Regie: Ridley Scott, Drehbuch: Nicole Holofcener, Ben Affleck und
Matt Damon, Musik: Harry Gregson-Williams
Darsteller: Matt
Damon, Adam Driver, Jodie Comer, Ben Affleck, Harriet Walter, Alex
Lawther, Serena Kennedy, Željko
Ivanek, Marton Csokas, Oliver Cotton, Adam Nagaitis, Clive Russell, Michael
McElhatton, Nathaniel Parker, Tallulah Haddon, Bryony Hannah, Sam Hazeldine, Ian
Pirie, Brontis Jodorowsky
FSK: 16, Dauer: 153
Minuten.
Frankreich, spätes 14.
Jahrhundert: Die normannischen Ritter Jean de Carrouges (Matt Damon,
"Der Marsianer") und Jacques Le Gris (Adam Driver,
"Marriage Story") kämpfen gemeinsam im Hundertjährigen
Krieg für den unerfahrenen französischen König Charles VI. (Alex
Lawther, "The French Dispatch") und werden darüber
Freunde. Die Freundschaft hält jedoch nicht lange an, denn
während der charismatische Jacques nach seiner Rückkehr aus dem Krieg
zum engsten Vertrauten von Baron Pierre d'Alençon
(Ben Affleck, "Argo") wird, hält dieser wenig vom durch
eine häßliche Narbe im Gesicht entstellten Jean, der ein
wenig einnehmendes Wesen hat und sich im Gegensatz zu Jacques auf dem
höfischen Parkett bei weitem nicht so gewandt bewegt wie auf dem
Schlachtfeld. Jean reagiert eifersüchtig auf Jacques' raschen
Aufstieg, zumal er selbst unter finanziellen Problemen leidet –
Frauenheld Jacques ist seinerseits gekränkt vom Verhalten seines
Freundes und zeigt sich rachsüchtig. Als Jean seine
Geldprobleme durch die Heirat mit der schönen Marguerite de
Thibouville (Jodie Comer, "Free Guy") fürs Erste
beseitigt, scheint alles gut zu werden – doch dann vergewaltigt
Jacques Marguerite bei einer passenden Gelegenheit! Oder zumindest
behauptet sie das, denn Jacques bestreitet alles vehement. Der
wütende Jean fordert beim König ein Gottesurteil durch ein Duell
bis zum Tod mit Jacques (und falls er verliert, wird auch Marguerite
wegen dann erwiesener Falschbeschuldigung hingerichtet werden) ...
Kritik:
Es
ist schon ein wenig ironisch, daß in einer Zeit, in der der Begriff
"alte weiße Männer" nicht grundlos als Synonym für eine
ignorante, rückständige, egoistische Denkweise verwendet wird,
ausgerechnet ein 84-jähriger weißer Brite den
(meines Wissens) ersten "#MeToo"-Ritterfilm der
Kinohistorie dreht – ironisch, aber schön. Auf Sir Ridley
Scott war in dieser Hinsicht eigentlich immer Verlaß, immerhin
brachte er in "Alien" die erste weibliche Mainstream-Actionheldin in die Lichtspielhäuser und das
feministische Thriller-Roadmovie "Thelma & Louise" geht
ebenso auf sein Konto. Auch in "The Last Duel" beweist Scott sein
Gespür für glaubwürdige, komplexe Frauenfiguren, wobei die
erzählte Geschichte sogar auf einer historischen Begebenheit beruht,
nämlich dem letzten überlieferten "Gerichtskampf" auf
französischem Boden. Angesichts der Tatsache, daß dieser über 700
Jahre in der Vergangenheit liegt und anders als beim Prozeß (der von
Le Gris' Anwalt Jean Le Coq in seinen Aufzeichnungen ausführlich
geschildert wurde) und dem aufsehenerregenden Duell selbst (zu dem
es viele Augenzeugenberichte gibt) wenig über das Geschehen im
Vorfeld bekannt ist, herrscht dabei aber naturgemäß viel
künstlerische Freiheit bei der auf einem Buch von Eric Jager
basierenden Umsetzung. Scotts Film erzählt diese wahre Geschichte nicht auf konventionelle Art und Weise, sondern er versucht, sich
mit einem Kniff der Wahrheit zu nähern: Wie Akira Kurosawa in
seinem Meisterwerk "Rashomon" (1950) präsentiert er die
Geschehnisse aus verschiedenen Perspektiven, in diesem Fall jenen von
Jean, Jacques und Marguerite. Ein spannender Ansatz, den "The
Last Duel" aber vielleicht etwas zu sehr ausreizt und deshalb in
seinen zweieinhalb Stunden zu repetitiv daherkommt. Dennoch
funktioniert die Vorgehensweise alles in allem gut und beschert dem
Publikum einen Film, dessen drei unterschiedliche Perspektiven
präzise ausgearbeitet sind und über den man deshalb lange
diskutieren kann – auch wenn wir natürlich nie erfahren werden,
wie es wirklich war …
Ridley
Scott hat in seiner langen Karriere viele gute Filme gedreht und dazu
eine ganze Reihe echter Klassiker, aber ich persönlich mochte
den "Historien-Scott" schon immer am liebsten. "Gladiator"
und der (vor allem im längeren Director's Cut) bis heute unterschätzte "Königreich der Himmel" zählen
zu meinen absoluten Lieblingsfilmen und Scotts Debüt "Die
Duellisten" ist ebenfalls beeindruckend; lediglich seine "Robin
