Regie und Drehbuch: Liam Gavin, Musik: Ray Harman
Darsteller:
Catherine Walker, Steve Oram, Susan Loughnane, Mark Huberman, Sheila Moloney, Martina Nunvarova, Nathan
Vos
FSK: 16, Dauer: 100
Minuten.
Die etwa 40-jährige
Irin Sophia Howard (Catherine Walker, "House of Gucci")
sucht hartnäckig nach einem erfahrenen Okkultisten, der selbstredend
kein Scharlatan sein darf und ihr ihren größten Wunsch ermöglichen
soll: Kontakt zu ihrem kleinen Sohn im Jenseits aufzunehmen, für
dessen Tod sie sich verantwortlich fühlt. Nach mehreren Absagen wird
sie in Wales fündig beim ruppigen Joseph Solomon (Steve Oram,
"Sightseers"), der sich schließlich bereiterklärt, mit Sophia das berüchtigte Abramelin-Ritual durchzuführen, das im
Idealfall eine Verbindung zu Sophias Schutzengel herstellen soll – jedoch auch Dämonen herbeirufen kann. Das Ganze ist keine einfache
oder schnelle Angelegenheit, denn die Vollendung des religiösen
Rituals dauert etwa sechs bis acht Monate, weshalb sich Sophia und
Joseph in einem abgelegenen Landhaus verschanzen und mit genügend
Vorräten eindecken. Als sich längere Zeit wenig bis nichts tut,
wachsen Sophias Zweifel und ebenso die Spannungen
zwischen den ungleichen Charakteren, zumal Josephs
aufbrausendes, herrisches Verhalten nicht gerade harmoniefördernd
ist. Doch dann gibt es erste, noch sehr zaghafte Hinweise, daß das
Ritual doch seine Wirkung entfalten könnte ...
Kritik:
Obwohl
ich selbst Atheist bin – oder vielleicht auch gerade deshalb? –,
war ich schon immer fasziniert von Religion und ihrer
Funktionsweise, gerade auch in politischer Hinsicht. Wobei ich grundsätzlich
polytheistische Religionen viel spannender finde als die seit vielen
Jahrhunderten in unseren Breiten dominierenden monotheistischen (also
speziell Christentum und Islam), aber auch die haben natürlich viele
interessante Aspekte. Folgerichtig habe ich ein leichtes Faible
für religiös angehauchte Filme von bibeltreuen Monumentalfilmen á
la "Die zehn Gebote" bis hin zu religiösen Horrorfilmen
wie "Der Exorzist" oder "Das Omen". Gemeinsam
haben allerdings die meisten religiösen Horrorfilme, daß sie
den sakralen Hintergrund primär als Aufhänger für eine
möglichst spannende Schockergeschichte verwenden, sie aber
nur selten wirklich ernst nehmen und authentisch umsetzen. Ausnahmen
finden sich (möglicherweise abgesehen von "Der Exorzist")
vorwiegend in kleinen, unabhängigen Produktionen wie "The Witch"
oder dem jüdischen Horrorfilm "The Vigil", in denen es
mehr um eine bedrohliche Atmosphäre geht als um Schockelemente für
ein Mainstream-Publikum. Der irische "A Dark Song", das
Langfilm-Regiedebüt von Liam Gavin (Netflix-Serie "Spuk in Bly
Manor"), der auch das Skript verfaßte, setzt diese Tradition
fort und geht dabei vielleicht noch einen Schritt weiter, denn
klassische Horrorelemente finden sich hier kaum noch. Das bedeutet in gewohnter Arthouse-Horror-Manier eine sehr bedächtige Erzählweise,
aber eben auch einen hohen Grad an Authentizität – eine
ziemlich spezielle Mischung für ein Nischenpublikum, aber Gavin
setzt die düstere Geschichte gewissenhaft und konsequent um und
schafft es, fast von Beginn an eine faszinierende,
düster dräuende Stimmung er erschaffen, die großes Unheil
verkündet.
Diese intensive und bedrückende Atmosphäre ist auch von entscheidender Bedeutung, denn Gavin hat sich
mutigerweise dazu entschieden, die beiden Protagonisten seiner
Geschichte – ein paar Nebenfiguren gibt es zwar, den absoluten
Löwenanteil von "A Dark Song" bestreiten Sophia und Joseph
aber in nicht wirklich trauter Zweisamkeit – nicht zu
Sympathieträgern zu machen. Vor allem der Okkultist Joseph kommt wenig
vertrauenerweckend daher mit seinem unbeherrschten, überheblichen
und fordernden Verhalten, aber auch Sophia, die offensichtlich nicht die ganze Wahrheit erzählt und ungesund
obsessiv wirkt (und in einer psychiatrischen Anstalt behandelt wurde, wie wir früh erfahren), taugt keinesfalls zur strahlenden Filmheldin. Eine
gewisse Distanz zwischen diesen beiden Charakteren und dem Publikum
bleibt schon deshalb bestehen, weil wir nur das Nötigste über ihre
Hintergründe erfahren. Wo die meisten anderen Filme die Monotonie
des monatelangen, lange Zeit wenig aufsehenerregenden Rituals für
Rückblenden genutzt hätten, um die Figuren näher kennenzulernen,
verzichtet Liam Gavin darauf komplett und konzentriert sich
stattdessen auf das Ritual selbst und auf das schwierige
Zusammenleben von Joseph und Sophia. Daß das eine
bewußte Entscheidung ist, dürfte die Tatsache beweisen, daß sogar
ein interessantes Gespräch zwischen den beiden, in dem man mehr über
Josephs Vergangenheit erfährt, aus der finalen Fassung gestrichen
wurde und nur im Bonusmaterial der Heimkinoveröffentlichung zu sehen
ist. Angesichts dieser hingebungsvollen Ernsthaftigkeit, mit der
Gavin sein Sujet behandelt, finde ich es jedoch etwas
bedauerlich, daß das Ritual selbst und seine Hintergründe nicht
noch ausführlicher behandelt werden. Denn das Abramelin-Ritual
existiert tatsächlich und soll von mehreren bekannten Okkultisten
(erfolglos) durchgeführt worden sein, darunter dem
berühmt-berüchtigten, im Horrorgenre immer wieder gerne verwendeten Aleister
Crowley. Joseph erklärt Sophia zwar anfangs in aller
Ausführlichkeit die aufwendigen Vorbereitungen für das Ritual –
das sich über mehrere Räume hinweg erstreckt und offenbar jüdische und christliche Elemente
kombiniert – und betont dessen Gefährlichkeit, während des
Rituals selbst hält er sich aber leider mit Kommentaren und
Erläuterungen eher zurück. Da wäre mit Sicherheit noch etwas mehr
gegangen, zumal eben, wie gesagt, bis kurz vor Schluß sowieso nicht wirklich
viel passiert.
