Donnerstag, 3. Februar 2022

THE POWER OF THE DOG (2021)

Regie und Drehbuch: Jane Campion, Musik: Jonny Greenwood
Darsteller: Benedict Cumberbatch, Kodi Smit-McPhee, Kirsten Dunst, Jesse Plemons, Peter Carroll, Frances Conroy, Geneviève Lemon, Thomasin McKenzie, Alison Bruce, Alice Englert, Keith Carradine, Adam Beach
The Power of the Dog (2021) on IMDb Rotten Tomatoes: 94% (8,4); weltweites Einspielergebnis: $0,3 Mio.
FSK: 16, Dauer: 128 Minuten.
Montana, 1925: Die ungleichen Brüder Phil (Benedict Cumberbatch, "Dame, König, As, Spion") und George Burbank (Jesse Plemons, "Feinde – Hostiles") sind wohlhabende und einflußreiche Rancher. Doch während der rauhbeinige, dominante Phil mit ihrem Leben vollkommen zufrieden ist, wünscht sich der feinfühlige George mehr – allem voran eine Gattin. Als er die Witwe Rose Gordon (Kirsten Dunst, "Die Verführten") kennenlernt, verliebt er sich und heiratet sie schon bald, woraufhin sie mit auf die Ranch zieht. Phil, der überzeugt ist, Rose habe es nur auf ihr Geld abgesehen, ist davon überhaupt nicht begeistert und läßt die nicht allzu selbstbewußte Frau seine Ablehnung deutlich spüren – was diese in den Alkohol treibt. Das bleibt auch Roses beinahe erwachsenem Sohn Peter (Kodi Smit-McPhee, "Alpha") nicht verborgen, der zunächst in der Stadt blieb und erst in den Schulferien auf die Ranch nachkommt. Obwohl der linkische, wenig maskulin auftretende Peter, der Chirurg werden will, zunächst von Phil und den anderen Cowboys verspottet und aufgezogen wird, entwickelt sich nach einer Weile überraschend eine freundschaftliche Beziehung zwischen ihm und Phil. Phil wird zu einer Art Mentor für Peter – so wie es einst ein gewisser Bronco Henry für ihn war, über den Phil ständig redet –, bringt ihm das Reiten bei und nimmt ihn mit zu diversen Arbeiten auf der weitläufigen Ranch. Rose wühlt die Verbindung zwischen ihrem Sohn und dem Mann, den sie hasst und fürchtet, allerdings nur noch mehr auf ...

Kritik:
Während im 21. Jahrhundert die Zahl der weiblichen Filmemacher in Hollywood und in weiten Teilen der restlichen Welt merkbar zunimmt, waren Regisseurinnen noch vor wenigen Dekaden ein ziemlich seltener Anblick in der Filmbranche. Gerade in Hollywood dominierten die Männer mit nur wenigen Ausnahmen wie Penny Marshall ("Big"), Nora Ephron ("Schlaflos in Seattle") oder Kathryn Bigelow ("Strange Days"). Für Aufsehen sorgte zudem die Neuseeländerin Jane Campion, als sie 1994 für ihr historisches Drama "Das Piano" mit Holly Hunter, Harvey Keitel und Sam Neill einen überraschenden Hit landete und als erst zweite Frau (nach der Italienerin Lina Wertmüller) für den Regie-OSCAR nominiert wurde. Nachdem ihr nächster Film "Portrait of a Lady" floppte, verschwand sie jedoch schnell wieder aus dem Blickfeld, auch ihre nächsten Projekte brachten keine nennenswerten Erfolge. Erst mit dem Melodram "Bright Star" (2009) ging es wieder bergauf, ehe sie 2013 mit der gefeierten TV-Serie "Top of the Lake" den zweiten großen Hit ihrer Karriere feierte. Acht Jahre später steht Jane Campion auf dem mutmaßlichen Höhepunkt mit dem von Netflix produzierten psychologischen Westerndrama "The Power of the Dog" nach dem autobiographisch angehauchten Roman "Die Gewalt der Hunde" von Thomas Savage, das weltweit glänzende Kritiken und zahllose Auszeichnungen erhielt. Das ist verdient, denn wenngleich "The Power of the Dog" eindeutig Nischenkino ist und mit seiner bedächtigen, aktionsarmen Erzählweise, die sich ganz auf die fein ausgearbeiteten Charaktere konzentriert, klassische Westernfans abschrecken dürfte, ist Campion ein beeindruckender und intelligenter Film gelungen, der lange nachhallt.

