Donnerstag, 10. Februar 2022

THE LAST DUEL (2021)

Regie: Ridley Scott, Drehbuch: Nicole Holofcener, Ben Affleck und Matt Damon, Musik: Harry Gregson-Williams
Darsteller: Matt Damon, Adam Driver, Jodie Comer, Ben Affleck, Harriet Walter, Alex Lawther, Serena Kennedy, Željko Ivanek, Marton Csokas, Oliver Cotton, Adam Nagaitis, Clive Russell, Michael McElhatton, Nathaniel Parker, Tallulah Haddon, Bryony Hannah, Sam Hazeldine, Ian Pirie, Brontis Jodorowsky
The Last Duel (2021) on IMDb Rotten Tomatoes: 85% (7,3); weltweites Einspielergebnis: $30,6 Mio.
FSK: 16, Dauer: 153 Minuten.
Frankreich, spätes 14. Jahrhundert: Die normannischen Ritter Jean de Carrouges (Matt Damon, "Der Marsianer") und Jacques Le Gris (Adam Driver, "Marriage Story") kämpfen gemeinsam im Hundertjährigen Krieg für den unerfahrenen französischen König Charles VI. (Alex Lawther, "The French Dispatch") und werden darüber Freunde. Die Freundschaft hält jedoch nicht lange an, denn während der charismatische Jacques nach seiner Rückkehr aus dem Krieg zum engsten Vertrauten von Baron Pierre d'Alençon (Ben Affleck, "Argo") wird, hält dieser wenig vom durch eine häßliche Narbe im Gesicht entstellten Jean, der ein wenig einnehmendes Wesen hat und sich im Gegensatz zu Jacques auf dem höfischen Parkett bei weitem nicht so gewandt bewegt wie auf dem Schlachtfeld. Jean reagiert eifersüchtig auf Jacques' raschen Aufstieg, zumal er selbst unter finanziellen Problemen leidet – Frauenheld Jacques ist seinerseits gekränkt vom Verhalten seines Freundes und zeigt sich rachsüchtig. Als Jean seine Geldprobleme durch die Heirat mit der schönen Marguerite de Thibouville (Jodie Comer, "Free Guy") fürs Erste beseitigt, scheint alles gut zu werden – doch dann vergewaltigt Jacques Marguerite bei einer passenden Gelegenheit! Oder zumindest behauptet sie das, denn Jacques bestreitet alles vehement. Der wütende Jean fordert beim König ein Gottesurteil durch ein Duell bis zum Tod mit Jacques (und falls er verliert, wird auch Marguerite wegen dann erwiesener Falschbeschuldigung hingerichtet werden) ...

Kritik:
Es ist schon ein wenig ironisch, daß in einer Zeit, in der der Begriff "alte weiße Männer" nicht grundlos als Synonym für eine ignorante, rückständige, egoistische Denkweise verwendet wird, ausgerechnet ein 84-jähriger weißer Brite den (meines Wissens) ersten "#MeToo"-Ritterfilm der Kinohistorie dreht – ironisch, aber schön. Auf Sir Ridley Scott war in dieser Hinsicht eigentlich immer Verlaß, immerhin brachte er in "Alien" die erste weibliche Mainstream-Actionheldin in die Lichtspielhäuser und das feministische Thriller-Roadmovie "Thelma & Louise" geht ebenso auf sein Konto. Auch in "The Last Duel" beweist Scott sein Gespür für glaubwürdige, komplexe Frauenfiguren, wobei die erzählte Geschichte sogar auf einer historischen Begebenheit beruht, nämlich dem letzten überlieferten "Gerichtskampf" auf französischem Boden. Angesichts der Tatsache, daß dieser über 700 Jahre in der Vergangenheit liegt und anders als beim Prozeß (der von Le Gris' Anwalt Jean Le Coq in seinen Aufzeichnungen ausführlich geschildert wurde) und dem aufsehenerregenden Duell selbst (zu dem es viele Augenzeugenberichte gibt) wenig über das Geschehen im Vorfeld bekannt ist, herrscht dabei aber naturgemäß viel künstlerische Freiheit bei der auf einem Buch von Eric Jager basierenden Umsetzung. Scotts Film erzählt diese wahre Geschichte nicht auf konventionelle Art und Weise, sondern er versucht, sich mit einem Kniff der Wahrheit zu nähern: Wie Akira Kurosawa in seinem Meisterwerk "Rashomon" (1950) präsentiert er die Geschehnisse aus verschiedenen Perspektiven, in diesem Fall jenen von Jean, Jacques und Marguerite. Ein spannender Ansatz, den "The Last Duel" aber vielleicht etwas zu sehr ausreizt und deshalb in seinen zweieinhalb Stunden zu repetitiv daherkommt. Dennoch funktioniert die Vorgehensweise alles in allem gut und beschert dem Publikum einen Film, dessen drei unterschiedliche Perspektiven präzise ausgearbeitet sind und über den man deshalb lange diskutieren kann – auch wenn wir natürlich nie erfahren werden, wie es wirklich war …