Gavin
verwendet bei "A Dark Song" durchaus ein paar gängige
Horrorfilm-Klischees wie das plötzliche Pochen an der Wand oder sich
wie von Geisterhand öffnende Türen, erfreulicherweise verzichtet
er aber fast komplett auf klassische Jumpscares und ähnliche,
dramaturgisch billige Geisterbahn-Effekte (für mich gab es sogar
keinen einzigen Jumpscare, aber zartere Gemüter könnten wohl
ein paar Szenen im kurzen, aber eindrucksvollen Finale als solche
empfinden). Die hätten auch nicht zur betonten Ernsthaftigkeit
gepaßt, mit der der irische Filmemacher sein Thema behandelt und
vorantreibt. Da handlungstechnisch lange wenig passiert, ist die
Leistung der Schauspieler naturgemäß umso wichtiger, da sie das
Publikum bei Laune halten müssen. Und den außerhalb der britischen
Inseln eher unbekannten Catherine Walker und Steve Oram gelingt das
vorzüglich. Natürlich ist ein Film, der sich so stark auf zwei
Figuren konzentriert, für jeden guten Schauspieler eine tolle
Gelegenheit, aber auch eine Herausforderung – Walker und Oram
meistern diese, was angesichts der angesprochenen überschaubaren
Sympathie für ihre Charaktere umso bemerkenswerter ist. Beide
Schauspieler bringen die nötige Intensität mit und ebenso eine
gewisse mysteriöse Aura, die ihre Figuren umgibt, zudem harmonieren
sie in ihrer zwangsläufig intimen, jedoch alles andere als
unkomplizierten Beziehung gut miteinander. Eine große Rolle für das
Gelingen von Horror- oder Mysteryfilmen spielt traditionell auch die
Musik, die speziell bei der Schaffung einer düster-unheimlichen
Atmosphäre sehr wichtig ist. Das ist bei "A Dark Song" nicht anders, wo Gavins Landsmann Ray Harman ("Liebe zum Nachtisch")
mit gänsehauterzeugenden, oft dissonanten Melodien die bedrohliche
Stimmung noch weiter steigert – sein Score mag für das Genre nicht
übermäßig originell sein, effektiv ist er auf jeden Fall! Das
Zusammenspiel all dieser Elemente (auch die Kameraarbeit hat Lob verdient) macht aus "A Dark Song"
einen faszinierenden und in dieser Konsequenz und Ernsthaftigkeit
ziemlich einzigartigen Film, der mit der langsamen Erzählweise
und den wenig für sich einnehmenden Protagonisten Anhänger
konventioneller Horrorkunst abschrecken dürfte, Fans anspruchsvollen
Arthouse-Horrors dagegen viel Sehenswertes bietet.
Fazit:
"A Dark Song" ist ein gewollt nischiger
Arthouse-Horrorfilm, der seine Geschichte und die Figuren sehr
ernst nimmt und trotz der langsamen Erzählweise eine faszinierende,
religiös geprägte Schauermär präsentiert.
Wertung:
7,5 Punkte.
"A Dark Song" ist seit dem 3. Dezember 2021 von Camera Obscura auf DVD und Blu-ray sowie als limitiertes Mediabook (mit zusätzlichem Booklet) erhältlich. Das Bonusmaterial umfaßt mehrere kurze, aber durchaus erhellende Interviews, Storyboards (15 Minuten), zehn Minuten nicht verwendete Szenen und vier Kurzfilme, die Liam Gavin zu Beginn seiner Karriere drehte. Dabei ist eine deutliche Entwicklung in Richtung "A Dark Song" zu beobachten, denn während "Day of Reckoning" (2002) und "Shooting Blanks" (2003) noch vorwiegend auf schrägen Humor setzen, geht es bei dem anrührenden "Sunshower" (2009) und "Jericho" (2009) schon deutlich dramatischer und stimmungsvoller zu. Eines haben alle Kurzfilme gemeinsam: Der Tod spielt in irgendeiner Art und Weise eine Rolle, was sie direkt mit "A Dark Song" verbindet. Sehenswert sind alle vier Kurzfilme, meine Favoriten sind "Sunshower" und "Day of Reckoning".
Ein Rezensionsexemplar wurde mir netterweise von Greenhouse PR und Camera Obscura zur Verfügung gestellt.
Screenshots: © Camera Obscura Filmdistribution
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