Mittwoch, 20. April 2022

THE FRENCH DISPATCH (2021)

Regie und Drehbuch: Wes Anderson, Musik: Alexandre Desplat
Darsteller: Owen Wilson, Benicio del Toro, Adrien Brody, Léa Seydoux, Tilda Swinton, Tony Revolori, Frances McDormand, Timothée Chalamet, Lyna Khoudri, Jeffrey Wright, Bill Murray, Mathieu Amalric, Liev Schreiber, Elisabeth Moss, Bob Balaban, Henry Winkler, Lois Smith, Denis Menochet, Morgane Polanski, Christoph Waltz, Cécile de France, Stéphane Bak, Rupert Friend, Guillaume Gallienne, Willem Dafoe, Edward Norton, Saoirse Ronan, Stephen Park, Hippolyte Girardot, Damien Bonnard, Jason Schwartzman, Fisher Stevens, Griffin Dunne, Wally Wolodarsky, Pablo Pauly, Antonia Desplat, Bruno Delbonnel, Jarvis Cocker, Anjelica Huston (Stimme)
The French Dispatch (2021) on IMDb Rotten Tomatoes: 75% (7,1); weltweites Einspielergebnis: $46,3 Mio.
FSK: 12, Dauer: 108 Minuten.
Als Arthur Howitzer Jr. (Bill Murray, "Lost in Translation"), der Gründer und Chefredakteur des Magazins "The French Dispatch", unerwartet verstirbt, bedeutet dies das Ende der Publikation – denn in seinem Testament hat Howitzer verfügt, den "French Dispatch" nach seinem Tod mit einer Abschiedsausgabe einzustellen. Und so wird diese letzte Ausgabe nicht nur ein Nachruf auf Howitzer, sondern ebenso auf den "French Dispatch" selbst mit seinen unkonventionellen Journalisten. Für die finale Ausgabe wird ein Best-of zusammengestellt, das die Vielseitigkeit des Magazins betont. So berichtete der radelnde Reporter Herbsaint Sazerac (Owen Wilson, "Inherent Vice") einfühlsam über die Kleinstadt Ennui-sur-Blasé, Sitz der Redaktion, während die Kritikerin J.K.L. Berensen (Tilda Swinton, "Suspiria") ausführlich von dem genialen, jedoch sehr eigenwilligen Künstler Moses Rosenthaler (Benicio del Toro, "Sicario") und seiner Muse Sabine (Léa Seydoux, "Mission: Impossible – Phantom Protokoll") berichtet. Die Politikexpertin Lucinda Krementz (Frances McDormand, "Nomadland") wiederum begleitete die französische Studentenrevolte, wobei "begleitet" angesichts ihres großen Einflusses auf den Studentenführer Zeffirelli (Timothée Chalamet, "Dune") eigentlich zu tief gegriffen ist. Und schließlich erfahren wir vom Food-Journalisten Roebuck Wright (Jeffrey Wright, "Die Tribute von Panem – Catching Fire"), wie ihn sein geplanter Bericht über den Koch Nescaffier (Stephen Park, "Snowpiercer") ins Zentrum eines echten Krimis bringt, als der Sohn des Polizeipräsidenten (Mathieu Amalric, "Adéle und das Geheimnis des Pharaos") entführt wird ...

Kritik:
Der gebürtige Texaner Wes Anderson ist nicht einfach nur ein Filmemacher. Er ist noch nicht einmal "nur" ein siebenfach OSCAR-nominierter Filmemacher. Wes Anderson ist im Grunde genommen sein eigenes Genre. Zwar gibt es etliche Regisseure, die auf die eine oder andere Weise einen relativ leicht erkennbaren eigenen Stil haben – von Charles Chaplin über Stanley Kubrick und Martin Scorsese bis hin zu Quentin Tarantino oder Michael Bay –, doch glaube ich nicht, daß es einen Filmemacher gibt, dessen Werke man so leicht auf einen Blick als seine oder ihre identifizieren kann wie es bei Anderson der Fall ist. Das beginnt naheliegenderweise bei der kunterbunten, pastellfarbenen und artifiziell wirkenden Puppenhausoptik, setzt sich fort mit der von Mark Mothersbaugh (von "Durchgeknallt" bis "Die Tiefseetaucher") oder Alexandre Desplat (seit "Der fantastische Mr. Fox") verantworteten einprägsamen und verspielten Musik ("Darjeeling Limited" hat keinen klassischen Score) und manifestiert sich inhaltlich vor allem in einem ausgesprochen skurrilen Humor, der sich zum Beispiel dergestalt ausdrückt, daß die Schauspieler selbst absurdeste Situationen bierernst ausspielen. Apropos Schauspieler: Über die Jahre hat sich Anderson auch seine eigene, beständig wachsende "Schauspieler-Familie" zusammengestellt, deren Mitglieder wie Bill Murray, Owen Wilson, Anjelica Huston, Jason Schwartzman, Willem Dafoe, Adrien Brody, Edward Norton oder Tilda Swinton in fast jedem neuen Film dabei sind, wenn auch teilweise lediglich in Minirollen. Mit seinen Filmen kann Wes Anderson zwar nur in Ausnahmefällen die Mainstream-Kinos erobern ("Grand Budapest Hotel" konnte als einziger Anderson-Film weltweit mehr als $100 Mio. einspielen), züchtet sich aber eine eingeschworene und loyale Fangemeinde heran, zu der auch der Autor dieser Zeilen zählt. "The French Dispatch" ist Andersons neues Werk, eine Ode an den klassischen Journalismus und insofern etwas Neues im Œuvre des Texaners, als es sein erster echter Episodenfilm ist. Etwas Anekdotisches haben ja viele Anderson-Filme an sich, aber "The French Dispatch" ist ausdrücklich in vier Episoden (zuzüglich einer Rahmenhandlung) unterteilt, die jeweils einen der besten Artikel aus der langen Historie des Magazins bebildern. Das ist dem Erzählfluß nicht unbedingt dienlich und nicht nur in meinen Augen ist "The French Dispatch" ein schwächeres Anderson-Werk, aber für gute, intelligent und absurde Unterhaltung mit einem hochkarätigen Ensemble sorgt er auch hier wieder.

