Regie und Drehbuch: Taika Waititi, Musik: Michael Giacchino
Darsteller: Roman Griffin Davis, Thomasin McKenzie, Scarlett
Johansson, Sam Rockwell, Taika Waititi, Archie Yates, Rebel Wilson, Stephen
Merchant, Alfie Allen
FSK: 12, Dauer: 108 Minuten.
Deutschland im Jahr 1945: In der Kleinstadt Falkenheim lebt
der 10-jährige Johannes Betzler (Roman Griffin Davis), genannt Jojo, mit seiner
Mutter Rosie (Scarlett Johansson, "Marriage Story"). Jojo und sein
bester Freund Yorki (Archie Yates) sind begeisterte Nazis, die es gar nicht abwarten
können, ihrem Land im Krieg zu dienen – bei Jojo geht die Begeisterung so weit,
daß Adolf Hitler (Taika Waititi) höchstpersönlich sein
imaginärer Freund und emotionaler Cheerleader ist. Aufgrund eines Zwischenfalls
bei einem von dem kriegsversehrten Hauptmann Klenzendorf (Sam Rockwell, "Three Billboards ...") und Fräulein Rahm (Rebel Wilson, "Pitch Perfect")
geleiteten paramilitärischen Jugendlager gerät Jojos Kriegslaufbahn allerdings
schnell ins Stocken und anstatt Soldat zu spielen, soll er zunächst für Klenzendorf
Botengänge und Ähnliches erledigen. Unterdessen findet Jojo heraus, daß
seine Mutter auf dem Dachboden die Jüdin Elsa (Thomas McKenzie, "The
King") versteckt, die ein paar Jahre älter ist als er. Nach dem ersten Schreck beschließt Jojo zum Unwillen des
imaginären Hitler, Elsa nicht zu verraten – immerhin wirkt sie gar nicht so
furchterregend wie in der Nazi-Propaganda – und sie
vielmehr besser kennenzulernen …
Kritik:
Die Anzahl neuseeländischer Filmemacher von Weltrang ist
überschaubar. Klar, es gibt Peter Jackson ("Der Herr der Ringe"),
Jane Campion ("Das Piano"), Andrew Niccol ("Gattaca"), Niki Caro ("Mulan"),
Roger Donaldson ("Thirteen
Days") und Martin Campbell ("Casino Royale"), aber dann wird es
schon eng. Wenn es um neuseeländische Regisseure mit Maori-Wurzeln geht,
bleibt eigentlich nur noch Lee Tamahori ("Stirb an einem anderen Tag")
übrig – und Taika Waititi. Dessen Karriere entwickelte sich relativ langsam, jedoch bilderbuchmäßig in kleinen Schritten. Er begann in den 1990er Jahren als Comedian, ging dann um die Jahrtausendwende herum zum Film, wo er sowohl als
Schauspieler als auch als Regisseur, Drehbuch-Autor und Produzent tätig war.
Außerhalb seiner Heimat nahmen davon wenige Notiz, doch das änderte sich
mit ersten kleinen Indie-Erfolgen wie dem OSCAR-nominierten Kurzfilm "Two
Cars, One Night" (2005), der von ihm inszenierten und geschriebenen
skurrilen Komödie "Eagle vs. Shark – Liebe auf Neuseeländisch" (2007)
und vor allem der musikalischen HBO-Serie "Flight of the Conchords",
die im englischsprachigen Raum schnell Kultstatus entwickelte. Von hier an ging
es immer steiler bergauf für Taika Waititi, der sich mit einer größeren Rolle im von
seinem Landsmann Martin Campbell gedrehten Superhelden-Flop "Green
Lantern" (2011) in Hollywood anmeldete und sich in seiner Heimat als
Regisseur und Autor mit der gefeierten (und später zur TV-Serie
umgearbeiteten) Vampir-Mockumentary "5 Zimmer Küche Sarg" (2014) und
der höchst erfolgreichen Romanverfilmung "Wo die wilden Menschen jagen"
(2016) endgültig zum Star entwickelte. Es schloß sich 2017 mit der Regie und
einer Motion-Capture-Nebenrolle bei "Thor: Tag der
Entscheidung" der Eintritt in den Olymp des kommerziellen Hollywood an,
auf den zwei Jahre später mit der gewagten Zweiter Weltkriegs-Satire "Jojo
Rabbit" sein erster OSCAR (für das Drehbuch) folgte. Rückschläge? Bislang
Fehlanzeige! Und das ist auch gut so, denn mit seinem exzentrischen Humor sorgt
Taika Waititi immer wieder für willkommene Abwechslung, so auch bei "Jojo
Rabbit" – der konnte zwar nicht jeden Kritiker voll überzeugen, er kam
beim Publikum jedoch hervorragend an und ist in der Tat eine sehr unterhaltsame
schwarzhumorige Tragikomödie.