Ridley Scott hat in seiner langen Karriere viele gute Filme gedreht und dazu eine ganze Reihe echter Klassiker, aber ich persönlich mochte den "Historien-Scott" schon immer am liebsten. "Gladiator" und der (vor allem im längeren Director's Cut) bis heute unterschätzte "Königreich der Himmel" zählen zu meinen absoluten Lieblingsfilmen und Scotts Debüt "Die Duellisten" ist ebenfalls beeindruckend; lediglich seine "Robin Hood"-Version fiel relativ uninspiriert aus. "The Last Duel", für dessen Drehbuch sich erstmals seit dem frühen OSCAR-Triumph mit "Good Will Hunting" wieder Matt Damon und Ben Affleck zusammentaten – ergänzt um die renommierte Indie-Filmemacherin Nicole Holofcener ("Can You Ever Forgive Me?") – erreicht zwar nicht die Qualität von Scotts besten Arbeiten, reiht sich aber als gelungenes Spätwerk in sein Œuvre ein. Warnung: Ich werde im Folgenden etwas tiefer in die Analyse einsteigen, kleinere Spoiler sind so unvermeidlich. Bedauerlicherweise funktioniert der Kniff mit den verschiedenen Perspektiven nicht ganz so gut wie erhofft, was vor allem mit der darauf verwendeten Zeit zu tun hat. Denn während das große Vorbild "Rashomon" seine vier Blickwinkel kompakt in unter 90 Minuten präsentiert, läßt sich Scott deutlich mehr Zeit – jede der drei "Episoden" umspannt ungefähr 40 Minuten (dazu kommen 20 Minuten für das finale Duell). Grundsätzlich ist diese Ausführlichkeit ja keineswegs schlecht, nur führt sie bedauerlicherweise dazu, daß man speziell bei der ersten Sichtung des Films kaum eine Chance hat, alle Nuancen, in denen sich die Schlüsselszenen unterscheiden, zu erkennen – weil sie eben so weit auseinanderliegen und dazwischen so viele andere Dinge geschehen. Dazu kommt, daß die sich wiederholende Handlung an sich nicht übermäßig spektakulär ist und die dreimalige ausführliche Darstellung der Geschehnisse auf Dauer doch etwas ermüdend wirken kann.

Das ändert aber nichts daran, daß die einzelnen Sichtweisen wirklich schön und überzeugend herausgearbeitet sind und klug aufeinander aufbauen, wobei die drei Hauptdarsteller die nicht unbeträchtliche Herausforderung, die gleichen Szenen in drei Varianten zu spielen, welche sich genügend voneinander unterscheiden, um aufzufallen, aber auch wieder nicht so sehr, daß es unrealistisch oder plakativ wirkt, glänzend meistern. Vor allem Jodie Comer spielt Marguerite sehr facettenreich, aber Matt Damon und Adam Driver verkörpern ihre Rollen ebenfalls in allen drei Varianten überzeugend. Die weiteren Rollen fallen dagegen eher oberflächlich aus, lediglich Ben Afflecks selbstherrlicher Baron Pierre und mit Abstrichen der König können sich ein wenig hervortun. Auffällig (wenn auch natürlich nicht überraschend) ist, wie wenig Frauen in dieser Zeit zählten. So ist es zwar offensichtlich, daß beide Männer die schöne Marguerite begehren und möglicherweise liebt Jean sie sogar auf seine eigene, unbeholfene Weise, letztlich ist sie aber für beide in erster Linie Mittel zum Zweck: Jean heiratet sie wegen der (dringend benötigten) Mitgift und Jacques begehrt sie zumindest auch deswegen, weil sie Jeans Gemahlin ist und er sich durch ihre "Eroberung" dafür rächen will, wie sein einstiger Freund sich ihm gegenüber verhält. Zugute halten muß man Jean, daß er Marguerite einigermaßen anständig behandelt – wenn auch bei weitem nicht so gut, wie er selbst es glaubt –, doch ansonsten ist der Ritter eingebildet, unbeherrscht, wenig wortgewandt und in mancher Hinsicht auch ein wenig einfältig. Witzigerweise wird das sogar in seiner eigenen Sichtweise sehr deutlich, was für eine gewisse Selbsterkenntnis spricht – die anderen Perspektiven fallen entsprechend unschmeichelhafter aus … Jacques wiederum ist gutaussehend, charmant und ein glänzender Redner, jedoch im Übermaß ehrgeizig, manipulativ und skrupellos. Generell läßt sich sagen, daß Scott, Damon, Affleck und Holofcener kein zuvorkommendes Bild des französischen Adels dieser Zeit liefern; ein Bild, das von den edlen Rittern der Artussage etwa weiter kaum entfernt sein könnte. Kaum ein Adeliger kommt in "The Last Duel" gut weg, schon gar kein männlicher, vielmehr sind sie fast ausnahmslos egozentrisch, willkürlich, arrogant und/oder unfähig. Das schließt auch den jungen, wankelmütigen König Charles ein, für den alles nur ein Spiel zu seiner Unterhaltung zu sein scheint. Ein wenig besser schneiden die Frauen ab: Sowohl bei Königin Isabeau (Serena Kennedy, TV-Serie "Vikings") als auch Baron Pierres Gemahlin ist offensichtlich, daß sie eher wenig von den Eskapaden ihrer Männer halten und selbst Jeans Marguerite gegenüber zumeist betont kalt auftretende Mutter Nicole (Harriet Walter, "Rocketman") offenbart gegen Ende, daß sie nicht völlig herzlos ist – nur haben sie in letzter Konsequenz eben (durchaus buchstäblich) sehr wenig zu sagen in dieser patriarchalischen Macho-Gesellschaft. Ein paar "gute" Männer gibt es schon, die zählen jedoch im Grunde genommen alle zu den Bürgerlichen (etwa Jeans Stallmeister) und spielen dementsprechend kaum eine Rolle.