Die Rahmenhandlung von "The French Dispatch" ist "Obituary" betitelt und dreht sich um die Mitarbeiter des Magazins, die die Abschiedsausgabe vorbereiten. Das ist inhaltlich weitgehend unspektakulär geraten, bringt aber zumindest einige Gastauftritte von u.a. Elisabeth Moss ("Der Unsichtbare") und Jason Schwartzman ("Moonrise Kingdom") mit sich, als Erzählerin fungiert derweil Anjelica Huston. Die erste richtige Episode hört auf den Namen "The Cycling Reporter" und ist die mit Abstand kürzeste. Im Grunde genommen passiert darin auch nicht mehr als es der Titel vermuten läßt: Owen Wilson radelt als Reisejournalist Sazerac durch die Kleinstadt Ennui-sur-Blasé und stellt diese samt ihrer bemerkenswerten Orte und historischen Ereignisse dem Publikum kurz vor. Eine nette und amüsante Einleitung – nicht mehr und nicht weniger. Richtig los geht es mit "The Concrete Masterpiece". Tilda Swinton erzählt als Kunstkritikerin Berensen die merkwürdige Geschichte des geistig instabilen Künstlers Moses Rosenthaler, der auch dank seiner Muse Simone zum neuen Star der Kunstszene wird. Die Episode hat einen kleinen Twist, der sogar ziemlich früh kommt, dennoch möchte ich ihn nicht verraten, weil ich die Enthüllung ausgesprochen amüsant fand. Dadurch kann ich nicht viel über "The Concrete Masterpiece" schreiben, aber es ist eine unterhaltsame Parodie auf das Kunstgeschäft, in der Adrien Brody ("Brothers Bloom") eine weitere Rolle als Kunsthändler Julien Cadazio spielt.

Weiter geht es mit "Revisions to a Manifesto": Frances McDormand berichtet als Politreporterin Lucinda Krementz von den französischen Studentenunruhen, verliert dabei aber bald die nötige Distanz und kommt inhaltlich und emotional dem charismatischen Studentenanführer Zeffirelli (Timothée Chalamet) näher. Obwohl sie immer wieder betont, wie wichtig ihr die "journalistische Neutralität" sei, wird sie sogar eine treibende Kraft der revolutionären Bewegung, indem sie Zeffirelli bei der Ausarbeitung seines Manifests hilft. Die ganze Episode – in der Christoph Waltz einen kurzen Gastauftritt als Freund von Zeffirellis Eltern hat – erinnert etwas an Woody Allens Revolutionskomödie "Bananas" und macht nicht zuletzt dank McDormands Performance viel Spaß. Schließlich bleibt noch "The Private Dining Room of the Police Commissioner", die besonders stark auf Andersons visuelle Markenzeichen zurückgreift, allen voran in einer herrlich wahnwitzigen Verfolgungsjagd durch die nächtliche Stadt (inklusive animierter Passagen), bei der Andersons berühmt-berüchtigte und akribisch gestaltete Puppenhausoptik gut zur Geltung kommt. Generell fällt die Geschichte des Essensjournalisten Roebuck Wright (Jeffrey Wright), der eigentlich nur die Kochkunst des vielgerühmten, für die Polizei tätigen Starkochs Nescaffier (Stephen Park) überprüfen will, gewohnt absurd aus. Wie sich aus dem einfachen Essen beim Polizeipräsidenten ein so verzwickter wie verzweigter Entführungsfall mit mehreren Wendungen ergibt, ist wunderbar kauzig und schwarzhumorig geschildert. Gastauftritte haben in der finalen Episode Willem Dafoe ("Der Leuchtturm", als Unterwelt-Buchhalter), Edward Norton ("Das Bourne Vermächtnis", als Entführer) und Saoirse Ronan ("Little Women", als Nortons Helferin). Insgesamt ist "The French Dispatch" mit seiner Episodenstruktur nicht harmonisch genug, um durchgehend zu überzeugen, funktioniert aber dennoch als liebevolle, detailverliebte Hommage an den Journalismus, der sich für die Zuschauer in der Tat ein wenig so anfühlt, als würden sie eines dieser im besten Sinne altmodischen, von ausführlichen Reportagen zu verschiedensten Themen geprägten Magazine durchblättern. Es fehlt ein roter Faden, die Themenwechsel sind teils ziemlich abrupt und die Qualität der Artikel variiert, aber am Ende fühlt man sich trotzdem gut unterhalten.

Fazit: "The French Dispatch" ist stilistisch und humortechnisch ein typischer Wes Anderson-Film mit hochkarätigem Ensemble, der durch die Episodenstruktur recht unfokussiert wirkt.

Wertung: 7,5 Punkte.

Einzelwertungen:
"The Cycling Reporter": 7
"The Concrete Masterpiece": 7,5
"Revisions to a Manifesto": 7,5
"The Private Dining Room of the Police Commissioner": 8,5
"Obituary": 7
 

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