Regie: Joe Penna, Drehbuch: Joe Penna und Ryan Morrison, Musik:
Volker Bertelmann
Darsteller: Anna
Kendrick, Daniel Dae Kim, Shamier Anderson, Toni Collette
Rotten Tomatoes: 76%
(6,5); Zuschauer in Deutschland: ca. 3000 (im Rest der Welt bei Netflix veröffentlicht); FSK: 12, Dauer: 116
Minuten.
In nicht allzu ferner Zukunft macht sich ein kleines Raumschiff auf
den fünf Monate währenden Weg zum Mars, wo mit diversen
Experimenten eine zukünftige Besiedlung des roten Planeten
vorbereitet werden soll. Trotz kleiner Probleme gelingt der
Start und die dreiköpfige Besatzung, die aus der erfahrenen
Commander Marina Barnett (Toni Collette, "Knives Out"), dem
Biologen David Kim (Daniel Dae Kim, TV-Serie "Lost") und
der Ärztin Zoe Levenson (Anna Kendrick, "The Voices")
besteht, richtet sich auf die lange Reise ein. Doch dann bemerkt
Barnett Blut am Boden und entdeckt einen
bewußtlosen und verwundeten jungen Mann. Wie sich herausstellt, heißt der Bewußtlose Michael Adams (Shamier Anderson,
TV-Serie "Wynonna Earp") und ist ein Ingenieur, der an den
Startvorbereitungen beteiligt war, jedoch bei einem unbemerkten
Unfall bewußtlos wurde und versehentlich mit ins All
geschossen wurde. Nach der ersten Aufregung fügt sich Michael
schnell in die Crew ein - eine sofortige Rückkehr ist nicht möglich
-, allerdings bemerkt man wenig später, daß bei dem Unfall
auch das Lebenserhaltungssystem irreparabel beschädigt wurde und der
Sauerstoffvorrat selbst im Idealfall für maximal drei Personen reicht. Während
Commander Barnett und Daniel sich relativ schnell damit abfinden, daß
es keinen anderen Weg gibt, als den unfreiwilligen blinden Passagier Michael sterben zu lassen, weigert
sich Zoe, das zu akzeptieren ...
Kritik:
Wenn
ein unabhängig von den Hollywood-Studios und mit
überschaubarem Budget produzierter Film mit echten Stars in den
Hauptrollen aufwarten kann, ist das in aller Regel ein sehr gutes
Zeichen. Denn wenn es offensichtlich nicht das Gehalt ist, das diese
Stars zur Mitwirkung überredet, dann muß es eigentlich die durch
das Drehbuch genährte Überzeugung sein, daß das jeweilige Projekt
inhaltlich vielversprechend ist (manchmal leisten die Stars
natürlich auch einfach nur Freundschaftsdienste, aber das läßt
sich meist schnell herausfinden). Und das gilt umso mehr,
wenn es sich um einen Film handelt, der weder US-amerikanisch noch
britisch ist, also fernab der großen Zentren des englischsprachigen
Films entsteht. Ein gutes Beispiel dafür ist der für etwa $10 Mio. produzierte "Stowaway –
Blinder Passagier", denn hierbei handelt es sich doch tatsächlich um
einen deutschen Science Fiction-Film, auch wenn das angesichts der
englischsprachigen Besetzung, des brasilianischen Regisseurs und
Drehbuch-Autors Joe Penna sowie seines Koautors Ryan Morrison nicht einfach zu erkennen ist. Doch "Stowaway" ist
hauptsächlich deutsch finanziert, ein großer Teil der Crew hinter
der Kamera besteht aus deutschsprachigen Personen und der Film wurde
in den traditionsreichen Münchener Bavaria-Studios sowie in Köln
gedreht. Und ja, es läßt sich erkennen, warum es dem Musiker
und Videokünstler Penna in seinem zweiten Film nach dem von der
Kritik gefeierten Survival-Drama "Arctic" gelang, zwei
OSCAR-Nominees (Collette und Kendrick, die sich zusätzlich sogar als
Produzentin engagiert) und einen beliebten TV-Star (Kim) für
drei der vier Rollen seines Weltall-Kammerspiels zu gewinnen (und
mit dem Kanadier Shamier Anderson zudem einen weniger bekannten, aber
ebenfalls talentierten Darsteller). Denn sein Drehbuch arbeitet die
Charaktere gut aus und präsentiert dem Publikum ein intelligentes,
realistisch inszeniertes Thriller-Drama, das sich allerdings ganz
bewußt sehr viel Zeit für seine Figuren und ihr moralisches Dilemma
läßt. Das ist keineswegs ganz frei von Mängeln, bietet aber speziell
Arthouse-Anhängern gut anzuschauende Unterhaltung auf gehobenem
Niveau.
Joe Penna
zeigt dem Publikum gleich von Anfang an, was es von "Stowaway"
zu erwarten hat: Wer nach der zehnminütigen, in aller unaufgeregten
Ausführlichkeit präsentierten Startsequenz des Raumschiffs schon
gelangweilt ist, der sollte die Sichtung besser gleich abbrechen,
denn sie steht stellvertretend für den Stil und das Tempo des Films.