Dummerweise ist "The Power of the Dog" ein Film, den man nur dann erschöpfend rezensieren kann, wenn man eine Entwicklung spoilert, die man zwar früh erahnen kann, aber erst in der zweiten Hälfte richtig offenbar wird. Manche Kritiker schreiben dennoch darüber, doch ich werde darauf verzichten, zumal ich selbst den Film ohne vorheriges Spoilerwissen gesehen habe und glaube, daß es auf diese Weise ein spannenderes, intensiveres Seherlebnis ist. Das bedeutet natürlich, daß ich über gewisse Aspekte bestenfalls abstrakt schreiben kann, aber ich denke, das ist es wert. Was ich definitiv beschreiben kann, ist, was "The Power of the Dog" nicht ist. Denn angesichts einer kurzen Inhaltsbeschreibung hatte ich eigentlich befürchtet, in Campions Film würde Phils Mobbing gegenüber Rose im Zentrum stehen – und da ich diese Thematik aufgrund eines ausgeprägten Unrechtsbewußtseins selbst in fiktiven Stoffen schwer ertrage, hielt sich meine Vorfreude auf "The Power of the Dog" in Grenzen. Glücklicherweise wurde ich sehr positiv überrascht, denn Phils Mobbing spielt sehr wohl eine Rolle, eine nicht unwichtige dazu, jedoch steht es nicht im Zentrum und ist zudem mit wenigen Ausnahmen sehr subtil ausgespielt – und damit aus Zuschauerperspektive noch erträglich. Dabei besteht kein Zweifel, daß Phil ein klassischer "Bully" ist, der mit seiner (toxischen) Männlichkeit protzt und seinen etwas fülligen Bruder George mit wenig schmeichelhaften Spitznamen bedenkt, Rose trotz oft vorgetäuschter Höflichkeit seine geballte Verachtung jederzeit spüren läßt und gemeinsam mit den für ihn arbeitenden Cowboys Peter verspottet, weil dieser so gar nicht dem in dieser Ära und Region üblichen Bild von Männlichkeit entspricht. Der Unterschied ist, daß der äußerst langmütige George mit den Spötteleien seines Bruders gut umgehen kann (sicher auch, weil er es nicht anders gewohnt ist), während sie den etwas wunderlichen Peter sichtlich treffen und seine Mutter Rose sogar daran zugrundezugehen droht.

