Dienstag, 28. Dezember 2021

BLACK WIDOW (2021)

Regie: Cate Shortland, Drehbuch: Eric Pearson, Musik: Lorne Balfe
Darsteller: Scarlett Johansson, Florence Pugh, David Harbour, Rachel Weisz, Ray Winstone, William Hurt, O-T Fagbenle, Olga Kurylenko, Ever Anderson, Violet McGraw, Jade Xu, Michelle Lee, Olivier Richters, Julia Louis-Dreyfus, Jeremy Renner (Stimme)
Black Widow (2021) on IMDb Rotten Tomatoes: 79% (6,9); weltweites Einspielergebnis: $379,8 Mio.
FSK: 12, Dauer: 134 Minuten.
Ohio, 1995: Die gerade am Anfang ihrer Pubertät stehende Natasha (Ever Anderson, „Resident Evil: The Final Chapter“) führt mit ihrer kleinen Schwester Yelena (Violet McGraw) und ihren Eltern Melina (Rachel Weisz, „Das Bourne Vermächtnis“) und Alexei (David Harbour, „Zeiten des Aufruhrs“) ein glückliches Kleinstadtleben – zumindest vorgeblich. In Wirklichkeit sind die Wissenschaftlerin Melina und der einzige russische Supersoldat Alexei alias „Red Guardian“ Schläfer-Agenten des ehrgeizigen Generals Dreykov (Ray Winstone, „Noah“), die von kleinauf als Killerin ausgebildete Natasha und Yelena sind ihren echten Eltern geraubte Kinder – wobei einzig die 6-jährige Yelena nichts davon weiß. Umso erschütternder ist es, als Alexei auffliegt und die Scheinfamilie überhastet und verfolgt von S.H.I.E.L.D.-Agenten nach Kuba fliehen muß, wo Dreykov sie trennt und fortan für andere Zwecke verwendet. 21 Jahre später ist Natasha Romanoff (Scarlett Johannson, „Marriage Story“) längst aus Dreykovs „Obhut“ ausgebrochen und in den Westen übergelaufen, wo sie als Black Widow zur bewunderten Superheldin und ersten weiblichen Avenger wurde. Doch dann haben die dramatischen Ereignisse aus „The First Avenger: Civil War“ die Avengers gespalten und Black Widow befindet sich auf der Flucht vor General Ross (William Hurt, „Robin Hood“). Als sie den General und seine Leute abgeschüttelt hat, wird Natasha sehr schnell von ihrer Vergangenheit eingeholt, denn ihre Schein-Schwester Yelena (Florence Pugh, „Little Women“) hat ihr ein geheimnisvolles Päckchen geschickt, hinter dem ebenfalls der furchteinflößende maskierte "Taskmaster" her ist. Es stellt sich heraus, daß Dreykov hinter der Sache steckt und um an ihn heranzukommen, müssen Natasha und Yelena sich mit ihren Fake-Eltern vereinen …

Kritik:
Der von der australischen Regisseurin Cate Shortland ("Lore") inszenierte "Black Widow" wirkt ein bißchen, als würde Marvel Cinematic Universe-Chef Kevin Feige ein Versäumnis in letzter Minuten noch schuldbewußt wiedergutmachen wollen. Immerhin war Natasha Romanoff alias Black Widow der erste und jahrelang auch einzige weibliche Superheld im MCU, ein Avenger der ersten Stunde und folgerichtig eine der beliebtesten Figuren im Marvel-Kosmos – trotzdem bekam sie in den fast zehn Jahren zwischen ihrem ersten Auftritt im MCU (2010 in "Iron Man 2") und ihrem chronologisch letzten (2019 in "Avengers: Endgame") keinen Solofilm spendiert. Gut, dieses Schicksal teilt sie sich mit Hulk, Scarlet Witch oder Hawkeye, außerdem spielte sie in vielen MCU-Filmen eine große Rolle; trotzdem wirkt es merkwürdig und ungerecht, daß der erste Solofilm einer Marvel-Superheldin an die debütierende "Captain Marvel" ging und nicht an sie. Mit "Black Widow" erhält sie immerhin den zweiten, der Phase IV des MCU einläutet und chronologisch zwischen "Captain America 3" und "Avengers: Infinity War" angesiedelt ist, also nach dem Bruch zwischen den Avengers, der Natasha zu einer Flüchtigen macht. Diese Prämisse nutzt das Drehbuch von Eric Pearson ("Thor 3") geschickt, um dem Publikum endlich etwas mehr über Natashas Vergangenheit zu erzählen (die bis dahin nur kurz angeschnitten worden war) und zugleich in Person ihrer Ziehschwester Yelena ihre potentielle Nachfolgerin im MCU einzuführen. Daß die Story eher zweckmäßig und nicht übermäßig spektakulär ausfällt, ist zwar schade, trotzdem macht "Black Widow" viel richtig und bereitet seiner titelgebenden Heldin nachträglich jenen würdigen Abschied, den sie sich wahrlich verdient hat, nachdem sie in "Avengers: Endgame" eher stiefmütterlich behandelt worden war (was jedoch angesichts der umwälzenden Ereignisse dieses Films schwer zu vermeiden war).

