Originaltitel: The Dig
Regie: Simon Stone, Drehbuch: Moira Buffini, Musik: Stefan
Gregory
Darsteller: Carey Mulligan, Ralph Fiennes, Lily James,
Johnny Flynn, Archie Barnes, Monica Dolan, Ben Chaplin, Ken Stott, Paul Ready,
Arsher Ali
Altersempfehlung: 12, Dauer: 112
Minuten.
England, 1939: Die jung verwitwete Gutsbesitzerin Edith
Pretty (Carey Mulligan, "Der große Gatsby") vermutet auf ihrem Land
archäologische Schätze, da es von auffälligen und scheinbar nicht natürlichen
Hügelchen übersät ist. Weil das örtliche Museum gerade mit einer wichtigeren
Grabungsstätte beschäftigt ist, wird zu Mrs. Pretty nur der zwar erfahrene,
aber nicht klassisch ausgebildete Ausgräber Basil Brown (Ralph Fiennes,
"Official Secrets") geschickt, welcher ihre Vermutung bestätigt und sich sogleich
ans Werk macht. Schon bald gelingen ihm und seinen Helfern – zuzüglich Edith' enthusiastischen
Sohns Robert (Archie Barnes) – erste Funde, und dann stößt Basil auf eine
echte Sensation: Unter einem Hügel ist ein Grabschiff begraben, das mindestens
aus der Wikingerzeit stammt, Basils Ansicht nach aber sogar noch älter und
damit angelsächsisch ist – was den bisherigen Erkenntnissen über deren
Verbreitungsgebiet in dieser Ära widerspräche. Ob der Bedeutung dieser
Entdeckung schaltet sich wegen des nationalen Interesses das British Museum ein
und der führende Archäologe Charles Phillips (Ken Stott, "Der
Hobbit") übernimmt mit seinem Team die Leitung, zu dem auch das ungleiche
Ehepaar Peggy (Lily James, "Yesterday") und Stuart Piggott (Ben
Chaplin, "Snowden") gehört. Basil ist davon wenig begeistert, macht
dann aber doch weiter, zumal zwischen ihm und Mrs. Pretty eine echte
Freundschaft erwachsen ist. Was niemand weiß: Edith Pretty ist schwer
herzkrank und könnte quasi täglich sterben …
Kritik:
Bei den zunehmend ausufernden Bemühungen des
weltweiten Streaming-Marktführers Netflix, als Filmproduzent aufzutreten, läßt sich ein
ziemlich klares Schema erkennen: Entweder man schielt auf die Awards Season mit
dem Höhepunkt OSCAR-Verleihung (z.B. "The Irishman",
"Marriage Story" oder "Roma"), zielt klar auf ein
jugendliches Publikum ab (z.B. mit "All the Boys I've Loved Before"
oder "The Kissing Booth" mitsamt Fortsetzungen) oder man will mit das
Mainstream-Publikum mit ebenso teuren wie actionreichen und häufig leider auch
ziemlich anspruchslosen Star-Vehikeln abholen ("Army of the
Dead", "The Old Guard", "Bright", zahllose Adam Sandler-Komödien).
Gelingt einer Netflix-Produktion das Kunststück, in keine dieser drei
Kategorien so richtig zu passen, hat sie damit zwar eine Art
Alleinstellungsmerkmal, droht aber auch, komplett unter dem Radar zu fliegen
und schnell in Vergessenheit zu geraten. Dieses Schicksal scheint unverdienterweise
"Die Ausgrabung" zu ereilen, die Adaption eines auf einer wahren
Geschichte basierenden Romans von John Preston durch den
schweizer-australischen Regisseur Simon Stone ("Die Wildente").
Für Mainstream ist die melancholische Story viel zu charakter- und
dialoggetrieben und jugendliche Zuschauer dürfte sie ebensowenig ansprechen –
zu den Prestigeprojekten für die Awards Season wiederum würde "Die
Ausgrabung" eigentlich gut passen, wurde aber abgesehen von fünf
Nominierungen für die britischen BAFTA Awards weitestgehend ignoriert. Für mich
völlig unverständlich, denn Stone ist ein wirklich schönes und zu Herzen
gehendes Drama mit kinoreifen Bildern gelungen, das zudem mit Carey Mulligan
und Ralph Fiennes zwei herausragende Schauspieler in den Hauptrollen aufbietet.
Das Resultat ist einer der besten Netflix-Filme, den bedauerlicherweise wenige gesehen zu haben scheinen.