Gut, ein bißchen dramatischer und schneller wird die Handlung danach
schon, aber eben nicht viel und keinesfalls vergleichbar mit
beispielsweise Alfonso Cuaróns inhaltlich etwas verwandtem OSCAR-Gewinner "Gravity" (oder auch dem
Indie-SciFi-Film "Europa Report", der in etwa die gleichen
Produktionskosten wie "Stowaway" hatte). Stattdessen setzt Penna auf Authentizität hinsichtlich der
Tätigkeiten der Astronauten während der Reise und auf sorgfältige Charakterzeichnung. Wobei letztere sich kurioserweise
vorrangig auf Zoe, David und Michael konzentriert, wogegen
ausgerechnet Toni Collette - als wohl hochkarätigste Schauspielerin
des Quartetts - etwas zu kurz kommt, zumal ihre Figur die einzige
ist, über die wir kaum Hintergründe erfahren. Angesichts Collettes
unbestrittenen schauspielerischen Talents ist das etwas
bedauerlich, aber sie spielt ihre Rolle routiniert aus und läßt
ihre Nebenmänner und -frauen uneitel glänzen - und die nutzen diese
Gelegenheit mit (passend zu ihren Figuren) zurückhaltendem, aber intensiven Spiel.
Dabei
ist es wohltuend, wie rational und sachlich alle vier Personen
an die lebensbedrohliche Problematik herangehen - wohltuend,
allerdings auch ein wenig unglaubwürdig. Natürlich ist es so, daß
drei der vier bestens ausgebildete Wissenschaftler sind, die auch
psychologisch auf ihren Einsatz vorbereitet wurden - und der
vierte ist zumindest ein angehender Wissenschaftler. Bei dieser
Konstellation darf man vernünftiges Vorgehen sicherlich erwarten,
wenn nicht sogar voraussetzen - trotzdem fällt es mir
(nennt mich ruhig einen Zyniker) schwer zu
glauben, daß in einer solchen Situation in der Realität alle
Beteiligten ähnlich vernünftig handeln würden. Es ist wie
gesagt trotzdem sehr wohltuend, daß dieses Quartett die technischen Probleme
wie auch das gewaltige moralische Dilemma sachlich und mit klaren
Argumenten ausdiskutiert anstatt sich - wie man es aus anderen Filmen
gewohnt ist - anzuschreien, zu prügeln, zu intrigieren oder
ähnliches. Das wäre zweifellos dramatischer, wohingegen hier ein kleiner Gefühlsausbruch von Zoe schon das Maximum ist, aber gerade durch diese betont überlegte Herangehensweise unterscheidet sich "Stowaway"
von den meisten Genrekollegen und heben sich die handelnden
Figuren von vielen Mainstream-Filmrollen ab. Das muß man mögen
- oder eben nicht; ich mag es. Daß die Handlung an sich ziemlich
geradlinig und ein wenig vorhersehbar verläuft, der Film dem
Publikum die Dringlichkeit der scheinbar ausweglosen Situation erst
spät richtig emotional vermittelt und die Dramatik am Ende auch nur durch
einen nicht übermäßig eleganten "Deus ex machina"-Kniff
entsteht, läßt sich verkraften.
Joe
Penna geht es eben nicht in erster Linie um die Story, sondern um die
komplexen Gefühle und Entscheidungen, welche die Geschehnisse in
seinen Figuren auslösen; und die vermitteln er und die Besetzung
dem Publikum überzeugend und mit großer Empathie. Ähnlich
gelungen fällt die viuselle und akustische Gestaltung von "Stowaway"
aus. Das kleine Raumschiff, das - neben dem umgebenden Weltraum -,
den einzigen Handlungsort des Kammerspiels darstellt, wirkt (für
mich als Laien) realistisch gestaltet und sieht gut aus,
auch die Spezialeffekte etwa beim obligatorischen Weltraumspaziergang
überzeugen. Natürlich sieht der Film dabei nie so brillant aus wie
etwa der viel teurere "Gravity" oder Sir Ridley Scotts "Der
Marsianer", aber das kann man von einer Indie-Produktion kaum
erwarten und es ist für ein so bodenständiges, um Authentizität
bemühtes Werk auch nicht nötig. Hörenswert untermalt wird "Stowaway"
von der getragenen, sphärischen und phasenweise fast hypnotisch
anmutenden Musik des deutschen Komponisten Volker Bertelmann aka
Hauschka ("The Old Guard"), die perfekt ans gemächliche
Erzähltempo und an die Schwere der moralisch-philosophischen Fragen
angepaßt ist. Man darf gespannt sein, wie sich Joe Pennas Weg als
Filmemacher weiter gestalten wird, ich würde mich jedenfalls über
mehr Filme in der Art von "Stowaway" freuen - gerne
auch als deutsche Produktionen!
Fazit:
"Stowaway – Blinder Passagier" ist ein bedächtig
erzähltes, aber intelligentes Arthouse-SciFi-Thrillerdrama mit gutem
Drehbuch und starker Besetzung.
Wertung:
Knapp 7,5 Punkte.
"Stowaway - Blinder Passagier" erscheint am 11. November 2021 von EuroVideo Medien auf DVD und Blu-ray, Bonusmaterial gibt es abseits des Trailers keines. Ein Rezensionsexemplar wurde mir freundlicherweise vom Entertainment Kombinat zur Verfügung gestellt.
Screenshots: © EuroVideo Medien
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