Inhaltlich wäre die Realisierung von "Black Widow" eigentlich nicht nötig gewesen, da er eine Lücke füllt, von der das Publikum ohne den Film gar nichts gewußt hätte. Zumindest gilt das nach jetzigem Stand, denn es kann gut sein, daß man die Bedeutung von "Black Widow" für das MCU erst im Nachhinein wird vollständig begreifen können – so ähnlich wie bei "Avengers: Age of Ultron", der mehr wichtige Fährten und Grundsteine für die kommenden Jahre legte, als man beim Release erahnen konnte. Ich glaube zwar nicht, daß das bei "Black Widow" ähnlich sein wird, ein paar mögliche Ansätze gibt es aber sehr wohl (etwa hinsichtlich der "Widows" – mitsamt eines kurzen Auftritts einer Figur, die wenig später in "Shang-Chi" wieder auftauchen sollte – oder der von Olga Kurylenko verkörperten Figur, über die ich aus Spoilergründen nicht mehr verraten will). Unabhängig davon haben sich Scarlett Johansson und Black Widow als ein Stützpfeiler des momumentalen MCU-Erfolgs diese Ehrenrunde natürlich mehr als verdient und erfreulicherweise fällt sie gewohnt unterhaltsam aus und dabei sogar humorvoller als es wohl zu erwarten war. Die Rückblenden in Natashas Kindheit (in der sie von Milla Jovovichs Tochter Ever Anderson gespielt wird) und auf ihre zusammengeschusterte und entsprechend dysfunktionale, aber irgendwie trotzdem halbwegs funktionierende Patchwork-Familie sind sinnvoll und geben Natasha mehr charakterliche Tiefe, auch wenn das natürlich ziemlich spät kommt. Nebenbei bereichert "Black Widow" das MCU auch genremäßig um eine weitere Facette, wobei sich Shortlands Film über weite Strecken gar nicht wie ein typisches Marvel-Superhelden-Abenteuer anfühlt, sondern wie ein (abseits der Superkräfte) relativ klassischer, eigenständiger Spionage-Actionthriller. So etwas gab es zwar bereits mit "Captain America 2", dennoch fühlt sich "Black Widow" bodenständiger an – Natashas Kräfte reichen nunmal nicht an die des fast unbesiegbar erscheinenden Supersoldaten Steve Rogers aka Captain America heran.

Die an Genreklassiker wie "Die drei Tage des Condor" oder den wie "Black Widow" auf viel Humor setzenden "Sneakers" erinnernden Spionageelemente funktionieren gut, besonders viel Spaß macht aber Natashas dysfunktionale Fake-Familie, wobei die teilweise selbstironischen Frotzeleien zwischen den Ziehschwestern (wenn sich beispielsweise Yelena über Natashas ikonische Kampfposen lustig macht) ebenso für Lacher sorgen wie der etwas einfältige, jedoch liebenswerte "Vater" Alexei. "Mutter" Melina ist eher für den ernsten Part zuständig, zumal ihre Rolle die ambivalenteste ist und es lange unklar bleibt, was sie wirklich im Schilde führt. Man würde dieses wunderbar harmonierende und mit Johansson, Florence Pugh (die sich garantiert als hervorragende Johansson-Nachfolgerin erweisen wird), Rachel Weisz und David Harbour toll besetzte Quartett gerne auch künftig öfter in Aktion sehen, aber das wird nach Black Widows Abschied vom MCU wohl höchstens als Trio möglich sein (wobei man im Superhelden-Genre bekanntlich niemals nie sagen wollte, zumal angesichts der Einführung des Multiversums …). Wenngleich der Humor oft im Vordergrund steht, ist die Action in "Black Widow" von gewohnt hoher Qualität: Die Kämpfe und Verfolgungsjagden sind so hochwertig wie abwechslungsreich choreographiert und explosiv in Szene gesetzt, außerdem gibt es mit dem Taskmaster einen durchaus beeindruckenden und selbst für Black Widow ernstzunehmenden Gegenspieler, der deutlich mehr Laune macht als der recht klischeehafte (wenngleich nicht zu unterschätzende) Hauptantagonist General Dreykov. Alles in allem stellt "Black Widow" also trotz der nicht allzu bemerkenswerten Kernstory eine sehenswerte Abschiedsvorstellung für seine Titelheldin dar, der er ein letztes großes Abenteuer und einige spannende Einblicke in ihre Vergangenheit und Familie gönnt. Man wird Black Widow vermissen, so viel ist sicher!

Fazit: "Black Widow" ist ein wenig originelles, jedoch sehr unterhaltsames, actionreiches und humorvolles Spionage-Abenteuer, das vor allem von seiner charismatischen Hauptdarstellerin und ihrer ähnlich hochkarätigen Co-Besetzung lebt.

Wertung: Knapp 8 Punkte.
 
 
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