mit Andeutungen (wobei die nicht immer subtil sind).
Kurzum: "The Power of the Dog" ist ein anspruchsvoller
Film, der von seinem Publikum Geduld
und volle Konzentration
einfordert,
es dafür aber mit einer feinfühligen, teils
abgründigen Charakterstudie mit herausragenden schauspielerischen
Leistungen und einem erinnerungswürdigen Ende belohnt.
Fazit:
Jane Campions "The
Power of the Dog" ist ein exzellent konstruiertes und
gespieltes psychologisches Westerndrama für ein aufgeschlossenes
Arthouse-Publikum.
Wertung:
8,5
Punkte.
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