Regie und Drehbuch: Edward Norton, Musik: Daniel Pemberton
Darsteller:
Edward Norton, Gugu Mbatha-Raw, Alec Baldwin, Willem Dafoe, Bobby Cannavale, Bruce
Willis, Michael Kenneth Williams, Dallas Roberts,
Ethan Suplee, Cherry Jones, Robert Ray Wisdom, Josh Pais, Fisher
Stevens, Radu Spinghel, Leslie Mann
FSK: 12, Dauer: 145
Minuten.
New York, 1950er
Jahre: Als der erfahrene Privatdetektiv Frank Minna (Bruce Willis,
"Looper") nach einem Treffen, über dessen Hintergründe er
sich seinen vier Mitarbeitern gegenüber sehr bedeckt hielt,
erschossen wird, ist gerade sein Schützling Lionel (Edward Norton, "Birdman")
schockiert; zudem macht er sich Vorwürfe, daß er Franks Tod nicht
verhindert hat. Während seine Kollegen in der Detektei, Gilbert
Coney (Ethan Suplee, "Unstoppable"), Tony
Vermonte (Bobby Cannavale, "Blue Jasmine") und Danny Fantl
(Dallas Roberts, TV-Serie "The Walking Dead") sich recht schnell
wieder ihrer normalen Arbeit widmen, konzentriert sich Lionel – der
unter dem Tourette-Syndrom leidet, welches ihn unkontrolliert Laute
und Satzfetzen äußern läßt, speziell, wenn er angespannt ist – darauf, die Hintergründe von Franks Tod aufzudecken. Diese
erweisen sich als reichlich komplex, haben aber offensichtlich mit
dem Politiker Moses Randolph (Alec Baldwin, "To Rome with Love")
zu tun. Der hält sich zumeist im Hintergrund, hat als Leiter
mehrerer Stadtdezernate aber großen Einfluß vor allem auf die
Bautätigkeiten in New York. Irgendwie ist außerdem die
dunkelhäutige Aktivistin Laura Rose (Gugu Mbatha-Raw, "Jupiter
Ascending") in die Angelegenheit verwickelt, die engagiert gegen die Vertreibung
der armen, oft schwarzen Bevölkerung aus ihren Vierteln wegen der
von Randolph vorangetriebenen Modernisierung ankämpft. Auch der
mysteriöse Architekt Paul (Willem Dafoe, "The Northman")
verfügt über erstaunliches Insiderwissen, das er mit Lionel, der sich als
Enthüllungsjournalist ausgibt, teilt …
Kritik:
Edward Norton ist
bekanntlich in erster Linie als Schauspieler tätig, in dieser
Funktion hat er es auch schon zu drei OSCAR-Nominierungen gebracht
(für sein Kinodebüt "Zwielicht", "American History
X" und "Birdman"). Wie so viele Schauspieler
versucht auch Norton sich gelegentlich als Regisseur und
Drehbuch-Autor. Geschmack an dem Job hinter der Kamera fand Norton
möglicherweise bereits beim Dreh von "American History X",
bei dem er als Hauptdarsteller so stark inhaltlich
eingriff, daß der eigentliche Regisseur Tony Kaye sogar
seinen Namen aus der finalen, nicht mehr von ihm verantworteten
Schnittfassung entfernen lassen wollte (was aber aus formalen Gründen
nicht ging). Es war vermutlich nicht das einzige Mal, daß der
bekannt selbstbewußte und intelligente Norton einen seiner
Regisseure an den Rand der Verzweiflung brachte (daß er nur
einmal als Hulk auftrat, hat seine Gründe …), aber das
herausragende Resultat bestätigte ihn durchaus. Dementsprechend
führte er zwei Jahre später erstmals ganz offiziell Regie, doch obwohl
die Komödie "Glauben ist alles!", in der er an der Seite
von Ben Stiller und Jenna Elfman die dritte Hauptrolle spielte,
ungemein witzig ausfiel und auch gute Kritiken einheimste,
enttäuschte sie leider an den Kinokassen. Ob das nun der Grund dafür
ist, daß es 19 Jahre bis zu seiner zweiten Regiearbeit dauerte, ist
unbekannt, aber letztlich auch egal. Fakt ist, daß Norton bei dem
Film noir "Motherless Brooklyn" nicht nur Regie führte und
erneut die Hauptrolle übernahm, sondern auch noch die Romanvorlage
von Jonathan Lethem in ein Drehbuch adaptierte. Der fertige Film
floppte bedauerlicherweise erneut, kann inhaltlich aber trotz einiger
Schwächen durchaus überzeugen.