Ein Thema steht in "Die Ausgrabung" über allem:
Vergänglichkeit. Am offensichtlichsten ist das naturgemäß anhand der
titelgebenden archäologischen Ausgrabungen, welche die Relikte einer lange
vergangenen Zeit und lange verstorbener Menschen aus einem lange
untergegangenen Volk zu Tage fördern. Doch auch der kurz vor dem Ausbruch
stehende und durch die immer wieder die Gegend überfliegenden britischen
Kampfflieger personifizierte Zweite Weltkrieg mit den Millionen von Toten
und unbeschreiblichen Gräueln liegt lauernd am Rande des Blickfelds und legt
einen schweren Nebel der Melancholie über die auf den ersten Blick idyllische rurale Szenerie. Und dann ist da noch Edith' tödliche
Krankheit, von der zunächst nur sie weiß und die ihr einen indivduellen, von der so drastisch wie mitleidlos ins Bewußtsein gerufenen eigenen
Vergänglichkeit geprägten Blick auf die Vorgänge gibt. Selbst in den
Nebenhandlungssträngen spielt die Vergänglichkeit immer wieder eine Rolle (etwa
in der kriselnden Ehe von Peggy und Stuart), implizit paßt sogar Basils
historische Ausbootung dazu, auch wenn sie im Film selbst noch keine wirkliche
Rolle spielt. Wie erwähnt erzählt "Die Ausgrabung" eine im Kern wahre
Geschichte, denn Mrs. Pretty und den Selfmade-Archäologen Mr. Brown gab es
tatsächlich – jedoch nehmen sich Drehbuch-Autorin Moira Buffini ("Jane
Eyre") und Regisseur Simon Stone einige künstlerische Freiheiten. Die
grundlegenden Fakten über die Ausgrabung und die Rollen von Mrs. Pretty, Mr.
Brown und den sich hineindrängenden "echten" Wissenschaftlern scheinen zu
stimmen, bei der Charakterisierung der einzelnen Personen gibt es aus
dramaturgischen Gründen aber einige Abweichungen, die in erster Linie die weiblichen
Rollen betreffen. So war die echte Mrs. Pretty deutlich älter als im Film,
nämlich in ihren 50ern (weshalb sie zunächst Nicole Kidman spielen sollte), zudem war die helfende Archäologin Peggy Piggott anders als in
"Die Ausgrabung" keine Anfängerin und bekam während der Arbeit keinen lokalen Verehrer – im Film ist das Edith' Cousin Rory (Johnny Flynn, "Emma"), der als Photograph an dem Projekt beteiligt ist.
Solche künstlerische Freiheiten können Befürworter
größtmöglicher historischer Akkuratesse natürlich kritisieren, innerhalb der
Geschichte funktionieren sie aber ziemlich gut. Gerade die erfreulich dezent gehaltene vorsichtige Annäherung zwischen
Peggy und Rory (wie auch ein noch vorsichtiger angedeutetes romantisches
Abenteuer ihres Gatten Stuart) bringen ein wenig Abwechslung in die Handlung und
sorgen dafür, daß der Film die enge Beziehung zwischen dem verheirateten Basil
und der verwitweten Edith zum Glück rein platonisch bleiben läßt. Die beiden
zentralen Protagonisten haben viele Ähnlichkeiten, beide sind letztlich Außenseiter und Einzelgänger, die jedoch genau wissen, was sie
wollen und sehr talentiert sind. Und mit der großartigen Carey Mulligan und dem
nicht minder großartigen Ralph Fiennes hat Simon Stone genau die richtigen
Schauspieler gefunden, um diese beiden Figuren zum Leben zu erwecken. So ist es
kein Wunder, daß die gemeinsamen Szenen des Duos zu den stärksten Momenten
von "Die Ausgrabung" zählen, wobei die intelligenten Dialoge ebenso
hilfreich sind wie eine gekonnte, durchaus kreative Inszenierung. Denn ein
Stilmittel, das Stone hier gerne anwendet, ist, daß bei Dialogen zwischen zwei
Personen – meist Basil und Edith – nicht oder nur zum Teil gezeigt wird, wie
sie miteinander reden; stattdessen sieht man sie oft von hinten oder von der
Seite, manchmal werden sie sogar schweigend gezeigt, während die Dialoge aus
dem Off gesprochen werden. Dies verleiht dem Ganzen im Verbund mit den ruhigen,
poetischen, an die Filme eines Terrence Malick ("The Tree of Life")
erinnernden Naturbildern und der beständigen melancholischen Stimmung zur
gefühlvollen, langsamen und klavierlastigen Musik von Stefan Gregory (für den
Australier ist es das gelungene Debüt als Komponist einer Filmmusik) eine
beinahe meditative Note. Daß die eigentliche Handlung ziemlich dünn ist, merkt man zwar, es stört aber nicht weiter. "Die Ausgrabung"
erzählt eine zutiefst unspektakuläre, jedoch ungemein gefühlvolle Geschichte,
in der nicht viel geschieht, die aber dennoch durch die glaubwürdigen Figuren,
die starken (häufig von zur Atmosphäre passendem strömenden Regen
geprägten) Bilder und die Musik fesselt sowie durch ein starkes
Schauspiel-Ensemble. Den hochkarätigen Nebendarstellern wie Lily
James, Ben Chaplin, Johnny Flynn, Ken Stott und dem jungen Archie Barnes – der einige schöne Szenen mit Ralph Fiennes hat – gelingt es nämlich, viel aus
ihren kleinen Rollen herausholen.
Fazit: "Die Ausgrabung" ist ein
gefühlvolles, charaktergetriebenes historisches Drama, das mit
melancholischer Stimmung zu Herzen geht und von den beiden glänzenden
Hauptdarstellern Carey Mulligan und Ralph Fiennes getragen wird.
Wertung: 8,5 Punkte.
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