Hood"-Version fiel relativ uninspiriert aus. "The Last Duel",
für dessen Drehbuch sich erstmals seit dem frühen OSCAR-Triumph
mit "Good Will Hunting" wieder Matt Damon und Ben Affleck
zusammentaten – ergänzt um die renommierte Indie-Filmemacherin
Nicole Holofcener ("Can You Ever Forgive Me?") – erreicht
zwar nicht die Qualität von Scotts besten Arbeiten, reiht sich aber als
gelungenes Spätwerk in sein Œuvre
ein. Warnung: Ich werde im Folgenden etwas tiefer in die Analyse einsteigen, kleinere Spoiler sind so unvermeidlich. Bedauerlicherweise funktioniert der Kniff mit den verschiedenen Perspektiven nicht ganz so gut wie erhofft, was vor
allem mit der darauf verwendeten Zeit zu tun hat. Denn während das
große Vorbild "Rashomon" seine vier Blickwinkel kompakt in unter 90 Minuten präsentiert, läßt sich Scott deutlich
mehr Zeit – jede der drei "Episoden" umspannt ungefähr
40 Minuten (dazu kommen 20 Minuten für das finale Duell).
Grundsätzlich ist diese Ausführlichkeit ja keineswegs schlecht, nur
führt sie bedauerlicherweise dazu, daß man speziell bei der ersten
Sichtung des Films kaum eine Chance hat, alle Nuancen, in denen sich
die Schlüsselszenen unterscheiden, zu erkennen – weil sie eben so
weit auseinanderliegen und dazwischen so viele andere Dinge
geschehen. Dazu kommt, daß die sich wiederholende Handlung an sich
nicht übermäßig spektakulär ist und die dreimalige ausführliche
Darstellung der Geschehnisse auf Dauer doch etwas ermüdend wirken
kann.
Das
ändert aber nichts daran, daß die einzelnen Sichtweisen
wirklich schön und überzeugend herausgearbeitet sind und klug
aufeinander aufbauen, wobei die drei Hauptdarsteller die nicht
unbeträchtliche Herausforderung, die gleichen Szenen in drei
Varianten zu spielen, welche sich genügend voneinander unterscheiden,
um aufzufallen, aber auch wieder nicht so sehr, daß es unrealistisch
oder plakativ wirkt, glänzend meistern. Vor allem Jodie Comer spielt Marguerite sehr facettenreich, aber Matt Damon und Adam Driver verkörpern ihre Rollen ebenfalls in allen drei Varianten überzeugend. Die
weiteren Rollen fallen dagegen eher oberflächlich aus, lediglich Ben
Afflecks selbstherrlicher Baron Pierre und mit Abstrichen der König
können sich ein wenig hervortun.
Auffällig (wenn auch natürlich nicht überraschend) ist, wie
wenig Frauen in dieser Zeit zählten. So ist es zwar offensichtlich,
daß beide Männer die schöne Marguerite begehren und möglicherweise
liebt Jean sie sogar auf seine eigene, unbeholfene Weise, letztlich
ist sie aber für beide in erster Linie Mittel zum Zweck:
Jean heiratet sie wegen der (dringend benötigten) Mitgift
und Jacques begehrt sie zumindest auch deswegen, weil sie Jeans
Gemahlin ist und er sich durch ihre "Eroberung" dafür
rächen will, wie sein einstiger Freund sich ihm gegenüber verhält. Zugute halten
muß man Jean, daß er Marguerite einigermaßen anständig
behandelt – wenn auch bei weitem nicht so gut, wie er selbst es
glaubt –, doch ansonsten ist der Ritter eingebildet, unbeherrscht,
wenig wortgewandt und in mancher Hinsicht auch ein wenig einfältig.
Witzigerweise wird das sogar in seiner eigenen Sichtweise sehr deutlich, was für eine gewisse Selbsterkenntnis spricht – die anderen Perspektiven fallen entsprechend unschmeichelhafter aus …
Jacques wiederum ist gutaussehend, charmant und ein glänzender Redner,
jedoch im Übermaß ehrgeizig, manipulativ und skrupellos. Generell läßt sich sagen, daß Scott, Damon, Affleck und Holofcener kein zuvorkommendes Bild des französischen Adels dieser Zeit
liefern; ein Bild, das von den edlen Rittern der Artussage etwa
weiter kaum entfernt sein könnte. Kaum ein Adeliger kommt in "The
Last Duel" gut weg, schon gar kein männlicher, vielmehr
sind sie fast ausnahmslos egozentrisch, willkürlich, arrogant
und/oder unfähig. Das
schließt auch den jungen, wankelmütigen König Charles
ein, für den alles nur
ein Spiel zu seiner Unterhaltung zu sein scheint. Ein wenig besser
schneiden die Frauen ab: Sowohl bei Königin Isabeau (Serena Kennedy, TV-Serie "Vikings")
als auch Baron Pierres Gemahlin ist offensichtlich, daß sie eher
wenig von den Eskapaden ihrer Männer halten und selbst Jeans
Marguerite gegenüber zumeist betont kalt auftretende Mutter Nicole
(Harriet Walter, "Rocketman")
offenbart gegen Ende, daß sie nicht völlig herzlos ist – nur
haben sie in letzter Konsequenz eben (durchaus buchstäblich)
sehr wenig zu sagen in dieser patriarchalischen Macho-Gesellschaft.