Entlarvend bis – speziell aus heutiger Perspektive – empörend ist natürlich das Verhalten nach der von Marguerite angezeigten Vergewaltigung. Das beginnt bei ihrem Mann, der Jacques' Tat in seiner ganzen Egozentrik natürlich in erster Linie als Affront gegen sich selbst begreift und setzt sich bei Jacques fort, der den Akt selbst gar nicht bestreitet, aber davon überzeugt ist, daß Marguerite ihren anfänglichen Widerstand lediglich pro forma leistete und es in Wirklichkeit kaum erwarten konnte, endlich von ihm tollem Mannsbild beglückt zu werden. Als Höhepunkt gibt es den für Marguerite maximal demütigenden Prozeß, in dem Jacques' Verteidiger Jean Le Coq (Željko Ivanek, "Brügge sehen … und sterben?") sie u.a. ausführlich nach ihren sexuellen Tätigkeiten befragt und sie antworten muß. Zugegeben, das ist nicht immer ausnehmend subtil dargestellt, aber nicht nur angesichts der erhaltenen Aufzeichnungen über den Prozeß, die als Vorlage dienten, offenbar sehr realistisch für die damalige Zeit. Ohne mehrfache Sichtung ist es derweil schwer, die Schlüsselmomente, die in allen drei Sichtweisen vorkommen – allen voran das erste Aufeinandertreffen von Jacques und Marguerite und die mutmaßliche Vergewaltigung selbst – genau zu bewerten, aber auch die offensichtlicheren Unterschiede sind teilweise sehr pointiert und dabei spannend und teils amüsant zu beobachten. Mein persönliches Highlight ist das erwähnte erste Aufeinandertreffen bei einem Fest, in dem Jacques laut seiner Perspektive der vom ihm sichtlich beeindruckten Marguerite nach allen Regeln der Kunst den Hof macht und sie somit gewissermaßen vorbereitet auf die spätere "Eroberung", während diese Szenen bei Marguerites Sichtweise überhaupt nicht vorkommen, weil sie für sie offenbar völlig belanglos waren und es einfach nur höflicher Smalltalk war. Erwartungsgemäß kulminiert die Geschichte im titelgebenden Duell vor Tausenden enthemmten und blutdurstigen Zuschauern in Paris (da machen übrigens Adelige und Bürgerliche kaum einen Unterschied). Der Zweikampf wird von Ridley Scott in aller Ausführlichkeit präsentiert, ist mitreißend choreographiert und erinnert in der ganz und gar unritterlichen Dreckigkeit und bemerkenswerten (auf Augenzeugenberichten basierenden!) Brutalität an das legendäre Duell zwischen dem Berg und der Viper in der vierten Staffel der HBO-Erfolgsserie "Game of Thrones". Zugegeben, Jean und Jacques bewegen sich ob ihrer schweren Rüstungen viel zu leichtfüßig und beweisen eine deutlich zu gute Kondition, aber in diesem Punkt war Scott offensichtlich das Spektakel wichtiger als die Authentizität – und ich kann nicht behaupten, daß das eine falsche Entscheidung war. Es ist wahrscheinlich, daß "The Last Duel" einigen Zuschauern zu langatmig und repetitiv ist und ich schließe mich der Ansicht an, daß Scott sich bei den drei Blickwinkeln etwas kürzer hätte fassen und sich noch stärker auf die bedeutendsten Momente hätte konzentrieren können; dennoch ist "The Last Duel" ein ambitioniertes, intelligentes Ritterdrama mit starker Besetzung, das mit seinem finalen Zweikampf auch die Anhänger einer härteren Gangart versöhnen dürfte.

Fazit: Ridley Scotts "The Last Duel" ist ein anspruchsvolles Ritterdrama mit drei exzellenten Hauptdarstellern, das seine Geschichte aus drei Perspektiven schildert, sich dabei aber ein wenig zu viel Zeit läßt.

Wertung: Knapp 8 Punkte (die Wertung könnte sich nach mehrfacher Sichtung aber durchaus noch erhöhen).
 
 
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