Regie: Destin Daniel Cretton, Drehbuch: Dave Callaham,
Destin Daniel Cretton und Andrew Lanham, Musik: Joel P. West
Darsteller: Simu Liu, Awkwafina, Meng'er Zhang, Tony Leung
Chiu-Wai, Michelle Yeoh, Fala Chen, Sir Ben Kingsley, Florian Munteanu, Yuen
Wah, Andy Le, Benedict Wong, Raymond Ma, Tim Roth, Mark Ruffalo, Brie Larson,
Dee Bradley Baker (Stimme)
FSK: 12, Dauer: 133 Minuten.
Gemeinsam mit seiner besten Freundin Katy (Awkwafina,
"Crazy Rich") arbeitet der etwa 30-jährige Shaun (Simu Liu, TV-Serie
"Kim's Convenience") als Parkwächter, obwohl beide einen College-Abschluß haben und ihre Freunde längst berufliche und private
Meilensteine erreicht haben. Shaun und Katy ziehen es vor, das Leben zu
genießen und in den Tag hineinzuleben – sie sind ja schließlich noch jung! Doch
eines Tages ändert sich alles für das unzertrennliche Duo, als einige
hartgesottene Schläger, angeführt von dem beeindruckenden Razor Fist (Florian
Munteanu, "Creed 2"), Shaun attackieren und jenen Anhänger von ihm
wollen, den ihm seine verstorbene Mutter Ying Li (Fala Chen, TV-Serie "The
Undoing") dereinst schenkte. Shaun kann sich zwar – zu Katys
gewaltigem Erstaunen – prächtig der Übermacht erwehren, am Ende ist der
Anhänger aber doch weg. Und Shaun hat seiner Freundin einiges zu erklären:
Tatsächlich heißt er Shang-Chi und wurde von seinem Vater Xu Wenwu (Tony Leung
Chiu-Wai, "Chungking Express") einem knallharten Martial Arts-Training
unterzogen, denn eines Tages soll Shang-Chi Nachfolger seines Vaters als
Anführer der geheimen kriminellen Organisation Die Zehn Ringe werden – benannt
übrigens nach einem antiken Artefakt, das seinem Träger übermenschliche Kräfte
und sogar ewiges Leben verleiht! Shang-Chi hatte auf eine Verbrecher-Karriere nur wenig Lust und setzte
sich daher als Teenager unter neuer Identität in den Westen ab, doch nun muß er
mit seiner entfremdeten Schwester Xu Xialing (Meng'er Zhang) zusammenarbeiten,
um ihren Vater davon abzuhalten, das gut verborgene magische Dorf Ta Lo zu zerstören, dem
ihre Mutter entstammte …
Kritik:
Nachdem das Marvel Cinematic Universe mit dem Mega-Erfolg
"Avengers: Endgame" einige Eckpfeiler verloren hat, die zum Teil seit
Beginn dabei waren, bildet die mit "Black Widow" eröffnete Phase Vier
des MCU eine Art Neuanfang, die natürlich auch einige neue Superhelden und
potentielle Avengers einführen muß. Und weil Hollywood inzwischen endlich
endgültig den Wert diverserer Besetzungen erkannt hat, nutzen Disney und Marvel
die Chance, um ein paar nicht-weiße Hauptfiguren einzuführen – immerhin war
bislang nur Black Panther die Ausnahme, auch wenn es bei den
"Nebenhelden" natürlich schon länger Charaktere wie den inzwischen
zum neuen Captain America aufgerückten Falcon, War Machine, Wong oder
Gamora gab. Den Auftakt macht mit dem chinesischen "Master of Kung
Fu" Shang-Chi eine Comicfigur, die es bereits seit 1973 gibt, ohne bislang die ganz große Bekanntheit zu erlangen. Nicht nur auf
die "Mainstream"-Helden zu setzen, sondern auch ein wenig obskureren
Vorlagen eine Chance zu geben, hat sich für das MCU bekanntlich schon mehrfach
rentiert ("Guardians of the Galaxy", "Ant-Man") und
"Shang-Chi and the Legend of the Ten Rings" macht da keine Ausnahme.
Nicht nur, daß es neben dem von Benedict Wong verkörperten Magier Wong (der
auch hier einen Gastauftritt hat) endlich einen asiatischen Superhelden gibt, zusätzlich erweitert der Film des bisherigen Independent-Regisseurs Destin Daniel
Cretton ("Short Term 12") das MCU inhaltlich um weitere Aspekte
und sorgt somit für Abwechslung. In erster Linie ist "Shang-Chi and the
Legend of the Ten Rings" aber ein weiteres höchst unterhaltsames
und abwechslungsreiches Marvel-Abenteuer, das zwar ein paar recht typische
MCU-Mängel aufweist (angefangen mit dem übergroßen Action-Fokus), jedoch sehr viel Spaß macht und einige sympathische,
spannende und zumindest teilweise auch erfreulich ambivalente Charaktere
einführt.