Ein paar "gute" Männer gibt es schon, die
zählen jedoch im Grunde genommen alle zu den Bürgerlichen (etwa Jeans
Stallmeister) und spielen dementsprechend kaum eine Rolle.
Entlarvend bis –
speziell aus heutiger Perspektive – empörend ist natürlich das
Verhalten nach der von Marguerite angezeigten Vergewaltigung. Das
beginnt bei ihrem Mann, der Jacques' Tat in seiner ganzen Egozentrik
natürlich in erster Linie als Affront gegen sich selbst begreift und
setzt sich bei Jacques fort, der den Akt selbst gar nicht bestreitet,
aber davon überzeugt ist, daß Marguerite ihren anfänglichen
Widerstand lediglich pro forma leistete und es in Wirklichkeit kaum erwarten konnte, endlich von ihm tollem Mannsbild beglückt zu werden. Als Höhepunkt gibt es den für Marguerite maximal demütigenden
Prozeß, in dem Jacques' Verteidiger Jean Le Coq (Željko
Ivanek, "Brügge sehen … und sterben?") sie u.a.
ausführlich nach ihren sexuellen Tätigkeiten befragt und sie
antworten muß. Zugegeben, das ist nicht immer ausnehmend subtil
dargestellt, aber nicht nur angesichts der erhaltenen Aufzeichnungen über den Prozeß, die als Vorlage dienten, offenbar sehr realistisch
für die damalige Zeit. Ohne mehrfache Sichtung ist es derweil schwer, die
Schlüsselmomente, die in allen drei Sichtweisen vorkommen –
allen voran das erste Aufeinandertreffen von Jacques und Marguerite und die mutmaßliche Vergewaltigung selbst – genau zu bewerten,
aber auch die offensichtlicheren Unterschiede sind teilweise sehr
pointiert und dabei spannend und teils amüsant zu beobachten.
Mein persönliches Highlight ist das erwähnte erste
Aufeinandertreffen bei einem Fest, in dem Jacques laut seiner
Perspektive der vom ihm sichtlich beeindruckten Marguerite nach allen Regeln
der Kunst den Hof macht und sie somit gewissermaßen vorbereitet auf
die spätere "Eroberung", während diese Szenen bei
Marguerites Sichtweise überhaupt nicht vorkommen, weil sie für sie
offenbar völlig belanglos waren und es einfach nur höflicher
Smalltalk war. Erwartungsgemäß kulminiert die Geschichte im
titelgebenden Duell vor Tausenden enthemmten und blutdurstigen
Zuschauern in Paris (da machen übrigens Adelige und Bürgerliche
kaum einen Unterschied). Der Zweikampf wird von Ridley Scott in aller
Ausführlichkeit präsentiert, ist mitreißend choreographiert und
erinnert in der ganz und gar unritterlichen Dreckigkeit und bemerkenswerten (auf
Augenzeugenberichten basierenden!) Brutalität an das legendäre Duell
zwischen dem Berg und der Viper in der vierten Staffel der
HBO-Erfolgsserie "Game of Thrones". Zugegeben, Jean und
Jacques bewegen sich ob ihrer schweren Rüstungen viel zu leichtfüßig
und beweisen eine deutlich zu gute Kondition, aber in diesem Punkt
war Scott offensichtlich das Spektakel wichtiger als die
Authentizität – und ich kann nicht behaupten, daß das eine
falsche Entscheidung war. Es ist
wahrscheinlich, daß "The Last Duel" einigen Zuschauern zu
langatmig und repetitiv ist und ich schließe mich der Ansicht an,
daß Scott sich bei den drei Blickwinkeln etwas kürzer hätte fassen
und sich noch stärker auf die bedeutendsten Momente hätte konzentrieren
können; dennoch ist "The Last Duel" ein ambitioniertes,
intelligentes Ritterdrama mit starker Besetzung, das mit seinem
finalen Zweikampf auch die Anhänger einer härteren Gangart
versöhnen dürfte.
Fazit: Ridley Scotts "The
Last Duel" ist ein anspruchsvolles Ritterdrama mit drei
exzellenten Hauptdarstellern, das seine Geschichte aus drei
Perspektiven schildert, sich dabei aber ein wenig zu viel Zeit läßt.
Wertung:
Knapp 8
Punkte (die Wertung könnte sich nach mehrfacher Sichtung aber durchaus noch erhöhen).
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