Edward Norton ist
erkennbar ein Fan des Film noir, der sich in diesem speziellen
(Sub-)Genre sehr gut auskennt – wobei das offensichtlichste Vorbild
von "Motherless Brooklyn" ein Werk außerhalb der Film
noir-Hochzeit ist, nämlich Polanskis "Chinatown" aus
dem Jahr 1974, mit dem die erzählte Geschichte eine ziemlich große Ähnlichkeit
hat. Bedeutendster Unterschied zwischen beiden Werken ist der
Protagonist: Während in "Chinatown" der von Jack
Nicholson unnachahmlich verkörperte Jake Gittes ein klassischer hartgesottener und einzelgängerischer Privatdetektiv
ist, ist Edward Nortons Lionel Essrog ein ganz anderer Typ. Und das
hängt nur zum Teil mit seinem Tourette-Syndrom zusammen, das
letztlich eine geringere Rolle spielt, als man es vermuten würde.
Zwar brockt es Lionel erwartungsgemäß ein paar unangenehme bis
peinliche Situationen ein, jedoch ist er bereits so erfahren im
Umgang mit seiner Krankheit, daß er sie die meiste Zeit über gut
kaschieren kann. Dennoch hat das Tourette-Syndrom und der Umgang
damit sicherlich Lionels charakterliche Entwicklung geprägt: Er
ist ein sensibler, vorsichtiger Typ, der sich nicht leicht öffnet, jedoch in der Detektei seines väterlichen Mentors Frank Minna eine
Ersatz-Familie gefunden hat, die ihn sowohl menschlich als auch
beruflich zu schätzen weiß. Das liegt nicht zuletzt daran, daß er
schlicht und ergreifend ein guter Detektiv mit einem phänomenalen Gedächtnis ist, den Frank in entscheidenden
Momenten quasi als menschliches Aufnahmegerät benutzt, weil er
einfach nichts vergißt. Kurzum: Lionel Essrog ist in jeder Hinsicht
ein spannender Protagonist, dessen akribischer Arbeit man
gerne folgt.
Nicht verschwiegen
werden soll allerdings, daß besagte akribische Arbeit mitunter doch
etwas zu ausführlich und tempoarm geschildert wird. In seiner fast
zweieinhalbstündigen Laufzeit läßt sich "Motherless Brooklyn"
viel Zeit, um Lionels komplizierten Ermittlungen zu folgen – zu
viel Zeit. Denn während sich der Film ganz auf Lionel konzentriert,
kommen sowohl seine vielen Gesprächspartner als auch seine drei Kollegen in der
Detektei zu kurz. Speziell die prägnant besetzten
Mit-Detektive hätten gerne mehr in die Handlung involviert werden
dürfen – immerhin lernen wir das Quartett als echtes Team kennen,
wovon im Verlauf dann leider nicht mehr viel zu sehen ist. Der Fall
selbst ist kompliziert und verästelt, aber gut konstruiert
und schlüssig aufgebaut (wenn auch für "Chinatown"-Kenner
recht vorhersehbar). Abgesehen vom langsamen Erzähltempo gibt es in
dieser Hinsicht wenig zu bemängeln. Atmosphärisch macht
"Motherless Brooklyn" mit eleganten Bildern des britischen
Kameramannes Dick Pope ("Mr. Turner") sowie einem tollen,
für den Golden Globe nominierten Jazz-Soundtrack von Daniel
Pemberton ("King Arthur: Legend of the Sword") – dem der
berühmte Jazz-Trompeter Wynton Marsalis zur Seite stand – ebenfalls sehr
viel richtig. Und obwohl in der Besetzung bis auf Norton und den
kurzen Auftritt von Bruce Willis die ganz großen Stars fehlen, hat
Norton doch ein starkes Ensemble sehr talentierter Mimen
zusammengestellt, die selbst kleinste Rollen überzeugend verkörpern
– als Beispiel sei der zwei Jahre nach dem Kinostart von
"Motherless Brooklyn" früh verstorbene Michael Kenneth
Williams (TV-Serie "The Wire") genannt, der für seinen
kurzen, markanten Auftritt als Jazz-Trompeter nicht einmal einen
Namen spendiert bekommen hat, aber trotzdem im Gedächtnis bleibt.
Mit einer etwas temporeicheren, aufregenderen Inszenierung und einem
geringeren Fokus auf den Protagonisten hätte "Motherless
Brooklyn" ein echter Genreklassiker werden können – so ist er
"nur" ein guter Film noir, der sein Potential nicht ganz
ausschöpft.
Fazit: Edward
Nortons "Motherless Brooklyn" ist ein eleganter Film noir
mit spannendem, aber überpräsenten Protagonisten, der mit
einem höheren Erzähltempo noch besser funktionieren würde.
Wertung: 7,5
Punkte.
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