Erfreulicherweise wird der asiatische Hintergrund keineswegs
nur als Alibi für ein gewöhnliches Superhelden-Abenteuer verwendet,
vielmehr taucht die Handlung gerade in der zweiten Hälfte, die sich
größtenteils im magischen Dorf Ta Lo abspielt, tief in die asiatische
Mythenwelt ein – Drache inklusive! Höchste narrative Höhen erklimmt die Story
dabei zugegebenermaßen nicht, die in dieser Phase eher klischeehaft daherkommt
und an "echte" asiatische Fantasy-Vorbilder wie "A Chinese Ghost
Story" oder in jüngerer Zeit den Animationsfilm "White Snake"
erinnert, aber das ist ja durchaus ein typisches MCU-Problem und hängt mit der
starken Actionlastigkeit des Films zusammen. Diese wirkt sich auch auf die
Figurenzeichnung negativ aus, wobei hier dazukommt, daß sich der erste Akt von
"Shang-Chi" zwar viel Zeit läßt, um den Titelhelden und seine
Freundin Katy vorzustellen, dabei aber natürlich zunächst die Scheinidentität
als Shaun im Vordergrund steht. Die hat zweifellos große charakterliche
Ähnlichkeit zum echten Shang-Chi, trotzdem wirkt es komisch, daß dem "falschen"
Shang-Chi beinahe mehr Charakterarbeit gewidmet wird als später dem
"echten". So wundert es nicht, daß das Publikum den Figuren nicht sehr nahekommt, jedoch sind diese interessant genug gestaltet und gut
genug besetzt, um trotzdem ordentlich zu funktionieren und Potential für
künftige Geschichten zu offenbaren (auch bei anderen MCU-Superhelden dauerte es ein paar Filme, bis sie richtig zu sich gefunden hatten). Simu Liu kommt als
etwas kindsköpfiger Shang-Chi jedenfalls sympathisch rüber, die Chinesin
Meng'er Zhang macht in ihrem Leinwanddebüt als Shang-Chis Schwester ebenfalls
einen guten Eindruck und Awkwafina sorgt als schlagfertige, loyale Katy für
den nötigen Humor – gemeinsam mit einem recht unerwarteten MCU-Rückkehrer und dessen tierischem Gefährten Morris ...
Vergleichsweise wenig Screentime bekommen leider die Hongkong-Ikonen Michelle Yeoh (als Shang-Chis Tante Ying Nan, die gemeinsam
mit dem vom einst mit Jackie Chan und Sammo Hung in der Peking-Oper
ausgebildeten Yuen Wah verkörperten Meister Guang Bo die Truppen von Ta Lo
anführt) und Tony Leung Chiu Wai. Dennoch ist dessen Xu Wenwu ein
interessanter, ambivalenter Antagonist, der kein typischer Bösewicht mit
Welteroberungsphantasien ist (oder jedenfalls nicht mehr), sondern von einer
nachvollziehbaren emotionalen Motivation angetrieben wird. Die
große Endschlacht in Ta Lo ist bildgewaltig und rasant inszeniert, dennoch
finden die wahren Action-Höhepunkte bereits in der ersten Filmhälfte statt.
Speziell Shang-Chis Kampf gegen den vom deutsch-rumänischen Kampfsportler
Florian Munteanu verkörperten Razor Fist und seine Schergen in
einem Bus in San Francisco begeistert mit ausgefeilter Choreographie und
guten Einfällen – und auch der Kampf in schwindelerregender Höhe auf einer
Hochhaus-Bambusfassade in Xu Xialings Wohnort Macau (wo sie einen illegalen
Fightclub leitet) kann sich mehr als sehen lassen. Die Fantasy-Massenschlacht
am Ende kann da nicht mithalten, sieht aber ebenfalls prächtig aus und
überzeugt mit gutem Kreaturendesign. Übrigens gibt sich "Shang-Chi"
viel Mühe, den neuen Superheld gleich stark in das MCU einzubinden: Es gibt
Verbindungen zu "Iron Man 3", "Doctor Strange" und
"Der unglaubliche Hulk", zudem tauchen in einer der obligatorischen
Szenen während des Abspanns zwei waschechte Avengers auf. Es ist also davon
auszugehen, daß Marvel-Mastermind Kevin Feige große Pläne mit Shang-Chi und
auch seiner Schwester hat. Man darf gespannt sein, zumal "Shang-Chi" für
mich zu den besten Erstlingsfilmen im MCU zählt (ohne jedoch an meinen persönlichen
Favoriten "Doctor Strange" heranzureichen) …
Fazit: "Shang-Chi and the Legend of the Ten
Rings" ist ein so routiniertes wie hochgradig unterhaltsames
Superhelden-Abenteuer, das neue Helden schwungvoll – wenn auch ein wenig
oberflächlich – einführt und das MCU mit der Asia-Fantasy-Note um einen
weiteren stilistischen Aspekt bereichert.
Wertung: 8 Punkte.
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