Wohlgemerkt begeht Jane Campion natürlich nicht den Fehler, Phil einfach als tumben Macho-Bösewicht zu zeichnen, sondern verleiht ihm zahlreiche charakterliche Facetten und Nuancen, die ihn zu einem sehr interessanten Antagonisten machen. Beispielsweise ist bei allem Spott deutlich erkennbar, daß Phil seinen Bruder aufrichtig liebt, ihn sogar dringend in seinem Leben braucht – schon um seine eigene Einsamkeit zu kaschieren. Angesichts dessen ist klar, daß sein Verhalten gegenüber Rose auch von seiner eigenen panischen Furcht getrieben ist, die einzige echte Bezugsperson in seinem Leben zu verlieren (denn das Verhältnis zu den Eltern entpuppt sich als ziemlich lieblos, was wiederum ein weiteres Puzzlestück zum Verstehen von Phils Verhalten ist). Auch sein ständiges bewunderndes Gerede von seinem und Georges lange verstorbenem Mentor Bronco Henry zeigt, daß Phil alles andere als gefühllos ist. Daß diese Figurenzeichnung so gut funktioniert, liegt nicht allein an der gefeierten Romanvorlage und an Campions Drehbuch-Adaption, sondern selbstverständlich ebenso an Phils Darsteller Benedict Cumberbatch. Der sonst primär für seine von ihm perfektionierten mehr oder weniger schrägen Rollen in "The Imitation Game", "Doctor Strange" oder der TV-Serie "Sherlock" bekannte Brite zeigt eine schauspielerische Meisterleistung und schafft es, aus einem vordergründig denkbar unsympathischen und buchstäblich breitbeinig auftretenden Obermacho eine der komplexesten und faszinierendsten Figuren der jüngeren Kinohistorie zu machen, deren positive Seiten man als Zuschauer ebenso würdigt wie man seine vielen negativen verurteilt. Ihm gegenüber zeigt der junge Australier Kodi Smit-McPhee eine ebenbürtige Performance als sensibler, staksiger Peter, der nicht viel redet, aber dafür Mimik und Gestik subtil, doch deutlich für sich sprechen läßt. Die freundschaftliche Beziehung, die sich zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Männern völlig unerwartet – und zum Entsetzen von Rose – entwickelt, ist psychologisch fein ausgearbeitet und wartet mit vielen für sich genommen unscheinbaren Szenen und Momenten auf, die zusammengenommen ein wunderbar komplexes Bild ergeben.

Durch die Konzentration auf Phil und Peter kommen die übrigen Charaktere etwas kurz. Doch auch Jesse Plemons als sanfter George – der Rose aufrichtig liebt, jedoch durch eine gewisse Unachtsamkeit gegenüber ihren Wünschen und seine Loyalität zu Phil zu ihrem wachsenden Unglück unfreiwillig beiträgt – und Kirsten Dunst als Rose – die von ihrem neuen Leben nicht nur wegen Phils Verhalten überfordert ist und sich noch am ehesten wohlfühlt, wenn sie sich mit ihren weiblichen Bediensteten wie Gleichgestellte unterhält – haben ihre starken Momente und spielen eine wichtige Rolle für die Handlungsentwicklung (beide sind übrigens auch in der Realität seit 2016 ein Paar, stehen aber erstmals gemeinsam für einen Film vor der Kamera). Dazu, daß man sich in dem elegischen, soghaften Westerndrama verliert, sorgt derweil neben dem gekonnten Psychogramm der beiden Protagonisten und den eindrucksvollen Bildern der weitläufigen neuseeländischen Drehorte von Kamerafrau Ari Wegner ("Lady Macbeth") auch der ruhige, jedoch durch die Einbindung atonaler Elemente zugleich latent beunruhigend wirkende Score von Jonny Greenwood ("There Will Be Blood"). "The Power of the Dog" – der Titel bezieht sich übrigens sowohl auf eine Bibelstelle als auch auf eine Szene, die die Beziehung zwischen Phil und Peter stark beeinflußt – ist alles andere als ein typischer Western. Hier gibt es keine Schießereien, Banditen kommen nicht vor, Indianer haben nur einen kurzen Gastauftritt und die Cowboys sind tatsächlich nur mit ihren Viehtrieb-Aufgaben beschäftigt. Auch die Dialoge sind eher kurz gehalten, immerhin sind die beiden Hauptfiguren ziemlich schweigsam; stattdessen rückt Campion das Unausgesprochene in den Vordergrund und arbeitet viel mit Andeutungen (wobei die nicht immer subtil sind). Kurzum: "The Power of the Dog" ist ein anspruchsvoller Film, der von seinem Publikum Geduld und volle Konzentration einfordert, es dafür aber mit einer feinfühligen, teils abgründigen Charakterstudie mit herausragenden schauspielerischen Leistungen und einem erinnerungswürdigen Ende belohnt.

Fazit: Jane Campions "The Power of the Dog" ist ein exzellent konstruiertes und gespieltes psychologisches Westerndrama für ein aufgeschlossenes Arthouse-Publikum.

Wertung: 8,5 Punkte.
 
 
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