Dabei soll gleich betont werden, daß die
Humorkomponente von "Jojo Rabbit" weniger stark ausgesprägt ist als
das Prämisse, Trailer und Filmemacher vermuten ließen. Die witzigsten
Szenen sind größtenteils bereits im Trailer enthalten, der Rest ist
eher von einem lakonisch-absurden tragikomischen Tonfall geprägt – was
angesichts des Kriegssettings sicherlich nicht das schlechteste ist. Aber man
sollte eben keine "richtige" Komödie erwarten, ansonsten droht eine
Enttäuschung. Für die Comedy-Elemente sorgen in erster Linie der imaginäre
Hitler und Jojos etwas exzentrischer bester Freund Yorki (der aber primär im
ersten Akt des Films eine Rolle spielt, der ein bißchen wie eine Nazi-Variante
von Wes Andersons "Moonrise Kingdom" wirkt, wenn auch weniger
skurril und einfallsreich). Hitler-Darstellungen sind ja immer heikel, aber
hier ist schon durch seine Existenz als bloßes Phantasieprodukt klar, daß er
wenig mit dem realen Vorbild zu tun hat – was sich bei weitem nicht nur darauf
beschränkt, daß Jojos Hitler angesichts seines Darstellers nunmal aussieht wie
ein Maori … Taika Waititi läßt wenig Zweifel daran, daß "sein" Hitler
eine Witzfigur ist, er spielt den mörderischen Diktator wie eine schräge
Mischung aus dem echten Hitler und Charles Chaplins Anton Hynkel aus "Der
große Diktator" – das Resultat fällt manchmal vielleicht etwas zu
klamaukig aus, ist aber durchaus lustig und wartet gerade gegen Ende mit
einigen starken Szenen auf (die dann aber gar nicht mehr lustig sind). Reale
Nazis von Belang für die Story gibt es natürlich auch, wobei Gestapo-Mann
Deertz (Stephen Merchant, "Fighting with My Family") eher ein
Klischee-Bösewicht ist – wobei es vermutlich schwer ist, Gestapo-Leute anders
darzustellen, ohne sie zu verharmlosen –, wohingegen Sam Rockwells Hauptmann
Klenzendorf ambivalent daherkommt. Der genervt-fatalistische
Offizier ist definitiv kein "guter Nazi", aber bei weitem nicht so
schlimm wie der fanatische Deertz. So wird im Film nie ganz klar, ob Klenzendorf
überhaupt die Nazi-Ideologie teilt oder "nur" ein überzeugter Soldat
ist, der bis zum Schluß kämpfen will. Den Judenhaß der Nazis scheint er
jedenfalls nicht zu teilen und gerade im Umgang mit Jojo und seiner Mutter
zeigt sich Klenzendorf durchaus empathisch und hilfsbereit, umgeht notfalls
auch die Regeln. Eine interessante Figur, die man gerne noch etwas ausbauen
hätte können, zumal es sich für Sam Rockwell um eine ziemliche Paraderolle
handelt.
Klenzendorf ist auch maßgeblich an einer der (im besten Sinne) albernsten
Szenen beteiligt, welche gekonnt das penetrante "Heil Hitler"n aller
beteiligten Figuren auf die Spitze treibt; ich halte es jedenfalls für sehr
realistisch, daß "Jojo Rabbit" der Film mit den meisten "Heil
Hitler"s der Kinogeschichte sein könnte … Durch diese regelrechten
"Heil Hitler"-Orgien werden die Nazis und ihre Führerhörigkeit so
ganz nebenbei effektiv lächerlich gemacht. Im Zentrum des Geschehens steht allerdings
naturgemäß Jojo, dessen Wandlung spannend und glaubwürdig gestaltet ist. Selbst seinem Freund
Yorki ist offenbar, daß der 10-jährige den Krieg zu Beginn enthusiastisch als großes Abenteuer ansieht und – wie Elsa später korrekt anmerkt – einfach
dazugehören will. Die Tragik dieses Krieges und der Judenverfolgung wird Jojo
erst nach und nach klar, in gewisser Weise funktioniert "Jojo Rabbit"
somit auch als Coming of Age-Film. Vor allem aus den Gesprächen mit der sehr
direkten Elsa, die Jojo keine schmerzhafte Wahrheit erspart, lernt der Junge
viel; doch auch seine Mutter spielt keine unbedeutende Rolle, indem sie Jojos
anfänglichem blinden Fanatismus beharrlich Menschlichkeit und
mütterliche Weisheit entgegensetzt. Es ist keine große Rolle für einen
Superstar wie Scarlett Johansson, aber eine gute, die sie anrührend und einfühlsam verkörpert. Interessant ist übrigens die
Songauswahl, die nicht auf Musik der damaligen Zeit setzt,
sondern einen interessanten Mix aus klassischen Stücken, auf Deutsch gesungenen
Liedern von Weltstars ("Komm, gib mir deine Hand" von The Beatles,
"Mama" von Roy Orbison, "Helden" von David Bowie) sowie Tom
Waits' eine amüsante Jugendlager-Montage passend untermalendem "I Don't Want to
Grow Up". Insgesamt hätte der auf einem Roman der neuseeländisch-belgischen
Autorin Christine Leunen basierende "Jojo Rabbit" gerne noch etwas
tiefer in Sachen Figurenzeichnung und Handlung gehen dürfen und zudem ein wenig
witziger sein können, aber Taika Waititi ist zweifellos eine sehenswerte
und originelle Tragikomödie gelungen, die mit sechs OSCAR-Nominierungen und dem
Goldjungen für das Drehbuch belohnt wurde.
Fazit: Taika Waititis "Jojo Rabbit" ist eine
schwarzhumorige, tragikomische Kriegssatire aus der Perspektive eines Kindes,
das schon bald lernen muß, daß Krieg kein Abenteuer ist.
Wertung: 8 Punkte.
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